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Gemeinsam statt einsam11 min read

6. Juni 2013, Lesedauer: 7 min

Gemeinsam statt einsam11 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Die bekannte Weltmeisterschafts-Stadt Schladming ist seit vergangenem Jahr um ein Traditions-Wasserkraftwerk ärmer. Doch die Trauer um den Verlust hält sich in Grenzen.

Im Gegenteil: Schließlich wurden zwei höchst betagte Kraftwerke, die am jeweils gegenüberliegenden Ufer das Wasser des Talbachs entnahmen, aufgelassen, um an deren statt ein einziges, modernes Kleinwasserkraftwerk zu errichten. Das Resultat lässt aufhorchen. Mit einem Regelarbeitsvermögen von rund 2,5 GWh erzeugt das neue Kraftwerk Talbach mit einer leistungsstarken Kaplan-Rohrturbine aus dem Hause GHE heute im Durchschnitt knapp viermal so viel sauberen Strom wie die beiden alten zusammen. Die Umsetzung, angefangen von der Planung über den Bau bis hin zur Inbetriebnahme, war dabei durchaus herausfordernd.

Der Alltag hat Schladming wieder. Der Trubel, die Aufregung und der überbordende Rummel um die diesjährige Skiweltmeisterschaft in der kleinen Stadtgemeinde am Dachstein sind einer gewissen Beschaulichkeit gewichen. Einer friedlichen Idylle, wie man sie hier schon seit geraumer Zeit nicht mehr gewohnt war. Schließlich beherrschten in den letzten drei, vier Jahren Kräne und Bagger das Stadtbild. Böse Zungen verglichen den hiesigen Bauboom bereits mit der Bauwut in manch chinesischer Industriestadt. Rund 400 Millionen Euro wurden in diverse Projekte investiert, die Schladming nicht nur fit für die WM machen sollten, sondern insgesamt noch etwas moderner, noch etwas fortschrittlicher, noch besser ausgebaut. Ein neuer Bahnhof wurde ebenso errichtet wie ein Kongresszentrum und ein neues Sportzentrum, hinzu kamen die Erneuerung der Umfahrungsstraße, neue Zufahrten mit neuen Lärmschutzwänden sowie ein Biomasse-Heizkraftwerk, oder die Erneuerung des Abwassersystems – von den Investitionen in Skilifte und Hotels ganz abgesehen. Von den furiosen Weltmeisterschaftsrennen sollte am Ende also deutlich mehr bleiben als jene magischen Momente der Wettkämpfe, an die sich die Ski-Fans weit über Österreichs Grenzen hinaus noch länger erinnern werden.

DER NACHHALTIGKEIT VERPFLICHTET
Doch bei all den Anstrengungen, die Schladming für seine Skiweltmeisterschaft in Kauf genommen  hatte, wurde ein wesentliches Ziel nie ganz aus den Augen gelassen: Nachhaltigkeit. Bereits im März 2012 wurde eine Charta unterzeichnet, wonach sich die Stadtgemeinde verpflichtete, die Sportveranstaltung und sämtliche damit verbundenen Aktivitäten nach den Prinzipien der  Umweltfreundlichkeit und der Nachhaltigkeit auszurichten. In der Charta fanden sich verschiedene Punkte wieder, wie etwa E-Mobilität, Abfallvermeidung und Klimaschutz. Dazu gesellte sich noch ein ganz wesentlicher Punkt: das Projekt „Energiemodellregion Schladming“, mit dem seit einigen Jahren die Energieautarkie in Schladming und dem umgebenden Bezirk angestrebt wird. Zentrale Säule dieses Energiemodells ist immer noch die Wasserkraft, die in der wasserreichen Naturlandschaft im näheren Umfeld des Dachsteins schon immer eine tragende Rolle gespielt hat. Nach Angaben der Energie- und Klimamodellregion beträgt das Wasserkraftpotenzial in der Kleinregion 92,1 GWh pro Jahr. Davon ist allerdings bereits ein Großteil ausgebaut.

ÄLTESTES KRAFTWERK DER OBERSTEIERMARK GEHT IN RUHESTAND
Integrale Bestandteile des bestehenden Wasserkraftwerksinventars in Schladming waren über viele Jahrzehnte die beiden Anlagen der Familien Kraiter und Seebacher, die von ihrer Situierung her durchaus eine Besonderheit darstellten. Die Kleinkraftwerke lagen nämlich annähernd auf gleicher Höhe zu beiden Seiten des Talbachs, nutzten also etwa über die gleiche Strecke das Gewässer, eines orographisch links, das andere rechts. Errichtet wurden die beiden Anlagen in den Jahren 1895 und 1923. Das ältere der beiden, das KW Seebacher, galt sogar als das älteste EWerk der Obersteiermark. Ihre wasserrechtlichen Konzessionen wären 2018 bzw. 2019 ausgelaufen. „Wir haben uns bereits vor einigen Jahren zusammengesetzt und überlegt, wie man an diesem Standort die Wasserkraft nach heutigen Standards optimal nutzen könnte“, erzählt Kraftwerksbetreiber Gernot Kraiter. „Verschiedene Variantenuntersuchungen wurden in der Folge in den Jahren zwischen 2005 und 2009 angestellt. Und nachdem sich beide Familien dahingehend einig waren, dass wir das Projekt gemeinsam abwickeln wollten, haben wir die Kraiter Seebacher GmbH als Betriebsgesellschaft gegründet und sämtliche Planungen für das neue Kraftwerk Talbach an BHM INGENIEURE Graz vergeben.“

MEHR WASSER FÜR DIE TURBINE
Der Kern des neuen Nutzungskonzeptes bestand nun im Wesentlichen aus dem Rückbau einer der beiden Anlagen und im Neu- und entsprechendem Ausbau der anderen. Im Detail bedeutete dies das Ende für das alte Kraftwerk Seebacher, während der Neubau am Standort des alten KW Kraiter vonstatten gehen sollte. Das generelle Projektziel lautete, mit dem im neuen Kraftwerk erzeugten Strom die umliegenden Objekte der beiden Familien zu versorgen und den Überschuss ins Netz einzuspeisen. „Ein zentraler Aspekt im Konzept des neuen Kraftwerks betraf die optimale Ausnutzung des vorhandenen Wasserdargebotes des Talbachs, der vor allem in den Frühjahrs- und  Sommermonaten eine erhöhte Wasserführung aufweist“, erläutert der Projektleiter von BHM INGENIEURE, DI René Gruber, einen wichtigen Punkt. „Ursprünglich kamen die beiden Altanlagen zusammen auf eine Ausbauwassermenge von nicht einmal 1.700 l/s. Das neue Kraftwerk ist nun für einen maximalen Triebwasserdurchfluss von 5.800 l/s ausgelegt. Eine Wassermenge, die im Schnitt an 125 Tagen im Jahr zur Verfügung steht.“

KOMPLEXES BAUVORHABEN ERFORDERT OPTIMALE ABSTIMMUNG
Die Umsetzung des Bauvorhabens – dessen waren sich die Planer von BHM INGENIEURE von Anfang an bewusst – würde alles andere als einfach werden. Die beengten Platzverhältnisse am Ausgang der Talbachschlucht stellten nicht nur den limitierenden Faktor für den Ausbaugrad des neuen Kraftwerks dar, sondern sollten auch der bauausführenden Firma alles abverlangen. René Gruber: „In der Folge wurde offenkundig, dass eine exakte und perfekt abgestimmte Planungsleistung das A und O eines derart komplexen Bauvorhabens ist. Ein Lob auch an die Baufirma, die hier ausgezeichnete Arbeit verrichtet hat.“ Für sämtliche Bauarbeiten zeichnete mit der Firma Kieninger aus Bad Goisern ein Unternehmen verantwortlich, das sich im Kraftwerksbau bereits einen guten Ruf erworben hat. (Bauleiter: Ing. Haslauer Heinz, Polier: Spitzer Mike). Durch die engagierte und kooperative Zusammenarbeit aller Beteiligen konnten in der vorgegebenen Bauzeit die komplexen Arbeiten qualitativ hochwertig und termingerecht durchgeführt werden. Zur Bewältigung der schwierigen örtlichen Gegebenheiten wurden von der Firma Kieninger sämtliche Register gezogen – und somit die volle Zufriedenheit des AG gewährleistet. Der Spatenstich erfolgte im Oktober 2011. Es folgte intensive Bauaktivität, die lediglich in den Wintermonaten zwischen Dezember und Februar über drei bis vier Wochen unterbrochen wurde. Bis in den Dezember letzten Jahres wurde an der neuen Anlage gearbeitet.

BAUEN UNTER EXTREM BEENGTEN VERHÄLTNISSEN
Grundsätzlich handelt es sich beim neuen Kraftwerk Talbach um ein Niederdruck-Kraftwerk mit sehr kurzer Ausleitungsstrecke. Die Wasserfassung besteht aus einer Wehranlage mit fester Wehrschwelle, die rundum saniert wurde, einer hydraulisch betriebenen Stauklappe, sowie dem Einlaufbauwerk mit Seitenentnahme und dem daran anschließenden Sandfang. Die Druckrohrleitung erstreckt sich über eine Länge von 57,20 m, um am Ende in ein neues Krafthaus zu münden, wo letztlich eine Unterwassereintiefung von 0,50 m vorgenommen wurde. Gruber schildert, mit welchen Bedingungen man zum Teil zu kämpfen hatte: „Unter höchst beengten Verhältnissen verlief etwa der Bau des neuen Sandfangs, der an einer steilen Böschung zwischen Talbach-Wasserfall und der direkt daneben verlaufenden Gemeindestraße angelegt wurde. Zu allem Überfluss durfte die Straße aufgrund einer Betriebszufahrt nicht gesperrt werden. Da war nicht nur bautechnisches Vermögen gefragt, sondern auch Koordination und gute Logistik.“

AUFWÄNDIGER ROHREINZUG IN ALTEM BAUWERK
Komplex, schwierig und zeitaufwändig gestaltete sich auch die Verlegung der Druckrohrleitung. Zum Einsatz kamen dabei GFKRohre DN1800, SN10.000 der Druckstufe PN02 aus dem Hause HOBAS. Aus gutem Grund hatten sich die Verantwortlichen für das leistungsstarke Rohrsystem aus glasfaserverstärktem Kunststoff aus Kärntner Herstellung entschieden. Aufgrund des Platzmangels wurde vom Rohrlieferanten eine exakte Stückliste erstellt, um die Rohrleitungstrasse möglichst ideal an die örtlichen Gegebenheiten zwischen den bestehenden Gebäuden und dem Bach anpassen zu können. Dementsprechend wurden die Rohre, vollständig durchnummeriert, in unterschiedlichen Längen zwischen 3 und 6 Metern angeliefert. „Eine absolute Besonderheit dieser Verlegung war, dass die Rohrtrasse zuerst unmittelbar neben dem Wohnhaus der Familie Kraiter und danach mitten durch das bestehende Sägewerksgebäude aus dem 19. Jahrhundert geführt werden sollte. Dabei durften weder die Bausubstanz des Wohnhauses noch jene der alten Säge angegriffen werden. Gerade im Sägewerk war das alles andere als einfach, zumal in dessen Untergeschoss Festpunkte betoniert und Druckrohrleitungsauflager errichtet wurden. Dabei erwies sich die Wahl des Rohrmaterials als absolut richtig, da das geringe Gewicht der HOBAS Rohre das Handling auf beengtem Raum doch sehr erleichterte – und der Rohreinzug im alten Gebäude am Ende problemlos verlief“, erläutert der Projektleiter die wesentlichen Kriterien der Verlegearbeiten und findet noch einen Pluspunkt, der für die HOBAS Rohre sprach: „Natürlich will man bei einem derartigen Projekt auch Reibungsverluste nach Möglichkeit so minimal wie möglich halten. Die GFK-Rohre von HOBAS weisen eine extrem glatte Innen-Oberfläche auf, was nur minimale Druckverluste zur Folge hat.“

MODERNSTE STEUERUNGSTECHNIK
In Hinblick auf das Ziel, das hydroelektrische Potenzial mit der neuen Anlage bestmöglich zu nutzen, spielte natürlich auch die Frage nach der richtigen maschinellen Ausrüstung eine wichtige Rolle. „In den beiden Altanlagen waren Francisturbinen installiert, die bekanntermaßen gemäß ihrer  Bautypcharakteristik ausgezeichnete Spitzenwirkungsgrade erreichen, aber im Teillastbereich doch stark abfallen. Bei einer Nettofallhöhe von nunmehr 10,83 Metern entschieden wir uns nun für eine moderne Kaplan-Schachtturbine, die im Teillastbereich erhebliche Wirkungsgradvorteile mitbringt“, sagt DI Thomas Forjan von BHM INGENIEURE, der für die e-technische Planung des Kraftwerks verantwortlich zeichnete. Auf Basis einer Ausschreibung wurde die hydroelektrische Ausrüstung an den  oberösterreichischen Wasserkraftspezialisten GHE vergeben, der seit Jahren einen hervorragenden Ruf am nationalen und internationalen Wasserkraft-Parkett genießt. Neben Turbine und Generator befand sich auch noch die Regelungs- und Steuerungstechnik im Lieferumfang des Turbinenbauers. Der Betreiber vertraut dabei auf die bewährte Technik des HEROS, jenem ausgeklügelten Steuerungssystem, das zugleich einen sehr sicheren und äußerst effizienten Betrieb ermöglicht.

EFFIZIENZ AUCH BEI NIEDRIGWASSER
Die doppelt regulierte 4-flügelige Kaplan-Schachtturbine von GHE ist auf einen Ausbaudurchfluss von 5.800 l/s ausgelegt. Bei der Nettofallhöhe von 10,83 Metern erreicht sie eine Ausbauleistung von 467 kW. Die Steigerung ist beachtlich, zieht man den Vergleich mit dem Altbestand. In Summe kamen beide Turbinen der Altanlagen auf knapp 140 kW. Mit der deutlich erhöhten Ausbauwassermenge ist man nun in der Lage, wesentlich besser die Spitzen im Wasserdargebot in den wasserreichen Monaten im Frühling bis zum Frühsommer zu nutzen – und kann zudem dank des besseren Teillast-Wirkungsgrades auch noch kleinere Wassermengen ausgezeichnet „abfahren“. „Grundsätzlich garantiert GHE, dass die Turbinen mindestens ein Beaufschlagungsminimum von 25 Prozent tolerieren. In unserem Fall kann die Maschine bis unter 10 Prozent Ausbauwassermenge betrieben werden, ohne dass mit Kavitationsschäden oder anderen Problemen zu rechnen ist“, freut sich der Betreiber. Dass dazu noch die Vorzüge modernster Wasserkrafttechnik die Gesamtperformance verbessern, liegt auf der Hand. Am Ende bringen diese maschinentechnischen Verbesserungen ein jährliches  Regelarbeitsvermögen von knapp 2,5 GWh und damit rund eine Vervierfachung der Stromausbeute gegenüber dem Altbestand.

SPEZIALLÖSUNG IM STAHLWASSERBAU
Gerade bei einem Projekt, das so hohe bauliche Anforderungen mit sich bringt, spielt die stahlwasserbauliche Ausrüstung eine wichtige Rolle. Die Betreiber aus Schladming setzten daher auf die Erfahrung und die Kompetenz der Firma Mayrhofer Maschinenbau aus dem steirischen Wenigzell, die für ihre stahlwasserbaulichen Lösungen für Wasserkraftwerke bereits weit über die Grenzen der Grünen Mark hinaus bekannt ist. Das Kraftwerksprojekt am Talbach erforderte dabei keine Besonderheiten im Hinblick auf Dimension und Abmessung, dafür lagen die Feinheiten im Detail, in den Speziallösungen, die erarbeitet und umgesetzt wurden. Und natürlich an den extrem beengten räumlichen Bedingungen auf der Baustelle. „Für die Firma Mayrhofer Maschinenbau waren die Rahmenbedingungen alles andere als einfach: Es gab keine Zufahrtsmöglichkeit zum Fassungsbereich mit einem Sattel-Lkw und auch keinen Platz für eine Zwischenlagerung der Baukomponenten. Trotzdem ist es dem Team von Mayrhofer gelungen, unter diesen Bedingungen, den engen Zeitplan einzuhalten. Das bedeutete vor allem, dass vor Einsetzen der Schneeschmelze im vergangenen Jahr die Wehrklappe in Betrieb sein musste. Man muss dem Stahlwasserbauer wirklich ein Kompliment machen“, lobt Gernot Kraiter. Insgesamt umfasste der Auftrag für die Firma Mayrhofer neben Grob- und Feinrechen, sowie diversen Schützen und anderen Verschlusseinrichtungen, eine Rechenreinigungsmaschine und die 5 Meter breite Wehrklappe. Um die Antriebshydraulik bestmöglich vor der starken Geschiebeführung zu schützen, wurde in Form einer Speziallösung der Antriebshydraulikzylinder außerhalb des Wehrfeldes situiert.

MUSTERBEISPIEL FÜR KOOPERATIVE
Mittlerweile sind mit der jüngst erfolgten Kollaudierung der Anlage auch die letzten Behördenverhandlungen abgewickelt und die Anlage nun offiziell im Regelbetrieb. Dank großer Schneemengen im Winter und intensiven Frühjahrsniederschlägen stehen dem neuen Kraftwerk Talbach aktuell große Triebwassermengen zur Verfügung, die früher zum Großteil ungenutzt über die Talbachschlucht gedonnert wären. Das neue Kraftwerk zeigt eindrucksvoll, welche Möglichkeiten im Hinblick auf die Optimierung bestehender, alter Standorte in der Kleinwasserkraft stecken. Es leistet zudem einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der Erzeugungskapazitäten für die Energiemodellregion Schladming, die Schritt für Schritt der angestrebten Energieunabhängigkeit näherkommt. Letztlich stellt die Anlage auch ein Musterbeispiel dafür da, dass eine gemeinsame Initiative, die auch viele Kompromisse erfordert, die Ideallösung hervorbringen kann, von der beide Seiten am besten profitieren – auch wenn die Ski-Stadt Schladming heute um ihr ältestes Wasserkraftwerk ärmer ist.

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