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Genuas Trinkwassser treibt Turbine an7 min read

17. Jänner 2014, Lesedauer: 5 min

Genuas Trinkwassser treibt Turbine an7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Seit 1960 gewinnt man in der Hauptstadt Liguriens, Genua, Strom aus dem bedeutendsten Trinkwasserstrang der Metropole. Bis zu 2.200 Liter in der Sekunde stürzen durch die unterirdisch angelegte Druckrohrleitung.

Nachdem das Wasser 523 Meter hinabgestürzt ist, wird in einer Maschinenkaverne eine Peltonturbine angetreiben, deren Größe nicht im Geringsten die Assoziation mit einer herkömmlichen Trinkwasserturbine weckt. Im vergangenen Jahr wurde die Original-Maschine des Kraftwerks Canate mit 9 MW Leistung durch eine neue Turbine aus dem Hause Troyer AG ersetzt, die nun 10 MW Leistung bringt. Darüber hinaus wurde die Steuerungs- und Leittechnik auf den neuesten Stand gebracht.

Nicht viele Hafenstädte dieser Welt können sich ihrer Trinkwasserversorgung ähnlich rühmen wie      Genua. Die „Superba“, wie sie in Italien auch genannt wird, kann auf die großen Wasserressourcen aus  dem Apennin zurückgreifen, dessen Ausläufer bis an die ligurische Küste reichen. Über 100 Mio. m3 Wasser werden jährlich durch ein Leitungsnetz von insgesamt mehr als 1.700 Kilometer  Länge an die Bewohner Genuas verteilt. Der bedeutendste Versorgungsstrang kommt vom Hausberg der Genuesen, dem Monte Antola (1.597 m) mit einem Einzugsgebiet von circa 25 km2. Rund 45 Prozent des  Trinkwassers stammen aus seinen Quellen. Über ein 14 Kilometer langes, größtenteils unterirdisches  Aquädukt wird es an die Tore der 800.000-Einwohner-Metropole geführt – genauer gesagt in das Speicherbecken Brugneto. Dieses gilt mit einem Fassungsvolumen von ca. 25 Millionen Kubikmeter als  der größte Stausee Liguriens. Der Speicher Brugneto liegt auf 775 Meter Seehöhe, ein großer Teil  Genuas quasi auf Meeresniveau. Dieses beachtliche Gefälle – verbunden mit dem großen  Wasserdargebot – legte den verantwortlichen Ingenieuren die Idee nahe, mit dem Wasser Strom zu  erzeugen. So wurden um 1960 zwei Kraftwerke errichtet, ein kleineres am Fuße des Staudamms Brugneto mit etwa 1,4 MW Leistung und ein größeres mit 9 MW Leistung in der Zentrale Canate.  Zusammen mit einer dritten, kleineren Anlage bei Quezzi mit 110 kW installierter Leistung erzeugten  sie bislang rund 35 bis 40 Mio. kWh pro Jahr.

EINE TECHNISCHE MEISTERLEISTUNG
Betrieben werden die Anlagen von der Mediterranea delle Acque S.p.a., einer Gesellschaft der  börsennotierten IREN-Gruppe. Erstere ging aus der 2006 erfolgten Fusion der traditionellen  Wasserwerke Genova Acque, Acquedotti De Ferrari Galliera und Acquedotto Nicolay hervor. Unter die  Ägide der Genova Acque fiel bis dahin der Betrieb des Speichers Brugneto sowie der drei Kraftwerke. Der Bau der Kraftwerksanlagen im Jahr 1960, vor allem jener des Kraftwerks Canate, galten als  technische Meisterleistungen ihrer Zeit. Über eine Länge von knapp 1.700 Meter hatte man einen  unterirdischen Stollen durch das Berginnere getrieben, in dem eine Stahl-Druckrohrleitung mit einem Durchmesser von 900 mm verlegt worden war. Die Maschinenkaverne, die über einen leicht  abschüssigen Stollen erreichbar ist, wurde rund 200 m tief im Berg angelegt. Die Kaverne mit den  Ausmaßen eines Grundschulturnsaals beherbergt den Maschinensatz, die Rohrbruchsicherung, sowie  eine kleine Steuerungszentrale – situiert auf rund 165 Meter Seehöhe. Das abgearbeitete Wasser  gelangt von der Turbine weiter in ein Reservoir mit rund 9.000 m3 Fassungsvermögen. Im so genannten Becken Prato wird das Wasser entkeimt, UV-behandelt und für die Verteilung ins  Trinkwassernetz aufbereitet.

STRENG GENOMMEN KEIN „ECHTES“ TRINKWASSERKRAFTWERK
„Aus diesem Grund kann man das Kraftwerk Canate streng genommen auch nicht als ‚Trinkwasser-Kraftwerk‘ bezeichnen, da eben die Aufbereitung als Trinkwasser nach der Turbinierung erfolgt.  Andernfalls wäre es höchstwahrscheinlich Italiens größtes Trinkwasserkraftwerk“, erzählt der  Projektleiter der Troyer AG, Dr.-Ing. Fabiano Bressan. „Für uns gab es daher auch keine erhöhten oder zusätzlichen Auflagen zum expliziten Schutz des Trinkwassers, wie etwa eine Beschichtung der Turbine  mit Lebensmittelfarbe oder ähnlichem.“ Über 50 Jahre lang hatte sich das Peltonlaufrad, angetrieben  vom Trinkwasser aus dem Speicher Brugneto, gedreht, ehe die Verantwortlichen der Mediterranea delle  Acque S.p.a. den Umbau des Kraftwerks in Angriff nahmen. Kernpunkte der geplanten Ertüchtigung waren einerseits der Tausch von Turbine und Generator und anderseits die Integration einer modernen  Steuerungs- und Leittechnik. Aufgaben, die auch in dieser Größenordnung bestens ins  Leistungsportfolio des Sterzinger Traditionsunternehmens Troyer AG passten. Die Südtiroler  Wasserkraftspezialisten, die als Sieger der EU-weiten Ausschreibung hervorgegangen waren, nahmen den Auftrag im Jahr 2010 entgegen.

SONDERLÖSUNGEN INKLUSIVE
Im Februar 2011 kam das vorläufige Aus für die Stromerzeugung im Kraftwerk Canate. Der alte Maschinensatz wurde herausgerissen und die baulichen Vorbereitungen für den Einbau des neuen getroffen. „Mit einem Strahlkreisdurchmesser von 1.240 mm ist das Laufrad zwar groß, doch die  Dimension stellte uns in keinem Arbeitsschritt vor Herausforderungen. Etwas schwieriger war es  dagegen, das Turbinengehäuse zu konstruieren. Um es an die alten baulichen Bedingungen anzupassen, war eine Sonderkonstruktion mit einem Zwischenrahmen erforderlich“, erklärt Fabiano  Bressan. Generell galt es für die Ingenieure von Troyer ein paar Spezialanforderungen zu  berücksichtigen, die der Kunde aus der ligurischen Hauptstadt wünschte. Bressan: „Beispielsweise war  den Betreibern wichtig, dass auch der neue Maschinensatz über ein mechanisches Fliehkraft-Pendel  verfügt. Grob vereinfacht ausgedrückt, reagiert es auf eine Überdrehzahl an der Welle, indem eine Art  Stopfen aus einem Federsystem durch die erhöhte Fliehkraft herausgeschleudert wird. Auch wenn  dieses Prinzip mechanisch funktioniert, das Auslösen des Bremsvorgangs erfolgt elektronisch. Es ist  nicht ungewöhnlich, dass erfahrene Kraftwerksbetreiber dieses Prinzip auch an einer neuen Maschine  haben wollen. Ein weiteres Beispiel wäre die Wasserkühlung für den Generator. Der Kunde wünschte  sich, dass die Kühlung über Frischwasser erfolgt, das aus dem unterhalb gelegenen Becken zugeführt wird, also einen offenen Kühlkreislauf. Man vertraute eben auf ein bewährtes System.“

TURBINENSTILLSTAND IN DER NACHT
In höchstem Maße bewährt sind auch die Turbinen des Wasserkraftspezialisten aus Sterzing. Die  zweidüsige Peltonturbine für das Kraftwerk Canate wurde auf eine Nettofallhöhe von 523 Meter und  eine Ausbauwassermenge von 2.000 l/s plus 10 Prozent ausgelegt. Die Ausbauleistung liegt bei 10 MW, also deutlich höher als beim alten Maschinensatz. Trotz des exzellenten Wirkungsgrades der  neuen Turbine, der mittels einer thermodynamischen Messung durch ein externes Institut  nachgewiesen wurde, überrascht dieser Leistungssprung nun doch einigermaßen. Schließlich hat sich an  den hydrologischen Voraussetzungen nicht das Geringste geändert. Im Hinblick auf den  Kraftwerksbetrieb wird der Trinkwasserversorgung immer noch grundsätzlich die höchste Priorität  eingeräumt. Und nach dieser richtet sich die Stromproduktion. Konkret sieht das so aus, dass das  Kraftwerk am Abend abgestellt wird – und tagsüber, angepasst an den Trinkwasserbedarf Strom  erzeugt wird. Nachts wird der Speicher Brugneto nach Möglichkeit gefüllt, tagsüber wird das Wasser  abgelassen. In Zeiten von Wasserüberschuss besteht die Option, das Kraftwerk zu betreiben, obwohl  das untere Speicherbecken voll ist. In diesem Fall kann es nach dem Kraftwerk ausgeleitet werden.

PROFESSIONELLE LÖSUNG FÜR DIE LEITTECHNIK
Neben dem Tausch des Maschinensatzes stand für die Betreiber vor allen Dingen auch die Installation  einer modernen Steuerungs- und Leittechnik-Lösung im Vordergrund. Schließlich erforderte der  Kraftwerksbetrieb in früheren Jahren jede Menge Man-Power. „12 Maschinenwarte, 6 für die Turbinen  und 6 für die Schaltwarte, arbeiteten in den Anfangsjahren im Schichtbetrieb hier. Aus diesem Grund hat man die Kaverne auch mit Fenstern und künstlichem Tageslicht versehen. Es musste damals eben  fast alles manuell gemacht werden. Das galt natürlich auch für die Synchronisation. Dafür kam etwa ein  ganz spezieller, vollhydraulischer Drehzahlregler zum Einsatz“, schildert Projektleiter Fabiano  Bressan die Arbeits- und Betriebsbedingungen der ersten Jahrzehnte. Eine markante Verbesserung trat  erst ein, als es vor etlichen Jahren gelang, eine Leitung für die wichtigsten Signale aus dem  Berginneren in die Zentrale zu führen, die nur einen Steinwurf vom Stolleneingang entfernt ist. „Für die  Betreiber war es nun ein prioritäres Ziel, endlich eine moderne und professionelle Steuerungs- und  Leittechniklösung zu installieren. Ich denke, das ist uns gelungen“, so der Projektleiter der Troyer AG.  Auch wenn die Auftraggeber bewusst auf eine umfangreiche Visualisierung verzichtet haben, so können  sie heute jeden Parameter von der Zentrale aus abrufen und die vollautomatische Kraftwerksanlage bei Bedarf fernsteuern. Zudem wurde nun auch die Inselbetriebsfähigkeit hergestellt,  die der Betreiber früher schmerzlich vermisste. Im Fall eines Netzausfalls wechselt der Maschinensatz  heute vollautomatisch in den Inselbetrieb.

SICHERER BETRIEB FÜR DIE KOMMENDEN JAHRZEHNTE
Ein knappes halbes Jahr, von Februar bis Ende Juli 2011, ruhte die Stromproduktion in der Zentrale  Canate. Mit der erfolgreichen Inbetriebsetzung des neuen Maschinensatzes im Juli letzten Jahres war somit die Zeit für die nächste Maschinengeneration gekommen. Eine Maschinengeneration, die nicht  nur ein Leistungsplus sicherstellt, sondern dank des hohen Qualitätsniveaus darüber hinaus auch hohe Verfügbarkeit und einen sicheren Betrieb für die kommenden Jahrzehnte garantiert. Selbstredend lässt  die Erhöhung der Leistungskapazität auf 10 MW auch eine markante Steigerung der  Jahresproduktion erwarten. Damit kann sich die Hafenstadt nicht nur ihrer guten Versorgung mit  Trinkwasser rühmen, sondern auch einer außergewöhnlich effektiven hydroelektrischen Nutzung des  selbigen.

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