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Graubündner Hochdruckkraftwerk Adont nutzt Gebirgsbach erstmals zur Energiegewinnung8 min read

24. Oktober 2022, Lesedauer: 6 min

Graubündner Hochdruckkraftwerk Adont nutzt Gebirgsbach erstmals zur Energiegewinnung8 min read

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Ca. 1,5 Jahre nach dem ersten Spatenstich ging im Oktober in der Graubündner Gemeinde Surses das Kleinwasserkraftwerk Adont in Betrieb. Bei dem Neubau vom Betreiber ewz handelt es sich um eine Hochdruckanlage, die zur Stromgewinnung den enormen Höhenunterschied von 620 m zwischen Wasserfassung und Zentrale nutzt. Der größte Bauaufwand war mit der Herstellung der rund 4,2 km langen Druckrohrleitung verbunden, wobei die Trassenführung eine ganze Reihe von geschützten Bereichen nicht tangieren durfte. Die Wehranlage auf über 1.720 m ü. M. rüstete der Südtiroler Stahlwasserbauexperte Wild Metal mit dem weitgehend selbstreinigenden Coanda-System „GRIZZLY“ aus. In der Kraftwerkszentrale sorgt eine 4-düsige Pelton-Turbine­ von der ebenfalls aus Südtirol stammenden Troyer AG für ein Maximum an Effizienz. ewz rechnet bei seinem neuesten Kleinwasserkraftwerk mit einer Jahresproduktion von rund 10,2 GWh Ökoenergie.

Die Realisierung des ersten Wasserkraftwerks am Gebirgsbach Adont, der in der Gemeinde Surses in die Julia einmündet, geht auf eine 2009 vom Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) erstellte Potentialstudie zurück, erklärt ewz-Projektleiter Martin Klauenbösch: „Als die Stromerzeugung aus Wasserkraft in der Schweiz ab 2009 stärker gefördert wurde, hat ewz dies zum Anlass genommen, nach ungenutzten Ausbaupotentialen zu suchen. Speziell in jenen Regio­nen, in denen ewz bereits Wasserkraft-Konzessionen mit Gemeinden unterhält. Von etlichen Potentialstudien hat sich die Errichtung eines Kleinkraftwerks am Adont als am vielversprechendsten herauskristallisiert.“ Die behördliche Genehmigung zu erhalten sei ein langwieriger Prozess gewesen, fährt Klauenbösch fort. Eine wesentliche Hürde stellten eine Vielzahl unter Naturschutz stehender Bereiche entlang der Druckrohrleitungstrasse dar. „Die ökologischen Abklärungen dauerten in etwa drei Jahre. Es war uns ein zentrales Anliegen, die Umweltverbände und Behörden, mehrere damals noch eigenständige Gemeinden und die Grundstücksbesitzer miteinzubeziehen. Dies hat sich als richtige Strategie erwiesen, letztendlich konnte eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gefunden werden.“

Baustart zum Pandemiebeginn
Nachdem die Baugenehmigung 2017 erteilt wurde, sollte es trotzdem noch einige Jahre dauern, bis das Kraftwerk realisiert werden konnte. Erst mit der Zusage des geförderten Ökostromtarifs KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung) stand das Projekt auch in wirtschaftlicher Hinsicht auf festen Beinen. Starten konnten die Bauarbeiten schließlich im Frühjahr 2020 – zu Beginn der weltweit einsetzenden Corona-Krise. „Trotz der anfangs ungewissen Lage haben wir uns dazu entschieden, das Projekt mit entsprechenden Hygiene- und Schutzkonzepten in Angriff zu nehmen. Angesichts des aktuellen Baustoffmangels und den damit einhergehenden Preissteigerungen im gesamten Bausektor kann man von Glück sprechen, dass die Anlage nicht erst später errichtet wurde“, so Klauen­bösch. Die Hoch- und Tiefbauarbeiten sowie die Verlegung der Druckrohrleitung wurden von drei regional ansässigen Firmen umgesetzt. „Wir hatten das Glück, dass bei der Ausschreibung bewährte Unternehmen aus der Bau- und Wasserkraftbranche die besten Angebote abgegeben haben. Im Falle der Bauunternehmen ist es im Hinblick auf die lokale Wertschöpfungskette erfreulich, dass Unternehmen aus der Region zum Zug kommen“, sagt Klauenbösch.

Rücksicht auf die Natur oberste Prorität
Zum Baustart im April 2020 wurde als erstes die Zentrale nahe des Ortsteils Savognin in die Höhe gezogen. Die Verlegung der insgesamt 4,2 km langen Druckrohrleitung startete Ende Mai, an der Wehranlage konnten die Arbeiten Anfang Juli beginnen. Klauenbösch weist darauf hin, dass sich der Adont tief ins Gelände eingeschnitten hat, und an vielen Stellen nur schwer zugänglich ist: „Der gewählte Standort der Wasserfassung ist für alpine Verhältnisse mit einer Zufahrtsstraße gut erschlossen. Dennoch wurde abschnittsweise zum Ausfliegen gerodeter Bäume ein Transporthelikopter eingesetzt, um den ökologischen Einfluss so gering wie möglich zu halten. Die Wahl der Linienführung der Druckrohrleitung musste eine Vielzahl von Kriterien berücksichtigen. Man kann das Projektgebiet als Flickenteppich aus Flachmooren, Trockenwiesen und anderen geschützten Bereichen bezeichnen, die vom Verlauf der Druckleitung nicht berührt werden durften.“ Darüber hinaus wurden am Standort der Wasserfassung über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren geologische Messungen angestellt. Die dabei festgestellten minimalen Kriechbewegungen im Erdreich erforderten eine besondere Bauweise der Wasserfassung. Damit die Struktur der Wasserfassung bei möglichen Erdbewegungen keinen Schaden nimmt, wurden die beiden Schenkel des L-förmigen Bauwerks baulich voneinander getrennt. Der längere Schenkel, in dem sich der Sandfang befindet und der im 90° Winkel angeordnete kürzere Schenkel, an dem der Wassereinzug stattfindet, sind durch zwei Rohre miteinander verbunden. An den Enden der jeweils in DN600 ausgeführten Rohren befinden sich flexible Gelenke, mit denen Mobilisierungen des Erdreichs ausgeglichen werden.

GRIZZLY als Wasserfassung
Dank der günstigen Witterungsbedingungen konnte der Betonbau der Wehranlage auf 1.723 m ü. M. noch im ersten Baujahr abgeschlossen werden. Auch das patentierte, großteils selbstreinigende Coanda-System „GRIZZLY“ vom Stahlwasserbauspezialisten Wild Metal aus Südtirol wurde noch 2020 montiert. Mittlerweile stellt das System seine unbestrittene Qualität im gesamten Alpenraum über 500-mal unter Beweis. Das namensgebende Coanda-Prinzip in Kombination mit dem Abschereffekt sorgen dafür, dass das Wasser automatisch abgeleitet wird. Gleichzeitig verhindert die geringe Spaltweite, dass organische und anorganische Feststoffe in das Fassungssystem gelangen. Ein darüber montierter Grobrechen schützt den mit einem Spaltmaß von nur 0,6 mm ausgeführten Feinrechen vor Steinen oder Ästen. Bis zu 600 l/s werden vom „GRIZZLY“ gefasst und in weiterer Folge direkt in das Entsanderbecken geleitet. In dem aus zwei Kammern bestehenden Becken werden die Feinsedimente des Adont gefiltert, danach wird das gereinigte Triebwasser in den Kraftabstieg geleitet. Komplettiert wurde der Lieferumfang von Wild Metal durch eine ganze Reihe von Schützen, den Dammbalken, den Hydraulikaggregaten inkl. Verrohrung und der Rohrbruchsicherung. Die Restwasserabgabe erfolgt über eine Dotierleitung in den Unterwasserbereich. In der kalten Jahreszeit wird das Wasser durch einen eigenen Wintereinlauf eingezogen. Während des Winters beträgt die vorgeschriebene Dotiermenge konstant 90 l/s, in den Sommermonaten kommen zum Sockelbetrag von 105 l/s noch 1/8 des jeweiligen Zuflusses hinzu.

 

Druckleitung nimmt Zickzack-Kurs
Die im oberen Abschnitt in DN600 ausgeführte Druckrohrleitung verläuft ca. 200 m nach der Wasserfassung über eine oberirdische Rohrbrücke. Dazu wurde eine 35 m lange Fachwerkskonstruktion mit rechteckigem Querschnitt über das Gewässer gespannt. Nach dem ersten, ca. 1.000 m langen Teilstück, auf dem die Rohrtrasse einen relativ flachen Verlauf nimmt, beginnt die vielfach steilere Strecke des Kraftabstiegs bis zur Zentrale. Auf den letzten 1.000 m verjüngt sich die Druckleitung auf DN500. „Die Auswahl der Rohrtrasse war eine der wesentlichen Herausforderungen des Projekts und machte eine Vielzahl von Richtungsänderungen notwendig. Deswegen konnte die Leitung auch nicht in einem konstanten Gefälle verlegt werden, sondern erforderte die Herstellung von jeweils einem Hoch- und Tiefpunkt inklusive Belüftungsventil bzw. Entleerung“, so Klauenbösch. Dem Anforderungsprofil im alpinen Bereich entsprechend besteht die gesamte Leitung aus robusten duktilen Gussrohren, wobei sämtliche Muffenverbindungen in schub- und zuggesicherter Ausführung hergestellt wurden. Die Unterquerung der Kantonsstraße wurde mittels Durchstoßungsverfahren bewältigt. Bis Ende November 2020, als der einsetzende Schneefall die Bausaison beendete, konnten rund zwei Drittel der kompletten Rohrleitung verlegt werden.

4-düsiges Kraftpaket
Der elektromechanische Ausbau der Zentrale konnte noch im Mai 2021 beginnen. Geliefert wurde das gesamte Equipment vom Südtiroler Wasserkraftallrounder Troyer AG. Als Herzstück des Wasserkraftwerks Adont kommt eine 4-düsige Pelton-Turbine in vertikalachsiger Ausführung zum Einsatz. Die im Inneren des Gehäuses platzierten Pelton-Düsen mit hydraulischer Regelung garantieren über ein breites Betriebsband hinweg ausgezeich­nete Wirkungsgrade. Unter Volllast schafft die auf 600 l/s Ausbauwassermenge und 620,80 m Bruttofallhöhe ausgelegte Turbine eine Engpassleistung von 2.950 kW. Angesichts der beträchtlichen Kräfte, die bei rund 62 bar Druck auf die vom Wasser berührten Bauteile, wie das Laufrad und die Turbinen-Ringleitung einwirken, wurden diese äußerst robust gefertigt. Das aus einem Edelstahl-Monoblock gefräste Laufrad treibt mit 1.000 U/min einen direkt mit der Turbinenwelle gekoppelten Synchron-Generator der Marke Hitzinger an. Für optimale Betriebstemperaturen wurde der Generatormantel mit einer Wasserkühlung ausgestattet, die von einem im Unterwasserbereich platzierten Wärmetauscher versorgt wird. Der Ge­nerator erzeugt eine Spannung von 6.300 V und wurde auf eine Nennscheinleistung von 4.000 kVA ausgelegt. Von der Generatorwelle wird der erzeugte Strom zum Ma­schinen­­transformator und weiter zur Mittel­span­nungsschaltanlage geleitet. Die Se­­kun­därtechnik in der Zentrale wie Hy­drau­lik­aggregate, Eigenbedarfstrafo oder die Batterien zur Notstromversorgung waren ebenfalls im Lieferumfang von Troyer enthalten. Den wohl geringsten Projektaufwand stellte der Anschluss an das öffentliche Netz dar. Vom luftgekühlten 11 kV-Transformator wird die Energie an einem ca. 15 m entfernten bestehenden Einspeisepunkt ins Stromnetz eingeleitet. Martin Klauenbösch merkt an, dass ewz bei seinen Anlagen generell auf hochwertiges Equipment Wert legt: „Mit dem Hintergrund, dass ewz aus dem Großwasserkraftsektor kommt, bei dem ohnehin höhere Qualitäts- und Sicherheitsstandards gelten, wird auch bei kleineren Anlagen auf Qualitätsequipment gesetzt. Hohe Standards gelten natürlich auch bei den Software- und Automatisierungslösungen unserer Anlagen.“ Bei der Programmierung der Kraftwerks-Leittechnik, die für den vollautomatischen Betrieb der Anlage sorgt, kam es zu einer Kooperation zwischen Troyer­ ­und ewz. Überwacht und geregelt wird die Anlage von der ewz-Leitstelle im rund 15 km entfernten Sils.

10,2 GWh Ökostrom im Jahr
Rund 1,5 Jahre nach Beginn der Bauarbeiten konnte die Turbine im vergangenen Oktober zum ersten Mal angedreht werden. „Die Inbetriebnahme war schon ein besonderer Moment. Angesichts der langen Vorlaufzeit, bei der es einen langen Atem zu beweisen galt, ging es während der Bauausführung dann Schlag auf Schlag – und plötzlich läuft die Maschine. Zu verdanken ist der Erfolg allen Projektbeteiligten bei ewz und der guten Zusammenarbeit mit den externen Unternehmen“, resümiert Martin Klauenbösch. Nach dem rund zweiwöchigen Probebetrieb im Herbst wurde die Anlage zur Finalisierung von Restarbeiten wieder vom Netz genommen. Angesichts der anstehenden Schneeschmelze zeigt sich Klauenbösch zuversichtlich, dass das Kraftwerk bald unter Volllast produzieren wird. In Summe investierte ewz rund 15 Millionen CHF in das Projekt. Bei einer durchschnittlichen Jahresproduktion von ca. 10,2 GWh Ökostrom – dies entspricht umgerechnet dem Jahresbedarf von rund 4.300 Durchschnittshaushalten – kann man gut und gerne von einem gelungenen Projekt sprechen.

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