Grünes Kraftwerk am Chärstelenbach im Kanton Uri11 min read
Lesedauer: 7 MinutenSeit Herbst 2015 wird am Chärstelenbach im Kanton Uri an einem neuen Wasserkraftwerk gearbeitet, das in Sachen Umweltfreundlichkeit sehr hohe Standards setzt.
Um die seit 2008 geplante Kraftwerksanlage Bristen in dem geschützten Naturraum des Maderanertals überhaupt realisieren zu können, wurden weitreichende Maßnahmen in Bezug auf den Umwelt- und Gewässerschutz realisiert. Im letzten Jahr hatte das Projekt erfolgreich die zweite Stufe des UVP-Verfahrens durchlaufen, nach der Baubewilligung durch die Gemeinde Silenen stand einem Baubeginn im vergangenen Herbst nichts mehr im Weg. Dank guter Witterungsbedingungen konnte bis kurz vor Weihnachten an der Wasserfassung gearbeitet werden, im Frühling 2016 wurde die Verlegung der Druckrohrleitung sowie der Aushub für die Zentrale in Angriff genommen. Das Ziel, das Kraftwerk im ersten Quartal 2017, ans Netz zu bringen, scheint aus aktueller Sicht absolut in Reichweite.
Über acht lange Jahre hatten sich die Planungen und Behördenverhandlungen hingezogen. Acht Jahre, in denen ein detaillierter Nutzungs- und Umsetzungsplan für ein Wasserkraftwerk erarbeitet wurde, das nun höchstwahrscheinlich zu den umweltfreundlichsten in ganz Europa zählen wird. Doch dies war auch nötig, andernfalls wäre es nicht gelungen, in dem geschützten Maderanertal ein Wasserkraftwerk verwirklichen zu können – davon ist der Gesamtprojektleiter des Kraftwerks Bristen, Werner Jauch, überzeugt. Jauch, der zugleich auch Leiter Energie und Mitglied der EWA-Geschäftsleitung ist, umreißt die Rahmenbedingungen: „Das Maderanertal ist im ‚Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung‘ gelistet und genießt daher größtmöglichen Schutz. Konkret bedeutete das für uns, dass das Projekt ein komplexes zweistufiges Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, kurz UVP-Verfahren, bestehen musste, um am Ende sowohl die Zustimmung des BAFU, des Bundesamtes für Umwelt, als auch jene der ENHK – der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission – zu erlangen. Deren Okay war zwingend erforderlich.“ Im März 2015 war es schließlich soweit: Es lag das positive Gutachten der ENHK vor, in dem unmissverständlich festgehalten wurde, dass das Projekt am Chärstelenbach der geforderten größtmöglichen Schonung entspreche.
Partnerschaftsmodell bewährt sich
„Über mehrere Faktoren ist es letztlich gelungen, dieses Projekt zur Genehmigungsreife zu führen. Entscheidend war zum einen, dass gemäß unserem Konzept nur ein kleiner Teil des zur Verfügung stehenden Wasserdargebotes zur Nutzung herangezogen wird. Zum anderen wird fast zur Gänze auf oberirdische Bauten verzichtet, so gut wie alle Anlagenkomponenten werden unterirdisch realisiert. Abgerundet wird das Konzept durch umfangreiche Ersatz- und Aufwertungsmaßnahmen“, sagt Werner Jauch, der der neu gegründeten Betriebsgesellschaft als Verwaltungsrat-Präsident vorsteht.
Als Trägerschaft wurde die KW Bristen AG ins Leben gerufen, in der man auf eine Kooperative zwischen privater und öffentlicher Hand gesetzt hat – im Verhältnis 60:40. Als Hauptaktionär tritt dabei die Elektrizitätswerk Altdorf AG – EWA – auf, das 60 Prozent der Anteile hält. Weitere 15 Prozent entfallen jeweils auf den Kanton Uri, sowie auf die Korporation Uri. Die restlichen 10 Prozent sind im Besitz der Standort-Gemeinde Silenen. Werner Jauch betont, dass sich die Partnerschaft mit der öffentlichen Hand bisher bewährt habe. Heute ist dieses Partnerwerks-Modell bereits Standard. Nachdem das EWA bereits in der Umsetzung des Projektes federführend agiert, wird nach erfolgreicher Inbetriebnahme auch die Betriebs- und Geschäftsführung in den erfahrenen Händen des größten Urner Stromversorgers liegen.
Zwei ungleiche Maschinenpaare
Für das EWA und seine Partner hat von Anfang an eine umfassende und professionelle Öffentlichkeitsarbeit einen wichtigen Stellenwert eingenommen. Diese Intention der Transparenz lässt sich nicht nur aus der für die Öffentlichkeit jederzeit ersichtlichen Vorgehensweise oder aus dem Umstand ableiten, dass die Zentrale Schau-Kraftwerk-Charakter erhalten wird. Sondern darüber hinaus auch aus den Webcams, die permanent Bilder vom Bauverlauf an der Wasserfassung und am Zentralengebäude ins Internet liefern und für jedermann frei zugänglich sind (www.kw-bristen.ch). Zudem wird regelmäßig ein Newsletter an die betroffene Bevölkerung gesandt, in dem der Baufortschritt beschrieben und zugleich angekündigt wird, was als Nächstes kommt.
Die Webcams zeigen die Aktivitäten und den Baufortschritt – derzeit vor allem bei der Errichtung der Zentrale, die bereits Gestalt annimmt. Die Herausforderung dabei besteht hierbei vor allem in den beengten räumlichen Bedingungen. Von Anfang an waren die Projektentwickler dazu angehalten, das zur Verfügung stehende Bauareal im Umfeld der Talstation der Seilbahn Bristen–Golzern bis auf den letzten Zentimeter zu nutzen. „Das Zentralengebäude wird als erster Teil des Kraftwerks fertig sein. Das beauftragte Turbinen-Unternehmen, die Firma Geppert, wird bereits im August die erste der beiden Maschinen liefern“, so der Projektleiter Simon Kempf. Konkret handelt es sich dabei um die kleinere der beiden Peltonturbinen, die sogenannte „Winter-Turbine“ in 3-düsiger Ausführung. Etwas später im Herbst soll dann die zweite Turbine, eine 6-düsige Peltonturbine, folgen. Die Dimensionen der zwei Maschinen wurden so gewählt, dass man vor allem in den wasserarmen Wintermonaten damit noch am Netz verbleiben kann. Insgesamt ist das ungleiche Maschinen-Duo auf die Ausbauwassermenge von 2,6 m3/s ausgelegt. In den Spitzenzeiten der Sommermonate führt der Chärstelenbach nicht selten Wasserfrachten von 14 bis 15 m3/s. Daran lässt sich ermessen, wie gering der Ausbaugrad der Anlage ist – und welch großer Stellenwert dem Erscheinungsbild des Gewässers beigemessen wird.
Bauarbeiten vom Wetter abhängig
Eine wichtige Rolle kommt in diesen Überlegungen der Wasserfassung zu, die bei aller Funktionalität möglichst unsichtbar bleiben soll. Daher entschied man sich für ein eingestautes Tirolerwehr, das hinter einem Felsen versteckt wird. Vom vorbeiführenden Wanderweg ist dieser Bachabschnitt daher auch kaum einsehbar, durch den Einstau ist in den Sommermonaten vom Tirolerwehr nichts zu bemerken. In den wasserarmen Wintermonaten würde man das unzugängliche Gebiet der Wasserfassung auf rund 1.000 Meter Seehöhe ohnehin nicht erreichen, betont Werner Jauch.
Sobald es die Witterung zuließ, wurde im Herbst letzten Jahres mit den Bauarbeiten an der Fassungsbaustelle in der Lägni begonnen. Mit den Baulosen wurde gesamtheitlich die Firma Implenia betraut, wobei man sich als kompetenten Spezialisten noch die Firma Gasser Felstechnik AG aus Lungern als Sub ins Boot holte. Die Gasser Felstechnik AG ist seit über 90 Jahren in der Schweizer Bauwirtschaft tätig und realisierte bereits mehrere Stollen und Bauten bei Wasserkraftwerken. „Der Chärstelenbach kann durchaus große Kräfte entwickeln, daher mussten wir beim Konzept der Wasserfassung auch der Hochwassergefahr Rechnung tragen. Stabilität wurde großgeschrieben“, sagt Werner Jauch. Für die Fundamentierung war kein allzu tiefer Ausbruch vonnöten, da das Fassungsbauwerk direkt dem anstehenden Fels aufsitzt. Für die Errichtung im Bachbett wurde ein eigener Damm für die Umleitung aufgeschüttet. Dieser wurde so angelegt, dass er bei einem sommerlichen Hochwasser ohne gravierende Folgen für die Baustelle weggeschwemmt werden kann. Grundsätzlich kann an der Fassungsbaustelle ohnehin nur in der Niedrigwasserphase gebaut werden. Daher ist der Bauverlauf auch stark davon abhängig, wie lange der Winter in diesem Herbst auf sich warten lassen wird. „Wir hatten das Glück, dass wir in der letzten Saison fast bis Weihnachten an der Fassung arbeiten konnten, die Ausbruchsarbeiten sind so gut wie abgeschlossen. Entscheidend wird, ob die Witterungsbedingungen es auch in diesem Jahr zulassen werden, dass wir mit der ganzen Wasserfassung in dem kurzen Zeitfenster fertigwerden“, sagt der bauliche Leiter des Projekts, Simon Kempf von EWA.
Wegweisendes Entsandungskonzept
Eine zentrale Rolle im Konzept der Wasserfassung kommt der Entsanderanlage zu, die in Form des HSR-Sandabszugs realisiert wird. Dieses von der Hochschule für Technik Rapperswil entwickelte System punktet vor allem durch seine hohe Verschleißfestigkeit und seine Effizienz. Letztere verdankt der HSR-Sandabzug vor allem der Sekundärströmung, die in einem eigenen Rohr als Wirbelströmung auftritt. Diese Sekundärströmung kann aufgrund der speziellen Anordnung der Spülschlitze und der Ausbildung des Spülkanals aufgebaut und unterhalten werden, ohne dabei die Spülwassermenge zu erhöhen. Durch dieses neue, patentierte System gehören die früher häufig in konventionellen Sandfängen beobachteten „Dünenwanderungen“ der Vergangenheit an. Die Sedimente werden effektiv durch die Sekundärströmung abgeschwemmt. „Insgesamt ist unser HSR-
Sandabzug mit einer Kammer ausgeführt und rund 50 Meter lang. Mit dieser Länge ist das System optimal auf die Wassermenge und die zu erwartenden Sedimentfrachten ausgelegt“, sagt Projektleiter Simon Kempf.
Trassenführung durch schwieriges Terrain
Als die größte bauliche Herausforderung sieht Kempf neben der Fertigstellung der Wasserfassung die Verlegung der Druckrohrleitung im oberen Trassenabschnitt bis hin zur Fassung, eine sowohl in topologischer als auch geologischer Hinsicht diffizile Aufgabe. „Wir vertrauen auf unsere Baufirma, die über sehr viel Erfahrung verfügt und zudem in diesem Bereich schon einen Weg gebaut hat“, so der Projektleiter. Insgesamt erstreckt sich die Rohrleitungstrasse über 1,8 Kilometer, großteils durch unwegsames Gelände. Als Rohrmaterial der Wahl setzen die Betreiber auf duktile Gussrohre vom Fabrikat Duktus DN1000 in schub- und zuggesicherter Ausführung. Geliefert werden sie vom Schweizer Rohrspezialist Hagenbucher, dem etablierten Familienunternehmen aus Zürich, das sich seit bald 70 Jahren am Markt behauptet. Duktile Gussrohre mit den dazugehörigen Formstücken stellen die zentrale Säule im Produktportfolio des Schweizer Rohrspezialisten dar.
„Ich bin überzeugt, dass duktile Gussrohre für diese Bedingungen optimal geeignet sind. Das hat nicht nur mit der hohen Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit des Rohrmaterials zu tun, sondern auch mit der einfachen Verlegbarkeit: Der Graben wird geöffnet, das Rohr wird angekuppelt und gesichert, daraufhin wird der Graben schon wieder geschlossen, die Baustelle bleibt dadurch sehr überschaubar“, so Werner Jauch. Ein weiterer Vorteil liege, so der Projektleiter, auch darin, dass man die Rohre ohne spezielles Bettungsmaterial im felsigen Untergrund verlegen könne. Um die relativ schweren Rohrstücke an ihren Bestimmungsort zu bringen, kommt ein Traktor mit Spezialanhänger zum Einsatz, der sich bislang als am besten geeignet für die enge Waldstraße zeigt.
Optimierte Stromversorgung
Im Verlauf der Trassenführung wurde auch eine Rohrbrücke für die Querung des Chärstelenbachs errichtet. Zu diesem Zweck wurde eigens eine Montagebrücke gebaut. Sobald die neue Rohrbrücke fertiggestellt ist, wird darauf die neue Brücke für den Wanderweg angelegt – die Montagebrücke wird dann wieder rückgebaut. Generell wird höchstes Augenmerk darauf gelegt, dass nach Abschluss der Arbeiten nichts mehr auf die Existenz einer Rohrleitung hindeutet. „Die Hoch- und Tiefpunkte werden nach Möglichkeit im Geländeverlauf versteckt. Wir versuchen, mit Felsblöcken, Steinen und Wurzeln wieder den ursprünglichen Naturraum herzustellen“, erklärt Simon Kempf.
Zusammen mit den Gussrohren werden auch ein Lichtwellenkabel für die Steuerung sowie ein 900-V-Netzkabel in der Künette verlegt. Letzteres dient nicht nur der permanenten Stromversorgung für die Gewerke und Apparaturen der Wasserfassung, sondern generell einer Erhöhung der Versorgungssicherheit in diesem schwer zugänglichen Gebiet. Dazu Werner Jauch: „Es gibt in diesem Gebiet eine Freileitung. Leider ist diese gerade im Winter störungsanfällig, die Ursache dafür sind Lawinenabgänge. Aufgrund der schweren Zugänglichkeit kann es durchaus sein, dass es zwei, drei Wochen dauert, bis das Problem behoben ist. Solange können wir im Ernstfall bei der Wasserfassung nicht auf Strom verzichten. Daher haben wir uns mit dem Netzbetreiber darauf geeinigt, dass wir ein 900-Volt-Kabel hinaufziehen. Dieses Kabel kann in Zukunft auch vom Verteilnetzbetreiber mitbenützt werden, wodurch sich die Versorgungssicherheit in der Lägni markant verbessert.“
Geballte Kompetenz aus einem Haus
Kaum ein anderes Kraftwerksprojekt stellte bereits im Vorprojekt derart hohe Anforderungen an die Erfahrung und das Know-how von Werner Jauch und seinem Team. Man kann durchaus von einem Qualitätsmerkmal des innovativen Projekts sprechen, dass mit Ausnahme von speziellen Bauingenieurleistungen sämtliche Planungs- und Ingenieurleistungen im Hause des EWA realisiert wurden. Vom Vorprojekt angefangen, über Ausschreibungen, die gesamte E&M-Planung, bis hin zur Projektleitung und Bauaufsicht trägt alles die Handschrift der erfahrenen Ingenieure des EWA. Nach Inbetriebsetzung der Anlage wird das Kraftwerk in das Betriebsregime des Urner Stromversorgers übernommen. Hier wird nicht nur ein sicherer Kraftwerksbetrieb mit einer 24-Stunden-Überwachung in der Leitstelle garantiert, sondern darüber hinaus auch der wirtschaftliche Betrieb, der heute mehr denn je die Erfahrung von Profis benötigt. Möglich sind dieses Service und die geballte Kompetenz nur, weil das EWA in den vergangenen Jahren auf den Ausbau der eigenen Manpower-Ressourcen im Kraftwerksbereich gesetzt hat. „Vor zehn Jahren hatten wir nur ein kleines Team, heute verfügen wir über eine große Mannschaft gut ausgebildeter Techniker und Ingenieure“, sagt Werner Jauch. Mit dieser Mannschaft ist das EWA heute in der Lage, Dienstleistungen für Kraftwerksbetreiber und Investoren anzubieten, die über konventionelle Ingenieurbüros hinausgehen. Schließlich reicht das Spektrum von der Projektentwicklung über konzessionsrechtliche Belange, den Verhandlungen mit Umweltverbänden bis hin zu Betrieb und Vermarktung. Selbstredend wird das erforderliche Know-how – wie es beim KW Bristen nun zur Anwendung gekommen ist – auch Dritten angeboten.
Wasser Marsch im Frühling
Insgesamt investieren die Partner der KW Bristen AG rund 18,5 Mio. CHF (rd. 16,6 Mio. Euro) in das Projekt, dessen Wertschöpfung zu einem großen Teil von rund 80 Prozent in der Region verbleibt. Derzeit verlaufen die Bautätigkeiten im Maderanertal programm- und wunschgemäß. Aktuell wird bereits sogar schon mit den Arbeiten für die Ausgleichsmaßnahmen begonnen. Sollte der Terminplan weiter halten, steht der für nächstes Frühjahr avisierten Inbetriebnahme nichts im Wege. Schließlich soll das KW Bristen dann bereit sein für das Schmelzwasser im Chärstelenbach, das zu einem kleinen Teil die beiden Peltonturbinen in der Zentrale antreiben wird. In Summe rechnen die Betreiber mit rund 14 GWh im Jahr – einer Strommenge, die ausreicht, um etwa 3‘100 Haushaltungen zu versorgen. Eine durchaus beachtliche Kapazität angesichts des Umstands, dass dieser Strom aus einem der umweltfreundlichsten Kraftwerke der jüngeren Wasserkrafthistorie kommen wird.
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