Hangentwässerung macht Klein-KW möglich8 min read
Lesedauer: 6 MinutenEs gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Wasserkraftwerk angetrieben werden kann. Eine originelle und dabei höchst sinnvolle wird derzeit gerade im Tiroler Navis, unweit von Innsbruck, realisiert.
Ein Kraftwerk, das aus Drainage-Wässern gespeist wird. Um einen Hang zu sichern, der seit Jahren in Bewegung ist, wird derzeit vom Forsttechnischen Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Mittleres Inntal, eine aufwändige Hangentwässerung vorgenommen. Das dabei gesammelte Wasser soll über ein komplexes Leitungsnetz – bestehend u.a. aus TRM-Gussrohren – talwärts in ein Kleinkraftwerk geleitet werden.
Seit Jahren sorgt ein Hang des engen Navis-Tals, einem Seitental des Wipptales südlich von Innsbruck bei den Verantwortlichen der Wildbach- und Lawinenverbauung für tiefe Sorgenfalten. Der Hangabschnitt, auf dem die „Kerschbaumsiedlung“ mit ihren 84 Wohnhäusern liegt, strebt in stetiger Bewegung talwärts zu. Eine höchst bedenkliche Entwicklung, deren Auswirkungen bereits vor Jahren evident wurden. Mauerrisse und regelrechte Aufwölbungen der Bodenplatten in den Garagen seien bei vielen der betroffenen Häuser aufgetreten, heißt es. „Das war der Grund, warum bereits im Jahr 2001 mit Oberflächen-Entwässerungsmaßnahmen begonnen wurde. Diese haben eine stabilisierende Wirkung gezeigt – und funktionieren bis heute“, erzählt DI Florian Riedl vom Forsttechnischen Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Mittleres Inntal, kurz WLV. Der Tiroler Ingenieur leitet das technisch anspruchsvolle Projekt mit dem Ziel, das Abgleiten der Rutschmasse zu reduzieren bzw. im Idealfall zum Stillstand zu bringen. „Der übergeordnete Prozess, der auch aus den Laser-Scan-Daten ersichtlich ist, ist ein tiefgreifender „Talzuschub’, mit einer Lockermaterialauflage. Nach der anfänglichen Stabilisierung hat sich der Hang 2009 wieder zu bewegen begonnen. Dabei liegen die Geschwindigkeiten derzeit zwischen 1 bis 3 cm/Jahr.“ Gewisse Teile des Rutschkörpers weisen unterschiedliche Gleitgeschwindigkeiten auf.
Das Übel an der Wurzel gepackt
Um das weitere Abgleiten zu unterbinden, mussten die Verantwortlichen versuchen, das Übel an der Wurzel zu packen. Zu diesem Zweck wurde 2009 ein umfassendes Erkundungsprogramm gestartet, das die drei zentralen Fragen beantworten sollte: Wo befindet sich die Gleitbahn der Lockermaterialauflage? Wie groß ist sie? Und wo genau erfolgen die Wasserzutritte? Nachdem das Erkundungsprogramm im Herbst 2014 abgeschlossen wurde, konnte sofort das Hauptprojekt ausgearbeitet werden, das ein Bündel von Maßnahmen vorsah. „Unser Hauptproblem war natürlich das Wasser. Daher konzentrierte sich unser erstes Maßnahmenpaket auf die Tiefenentwässerung oberhalb der Kerschbaumsiedlung“, erklärt Florian Riedl. Zu diesem Zweck schlug das Bauteam der WLV im Laufe dieses Jahres im vorgesehenen Bereich entlang einer Linie 50 Brunnen im Abstand von 10 m mit einer Tiefe von je 45 m. In dieser Tiefe fällt der hauptsächliche mit Druck beaufschlagte Wasserandrang des Tiefenwassers an. Für eine nachhaltige Stabilisierung ist es erforderlich, dieses Wasser nach oben zu befördern und somit eine Druckentlastung durchzuführen. Daher wird nun in jedem Brunnen eine Pumpe installiert. Dass man damit einen hohen energetischen Aufwand treibt, ist den Planern bewusst. Doch dank eines ausgeklügelten Konzeptes kann das ganze Entwässerungssystem völlig energieautark betrieben werden.
Drainagewasser energetisch genutzt
„Wir wollten natürlich das Wasser energetisch nutzen, das wir aus der Tiefe befördern. Man muss bedenken, dass ohnehin eine schadlose Ableitung bis zum Talboden notwendig wäre. Daher hat es sich angeboten, anstelle einer Freispiegelleitung eine Druckrohrleitung zu errichten, in der wir das Drainagewasser bis hinunter ins Tal leiten, wo wir es über zwei Turbinen abarbeiten können – und danach dem Naviserbach zurückgeben“, so der Projektleiter. Dabei stellt die Drainagewasserleitung aus der ersten Sperrbrunnenreihe oberhalb der Kerschbaumsiedlung die Unterstufe der zweistufigen Anlage dar. Die Oberstufe speist sich aus der rund 280 Meter oberhalb geplanten zweiten Sperrbrunnenreihe und noch zusätzlich gesammelten Drainagewässer. Aus diesem Grund arbeitet die WLV an zwei parallel verlegten Druckrohrleitungen durch das Projektgebiet.
Flexible Leitung gefragt
Für diesen Einsatz vertraut die WLV auf duktile Gussrohre aus dem Hause TRM – und das hat gute Gründe. Ein ganz wesentlicher betrifft die längskraftschlüssige VRS-T®/BLS-Verbindung, die für die – gerade für diese Bestimmung unbedingt erforderliche – Flexibilität und Stabilität der Rohrleitung sorgt. Riedl: „Entscheidend war für uns, dass mit der Druckrohrleitung eine Querung des Talzuschubs möglich ist. Das heißt, dass die Leitung einen ‚schleifenden Verlauf’ zu tolerieren hat. Man muss sich vorstellen, dass der Stillstand der Rutschmassen ein sehr träger Prozess ist, der sich erst langsam einstellt. Das heißt, dass auf die Rohrleitung kontinuierlich starke transversale Kräfte einwirken können. Aus diesem Grund haben wir die Rohrleitung bei der Querung des stabilen zum bewegten Bereich in einem Betonrohr als Hülle verlegt. Diese Hülle kann im Extremfall reißen, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass die schub- und zuggesicherte Druckrohrleitung reißt. Sie bleibt aller Voraussicht nach noch vorläufig unversehrt und intakt. Dadurch bekommen wir einen gewissen Handlungsspielraum.“
Zügiger Leitungsbau
Konkret wurden entlang der Trasse für die Unterstufe Gussrohre mit einem Durchmesser von DN250 über eine Länge von 840 m verlegt. Dabei setzte man auf eine Rohrvariante mit Zementmörtelumhüllung, die über einen erhöhten mechanischen Schutz verfügt. Dadurch kann das Rohr direkt in den anstehenden, grobkörnigen, teilweise auch felsigen Mutterboden verlegt werden. Die aufwändige und kostenintensive Anlieferung von Bettungsmaterial wird somit vernachlässigbar. Dass die Verlegung zügig und mehr oder weniger witterungsunabhängig erfolgen kann, spielt bei einem derart aufwändigen und komplexen Projekt eine wichtige Rolle. Mit ihrer erfahrenen Mannschaft gelang es der WLV, auch in schwierigem Gelände einen stetigen Verlegefortschritt zu gewährleisten. Dazu Florian Riedl: „Der Rohrleitungsbau ist sehr gut gelaufen, auch wenn wir sehr steile Bereiche mit bis zu 60 Prozent Steigung durchqueren mussten.“ Er verweist auch auf eine weitere Herausforderung, die sich durch die eine oder andere Feuchtstelle im Untergrund ergab. „Wir haben in der Künette zugleich eine Drainage- und eine Sammelleitung mitverlegt, damit das Drainagewasser nicht direkt in die Künette eingezogen wird. Auf diese Weise haben wir eine saubere Ableitung hin zum Vorfluter erreicht.“
Kriterien im Brunnenbau
Eine weitere zentrale Frage für den Erfolg der Projektumsetzung betraf den Brunnenbau. Auf Basis der Erkenntnisse aus den Probebohrungen und Vorerhebungen wurde die exakte Tiefe festgelegt, die ein Absenken des Wasserniveaus unter dem anstehenden Felsrücken vorsah. Darüber hinaus musste der Brunnendurchmesser aufgrund des Wasserdargebots bestimmt werden. „Wir hatten ja Probebohrungen gemacht und wussten somit, was uns erwartet – in etwa 0,20 bis 0,40 l/s“, so der Projektleiter. Von der Konzeption der Brunnen her beschlossen die Planer, auf den sonst nicht unüblichen Pumpensumpf zu verzichten. Stattdessen wurde eine grobe Rollierung eingebracht, die für eine bessere Kühlung der Pumpe – und somit für eine längere Lebensdauer sorgen soll. Essentiell ist in diesem Zusammenhang die Entsandung des Brunnens. Bis auf 5 m unterhalb der Geländeoberkante wurde zu diesem Zweck ein geschlitztes Filterrohr installiert, sowie ein isoliertes Vollrohr im Bereich der Pumpe. „Das Wichtigste beim Brunnenbau ist das Entsanden, das wir in unserem Fall von erfahrenen Hydrogeologen begleiten lassen. Wenn ein Brunnen einmal gut entsandet ist, kann man davon ausgehen, dass er sich im laufenden Betrieb effektiv selbst entsandet“, so Riedl.
Spezialpumpen mit begrenzter Lebenszeit
Für diesen speziellen Einsatz wählten die Verantwortlichen der WLV keine Reinwasserpumpen, sondern Pumpen, die in der Lage sind, einen erhöhten Feinanteil aufzunehmen. Konkret kommen Pumpen der norditalienischen Marke Caprari zum Einsatz, die einen erhöhten Feinanteil tolerieren. Allerdings ist auch deren Lebensdauer relativ eng begrenzt. Bei einem erhöhten Feinstoffanteil gehen die Planer heute von einer Lebensdauer von 5 bis 7 Jahren aus. Der Energiebedarf einer derartigen Pumpe liegt bei etwa 1 kW. Das bedeutet, dass der zukünftige Gesamt-Energieaufwand für das Pumpensystem zwischen 50 und 80 kW betragen wird. Eine Leistungskapazität, die vom derzeit gerade in Montage begriffenen Kleinwasserkraftwerk locker abgedeckt werden sollte. 188 kW und 116 kW sollen die beiden Maschinen von Ober- und Unterstufe liefern und somit einen vollständig autarken Betrieb der Hangentwässerung sicherstellen. „Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass wir mit dem gewonnen Strom, die gesamte Anlage autark betreiben können. Mit einem möglichen Stromüberschuss könnten Rücklagen gebildet werden, um den periodischen Tausch der Pumpen finanzieren zu können“, sagt Florian Riedl.
Erste Ergebnisse Ende nächsten Jahres zu erwarten
Das aufwändige Hangsicherungsprojekt liegt voll im Zeitplan. Abhängig von den Witterungsbedingungen wird in diesem Herbst noch an der Rohrverlegung hin zur Oberstufe gearbeitet, während bis Ende Oktober die Turbinenmontage im Krafthaus abgeschlossen sein sollte. Riedl. „Die Brunnen der unteren Sperrreihe sind gebohrt, die Hälfte ist bereits ausgebaut und entsandet. Derzeit sind wir gerade dabei, die ersten Pumpen zu installieren, um aus den ersten zehn Brunnen bereits Wasser zu entziehen.“ Für 2016 steht der Abschluss der Erkundung für die Entwässerung im Oberhang auf dem Programm. Dann soll der Bau der zweiten Vertikalbrunnenreihe fixiert werden, die rund 20 bis 30 weitere Tiefenbrunnen umfassen soll. „2016 konzentrieren wir uns auf die Oberflächenentwässerung im Oberhang, während zeitgleich die Druckrohrleitung für die Oberstufe bis ganz nach oben verlegt werden soll. Ich gehe davon aus, dass wir 2017 mit der zweiten Phase der Vertikalbrunnen beginnen werden.“ 2017 soll zudem mit einem weiteren Teil des Maßnahmenpaketes begonnen werden: Es ist vorgesehen, bestehende Weideflächen auf dem Rutschhang weidefrei zu stellen. Hier wird wieder aufgeforstet, alte Bestände sollen verjüngt werden und im gesamten flächenwirtschaftlichen Projekt behandelt werden. Diese flächenwirtschaftlichen Maßnahmen flankierend zu den Entwässerungsmaßnahmen stellen den langfristigsten Teil des Maßnahmenpaketes dar, die bis Ende des Projektzeitraums 2024 abgeschlossen sein sollten. Ob und wie schnell die getroffenen Maßnahmen Wirkung zeigen, soll sich schon bald herausstellen. Florian Riedl erwartet bereits Ende 2016 erste Ergebnisse hinsichtlich der Bewegungsraten des Rutschkörpers. Vielleicht können die Bewohner der Kerschbaumsiedlung im Navistal spätestens dann wieder ganz ruhig schlafen.
Teilen: