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Kärntner Zementwerk baut die eigenen Wasserkraftkapazitäten aus10 min read

17. Oktober 2022, Lesedauer: 7 min

Kärntner Zementwerk baut die eigenen Wasserkraftkapazitäten aus10 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Das traditionsreiche Zementwerk Wietersdorf im Kärntner Görtschitztal setzt heute wie vor 120 Jahren auf die Wasserkraft. Das stellten die Kärntner nun mit einer umfassenden Revitalisierung ihrer Kraftwerkskette entlang der mittleren Görtschitz unter Beweis. In rekordverdächtigen zwölf Monaten gelang es, zwei Kraftwerke mit je zwei Maschinen inklusive Wehranlagen komplett neu zu bauen, bereits zuvor wurde ein drittes elektrotechnisch modernisiert. Mit ihren neuen Anlagen, die im November letzten Jahres feierlich eingeweiht wurden, erzeugen die Wietersdorfer Zementwerke im Regeljahr rund 18 GWh Ökostrom. Genug, um damit circa ein Viertel des eigenen Energieverbrauchs abzudecken.

Die Wurzeln des Zementwerks Wietersdorf reichen bis ins Jahr 1893 zurück, als die Brüder Philipp, Gottlieb und Karl Knoch die „Wietersdorfer Cementwerke Phil. Knoch & Ci“ am Standort des Stammwerks in Wietersdorf gründeten. Es war damals eines von nur sieben Zementwerken in Kärnten. Der Standort im Görtschitztal, rund 35 Kilometer nördlich von Klagenfurt, erwies sich als günstig. Abgesehen vom Vorhandensein der natürlichen Rohstoffe Kalkstein und Mergel konnte man schon sehr früh die Kräfte der Görtschitz für industrielle Zwecke nutzen. Einer langen Tradition folgend, in der das Wasser des Bachs bereits im Mittelalter Hammerwerken und Schmelzöfen diente, nutzte man zu Beginn die Wasserkraft vor Ort noch mechanisch, um damit zwei Rohrmühlen anzutreiben. 1910 war es schließlich soweit: Die Elektrizität hielt Einzug im Görtschitztal, wobei diese zuallererst in den Gewerken und der Beleuchtung des Zementwerks zum Einsatz kam. Es war ein Meilenstein für das noch junge Unternehmen. Von dieser „Keimzelle“ aus erfolgte nach und nach die weitere Elektrifizierung des Görschitztals.

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Kraftwerke mit Geschichte
„Unser Kraftwerk 1, das heute nach dem Standort Kraftwerk Wietersdorf heißt, beherbergte damals zwei Francis-Turbinensätze, die gesamt auf 2,6 m3/s Durchfluss ausgelegt waren und in Summe auf ein jährliches Regelarbeitsvermögen von circa 2,5 GWh gekommen sind“, erklärt der langjährige Kraftwerksverantwortliche und mittlerweile pensionierte Alfred Sollbauer. Er betont, dass die alten Maschinen eine beachtliche Qualität bewiesen und fast ohne Unterbrechung 120 Jahre ihren Dienst versehen haben. Mit dem Ausbau des Industriestandorts und dem damit steigenden Energiebedarf sollte schon wenig später das nächste Wasserkraftwerk an der Görtschitz folgen. 1921 nahm das Kraftwerk 2 in Hornburg seinen Betrieb auf, das mit ebenfalls zwei Francis-Turbinen, ausgelegt auf je 350 kW Leistung, im Jahr durchschnittlich 4,5 GWh Strom liefern sollte. 1939 hatten die Verantwortlichen des Zementwerks bereits ihr drittes Kraftwerk an der Görtschitz projektiert. Doch aufgrund der Wirren des Zweiten Weltkriegs konnte es erst 1955 fertiggestellt werden. „Bei der Zentrale 3 in Eberstein handelt es sich um ein Kavernenkraftwerk. Nicht zuletzt wegen der aus Kriegszeiten herrührenden Befürchtungen wurden die Maschinensätze in eine Felskaverne verlegt, um sie gegebenenfalls vor feindlichen Absichten zu schützen“, erklärt dazu Ing. Christian Schellander, Leiter des Bereichs Planung bzw. Instandhaltung Elektro- und MSR Technik bei den Wietersdorfer Zementwerken. Hier war bis zuletzt eine Kaplan-Turbine mit einem Schluckvermögen von 4,5 m3/s und einer Nennleistung von 540 kW im Einsatz. Bevor ein Generatorbrand vor einigen Jahren dem Maschinensatz ein jähes Ende bereitete, lieferte die Kavernenanlage rund 2,4 GWh im Regeljahr. Die zuvor jüngste Wasserkraftanlage, das Kraftwerk 4 von 1989 in Wieting, war zugleich die leistungsstärkste: Zwei Francis-Spiralturbinen moderner Bauart erzeugten im Regeljahr rund 7,7 GWh – und tun dies heute noch. „Das Kraftwerk 4 in Wieting wurde bereits 2016 modernisiert und kürzlich automationstechnisch adaptiert. Die nun erfolgten Bauarbeiten betrafen somit diese Anlage nicht“, erklärt dazu Christian Schellander.

Aus zwei Kraftwerken wird eines
Was die anderen drei Kraftwerke anging, die zusammen schon fast dreihundert Jahre Betrieb aufweisen konnten, so sollte kaum ein Stein auf dem anderen bleiben, wie Christian Schellander betont: „Im Vorfeld hat man sich ganz genau angeschaut, was es kosten würde, alle drei Kraftwerke zu revitalisieren und zu modernisieren. Dabei hat sich dann herausgestellt, dass die energiewirtschaftlich sinnvollste Variante im Neubau von Kraftwerk 1, also dem KW Wietersdorf, und einer Zusammenlegung von Kraftwerk 2 und 3 in einer neuen Zentrale in Eberstein liegt.“ Als Hauptgründe neben dem Alter der Anlagen führt der Fachmann auch noch ins Feld, dass man damit den modernen Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht mehr entsprochen habe. Das bedeutete in weiterer Konsequenz für die neue wasserrahmenrechtliche Genehmigungen der Anlagen benötigte es neue Vorgaben bzgl. Restwasserabgaben sowie für die naturschutzrechtlichen hinsichtlich Organismen-­Durchgängigkeit. „Heute haben wir drei ­unterschiedliche Varianten von Fischaufstiegshilfen: An der Fassung von Kraftwerk Wieting wurde ein Fischlift, bei der neuen Fassung des Kraftwerks Wietersdorf ein naturnaher Tümpelpass und beim Kraftwerk Eberstein ein Vertical-Slot-Pass errichtet. Das hat sich aus den jeweiligen Rahmenbedingungen am Standort ergeben“, erklärt Schellander. Geplant wurde das gesamte Projekt vom Klagenfurter Planungsbüro GEOS, welches das Projekt von der Einreichplanung bis zur fertigen Umsetzung betreut hat.

Stahlwasserbau mit viel Know-how
Die neuen Wasserfassungen wurden dabei grundsätzlich recht ähnlich konzipiert. Ein Doppelentsander sorgt für eine weitgehend effektive Absetzung der Sedimente, eine Fischbauchklappe für einen zentimetergenauen Einstau der Görtschitz. Neben einem Grund­ablass verfügen die Wehranlagen zudem über Grob- und Feinrechen und generell einen hohen Standard an stahlwasserbaulicher Ausrüstung. Für den gesamten Stahlwasserbau zeichnete die Firma S.K.M. aus dem steirischen Kammern verantwortlich, die auch in diesem Projekt viel von ihrem großen Wasserkraft-Know-how einbrachte. Einmal mehr flossen für die praxisbezogene Stahlwasserbau-Detailplanung die Erfahrungen aus der eigenen Wasserkraftanlage mit ein. Besonders auffällig dabei ist die Ausführung des Feinrechens. Dieser wurde mit einer innenliegenden Reinigung ausgeführt – das bedeutet, dass die Harke von der Innenseite aus von unten nach oben den Reinigungsvorgang durchführt. Für die Wintermonate ist ihre Bewegung so programmiert, dass die Harke aus Schutz vor einer möglichen Eisschicht nicht die Wasseroberfläche erreicht. Die neue stahlwasserbauliche Ausrüstung von S.K.M. sorgt nicht nur für eine optimale Wasserzuführung, sondern auch für mehr Sicherheit. Beide Wehranlagen wurden für ein 100-jährliches Hochwasser ausgelegt.

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Rohrleitung mit Herausforderungen
Zu einer besonderen Herausforderung in baulicher Hinsicht sollte die Verlegung der Druckrohrleitung werden. Schließlich galt es mit der Zusammenlegung der beiden Altanlagen 2 und 3 eine komplett neue Druckrohrleitung über immerhin rund 1,9 Kilometer neu zu verlegen. „Das Spezielle dabei war aber nicht die Länge oder die Dimension von DN1700, sondern vielmehr, dass man die Rohre durch den bestehenden Betonkanal mit einem Durchmesser von DN1850 zu verlegen gedachte. Und dafür benötigte es dann auch spezielles Know-how“, erzählt Alfred Sollbauer, der darauf verweist, dass die ausführende Baufirma diesen Auftrag im Sub an ein weiteres Unternehmen vergab, das damit Erfahrung hatte. „Dank der Möglichkeit, dass man durch die Abwinkelbarkeit in den Muffen auch Kurven bilden kann, ist es gelungen, die Rohre erfolgreich in der Betonleitung zu verlegen. Danach wurden sie mit Beton hinterfüllt – eine sichere, und langlebige Lösung“, konstatiert Christian Schellander. Die Frage, welcher Rohrtyp für diese Aufgabe in Frage kam, stellte sich in diesem Fall nicht wirklich. Schließlich gehört die Dachmarke Amiblu, unter den heute auch der bekannte GFK-Rohrtyp von HOBAS fällt, zur Wietersdorfer Gruppe. Wenig überraschend setzte man auf das bewährte, hauseigene System der geschleuderten GFK-Rohre, die für eine einfache Verlegbarkeit, eine hohe Lebensdauer und geringste Rauhigkeitskoeffizienten stehen.

Bewährte Partnerschaften
„Im Schnitt liefert die Görtschitz im Jahr rund 2 m3/s, faktisch ist das Wasserdargebot aber stark jahreszeitabhängig. Gerade in der niederschlagsarmen Winterzeit geht es teilweise sehr deutlich zurück“, erläutert Christian Schellander die hydraulischen Rahmenbedingungen an der Görtschitz. Darauf die perfekte maschinentechnische Antwort zu finden, überließ man gerne einem Partner, der einen exzellenten Ruf in der österreichischen Wasserkraft genießt und mit dem man schon früher erfolgreich zusammengearbeitet hatte: der Firma EFG aus dem Kärntner Feldkirchen. Christian Schellander: „Schon in den Jahren zuvor haben wir immer wieder das Know-how der Kärntner Turbinenspezialisten in Anspruch genommen. Das Team der EFG hat wesentlich dazu beigetragen, dass unsere betagten Maschinen über die letzten Jahrzehnte durchgehalten haben.“

Einfach in der Betriebsführung
Handelte es sich bei den zuvor installierten Maschinensätzen um baugleiche Francis-Turbinen, fiel nun die Wahl auf jeweils zwei unterschiedlich große Francis-Spiralturbinen, die durch das klassische Ein-Drittel-zu-Zwei-Drittel-Verhältnis optimal die schwankenden Durchflüsse verarbeiten können. Die enorme Laufzeit der alten Anlagen war auch für die Konstruktion der neuen Maschinen richtungsweisend – möglichst langlebige und auch servicefreundliche Konstruktionen sollten es werden. Ein in allen Belangen effizientes Design, modern, jedoch an den richtigen Stellen auch durchaus leicht konservativ war gefragt. Aus diesem Grund wurden alle 4 Turbinen im selben mechanischen Konzept aufgebaut, welches sich von der leistungsstärksten und damit auch am höchsten belasteten Turbine im KW Eberstein ableitete. Die horizontalen Francis-­Turbinen in 2-Lager-Anordnung zeichnen sich daher alle durch eine hervorragende Zugänglichkeit und einen Maschinenkern komplett aus nichtrostenden Materialien aus. Die für EFG-Turbinen typische Laufruhe sowie das komplett berührungslose Dichtsystem natürlich inklusive. Der Einsatz möglichst gleichartiger Komponenten bei allen 4 Turbinen vereinfacht sowohl die Betriebsführung als auch die Wartung der Anlage ungemein. Ein wichtiger Punkt, schließlich sollen ja die neuen Maschinen ebenso zuverlässig Strom erzeugen wie die alten.

Steuerung am letzten Stand
Ein technischer Quantensprung sollte vor allem auch in der steuerungs- und leittechnischen Ausrüstung erfolgen. Mit der nun implementierten modernen Steuerungstechnik der Firma SAS aus Wolfsberg ist heute ein vollautomatischer Kraftwerksbetrieb sichergestellt, der zugleich den Betreibern ein Höchstmaß an Kontrolle und Übersicht ermöglicht. „Früher war die Betreuung der Kraftwerke ein Fulltime-Job. Heute sieht das anders aus: Über verschiedene Endgeräte können wir von überall auf Kraftwerke und Wehranlagen zugreifen, haben sämtliche relevante Parameter im Blick und können bei Bedarf über unser Handy steuernd eingreifen“, führt Christian Schellander aus und lobt die Arbeit des Wolfsberger Unternehmens, das in der Wasserkraftbranche noch nicht so bekannt ist: „Die Steuerung von SAS ist sehr bedienerfreundlich. Mit wenigen Klicks gelange ich zu sämtlichen Parametern, Informationen, Trends. Besonders gelungen ist die farbige Kennzeichnung der einzelnen Anlagen. Damit es am Bildschirm zu keinen Verwechslungen kommt, ist den Maschinensätzen eines jeden Kraftwerks eine unterschiedliche Farbe zugeordnet.

Umsetzung in kürzester Zeit
Die gesamte Umsetzung – von den Bauarbeiten angefangen, über die Montagen bis zu den Inbetriebsetzungsarbeiten – unterlag im Wesentlichen einem sehr engen Zeitplan. Es galt, das Projekt in gerade einmal 12 Monaten abzuwickeln. Dank einer hervorragenden Zusammenarbeit aller Beteiligten, aber auch dank durchwegs günstiger Witterungsbedingungen gelang es den Verantwortlichen diesen Zeitplan einzuhalten. Nach dem Baustart im Herbst 2020 konnte der Probebetrieb der Neuanlagen bereits im Oktober 2021 aufgenommen werden. Rund 12 Millionen Euro nahm das Unternehmen für das Gesamtprojekt in die Hand. „Mit den sechs modernen Francis Turbinen werden in drei Kraftwerken entlang der Görtschitz im Schnitt 18.000 MWh Grünstrom erzeugt. Damit können wir das Zementwerk Wietersdorf zu einem Viertel mit selbst produzierter erneuerbarer Energie versorgen. Das entspricht in etwa der Versorgungsleistung für 3.600 4-Personen-Haushalte“, erklärt Florian Salzer, technischer Direktor von w&p Zement und Verantwortlicher für die Revitalisierung der Wietersdorfer Kraftwerkskette.

Zementwerke werden grün
Im November letzten Jahres fand im Beisein hochrangiger Gäste aus Wirtschaft und Politik die feierliche Inbetriebnahme der neuen Anlagen statt. In ihrer Ansprache unterstrich Christina Fromme-Knoch, Eigentümervertreterin und Aufsichtsratsvorsitzende der Wie­tersdorfer Gruppe die Bedeutung dieser Investition: „Durch umfassende Investitionen in modernste Umwelttechnologie zählt der Standort Wietersdorf heute zu den saubersten Zementwerken der Welt. Deshalb freut es mich, dass wir mit der Eröffnung der revitalisierten Kraftwerkskette einen weiteren wichtigen Schritt zu einer CO2-armen Zementproduktion setzen. Damit wird es aber nicht getan sein. Wir sind gemeinsam – Industrie wie Politik – gefordert, uns bereits heute über die Erschließung weiterer erneuerbarer Energiereserven intensiv Gedanken zu machen, um die grüne Transformation auch wirklich umsetzen zu können.“ Die neuen Kraftwerke an der Görtschitz stehen somit als Bekenntnis des Industrieunternehmens zur Energiewende und zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Technisch sind sie gerüstet für die kommenden Aufgaben in den nächsten Jahrzehnten.

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