Kaskade aus fünf neuen Trinkwasserkraftwerken für die Graubündner Kantonshauptstadt Chur8 min read
Lesedauer: 5 MinutenDie mehr als 37.000 Einwohner der Kantonshauptstadt Chur beziehen den Großteil ihres Trinkwassers aus den hoch über dem Ballungsraum gelegenen Quellgebieten Valbella und Parpan.
Im Zuge einer umfassenden Erneuerung der Transportleitungen werden vom kommunalen Generaldienstleister IBC Energie Wasser Chur insgesamt fünf neue Trinkwasserkraftwerke errichtet. Anstatt das wertvolle Energiepotential von insgesamt 270 l/s Ausbauwassermenge und den enormen Höhenunterschied von mehr als 900 m in Druckbrecherschächten zu vernichten, können zukünftig mit den neuen Kraftwerken jährlich insgesamt rund 6,2 GWh Strom erzeugt werden. Bei den Reservoirs Grida und Churwalden haben die jeweils auf 385 kW und 351 kW Engpassleistung ausgelegten 3-düsigen Pelton-Turbinen die Stromproduktion bereits aufgenommen. Zwei weitere Anlagen werden noch 2019 in Betrieb gehen, schon im kommenden Jahr sollen alle neuen Trinkwasserkraftwerke im Verbund produzieren. Die komplette elektromechanische Kraftwerksausrüstung für das Projekt liefert Small Hydro-Weltmarktführer ANDRITZ Hydro, der Schweizer Automatisierungs-i0 spezialist Kobel Elektrotechnik AG übernimmt die Realisierung der gesamten Leittechnik.
In ihrer mittlerweile über 120 Jahre dauernden Unternehmenshistorie hat sich die IBC als zentraler Elektrizitäts-, Wasser-, Gas- und Wärmeversorger der Graubündner Kantonshauptstadt etabliert. Die Gründung datiert zurück auf das Jahr 1896, in dem die Stadt das Elektrizitätswerk und das Gaswerk sowie die Wasserversorgung zum Unternehmsverbund Industrielle Betriebe der Stadt Chur vereinigte. Heute ist die IBC Energie Wasser Chur das einzige Querverbund-Unternehmen in Graubünden und ein kompetenter regionaler Partner für Energie und Wasser im Großraum Chur und Umgebung. Für die städtische Wasserversorgung spielen die hoch über der Stadt gelegenen Bergquellen seit langer Zeit eine wichtige Rolle. Am östlich der Stadt gelegenen Mittenberg nutzten die Talbewohner schon vor über 400 Jahren die natürlichen Wasservorkommen. Noch heute versorgen diese einst für die ganze Stadt ausreichenden Schüttungen zwei Wohngebiete in Chur. Die weitaus ergiebigsten Trinkwasservorkommen befinden sich im Süden der Stadt nahe des bekannten Skigebiets Arosa Lenzerheide in noch größerer Höhenlage. Rund 95 Prozent des Churer Quellwassers stammen aus den Gebieten Valbella und Parpan auf einer Höhe von über 1.500 m ü.M. Im Gebiet Scharmoin bei Valbella (Gemeinde Vaz/Obervaz) fassen die IBC insgesamt 37 Quellen, deren mittlerer Jahresertrag von 1,6 Mio. m³ über eine Transportleitung ins Quellenhaus Parpan (Gemeinde Churwalden) gelangt. In Parpan befindet sich gleichzeitig die ergiebigste Churer Quelle, dort sprudeln aus einer einzelnen Quellfassung jährlich im Schnitt rund 1,7 Mio. m³ Trinkwasser. Von Parpan wird das Wasser zu einem Reservoir im Ortskern von Churwalden geleitet, im Anschluss folgt eine Aufteilung der Versorgungsstränge. Die Ergiebigkeit der Quellschüttungen variiert der Jahreszeit entsprechend, sie steigt im Frühjahr mit dem Einsetzen der Schneeschmelze und erreicht in den Sommermonaten ein Maximum. In diesem Zeitraum kann die ganze Stadt zur Gänze mit Quellwasser versorgt werden. Während der Wintermonate sinken die Quellschüttungen soweit, das die Engpässe durch das ebenso qualitativ hochwertige Churer Grundwasser ausgeglichen werden. Rund eine Million m³ Grundwasser, das ohne Aufbereitungsmaßnahmen ins öffentliche Verteilnetz eingespeist werden kann, fördert das städtische Pumpwerk jährlich aus dem Boden.
Trinkwasserversorgung mit Stromgewinnung kombiniert
Um die Versorgung von Chur mit ausreichend hochwertigem Trinkwasser auch zukünftig sicherzustellen, investiert die IBC im Rahmen eines mehrjährigen Projekts rund 30 Mio. CHF in die umfassende Erneuerung der Quellzuleitungen in die Stadt. In energietechnischer Hinsicht bringt die Revitalisierung der insgesamt 14 km langen Transportleitungen, Reservoirs und dazugehöriger Infrastruktur einen besonderen Mehrwert mit sich: Die mehr als 900 m Höhenunterschied und das beträchtliche Wasserdargebot der ergiebigen Quellschüttungen können durch den Bau von fünf Trinkwasserkraftwerken zur Stromerzeugung verwendet werden. Nachdem die IBC 1999 im Reservoir St. Hilarien ihr erstes Trinkwasserkraftwerk am Stadtrand in Betrieb genommen hatte, wird nun rund 20 Jahre später das schon 2003 entwickelte Konzept umgesetzt, bei dem die vorhandene Infrastuktur um eine ganze Reihe von gestaffelten Kraftwerken ergänzt wird. Das mit hohen Errichtungskosten verbundene Projekt wurde für die IBC in wirtschaftlicher Hinsicht ab dem Jahr 2009 interessant, als in der Schweiz aus nachhaltigen Quellen gewonnener Strom durch die sogenannten KEV höher vergütet wurde. Der für Planung und Projektierung zuständige IBC-Projektleiter Florian Eigner weist darauf hin, dass die Genehmigungsphase des Projekts bis zur Baureife grundsätzlich ohne größere Verzögerungen oder Einsprüche verlaufen sei: „Da die Leitungsführung von Valbella bis ins Tal zum größten Teil gleich geblieben ist, gab es im behördlichen Bewilligungsverfahren in dieser Hinsicht keine besonderen Hürden. Trotzdem musste natürlich ein positives Umweltgutachten für die behördliche Genehmigung erbracht werden.“ Eigner ergänzt, dass mit der Sanierung der Transportleitungen auch eine ganze Reihe von Synergien mit der Gemeinde und den für den Betrieb der Lift- und Beschneiungsanlagen zuständigen Lenzerheide Bergbahnen AG genutzt werden konnten. So wurden in unterschiedlichen Trassenabschnitten auch neue Abwasserrohre, Trinkwasser-Transportleitungen anderer Wasserversorger, Kabelschutzrohre oder Leitungen für das Beschneiungssystem mitverlegt..
Projekt weit fortgeschritten
2013 starteten die IBC die Projektrealisierung mit dem Ersatz der Trinkwasserleitung entlang des Abschnitts Polenwäg zwischen Passugg und Churwalden, bis 2014 wurden darüber hinaus neue Abwasserrohre von Churwalden nach Chur verlegt. 2015 folgte bereits der Neubau der Transportleitung durch das Gebiet Erlenrutsch. Dieser Trassenabschnitt zeichnet sich in geologischer Hinsicht, wie der Name schon sagt, durch instabile Bodenverhältnisse aus. Aus diesem Grund wurde die Trinkwasserleitung in diesem Bereich oberirdisch geführt, Gleitschellen gleichen die Bewegungen des jährlich um mehrere Zentimeter wandernden Hangs zuverlässig aus. Mit Ausnahme des Gebiets Erlenrutsch werden sämtliche Trinkwasserleitungen gänzlich unterirdisch verlegt, der Durchmesser der zwischen DN400 und DN250 ausgeführten Rohre wurde an die Maximaldurchflüsse der jeweiligen Teilstrecken zwischen den Reservoirs angepasst. Dank den in weiten Teilen parallel vorangetriebenen Arbeiten an Quellen, Schächten, Reservoirs und Transportleitungen konnten seit Baustart bis zum aktuellen Zeitraum maßgebliche Fortschritte im gesamten Projektgebiet erzielt werden. Die Transportleitungen sind zu weiten Teilen vollständig erneuert, zudem konnten 2019 zwei Trinkwasserkraftwerke in Betrieb genommen werden.
TWKW Grida seit Jänner 2019 am Netz
Das Kraftwerk Grida direkt unterhalb des gleichnamigen Reservoirs am Ende des Polenwäg-Abschnitts produziert schon seit Jahresbeginn Strom. Die Bauarbeiten zur Errichtung des Kraftwerks stellten aufgrund der abschüssigen Lage auf einer steilen Wiesenfläche eine logistische Herausforderung dar, erklärt Projektleiter Eigner. Sämtliche Baustoffe, Rohre und Anlagenkomponenten wurden entweder auf dem Luftweg mit dem Lastenhelikopter oder geländegängigen Fahrzeugen zur Baustelle transportiert. Die Auslegung der elektromaschinellen Ausstattung der einzelnen Kraftwerke orientierte sich grundsätzlich an der Ergiebigkeit der Quellschüttungen, die in einer langjährigen Untersuchungsperiode zwischen 2002 und 2013 exakt protokolliert wurden. Der Auftrag zur Lieferung der fünffachen elektromechanischen Komplettausstattung aller neuen Kraftwerksstufen ging im Rahmen der Ausschreibung an den Branchenprimus ANDRITZ Hydro, der speziell in der Schweiz auf eine ganze Reihe von hocheffektiven Referenzprojekten im Trinkwassersektor verweisen kann. Für das Kraftwerk Grida fertigte ANDRITZ eine 3-düsige Pelton-Turbine mit horizontaler Welle, die ihre konstruktionsbedingten Qualitäten gleichermaßen im Voll- und Teillastbetrieb unter Beweis stellt. Bei einer Bruttofallhöhe von 379,5 m und 115 l/s Ausbauwassermenge erreicht die Maschine eine Engpassleistung von 385 kW. Ein direkt mit der Turbinenwelle gekoppelter Synchron-Generator des österreichischen Herstellers Hitzinger kommt als wirkungsgradstarker Energiewandler zum Einsatz. Wie die Turbine dreht der Schnellläufer mit 1.500 U/m, bei einer Spannung von 420 V kommt der wassergekühlte Generator auf eine Scheinleistung von 440 kVA. An einem im hinteren Gebäudeteil platzierten Transformator wird der gewonnene Strom umgespannt, das Erdkabel zum nächstgelegenen Einspeisepunkt wurde gemeinsam mit der Trinkwasserleitung verlegt. Als Abnehmer des IBC-Kraftwerks Grida fungiert der lokale Energieversorger Rabiosa Energie, in dessen Netz der Großteil des durch die neuen Trinkwasserkraftwerke gewonnenen Stroms eingespeist wird.
Anlage Churwalden folgte letzten Mai
Wenige Monate nach der Inbetriebnahme der Anlage Grida konnte im Mai das ähnlich leistungsstarke Kraftwerk beim Reservoir Churwalden fertig gestellt werden. Im Zuge der Neugestaltung wurde das Wasserkraftwerk direkt auf das Reservoir aufgesetzt. Analog zum Kraftwerk Grida besteht der Maschinensatz ebenfalls aus 3-düsiger Pelton-Turbine und direkt verbundenem Synchron-Generator mit Wasserkühlung. Trotz größerer Ausbauwassermenge von 165 l/s steht dem Kraftwerk Churwalden mit 241,3 m Bruttofallhöhe bedeutend weniger Gefälle als seinem Unterlieger zur Verfügung, weswegen seine Engpassleistung mit 351 kW etwas geringer ausfällt. Eingespeist wird der erzeugte Strom des Kraftwerks Churwalden ebenfalls ins lokale Netz der Rabiosa Energie. Damit bei Ausfällen oder technischen Gebrechen der Wasserkraftanlagen die Trinkwasserversorgung jederzeit aufrecht bleibt, werden sämtliche Turbinen mit hydraulischen Bypasssystemen ausgestattet. Bei Stillstand der Maschinen sorgen diese in Sekundenschnelle für die Umleitung des Trinkwassers.
Projektabschluss in Sichtweite
Die Schweizer Automatisierungsexperten der Kobel Elektrotechnik AG sorgen mit der Ausführung der Steuerungs- und Regeltechnik für die gleichermaßen sichere und effektive Funktion der neuen Trinkwasserkraftwerke im Versorgungsnetz der IBC. Die Anlagensteuerung basiert auf der international zum Industriestandard gehörenden SIMATIC S7-1500 von Siemens und wurde von Kobel auf die speziellen betrieblichen Anforderungen der IBC hin programmiert. In den Krafthäusern wird die anwenderfreundlich visualisierte Steuerung mittels Touch-Panels bedient, darüber hinaus können sämtliche Anlagen via Glasfaseranbindung von der zentralen IBC-Leitwarte in Chur aus überwacht und geregelt werden.
Mittlerweile ist die Erneuerung der Churer Trinkwasserversorgung im gesamten Projektgebiet dank kompetenter Unternehmen und klugem Baustellenmanagement weit fortgeschritten, bis Mitte 2020 wollen die IBC ihr Großprojekt weitestgehend abschließen. Noch 2019 wurden die Trinkwasserkraftwerke beim Quellenhaus Parpan und dem Reservoir Städeli fertig gestellt, der neue Maschinensatz im Bestandskraftwerk des Reservoirs St. Hilarien wird plangemäß 2020 in Betrieb gehen. Mit ihrer neuen Trinkwasserkraftwerksflotte kann die IBC zukünftig zusätzliche 6,2 Mio. kWh Ökostrom im Regeljahr für ihre Kunden bereitstellen.
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