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Kelag schlägt neues Kapitel für geschichtsträchtiges Kraftwerk in Ferlach auf11 min read

20. August 2023, Lesedauer: 7 min

Kelag schlägt neues Kapitel für geschichtsträchtiges Kraftwerk in Ferlach auf11 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Seit 1908 erzeugt das Kraftwerk Waidisch in der südlichsten Stadtgemeinde Österreichs, Ferlach, Strom aus Wasserkraft. Um das traditionsreiche Wasserkraftwerk zukunftsfit zu machen und es weiterhin am Stand der Technik betreiben zu können, investierte der Kärntner Energieversorger Kelag nun in eine umfassende maschinen- und leittechnische Modernisierung der Anlage. Im Zuge eines knapp halbjährigen Umbau- und Adaptierungsprozesses gelang es, das Kraftwerk so zu optimieren, dass es heute mit einem Regelarbeitsvermögen von 13,7 GWh im Schnitt um 18,5 Prozent mehr Energie ans Netz liefert als zuvor – und das bei unveränderter Konzessionswassermenge. Seit Ende letzten Jahres ist das Kraftwerk Waidisch wieder in Betrieb und versorgt nun im Regeljahr rund 3.900 Kärntner Durchschnittshaushalte mit sauberem Strom.

 

Die Entstehungsgeschichte der Stromerzeugung in Ferlach, dem Hauptort im Kärntner Rosental, geht Hand in Hand mit der Historie der Eisen- und Stahlindustrie in der Region. 1906 wurde die Kärntner Eisen- und Stahlerzeugungs Aktiengesellschaft, kurz KESTAG, gegründet. Schon zwei Jahre nach ihrer Gründung setzte sie einen Schlussstrich unter die Roheisen- und Stahlerzeugung in Waidisch und verlegte sich auf die Herstellung von Ausgangsmaterial für die Drahtherstellung. Zu diesem Zweck installierte sie einen Elektrolichtbogenofen vom Typ Héroult, zu diesem Zeitpunkt die modernste und fortschrittlichste Technologie am Markt, dem allerdings damals auch der Makel einer gewissen „Unausgereiftheit“ anhaftete. Dennoch sprach aus wirtschaftlichen Gründen viel für die neue, richtungsweisende Elektro­-ofen-Technologie: Unter anderem die Tatsache, dass die KESTAG über ausreichend Strom für die Elektroden aus ihren beiden Kraftwerken am Waidischbach sowie am Loiblbach verfügte. Wenige Jahre zuvor waren das Kraftwerk Waidisch und das Kraftwerk Gabl fertiggestellt worden.
Auch wenn sich die Anwendungen und Technologien in der Stahlerzeugung über die folgenden Jahrzehnte stetig änderten – eines blieb eine verlässliche Konstante: die Stromlieferung aus den beiden Kraftwerken am Waidisch- und am Loiblbach. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der KESTAG Ende der 1980er Jahre wurde ein neues Kapitel für die Kraftwerke geschrieben. Der Kärntner Energieversorger Kelag erwarb die Anlagen und sollte sie in der Folge in die Neuzeit der Stromversorgung führen.

Kraftwerk Waidisch
Die Turbinenspirale wird mittels Mobilkran eingehoben.

Wirkungsgradtests verschaffen Klarheit
„Ursprünglich befanden sich im Kraftwerk Waidisch drei Maschinensätze, allesamt mit Francis-Turbinen ausgeführt. Das Trio war bis 1977 im Einsatz, also noch zu KESTAG-Zeiten, als man beschlossen hatte, die drei alten Maschinensätze gegen einen einzigen Maschinensatz zu tauschen. Die Francis-Turbine von 1977 wurde damals schon tiefer eingebaut – auf das Niveau, das wir auch beim nun erfolgten Umbau nutzen“, erzählt Projektleiter ­Dipl.-Ing. Johannes Klausner vom Bereich Kraftwerksplanung / Maschinenbau der Kelag. Er räumt ein, dass die erste Tendenz der Kelag dahinging, den bestehenden, über 40-jährigen Maschinensatz einer umfassenden Sanierung zu unterziehen. Doch die Wirkungsgradtests, die man im Vorfeld durchgeführt hatte, um die Maschine besser beurteilen zu können, legten eine andere Alternative nahe. Klausner: „Die Auswertungen haben zu dem Schluss geführt, dass es wesentlich wirtschaftlicher ist, den alten Maschinensatz durch einen leistungsstarken neuen zu ersetzen.“ Gemäß der Instandhaltungs- und Ausbaustrategie des Unternehmens wollte man sich dann nicht auf die elektromaschinelle Erneuerung beschränken, sondern beschloss, gleich das ganze Kraftwerk an den Stand der Technik anzupassen. Das umfasste neben Turbine- und Generatoreinheit auch eine Modernisierung von Elektro- und Leit- bzw. Sekundärtechnik.

Triebwasserweg bleibt erhalten
Zum Glück stand die bauliche Infrastruktur des Kraftwerks, also Maschinengebäude, Druckrohrleitung, Freispiegelstollen, Wasserschloss und Wasserfassung, nicht zur Disposition. „In den Jahren 1995/96 wurden sowohl die Druckrohrleitung als auch das Stahlwasserbau-Equipment erneuert. Die 634 m lange Druckrohrleitung wurde durch GFK-Rohre vom Typ Hobas ausgetauscht, wobei im oberen Bereich Rohre der Größe DN1200 verwendet wurden. Die Leitung verjüngt sich dann bis zum Einlauf hin auf DN900. Außerdem wurde die Wehranlage adaptiert und eine neue stählerne Wehrklappe installiert“, erklärt Bauprojektleiter Johannes Aschgan.
Aus diesem Grund waren im Hinblick auf die bauliche Infrastruktur keine größeren Maß- nahmen erforderlich. „Der 14 m lange Stahlrohrabschnitt, der Übergang von der GFK-Druckrohrleitung auf den Turbineneinlauf, wurde nun von uns innen wie außen professionell saniert. Außerdem fand im Zuge der eingehenden Begutachtung des Triebwasserwegs eine Begehung des bestehenden Freispiegelstollens statt. Dabei wurde der Freispiegelstollen von einem Geologen beurteilt, außerdem eine vollumfängliche Dokumentation des Kraftabstiegs angelegt. Bei einem Projekt dieses Alters kann man vorher nie 100-prozentig prognostizieren, was alles zu tun ist. Da heißt es, flexibel bleiben und auch auf spontan auftretende Herausforderungen reagieren“, erklärt der für die bauliche Umsetzung zuständige Fachmann der Kelag, Gerhard Kummer.

Neuer Kran wird zur Herausforderung
Als größte Herausforderung baulicher Natur sollte sich in der Folge allerdings eine Baumaßnahme im Inneren des Maschinenhauses herausstellen. Es galt, eine neue Krananlage zu integrieren. Die alte stammte noch aus der Gründerzeit, konkret aus 1907 oder 1908. Sie war zwar im Laufe ihrer technischen Geschichte mehrmals ertüchtigt worden, doch das änderte nichts an ihrer maximalen Tragfähigkeit von 8 Tonnen. Zu wenig für den Einbau des neuen Maschinensatzes, sie war unbrauchbar. Im Oktober 2021 ging man daran, das neue Kransystem vom Fabrikat OMIS einzubauen – und zwar von innen. Johannes Aschgan: „Dafür war es erforderlich, einen provisorischen Zwischenboden einzuziehen, um ihn mit einem leistungsstarken Teleskop-Stapler befahren zu können. Der alte Maschinensatz war zu diesem Zeitpunkt noch im Einsatz. Der Zwischenboden, der den Maschinensatz überspannte, musste auch eine entsprechende Belastbarkeit aufweisen – die Vorgaben des Kranherstellers lagen bei 5 Tonnen pro m2. Nachdem auch das alte Kransystem demontiert war, konnte die neue Kranbahn eingebaut und schließlich der neue Kran montiert werden.“ Das neue Kransystem ist auf 16 Tonnen ausgelegt, damit sollte die Maschinenmontage problemlos gelingen.

 

Maschinensatz mit neuer Lageranordnung
Anfang August letzten Jahres war es schließlich soweit: Der alte Maschinensatz wurde vom Netz genommen, demontiert und machte damit Platz für das neue Maschinengespann. Bei einer Ausbauwassermenge von 2,5 m3/s, einer relativ gleichmäßigen Wasserganglinie – im Winter sinkt das verfügbare Triebwasser kaum unter 1 m3/s – und einem geodätischen Höhenunterschied von 109,5 m fiel die Wahl erneut auf eine Francis-Spiralturbine. Erneuert wurden in diesem Zuge nicht nur Turbine und Generator, sondern auch das Abzweigrohr zum Nebenauslass und das Turbinenabsperrorgan. Diese Komponenten wurden zusammen mit dem neuen Maschinensatz vom Tiroler Wasserkraftspezialisten Geppert geliefert. Verglichen mit dem alten Maschinensatz, bei dem Generator und Turbine mit jeweils zwei Lagern ausgeführt waren, weist der neue nun eine 2-Lager-Anordnung auf, mit fliegend gelagertem Laufrad. Ebenso fliegend montiert wurde die Schwungscheibe am nicht-antriebseitigen Ende der Generatorwelle. „Die Schwungscheibe ist nach wie vor ein wichtiges Element im Maschinenkonzept der neuen Anlage: Sie garantiert ein ausreichendes Trägheitsmoment des Rotors, um einen Druckstoß, auch ohne Öffnen des Nebenauslasses, auf ein für die Druckrohrleitung tolerables Maß zu begrenzen“, erläutert der Fachmann der Kelag, Johannes Klausner.

Innovation bei der Wartungsfreundlichkeit
Besonders großen Wert wurde im Rahmen des Maschinenkonzepts auf die Wartungsfreundlichkeit gelegt. „Sowohl der saugrohrseitige, als auch der generatorseitige Turbinendeckel können zur Saugrohrseite hin – wo auch der Leitapparat situiert ist – ausgebaut werden. Daraus ergibt sich eine verbesserte Zugänglichkeit zwischen Spirale und Generator. Im Falle einer zukünftigen Sanierung ist es möglich, die Turbine komplett zu demontieren, ohne dass man den Generator verrücken muss“, so Klausner.
Und noch ein weiteres Detail zeichnet die neue Turbine im Vergleich zum Vorgängertyp aus: Beide Turbinendeckel, also sowohl der generator- als auch der saugrohrseitige, sowie die Leitschaufeln und das Laufrad sind allesamt aus rostfreiem 13.4 Stahl gefertigt – also einem Werkstoff, der für seine Korrosionsbeständigkeit und seine Zähigkeit bekannt ist. Außerdem wurden die Radialspaltflächen in den Turbinendeckeln und am Laufrad sowie die Schutzwände mit Wolframcarbid beschichtet. „Das ist auch als Reaktion darauf zu sehen, dass wir bei der alten Turbine massive Verschleißerscheinungen feststellen mussten. Die Lebensdauer der Bauteile sollte dadurch deutlich verlängert werden“, erklärt Johannes Klausner.

Generator mit historischem Netz-Niveau
Aber auch im Hinblick auf die Performance gelang ein maschinentechnischer Quantensprung. „Wir gehen von einem gewichteten gemittelten Maschinensatz-Wirkungsgrad von 87,29 Prozent aus. Das bedeutet eine massive Leistungssteigerung gegenüber dem Altbestand“, freut sich der Projektleiter und verweist darauf, dass damit eine Leistungssteigerung von 2,045 auf nunmehr 2,268 MW gelungen sei, also eine Steigerung um 11 Prozent bei gleich gebliebener Ausbauwassermenge. Zu diesem enormen Leistungssprung trägt natürlich auch der Generator bei, ein wassergekühlter Synchrongenerator aus dem Hause Indar Electric, S.L., der ebenfalls vom beauftragten Tiroler Turbinenbauer Geppert mitgeliefert worden war. Das Spezielle an dem Generator: Die Maschine spanischer Herkunft ist auf eine Nennspannung von 3,3 kV ausgelegt – ein Spannungsniveau, das sich aus der Geschichte des Kraftwerks ergibt, wie der für Elektro-, Leit- und Sekundärtechnik verantwortliche Fachmann der Kelag, Mathias Trojer, näher ausführt: „Das firmeninterne Stromnetz, das die KESTAG betrieb, verlief auf 3,3 kV-Niveau. Das haben wir beibehalten. Nicht zuletzt deshalb, weil der bestehende Trafo, der den Strom auf das 20 kV-Niveau des örtlichen ­Netzes hochspannt, erst 2012 erneuert wurde und sich auch aufgrund der bestehenden Lastreserven für die nun erzielten Leistungssteigerungen anbot.“

Modifikation am Nebenauslass
Eine Besonderheit des alten Maschinensatzes lag darin, dass der Leitapparat direkt über ein Gestänge mit dem Nebenauslass verbunden war. Bei einem Schnell- oder Notschluss wurde der Leitapparat geschlossen und mit ihm gleichzeitig der Nebenauslass geöffnet. Diese Funktion gibt es nun nicht mehr, wie Projektleiter Johannes Klausner erklärt: „Aufgrund der verbesserten Hydraulik des Laufrads und der deutlich größeren Schwungmasse ist diese Funktionalität zur Druckstoßbegrenzung des Nebenauslasses obsolet geworden. Dennoch spielt der Nebenauslass auch heute noch eine wichtige Rolle. Hydraulisch angesteuert, wird er im Falle einer Abschaltung geöffnet, damit das Fließkontinuum im Waidischbach weiterhin aufrecht bleibt – und es zu keiner ökologischen Beeinträchtigung kommt.“

 

Betrieben von der Zentrale in Klagenfurt
Analog zur hochwertigen maschinentechnischen Ausrüstung lag den Ingenieuren der Kelag auch ein entsprechend hochwertiges elektro- und leittechnisches Equipment am Herzen. „Wir benutzen SPS-Komponenten der Firma Siemens aus der Sicam8000-Familie. Als Leitsystem wird das Copadata V10 eingesetzt, um die Anlage ins übergeordnete Leitsystem der Kelag einzubinden. Den Generatorschutz übernimmt die bewährte SYMAP-Compact von Stucke. Die gesamte Steuerungs- und Sekundärtechnik wurde von Siemens Energy Salzburg erfolgreich umgesetzt“, erläutert Mathias Trojer. Die Siemens Energy Austria GmbH mit den Wasserkraftspezialisten in Salzburg lieferte sowohl für das Krafthaus als auch für die Wasserfassung und für das Wasserschloss die gesamte Leittechnik und Sekundäreinrichtungen inkl. Montage und Inbetriebnahme. Von der Vertragsunterzeichnung über die Lieferung der Schaltschränke bis zur fertigen Inbetriebnahme standen den Technikern der Siemens Energy keine 10 Monate zur Verfügung. In Anbetracht der schwierigen Liefersituation stellte der enge Terminplan eine besondere Herausforderung beim Engineering und Bestellwesen dar. Wo im alten Kraftwerk früher die 3,3 kV-Schalt­anlage untergebracht war, konnte nun eine neue Schaltwarte integriert werden, die über ein Panoramafenster volle Übersicht über den Maschinenraum ermöglicht. Zu diesem Zweck wurde die alte Schaltanlage rückgebaut und ein neuer Zwischenboden eingezogen. Erneuert wurde auch die 24 V-Batterieanlage. Damit ist zwar kein Schwarzstart möglich, doch die Anlage verfüge – erklärt der Fachmann – ohnehin über eine Zuschaltautomatik, die es ihr im Falle eines Netzausfalls ermögliche, selbsttätig wieder anzufahren. Heute ist das Kraftwerk Waidisch – wie jede Anlage im Kraftwerkspark der Kelag – fernwart- und steuerbar. Und wie bei allen anderen innerösterreichischen Kraftwerksanlagen der Kelag erfolgt die Betriebssteuerung von der Kelag-Energieleitzentrale Klagenfurt aus.

18,5 Prozent mehr Stromertrag
Das Maschinengebäude aus k.u.k-Zeiten wurde nicht nur funktionell an die neuen Erfordernisse angepasst, indem etwa neue Öffnungen ausgeschnitten wurden. „Darüber hinaus wurde es auch einer generellen Sanierung unterzogen. So wurden abgesehen von der neuen Schaltwarte auch ein neues Büro realisiert und das Abwassersystem erneuert. Die Arbeiten an dem altehrwürdigen Maschinenhaus sind dabei noch nicht zur Gänze abgeschlossen. Erst wenn in den nächsten Wochen die neuen Fenster eingebaut sind, der Innenraum geweißt und die Bodenversiegelung durchgeführt ist, wird das Gebäude wieder in altem Glanz erstrahlen“, erläutert Gerhard Kummer.
In funktioneller Hinsicht ist der Umbau bereits vollzogen, das Kraftwerk Waidisch ist seit 22. Dezember letzten Jahres wieder am Netz, hat den Probebetrieb erfolgreich absolviert und läuft seitdem wie ein Uhrwerk. Dank der gewichteten, gemittelten Wirkungsgradsteigerung des neuen Maschinensatzes um knapp 19 Prozent und der anderen Optimierungsmaß- nahmen ist es dem Kraftwerksteam der Kelag gelungen, auch die Jahreserzeugung der Anlage von bislang 11,54 GWh auf 13,67 GWh zu erhöhen. Diese Steigerung um 18,5 Prozent entspricht in etwa dem Stromverbrauch von 600 Kärntner Haushalten. „Sieht man einmal von der Effizienz- und Produktionssteigerung ab, so wurde das KW Waidisch nun so gestaltet, dass in den nächsten 30 Jahren – abgesehen von geplanten regelmäßigen Revisionen und Wartungen – keinerlei Adaptierungsmaßnahmen erforderlich sind“, freut sich Johannes Klausner über das erfolgreiche Projekt. Für das traditionsreiche Kraftwerk konnte damit ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.

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