Kolumbianer setzen bei neuem Kraftwerk Alejandria II erneut auf österreichischen Branchenexperten6 min read
Lesedauer: 5 MinutenKurz nach dem vergangenen Jahreswechsel ging im Nordwesten von Kolumbien das Wasserkraftwerk Alejandría II zum ersten Mal ans Netz. Der Neubau nutzt das bislang ungenutzte Restgefälle im Unterwasserbereich des 2016 fertiggestellten Kraftwerks Alejandría I. Beide Kraftwerke der Betreibergesellschaft Generadora Alejandría wurden vom international renommierten Branchenexperten GUGLER Water Turbines GmbH mit leistungsstarker Wasserkrafttechnologie ausgerüstet. Für das jüngste Projekt in Kolumbien fertigten die Oberösterreicher eine Kaplan-Turbine in vertikalachsiger Ausführung mit 2.148 kW Engpassleistung. Vervollständigt wurde der Maschinensatz durch einen Synchron-Generator, der durch ein Übersetzungsgetriebe mit der Turbine gekoppelt ist. Das hydroelektrische Kraftpakt wurde zudem mit einem elektronischen Monitoringsystem ausgestattet, das Störungen und Materialverschleiß schon vor dem Auftreten von Fehlern erkennen kann.
Im rund 52 Millionen Einwohner zählenden Kolumbien kommt der Stromerzeugung aus Wasserkraft eine bedeutende Rolle zu. Wie im rund 9.500 Kilometer Luftlinie entfernten Österreich werden rund zwei Drittel des im Land erzeugten Stroms durch Wasserkraftwerke produziert. Dem Onlineportal „statista.com“ zufolge wurden im Vorjahr in dem südamerikanischen Staat rund 64,3 Terawattstunden Strom verbraucht, der ausschließlich aus Wasserkraft stammt. Eine ganze Reihe von Anlagen der oberen Leistungsklasse befindet sich in dem besonders wasserreichen Verwaltungsbezirk Departamento de Antioquia im Nordwesten des Landes. Eines der neuesten Kleinwasserkraftwerke in der Region hat Anfang 2023 erstmals sauberen Strom erzeugt.
Restgefälle optimal genutzt
Konkret handelt es sich dabei um das Kleinwasserkraftwerk Alejandría II, das direkt unterhalb des Maschinengebäudes der Anlage Alejandría I errichtet wurde. Beide Kraftwerke wurden von der international äußerst aktiven GUGLER Water Turbines GmbH ausgestattet. Für die in der Nähe der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz ansässigen Branchenspezialisten hat sich Kolumbien in den vergangenen Jahren als wichtiger Markt etabliert, bereits elf Anlagen wurden bis dato von GUGLER mit seinen bewährten hydroelektrischen Lösungen ausgestattet, so GUGLER-Projektleiter Georg Brandstetter: „Das Kraftwerk Alejandría II nutzt das bislang ungenutzte Restgefälle des Oberliegers, der 2016 in Betrieb gegangen ist, und ebenfalls von uns mit einem elektromechanischen Komplettpaket ausgestattet wurde. Für den Neubau wurde im Unterwasserkanal der Anlage Alejandría II eine Abzweigung erstellt, die das bereits zuvor turbinierte Triebwasser zum neu gebauten Maschinengebäude führt. Während das ältere Kraftwerk mit zwei identisch konstruierten Francis-Turbinen mit jeweils knapp 7,7 MW Engpassleistung ausgestattet wurde, kommt bei der jüngeren Anlage eine einzelne Kaplan-Schacht-Turbine zum Einsatz.“ Georg Brandstetter ergänzt, dass beim Oberliegerkraftwerk, bei dem er ebenfalls die Projektleitung innehatte, erhebliche Bauaufwände notwendig waren. So musste für die Herstellung des Triebwasserwegs, der maximal 16 m³/s Ausbauwassermenge von der Wasserfassung zum Maschinenhaus führt, ein kilometerlanger Tunnel durch den Berg gebrochen werden.
Bestehende Infrastruktur eingebunden
Unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung im Frühjahr 2021 startete GUGLER mit dem Engineering des Folgeauftrags für Generadora Alejandría: „Ursprünglich war für den Neubau der Einsatz einer Kaplan-Rohrturbine mit horizontaler Welle im Gespräch. Allerdings wurde schließlich eine vertikalachsige Kaplan-Schachtturbine gefertigt, da diese Bauform für das neue Unterliegerkraftwerk besser geeignet war. Mit Ausnahme des ersten Saugrohrteils, das von einem kolumbianischen Stahlbauunternehmen geliefert wurde, stammen sämtliche Turbinen-Komponenten von uns bzw. unserem europäischen Fertigungspartner“, erklärt Georg Brandstetter. Ausgeliefert wurde das auf dem Seeweg nach Kolumbien transportierte Equipment im Frühjahr 2022, die Montage startete wenige Monate darauf im Herbst des Vorjahres. In elektrotechnischer Hinsicht wurde beim Kraftwerk Alejandría II auch die bestehende Infrastruktur des nur ca. 30 m entfernten Oberliegers herangezogen. So wird die Eigenbedarfsversorgung des Neubaus durch vorhandene Reservekapazitäten der älteren Anlage abgedeckt. Auch bei der Ableitung der erzeugten Energie wurde auf bestehende Infrastruktur zurückgegriffen. Komplett neu ausgeführt wurden hingegen der Transformator und die Erweiterung der bestehenden Schaltanlage.
Hydroelektrisches Komplettpaket
„Damit der Einbau der neuen Turbine auf der Baustelle so schnell bzw. so unkompliziert wie möglich über die Bühne gehen konnte, wurde diese in einem weit vormontierten Zustand auf die Reise nach Kolumbien geschickt. Im Wesentlichen besteht der Maschinensatz aus drei zentralen Baugruppen – dem Leitapparat inklusive Verstellmechanismus, Laufrad und Lagerung, einer Stützrahmenkonstruktion mit dem Übersetzungsgetriebe sowie dem Generator“, so Georg Brandstetter. Komplettiert wurde der Liefer-/Leistungsumfang von GUGLER durch das Hydraulikaggregat, der Elektro- und Leittechnik, dem Design von Betonspirale und Auslaufkanal sowie der Einbindung der Anlage in die bestehende Steuerung, das SCADA-System und die Mittelspannungsschaltanlage. „Durch den Einsatz des Übersetzungsgetriebes konnte der vom Turbinen-Laufrad angetriebene Synchron-Generator vergleichsweise kompakt ausgeführt werden. Sowohl die Turbine als auch der Generator wurden mit Wälzlagerungen ausgestattet, wobei die Turbine ein geteiltes Führungslager besitzt. Das Getriebe wiederum hat eine eigene Lagerung. Die Axialkräfte seitens der Turbine werden vom Getriebe aufgenommen und über den unteren Teil des Rahmens in den Beton abgeleitet. Ebenso verhält es sich mit dem Gewicht des Generators, der oberhalb des Getriebes angeordnet ist“, erklärt der Projektleiter. Georg Brandstetter weist ergänzend darauf hin, dass die von der Turbine auf das Getriebe übertragenen Axialkräfte eine massive Ausführung der Stützrahmenkonstruktion erforderlich machten. Aus diesem Grund kam beim Design des Rahmens die computergestützte Finite-Elemente-Methode (FEM) zur Anwendung, um die Tragfähigkeit schon im Vorfeld der Fertigung zu validieren. Dank ihrer doppelten Regulierfähigkeit durch die verstellbaren Laufradflügel und den Leitapparat kann die Kaplan-Maschine ein breites Betriebsband abdecken und auch bei geringerem Wasserdargebot mit einem Höchstmaß an Effizienz Strom produzieren. Bei vollem Wasserdargebot erreicht die auf 16 m³/s Ausbauwassermenge und 14,76 m Nettofallhöhe ausgelegte Turbine 2.148 kW Engpassleistung. Der luftgekühlte Generator dreht mit exakt 900 U/min und wurde auf 4.160 V Betriebsspannung und 2.313 kVA Nennscheinleistung ausgelegt.
Kolumbien bleibt interessanter Markt
Der Projektleiter lässt nicht unerwähnt, dass der wirkungsgradstarke Maschinensatz mit einem umfangreichen „Condition Monitoring System“ ausgestattet wurde. „Dabei handelt es sich im Prinzip um ein intelligentes Überwachungssystem, das potentielle Störungen oder Materialverschleiß schon vor dem Auftreten konkreter Probleme erkennen kann. Die verschiedenen Sensoren befinden sich über den ganzen Maschinensatz verteilt und überwachen unter anderem die Lagerungen von Turbine, Getriebe und Generator sowie den Zustand des Getriebeöls.“ Nach der reibungslos verlaufenen Montage des Equipments im Herbst des Vorjahres, die von lokalen Kräften unter der Anleitung eines GUGLER-Supervisors durchgeführt wurde, konnte das Kraftwerk Alejandría II im Jänner 2023 erstmals Ökostrom produzieren. „Das Projekt ist vom Auftragseingang bis zur Inbetriebnahme wunschgemäß verlaufen, wobei auch diverse Hürden, die durch die Corona-Pandemie aufgetreten sind, bewältigt werden konnten. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt der guten Zusammenarbeit mit unseren kolumbianischen Partnern. Abgesehen von wenigen Kinderkrankheiten, die bei Anlagen dieser Größenordnung unweigerlich auftreten, funktioniert der Kraftwerksbetrieb seit der Erstinbetriebnahme sehr zufriedenstellend und zuverlässig“, bekräftigt Georg Brandstetter, der davon ausgeht, dass GUGLER schon bald sein zwölftes Wasserkraftprojekt in Kolumbien in Angriff nehmen wird.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 6/2023
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