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Kraftwerk Berschnerbach versorgt halb Walenstadt mit Strom aus regionalen Ressourcen6 min read

12. Dezember 2019, Lesedauer: 5 min

Kraftwerk Berschnerbach versorgt halb Walenstadt mit Strom aus regionalen Ressourcen6 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Bei einem Tag der offenen Tür wurde Ende Mai das in knapp 2,5 Jahren Bauzeit errichtete Kraftwerk Berschnerbach in der Gemeinde Walenstadt der Öffentlichkeit präsentiert.

Rund 21 Millionen CHF investierten die BKW AG sowie das lokale Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt in das mit beträchtlichem Bauaufwand umgesetzte Gemeinschaftsprojekt im Süden des Kantons St. Gallen. Zur Stromproduktion nutzt die Anlage über 400 m Fallhöhe und bis zu 1.000 l/s Ausbauwassermenge. Während die aufwändigen Hoch- und Tiefbauarbeiten von Schweizer Firmen ausgeführt wurden, setzten die Betreiber in technischer Hinsicht vor allem auf die Kompetenz zweier bewährter Unternehmen aus Südtirol. Die Troyer AG lieferte für die Zentrale ein elektromechanisches und leittechnisches Komplettpaket, dessen Herzstück eine 2-düsige horizontale Pelton-Turbine mit einer Engpassleistung von über 3,6 MW bildet. Den Großteil der Stahlwasserbaukomponenten, darunter ein Tiroler Wehr als Grobrechen, diverse Absperr- und Regulierschützen sowie ein spezielles 30 m langes Entsanderabzugsrohr nach dem Patent der Hochschule Rapperswil, fertigte die Wild Metal GmbH. Im Regeljahr kann die hocheffiziente Kleinanlage die Hälfte des Stromverbrauchs der Gemeinde Walenstadt abdecken.

Ein erstes Konzept zum Bau eines Wasserkraftwerks am Berschnerbach in Walenstadt auf dem Gebiet der Ortsgemeinde Berschis hatte ein lokaler Ingenieur bereits in den 1980er Jahren erstellt, aus wirtschaftlichen Gründen wurde das Projekt allerdings nicht weiterverfolgt. Mit der Einführung eines neuen Fördersystems für Strom aus erneuerbaren Quellen (KEV) im Jahr 2009 brachte der landesweit einsetzende Boom im Wasserkraftbereich auch frischen Wind für das auf Eis gelegte Projekte am Berschnerbach, erklärt Christian Dürr, Geschäftsführer des Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW): „2009 ist die BKW AG auf uns zugekommen, ob wir die Realisierung eines Kraftwerks am Berschnerbach gemeinsam vorantreiben wollen. Daraus hat sich schließlich die Projektpartnerschaft und 2013 die Gründung der Kraftwerk Berschnerbach AG ergeben, an der die BKW mit 49 Prozent und das WEW mit 51 Prozent beteiligt sind. Mit der Erfahrung der BKW beim Bau und Betrieb von zig Anlagen in der ganzen Schweiz und unserer regionalen Verankerung und der Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten hat sich von Beginn an eine gute Zusammenarbeit entwickelt.“ Nachdem BKW und WEW noch 2009 eine gemeinsame Absichtserklärung für den Kraftwerksbau unterzeichnet hatten, wurde das von einem Fachplaner ausgearbeitete Konzessionsgesuch im Jänner 2011 bei den kantonalen Behörden eingereicht. Durch Einsprüche von Umweltverbänden zog sich das Genehmigungsverfahren in die Länge. Die rechtskräftige Konzession wurde schließlich im November 2015 erteilt, der offizielle Spatenstich erfolgte rund ein Jahr später am 15. Dezember 2016.

Über 1.100 Stufen zur Fassung
Die Einrichtung der Baustelle hatte bereits im November zuvor gestartet, während der ersten Monate bis ins Frühjahr 2017 konzentrierten sich die Arbeiten auf die Energieerschließung des Projektgebiets durch das Herstellen der erdverlegten Stromleitung und den Vorbereitungen für die Geländemodellierung und Zwischendeponie. Zur Umsetzung der Hoch- und Tiefbauarbeiten wurde die ARGE Berschnerbach gegründet. Die ARGE bestand aus der für die Beton- und Außenarbeiten zuständigen Giger UWA AG und der Gasser Felstechnik AG, die die Felssicherungs-, Spezialtiefbau- und Untertagearbeiten durchführte. Für den Transport von Material und Werkstoffen zum abschüssig gelegenen Standort der Wasserfassung wurde eine temporäre Materialseilbahn errichtet. Weniger komfortabel hatten es die Arbeiter, diese mussten ab dem Ende der Zufahrtsstraße die letzten 200 Höhenmeter zur Baustelle im schwierigen Gelände zu Fuß überwinden. Die Ausbrucharbeiten, die komplett mittels Sprengvortrieb ausgeführt wurden, starteten im Mai mit den je 30 m langen Verbindungs- und Umgehungsstollen bei der Zentrale. Im Anschluss wurden der 126 m lange Unterwasserstollen und der Rohrstollen parallel vorangetrieben. „Der Rohrstollen verläuft auf seinen ersten 975 m mit einer konstanten Steigung von 11° und geht zum Schluss in einen 55° steilen Abschnitt über. Speziell in diesem 275 m langen Schrägschacht stellte das Einbringen und die Montage der mit Gussrohren auf Gleitschellen verlegten Druckleitung eine große Herausforderung dar“, sagt Christian Dürr. Der insgesamt rund 1,3 km lange Stollen dient nun als direkte Verbindung zwischen Zentrale und Wasserfassung, im Steilschacht geht es dabei angeleint am Sicherungsseil über mehr als 1.100 Stufen in die Höhe.

Massives Fassungsbauwerk
Während unter Tage ganzjährig am Vortrieb und Ausbau des Stollensystems gearbeitet werden konnte, mussten die Arbeiten an der Wasserfassung auf einer Höhe von 1.090 m.ü.M. witterungsbedingt während der Wintermonate eingestellt werden. Bis zum Wintereinbruch konnte der Rohbau der Wasserfassung und des Entsanders während der ersten Bausaison weit vorangetrieben werden. Vor allem die Betonplatte des Fassungsbauwerks verlangte aufgrund der geologischen Gegebenheiten am Fassungsbauwerk eine hochmassive Ausführung. Den Großteil der Stahlwasserbauausrüstung lieferte der Südtiroler Spezialist Wild Metal GmbH, der in der gesamten Schweiz auf eine Vielzahl von Vorzeigeprojekten verweisen kann. Die Ausleitung  an der Wehranlage erfolgt zunächst über ein 2,9 m langes und 2,5 m breites Tiroler Wehr, das als Grobrechen schwere Steine und Gehölz von der Triebwasserstrecke fernhält. Im Anschluss fließt das Triebwasser in das Entkieserbecken mit Feinrechen und Rechenreinigungsmaschine, die von einem Schweizer Unternehmen geliefert wurden. Der anschließende in einer Kaverne errichtete Entsander wurde von Wild Metal mit einem speziellen, 30 m langen Entsanderabzugsrohr DN600 nach dem Patent der Hochschule Rapperswil (HSR Entsander) ausgestattet. Dieses System bringt laut Wild Metal Geschäftsführer Markus Wild zwei zentrale Vorteile mit sich. Erstens wird das Spülen des Entsanders auch bei laufendem Kraftwerksbetrieb ermöglicht, der Wasserverlust dabei beläuft sich auf ein Minimum. Zweites kann mit dem HSR-System auf den Bau einer zweiten Entsanderkammer verzichtet werden, was sowohl Kosten- als auch Platzersparnis mit sich bringt. Komplettiert wurde das Wild Metal-Lieferprogramm durch die Einlauf-, Entkieser-, Restwasser- und Entsanderschütze und den Dammbalken für das Tiroler Wehr.

Kraftpaket mit 3,6 MW Engpassleistung
Zu Beginn der zweiten Sommersaison wurde weiter mit Hochdruck an der Fertigstellung und dem Ausbau der Wasserfassung gearbeitet, die Verlegung der Druckrohrleitung im Stollen startete im Spätherbst 2018. Die Montage der maschinellen Ausrüstung in der Zentrale erfolgte bereits im Dezember. Den Zuschlag zur Ausführung der kompletten elektromechanischen Ausstattung ging mit der Troyer AG an ein weiteres hocherfahrenes Unternehmen aus Südtirol. Neben dem Maschinensatz, bestehend aus der 2-düsigen horizontalen Pelton-Turbine und direkt gekoppeltem Synchron-Generator umfasste der Auftrag die Lieferung von Maschinentransformator, Steuerhydraulik, Eigenbedarfs­verteilung, Kühlsystem mit Einbindung der ­Trafokühlung sowie die vollautomatische Steuerung von Zentrale und Fassung. An der Wasserfassung wurden von Troyer bereits im Sommer 2018 der Einlauftrichter mit Rohrleitung bis zum Beginn der Druckleitung inklusive Durchflussmessung und Rohrbruchklappe installiert. Unter Volllast erreicht die Turbine eine Engpassleistung von 3.611 kW, darüber hinaus deckt die Maschine auch bei stark variierenden Zuflussbedingungen ein breites Betriebsband bei hohen Wirkungsgraden ab. Im ersten Quartal 2019 wurden die Installationsarbeiten in den Bereichen Stollen, Fassung und Zentrale parallel zu Ende geführt, das erste Andrehen der Turbine erfolgte am 19. April.

Erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt
Von der Generatorklemme wird der erzeugte Strom in der Zentrale an die Mittelspannungsschaltanlage und weiter an den Transformator geleitet, von dort gelangt der Strom über das rund 1,5 km lange Erdkabel zum Einspeisepunkt ins öffentliche Netz in Berschis. Mittels Onlineanbindung können Anlagenbetrieb und Stromproduktion rund um die Uhr von den für die Betriebsführung zuständigen Mitarbeitern des WEW überwacht werden. Mit der Aufnahme des Netzparallelbetriebs startete gleichzeitig der auf mehrere Wochen angesetzte Probebetrieb der Anlage. Rund 2,5 Jahre nach dem offiziellen Spatenstich luden die Betreiber Ende Mai zu einem Tag der offenen Tür, an dem Besuchern Funktion und Technik des hocheffizienten Kleinkraftwerks anschaulich nähergebracht wurden. Nach der Inbetriebnahme und dem wunschgemäß verlaufenen Probebetrieb ziehen die Verantwortlichen bei BKW und WEW einstimmig ein positives Fazit über das erfolgreiche Gemeinschaftsprojekt. Im Regeljahr rechnen die Betreiber mit einer durchschnittlichen Erzeugung von 12,4 GWh, womit rund die Hälfte des Jahresenergiebedarfs von Walenstadt aus regionaler Produktion abgedeckt werden kann.

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