Kraftwerkskette an der Wildschönauer Ache um ein neues Kleinkraftwerk erweitert7 min read
Lesedauer: 5 Minuten13 Jahre nach Einreichung des Projektes für ein Unterlieger-Kraftwerk an der Wildschönauer Ache in Tirol war es endlich soweit: 2019 schaltete die Ampel auf Grün für den Bau des neuen Kraftwerks Klamm II. Nach dem Baustart im Frühling 2020 und nach einer saisonbedingten Sommerpause der Bauarbeiten konnte das Öko-Kraftwerk im Frühjahr 2021 in den Probebetrieb gehen. Das neue Kleinkraftwerk liefert mit seinem leistungsstarken Maschinensatz im Regeljahr circa 3,7 GWh grünen Strom ins Netz der E-Werk Stadler GmbH. Mit dieser Menge können rund 900 Haushalte versorgt werden.
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Im Hochtal Wildschönau vertrauen die Bewohner in Sachen Stromversorgung auf die E-Werk Stadler GmbH, ein Privatunternehmen, das seit über 90 Jahren in der Region aktiv ist. Heute betreibt es in Summe 9 Kleinwasserkraftwerke und versorgt über ein 75 Kilometer langes Leitungsnetz rund 1.350 Abnehmer mit Ökostrom aus der Region. Mit seinen Kraftwerken, die auf eine Engpassleistung von 3 MW kommen, erzeugt die E-Werk Stadler GmbH im Jahr durchschnittlich etwa 21 GWh. Dabei fußt die Produktion vor allem auf der Nutzung der Wildschönauer Ache sowie zweier weiterer Gewässer im Hochtal. Nach einem langwierigen Genehmigungsprozedere konnte unlängst die Kraftwerkskette um ein zusätzliches Kleinkraftwerk erweitert werden.
13 Jahre zähe Verhandlungen
Das Konzept für die neue Anlage existierte schon eine ganze Weile. 2006 entschlossen sich die Verantwortlichen der E-Werk Stadler GmbH, die Pläne aus der Schublade zu holen und gemeinsam mit dem erfahrenen Planungsbüro Bernard Ingenieure aus Hall in Tirol ein Projekt für den letzten ungenützten Abschnitt an der Wildschönauer Ache auf Schiene zu bringen. „Wir haben das Projekt im Jahr 2006 beim Amt der Tiroler Landesregierung eingereicht. Nach einem anfänglichen negativen Naturschutzbescheid gingen wir in Revision. Letztlich wurde das Urteil vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben“, erinnert sich Matthias Stadler, der gemeinsam mit seinem Bruder Kajetan das Energieversorgungsunternehmen in dritter Generation leitet. Doch mit diesem Urteil waren keineswegs alle Hürden beseitigt. „Im Grunde haben dann die zähen und anstrengenden Verhandlungen von Neuem begonnen. Aber Mitte Dezember 2018 war es dann soweit: Endlich kam der langersehnte positive Naturschutzbescheid – das war wie ein Weihnachtsgeschenk!“ Nun fehlte nur noch der Wasserrechtsbescheid, der in weiterer Folge Ende 2019 erteilt wurde. Damit waren alle behördlichen Genehmigungen unter Dach und Fach. Der Projektumsetzung stand nichts mehr im Wege. Nachdem bereits während der Wasserrechtsverhandlungen mit den Ausschreibungen begonnen worden war, konnten die Baulose umgehend vergeben werden und die Bauarbeiten konnten noch im Winter 2020 starten. „Uns war wichtig, dass wir Maschinen- und Materiallieferungen sowie die Bauarbeiten nach Möglichkeit an heimische Firmen vergeben. Das ist uns auch recht gut gelungen“, sagt Matthias Stadler.
Wasser aus dem Oberlieger
Volles Vertrauen setzten die Bauherren und ihr Planer dabei einmal mehr auf die Baufirma Rieder-Bau aus Kufstein, die man zuvor bereits bei zwei anderen Kraftwerksprojekten engagiert hatte und mit der man bislang immer sehr zufrieden war. Gemeinsam mit dem lokalen Baggerunternehmen J. Stadler konnte im Februar 2020 mit den Bauarbeiten am Übergabebauwerk gestartet werden. Ein eigenes Fassungsbauwerk war nicht vorgesehen. Gemäß des umweltfreundlichen Baukonzepts wird für das neue Kraftwerk Klamm II kein zusätzliches Wasser aus der Wildschönauer Ache ausgeleitet, sondern das abgearbeitete Betriebswasser der Oberliegeranlage übernommen. Die dafür erforderlichen Bauarbeiten gestalteten sich allerdings durchaus anspruchsvoll. Matthias Stadler: „Die Baugrube für das Übergabebauwerk erreichte eine Tiefe von 12 Metern, weil die Wildschönauer-Ache von der Druckrohrleitung unterquert werden musste.“
Maschinenhaus unter Wanderweg
Nach Fertigstellung dieses Bauabschnittes wurde umgehend mit dem Bau des circa 1,1 km entfernten Maschinenhauses begonnen. Von einem „Haus“ im eigentlichen Sinne ist dabei allerdings nicht die Rede. Das Krafthaus wurde ebenfalls komplett im Gelände versenkt angelegt – heute ist davon nichts mehr zu sehen. „Das Maschinenhaus liegt genau im Wanderweg, der durch die bekannte „Kundler Klamm“ führt. Für die Bauarbeiten bedeutete das, dass die 9 Meter tiefe Baugrube zum Beginn der Wandersaison im Juni wieder zugeschüttet sein musste, sodass der Wanderweg danach über die gesamte Wandersaison hinweg problemlos begehbar ist. Da war Eile angesagt“, erinnert sich Matthias Stadler. Dabei musste das Gelände aufwändig gesichert werden, die Bauarbeiten wurden unter geologischer Bauaufsicht durchgeführt. Im Nachhinein zieht der Betreiber ein rundum positives Resümee: „Die vorgegebenen Bautermine haben wir trotz des starken Regens zu Baubeginn und der allgegenwärtigen Corona-Pandemie alle eingehalten. Und die Bauarbeiten wurden zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt“, so Stadler.
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Rohrverlegung im Herbst
Nach der saisonbedingten Sommerpause konnten die Bauarbeiten Anfang Oktober mit der Verlegung der Druckrohrleitung wieder aufgenommen werden. Die Rohrtrasse erstreckt sich dabei über die gesamte Länge von 1.080 m entlang des Wanderwegs zur „Kundler Klamm“. Doch im Untergrund des Wanderwegs existierte mit dem regionalen Abwasserkanal für die innere Wildschönau bereits eine Leitung, was die Verlegung der Druckrohrleitung verständlicherweise erschwerte. Matthias Stadler: „Im Zuge der Verlegung der Druckrohrleitung musste auch der gesamte Abwasserkanal neu verlegt werden und durfte dabei in seiner Funktion nicht eingeschränkt werden. Das war eine beträchtliche Herausforderung, die von der beauftragten Baufirma mustergültig bewältigt wurde.“ Beim Rohrmaterial griffen die Bauherren auf Gussrohre DN1000 zurück, die vom namhaften Tiroler Rohrspezialisten TRM – Tiroler Rohre GmbH geliefert worden waren. Durch ihre Abwinkelbarkeit in den Muffen konnten sie sehr gut an den natürlichen Verlauf des Wanderwegs angepasst und somit auch spezielle Formstücke eingespart werden. Mit der Rohrleitung wurden auch die Energie- und Steuerkabel zur Anbindung an die Oberliegeranlage und ins Netz der E-Werk Stadler GmbH mitverlegt. Die gesamten Verlegearbeiten wurden von der Baufirma PORR zur vollsten Zufriedenheit der Bauherrschaft durchgeführt und konnten sogar vor dem geplanten Termin mit der erfolgreichen Druckprobe abgeschlossen werden.
Wasserkraft-Know-how aus Tirol
Das Herz der neuen Anlage im unterirdischen Maschinenhaus besteht aus einer Francis-Spiralturbine aus dem Hause GEPPERT mit direkt gekoppeltem Hitzinger-Generator. Der Maschinensatz wurde noch in den Wintermonaten 2020/21 montiert und anschließend in Betrieb gesetzt. Bei einer Ausbauwassermenge von 1,4 m³/s und einer effektiven Fallhöhe von 43 m erreicht das Maschinengespann eine Engpassleistung von 585 kW. Dank der ausgereiften Technik ist ein ausfallsicherer und effektiver Produktionsbetrieb über Jahre garantiert.
Die gesamte elektro-, visualisierungs- und leittechnische Anlage wurde von einem weiteren bekannten Branchenunternehmen geliefert. Und zwar vom Südtiroler Wasserkraftspezialisten EN-CO, der sich weit über die Grenzen Südtirols hinaus einen Namen in Sachen Kraftwerks- und Netzleittechnik gemacht hat und der auch der E-Werk Stadler GmbH schon bestens bekannt war. Eine Besonderheit der Kraftwerkssteuerung ist die von der Firma EN-CO installierte Taucheranlage, die nach dem Prinzip des Tauchsieders funktioniert, und die mit ihrer Leistungskapazität von 1,6 MW einen Inselbetrieb ermöglicht. Dabei ist die Steuer- und Regelungseinheit mit der Oberliegeranlage gekoppelt. Der Inselbetrieb ist ein wichtiger Punkt für die E-Werk Stadler GmbH, schließlich kann damit sogar in Notfällen die Versorgung der Stromabnehmer im eigenen Netz sichergestellt werden. Von einem Südtiroler Branchenspezialisten stammt auch die stahlwasserbauliche Ausrüstung des Kraftwerks. Die erforderlichen Absperrschützen, ausgeführt als 4-seitig dichtende Gleitschütze mit Elektroantrieb mit der Dimension 2,2 m x 1,85 m, lieferte die Firma Wild Metal in bekannt hoher Qualität. Die Stahlbauprofis aus Ratschings übernahmen dabei auch die fachgerechte Montage der Bauteile.
Inbetriebnahme nach 9 Monaten Bauzeit
Im März 2021 war es schließlich soweit. Das Kraftwerk Klamm II konnte nach einigen Testläufen in den Probebetrieb gehen und lieferte den ersten Öko-Strom ins Netz der E-Werk Stadler GmbH. Mit Einsetzen der Schneeschmelze gegen Ende April konnte dann die Maschine ihre Qualitäten unter Volllast unter Beweis stellen. Grundsätzlich – so resümiert Matthias Stadler zufrieden – sei das erste Betriebsjahr des neuen Kraftwerkes sehr positiv verlaufen: „Die Anlage kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für die Grundversorgung der Wildschönau mit sauberem Strom aus heimischer Wasserkraft.“ Mit einem Regelarbeitsvermögen von circa 3.700 MWh können rund 900 Haushalte im Hochtal Wildschönau mit Strom versorgt werden. Umgerechnet auf eine mögliche Fahrstrecke für Elektroautos, wären das circa 18,5 Millionen Kilometer emissionsfrei gefahrene Kilometer. Die E-Werk Stadler GmbH hat mit diesem Kraftwerk eine weitere Stütze zu den bestehenden Anlagen gewonnen und kann heute als regionaler Stromversorger der Wildschönau rund 87 Prozent des Strombedarfes aus eigener Wasserkraftproduktion abdecken.
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