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KW Faltenbach ans Netz gegangen6 min read

18. Feber 2014, Lesedauer: 4 min

KW Faltenbach ans Netz gegangen6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Nach rund zweijähriger Bauzeit konnte in Deutschlands südlichster Marktgemeinde Oberstdorf das neue Kraftwerk Faltenbach den Betrieb aufnehmen.

In einem Gemeinschaftsprojekt von Energieversorgung Oberstdorf GmbH (EVO) und dem „Verein der ehemaligen Rechtler“ wurde ein Kraftwerk realisiert, das als erweiterter Ersatzbau für das alte Trinkwasserkraftwerk – Baujahr 1928 – am Kühberg zu sehen ist. Mit modernster Wasserkrafttechnik aus dem Hause Troyer AG wird im Vergleich zur alten Anlage nun gleich sechsmal mehr Strom erzeugt. Darüber hinaus wurden im Rahmen eines umfangreichen Renaturierungs- und Ausgleichskonzeptes auch der Natur und der Landschaft im bekannten Oberallgäuer Tourismusort Rechnung getragen.

Dass man die potenzielle Energie des
Trinkwassers in einer Gemeinde mit
einer Topographie wie jener von
Oberstdorf auch zur Stromerzeugung nutzen
kann, war den Elektrizitätspionieren in der
Oberallgäuer Gemeinde schon in den 20er
Jahren des letzten Jahrhunderts klar. Und so
errichtete die Gemeinde 1928 direkt neben
dem Hochbehälter ein kleines Krafthaus, in
dem das Wasser aus einer Quellfassung von
einer einstrahligen Peltonturbine abgearbeitet
wurde, bevor es in den Trinkwasserleitungen
verteilt wurde. Mit installierten 120 kW lieferte
das Werk immerhin 700.000 kWh im
Jahr. „In den 1960ern wurde die Trinkwas-serversorgung
aus diesen Quellen eingestellt. Vor
allem deshalb, weil Abwässer vom Nebel-horn
die Quellen beeinträchtigt hatten. Das
Kraftwerk wurde aber weiter betrieben“,
erklärt Hans-Peter Hagenauer, Prokurist der
Energieversorgung Oberstdorf, der mitverantwortlich
für den Kraftwerksbau war. Abgesehen
von kleineren Anpassungen – wie etwa
einem Generatortausch – lief das Kleinkraftwerk
als eines von vier Kraftwerken der EVO
weiter bis vor zwei Jahren.
„1996 hat man sich erstmals die Frage nach
dem Ausbau der alten Anlage gestellt. In der
Folge wurde zwar ein Gutachten erstellt, das
Vorhaben letztlich aber nicht konsequent
weiter verfolgt. Erst 2003 wurde es dann konkret,
als der Aufsichtsrat der Energieversorgung
Oberstdorf GmbH die Planungen
wieder aufnahm“, erzählt Peter Müller,
Geschäftsführer der EVO. Nachdem die
Genehmigungsverfahren im Jahr 2007 auf
die Zielgerade eingebogen waren, führte ein
Bürgerbegehren gegen den Kraftwerksbau das
Projekt erneut in die Warteschleife.
Glücklicherweise nicht für lange, schließlich
fiel – bei unerreichtem Quorum – das Votum
doch zugunsten des Bauvorhabens aus. Im April 2008 beschloss die Gemeinde, das neue
Kraftwerk am Faltenbach zu bauen. Als
Besitzgesellschaft wurde die Kraftwerk
Faltenbach GmbH & CoKG gegründet, die
zu je 50 Prozent von der Energieversorgung
Oberstdorf GmbH und dem „Verein der ehemaligen
Rechtler“ gehalten wird. Die Be –
triebs führung obliegt der Energieversorung
Oberstdorf GmbH. Als 2009 in weiterer
Folge die wasserrechtliche Genehmigung vorlag,
konnte noch im Spätherbst mit der
Errichtung der Baustraße begonnen werden.
Im Dezember, gerade noch vor Wintereinbruch,
war diese fertiggestellt.
REGEN BRINGT HANG IN BEWEGUNG
Nach der Schneeschmelze sollten die eigentlichen
Baumaßnahmen starten. Doch gerade
als die Arbeiten im Juni 2010 Fahrt aufnahmen,
passierte das Unglück: rund 150 Meter
unterhalb der geplanten Wasserfassung kam
es in einem Bereich von rund 100 Meter nach
starken Niederschlägen über Wochen zu
mehreren Hangrutschen. Zum Glück waren
keine Personen zu Schaden gekommen,
jedoch wurde ein sofortiger Baustopp angeordnet.
In der Folge waren Tekturplanungen,
geologische Gutachten und weitere behördliche
Genehmigungen erforderlich, um das
Bauvorhaben wieder aufnehmen zu können.
Bis dahin waren allerdings schon wieder einige
Monate vergangen, erst im Oktober 2010
wurde für die Arbeiten in diesem Bereich wieder
grünes Licht erteilt.
„Dieser Teilabschnitt mit dem Hangrutsch
hat uns mehr Zeit und Nerven gekostet als
der gesamte Kraftwerksbau“, schildert Franz
Berktold, Vorsitzender des „Vereins der ehemaligen
Rechtler“ und Geschäftsführer der
Kraftwerk Faltenbach GmbH & CoKG, diese
heikle Projektphase. „Es hat uns natürlich
auch gezeigt, dass man trotz sorgfältigster
Planung in alpinem Gelände stets ein gewisses
Restrisiko mit einkalkulieren muss. Am
Ende schlugen sich zwar höhere Bau- und
Renaturierungskosten zu Buche, allerdings ist
heute die Standfestigkeit der Druckrohrleitung
durch die erfolgten Verbauungen gewährleistet“,
so Peter Müller, Geschäftsführer
der Kraftwerk Faltenbach GmbH & CoKG
Der Abschnitt wurde in der Folge mit
Stahlankern und Spritzbeton gesichert.
Von April bis Juli dieses Jahres konnte letztlich
der fehlende Teil der Rohrleitung im Problembereich
der Trasse fertiggestellt werden.
RECHEN MIT SELBSTREINIGUNGSEFFEKT
Grundsätzlich wurde das Kraftwerk entsprechend
der umfangreichen, wirtschaftlichen
Studien von 1996 umgesetzt. Das Konzept
umfasste eine Fassung über ein Tiroler Wehr
mit einem Sandfang, eine knapp 1,47 km
langen Druckrohrleitung DN 600 sowie ein
Krafthaus direkt an der Trettach, in direkter
Nachbarschaft zur Talstation der Nebel-hornbahn.
Im Detail wurde auf 1.100 Meter Seehöhe
eine Wasserfassung errichtet, in der viel alpines
Wasserkraft-Know-how steckt. So wurde
etwa ein Coanda-Rechen, Typ „Grizzly“ vom
Südtiroler Hersteller Wild Metal, installiert.
Dabei handelt es sich um ein zum Großteil
selbstreinigendes Schutzsieb. Durch die
geringe Spaltweite ist der Sandeintrag in die
Wasserfassung äußerst gering. „Tatsächlich
werden am Coanda-Rechen schon so große
Mengen an Sedimenten abgeschieden, dass
wir höchstens alle paar Monate einmal den
Sandfang spülen müssen“, bestätigt Hans-
Peter Hagenauer.
Über zwei Restwasserabflussöffnungen im
Sandfang wird die konstante Sommer- und
Winterdotation abgegeben. Der zuflussabhängige
dynamische Restwasseranteil in der
Höhe von 20 Prozent wird über Einlage-
Bleche auf dem Tirolerwehr abgeleitet.
Von der Fassung gelangt das Triebwasser weiter
in die Druckrohrleitung, die aus Rohren
aus duktilem Guss vom französischen Hersteller
Saint-Gobain besteht. Die Rohrleitung
wurde in zug- und schubfester Ausführung
verlegt. 270 Meter überwindet das Wasser in
der 1.466 m langen Druckrohrleitung, ehe es
zur Turbine im Maschinenhaus gelangt.
EFFIZIENZ IM MASCHINENHAUS
Optisch wurde das Maschinenhaus so gestaltet,
dass die Technik im Inneren für Interessierte
sichtbar wird. Große Glasflächen erlauben
einen Blick auf das Herz des Kraftwerks:
eine vierdüsige Peltonturbine aus dem Hause
Troyer AG, die einen bürstenlosen Drehstrom-
Synchrongenerator – Fabrikat Hitzinger
– antreibt. Zwar hatte die EVO noch keine
Erfahrungen mit Turbinen von der Troyer
AG gemacht, doch das hohe technische
Niveau überzeugte die Verantwortlichen
recht schnell. Hagenauer: „Im Vergleich mit
allen Anbietern hat die Turbine der Troyer
AG am besten abgeschnitten, vor allem der Wirkungsgrad hat uns beeindruckt. Unser
beauftragtes Planungsbüro hat sich in der
Folge auch selbst ein Bild von Referenz an –
lagen gemacht, die von Troyer ausgerüstet
worden waren. Und das war letztlich ein weiterer,
dicker Pluspunkt für das Südtiroler
Unternehmen.“ Was darüber hinaus für die
Troyer AG sprach, war die Option für den
Kunden, die komplette elektromaschinelle
Ausstattung vom Sterzinger Traditionsunternehmen
zu beziehen. Ein Ansprechpartner
für alle Fragen in Sachen Maschinen- und
Steuerungs- bzw. Leittechnik – auch dieser
Kundenvorteil wurde von den Projektbetreibern
gutgeheißen.
Die vierdüsige Peltonturbine mit einer
Nenndrehzahl von 1.000 Upm ist bei einer
Ausbauwassermenge von 690 l/s und einer
Nettofallhöhe von 245 m auf eine Ausbauleistung
von 1.490 kW ausgelegt. Im Regeljahr
kann die Anlage 50 Tage auf Volllast
betrieben werden. Die mittlere Jahresleistung
wird mit rund 440 kW angegeben. Der
Maschinensatz, der sich nicht nur durch die
hohen Wirkungsgrade und durch die bekannt
hohe Verfügbarkeit auszeichnet,
besticht zudem durch einen geräuscharmen
Betrieb. In Summe wird das Maschinengespann
jährlich rund 4 Mio. kWh erzeugen.
ORT MIT WASSERKRAFT-PERSPEKTIVE
Mit dieser Erzeugungskapazität ist das neue
Kraftwerk Faltenbach nun das zweitstärkste
Kraftwerk der vier Anlagen der Energieversorgung
Oberstdorf. In Summe produziert
das Quartett rund 20 Mio. kWh im Jahr.
„Für uns bedeutet das, dass wir alleine mit
Wasserkraft rund 40 Prozent des Strombedarfs
in Oberstdorf abdecken. Zählt man
alle regenerativen Energiequellen zusammen,
erreichen wir rund 50 Prozent“, rechnet
Hagenauer. Sieht man sich die weiteren
Perspektiven der Oberallgäuer Gemeinde an,
die flächenmäßig immerhin die drittgrößte
Bayerns ist, so scheint in Sachen Wasserkraft
noch einiges möglich zu sein: Zwölf weitere,
potenzielle Standorte für Wasserkraftwerke
sind im Ge-spräch. Erst unlängst wurde im
Rahmen einer Gemeinderatssitzung deren
Realisierbarkeit diskutiert. Würden alle zwölf
dieser möglichen Anlagen verwirklicht, würde
dies für Oberstdorf den Sprung in die
rechnerische Selbstversorgung bedeuten. Die
ganze Gemeinde könnte vollständig über
Strom aus Wasserkraft versorgt werden. Dass
nun alle Pläne in die Tat umgesetzt werden,
erscheint derzeit unwahrscheinlich. Doch die
Zustimmung für die Wasserkraft hat sich in
der Bevölkerung nach dem Atomunfall in
Japan noch weiter verstärkt. Und hinzukommt,
dass heute in Oberstdorf jeder anhand
des neuen Kraftwerks Faltenbach sehen
kann, wie moderne, effiziente und umweltfreundliche
Wasserkraftnutzung funktioniert.
Die Anlage selbst ist die beste Werbung.

 

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