KW Obermatt: Leistungsplus von 15 %10 min read
Lesedauer: 7 MinutenDer Aufwand für die Umbauarbeiten hatte sich am Ende gelohnt. Mit einem Leistungsplus von knapp 15 % startete das Traditionskraftwerk Obermatt der Energie Wasser Luzern (ewl) im Frühling 2012 wieder den Betrieb.
Die über 100-jährige Kraftwerksanlage in der bekannten Gemeinde Engelberg in der Zentralschweiz wurde vom Südtiroler Wasserkraft-Spezialisten Troyer AG mit einem neuen Maschinensatz ausgerüstet, der zwei alte Maschinengespanne aus den 1940er Jahren ersetzt. Dieser soll jährlich rund 60 GWh der insgesamt 130 GWh erzeugen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als der Hunger nach Elektrizität in der Stadt Luzern massiv wuchs, galt es nach effizienten Optionen für die Wasserkraftnutzung Ausschau zu halten. Fündig wurden die „Scouts“ der Stadtväter schließlich in Engelberg, wo es offenbar weder an verfügbarem Wasser noch an geeigneten Gefällsstufen mangelte. Der Plan für das Kraftwerk Obermatt war geboren. „Hier waren zweifellos Pioniere der Elektrifizierung ersten Ranges am Werk. Der erste Direktor des Elektrizitätswerkes der Stadt Luzern, Viktor Troller, der bereits für die Errichtung des berühmten Kraftwerks Thorenberg in den 1880er Jahren verantwortlich war, hatte sich damals mit dem Engelberger Hotelier Eugen Hess zusammengetan, um das Kraftwerk Obermatt zu verwirklichen. Wie sich herausstellen sollte, wurde es eine fruchtbare Zusammenarbeit“, erzählt der Projektleiter der ewl, Rolf Stalder, der bestens mit der Geschichte des Kraftwerks Obermatt vertraut ist.
START MIT VERZÖGERUNG
Allerdings hielt das Projekt zu Zeiten der Errichtung, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einige Tücken und Fallstricke für die Erbauer bereit. Besonders die Zuleitung aus dem Eugenisee, dem unmittelbar neben der Siedlung von Engelberg angelegten Speichersee, bis zum Wasserschloss, bereitete den Erbauern Schwierigkeiten. Die Trasse führte durch äußerst rutschigen Untergrund, wodurch der Bauplan in Verzug geriet. Letztlich wurde die Anlage erst im Herbst – und nicht wie geplant im Frühling – 1905 in Betrieb genommen. Das ursprüngliche Kraftwerkskonzept umfasste neben dem Speichersee und dem Wasserschloss noch zwei Druckleitungen und die Maschinenzentrale Obermatt, in der Turbinen mit einer Ausbauleistung von 10.600 PS (ca. 7,8 MW) installiert waren. Mit dem erzeugten Strom wurden anfänglich die Stadt Luzern sowie das Klosterdorf Engelberg und die Stansstad-Engelberg-Bahn versorgt. Mit dem weiteren Ausbau in den folgenden Jahrzehnten wurden auch Gemeinden des Kantons Nidwalden an das Stromnetz angeschlossen. Der größte Ausbau der Anlage erfolgte in den Jahren 1959 bis 1965, als die Leistung auf 30 MW erhöht wurde. Das heutige Konzept des Traditionskraftwerks entspricht im Wesentlichen dem Resultat dieser umfassenden Erweiterung.
FÜNF MASCHINEN IM EINSATZ
Der Eugenisee auf dem Hochplateau von Engelberg dient als Speichersee, der von 6 Zuflüssen gespeist wird. Von hier aus wird das Wasser über einen 2.587 Meter langen Druckstollen bis zum Wasserschloss geführt. Dieses gelangt anschließend in den Druckrohrleitungsstrang, der sich über eine Gefällsstufe von 312,5 Metern bis zur Maschinenzentrale Obermatt auf rund 670 Meter Seehöhe erstreckt. Das turbinierte Wasser wird von den Turbinenausläufen in einen Sammelschacht geleitet, der es in das tiefer gelegene Ausgleichsbecken Dallenwil leitet. Dabei wird ein schwankender Höhenunterschied von rund 14 bis 20 Metern überwunden, der ebenfalls energetisch genutzt wird. Eine Kaplanturbine in der Nebenzentrale liefert zusätzlich 1,5 MW. In der Maschinenzentrale Obermatt, die heute als Industriedenkmal unter Schutz steht, waren bis vergangenen Herbst vier Maschinensätze für die Produktion von Normalstrom installiert – sowie ein fünfter zur Erzeugung von Bahnstrom. „Bis vor mehr als einem Jahr hat die Bahnstrommaschine noch jeden Sonntag Strom für die Bahn geliefert. Doch nach Inbetriebnahme des neuen Frequenzumrichters war auch dies nicht mehr erforderlich. Bei Bedarf kann dieser den Bahnstrom bereitstellen, der alte Maschinensatz wurde daher stillgesetzt“, erklärt Stalder.
70-JÄHRIGE MIT SCHWÄCHEN
Was die anderen Maschinensätze betrifft, so wurden die beiden auf je 12 MW ausgelegten Turbinen sowie die angeschlossenen Generatoren aus den 1960er Jahren bereits einer Revision unterzogen und präsentieren sich aktuell in sehr gutem Zustand. Gleiches konnte man von den zwei Turbine-Generator-Gruppen aus den 1940ern, die auf jeweils 3,5 MW ausgelegt waren, allerdings nicht mehr behaupten. „Die Maschinensätze waren nicht nur wartungsaufwändig und nicht mehr besonders effizient, sondern auch laut und produzierten enorm viel Abwärme. Es bestand Handlungsbedarf“, so Stalder. Nach eingehenden Variantenstudien beschloss man, die beiden Maschinensätze durch einen einzigen zu ersetzen. Anstelle der horizontalachsigen Turbinen sollte also eine vertikalachsige, vierdüsige Turbine treten. 2010 erfolgte eine internationale Ausschreibung, in der sich das Südtiroler Traditionsunternehmen Troyer AG als Bestbieter durchsetzen konnte. Als Generalunternehmer zeichnete der Wasserkraft – spezialist aus Sterzing sowohl für die Turbine als auch für den Generator, deren Auslegung, Fertigung, Montage und Inbetriebsetzung verantwortlich. Der Umbau wurde für die Niedrigwasserperiode im Winter 2011/2012 festgelegt.
MIT FINGERSPITZENGEFÜHL ANS WERK
„Unser Ziel lautete, mit dem Umbau vor der Schneeschmelze fertig zu werden. Dabei waren wir uns nicht ganz sicher, ob das zu schaffen ist. Schließlich hatten wir keine genauen Vorstellungen, was uns im Untergrund erwartete, als wir den Boden in der Maschinenzentrale aufgebrochen hatten“, reißt Stalder einen Aspekt an, warum Umbauten im Bestand generell mit großen Herausforderungen verbunden sind. „Außerdem kam hinzu, dass wir unter allen Umständen Vibrationen und Erschütterungen zu vermeiden hatten, die einerseits die 100-jährige Gebäudesubstanz oder andererseits die anderen Maschinensätze in Mitleidenschaft ziehen hätten können.“ Es war somit von den beauftragten Unternehmen auch jede Menge Fingerspitzengefühl gefragt. Immerhin musste für das Fundament der neuen Turbine ein 5 Meter tiefes Loch gegraben werden – und später, im Zuge der Montagearbeiten – mussten die tonnenschweren Maschinen möglichst sacht an ihren Bestimmungsort verbracht werden.
UMBAU IM LAUFENDEN BETRIEB
Dass die Umrüstung abgeschlossen sein sollte, noch bevor das Schmelzwasser talwärts stürzt, erscheint naheliegend. Denn in den Wintermonaten geht die Erzeugung mit der Verringerung des Triebwasserdargebotes üblicherweise stark zurück. In dieser Zeit wird die Kraftwerksanlage nachts abgestellt, um den Speichersee zu füllen – und die Maschinen werden tagsüber zur Erzeugung von Spitzenstrom vor allem mittags und abends eingesetzt. „Für uns steht dann im Vordergrund, dass wir den teuren Spitzenstrom nicht zukaufen müssen. Durch den Grundwasserausfluss in Engelberg wird der Eugenisee auch an sehr kalten Tagen noch mit rund 3 m3/s gespeist“, so der Projektleiter der ewl. Der mbau in der abgelaufenen Niederwasserphase erfolgte demnach bei laufendem Betrieb. Ein aschinensatz sei ständig in Betrieb gewesen.
UM 15 PROZENT MEHR LEISTUNG
Für die Monteure der Troyer AG wurde das Kraftwerk Obermatt zur „Adventbaustelle“: das Gehäuse samt Ringleitung wurde unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen 2011 montiert. Und kurz nach dem Jahreswechsel konnte das Gehäuse bereits einbetoniert werden. Die neue Turbine entspricht den höchsten Standards, die die heutige Wasserkrafttechnik kennt. So wurde das 1.500 kg schwere Peltonlaufrad aus einem Monoblock gefräst. Über knapp sechs Wochen dauerten die auf den ikrometer enauen Fräs-, Schleif- und Polierarbeiten, ehe das Laufrad aus hochwertigem Stahl seine endgültige Form erreicht hatte. Die Regler der Düsennadeln sind innenseitig angelegt, ebenso die Steuerung des Strahlablenkers. „Wir hatten die Firma Troyer AG vorher noch nicht gekannt. Aber im Nachhinein waren wir hoch zufrieden, sowohl was die Verlässlichkeit als auch was die Qualität der Maschine angeht“, lobt Rolf Stalder. Bei einer Fallhöhe von 310 Meter und einer Ausbauwassermenge von 3,0 m3/s erreicht die 4-düsige Turbine – wie kalkuliert – 8 MW Leistung. Zum Vergleich: Die beiden ausgetauschten Maschinensätze kamen zusammen unter identen hydrologischen Bedingungen auf gerade 7 MW. Das bedeutet also ein Leistungsplus von circa 15 Prozent.
INSELBETRIEBSFÄHIGKEIT – EINE WICHTIGE QUALITÄT
Terminlich legte man mit dem Umbau geradezu eine Punktlandung hin. Seit Anfang Mai dieses Jahres ist der neue Maschinensatz, bestehend aus der vertikalachsigen Peltonturbine aus dem Hause Troyer AG und dem direkt gekoppelten Synchrongenerator des Bremer Qualitätsherstellers LDW (Lloyd Dynamowerke), im Regelbetrieb und arbeitet verlässlich wie ein Uhrwerk. Dem neuen Maschinengespann kommt heute in der Betriebsführung des Kraftwerks Obermatt auch erhöhte Bedeutung zu. Auf der einen Seite wird dieses ob seiner Effizienz nun prioritär eingesetzt – und wird rund 60 GWh der insgesamt 130 GWh des Regelarbeitsvermögens aufbringen. Und auf der anderen Seite stellt es auch die Inselbetriebsfähigkeit des Kraftwerks sicher. Die Maschine wurde sowohl inselbetriebs- als auch schwarzstartfähig ausgeführt. Wie wichtig diese Funktion in der gelebten Praxis eines EVUs sein kann, weiß Rolf Stalder aus den Erfahrungen von 2005 zu berichten: „Das Hochwasser von 2005 brachte enorme Schäden für Engelberg. Nicht genug, dass weite Teile der Straße weggerissen wurden. Darüber hinaus war Engelberg auch über Wochen von den großen Stromleitungen abgeschlossen. Trotzdem ist es gelungen, den Ort mit dem Kraftwerk Obermatt im Inselbetrieb zu versorgen. Aus diesem Grund legten wir auch großen Wert auf die Inselbetriebsfähigkeit des neuen Maschinensatzes – und haben daher auch die USV verstärkt.“
DIE STROMQUELLE FÜR LUZERN
Generell bringt der neue Maschinensatz weit reichende Verbesserungen für das Traditionskraftwerk der ewl mit sich. „Früher war natürlich auch die Wartung aufwändiger, und vieles im laufenden Betrieb musste noch manuell erledigt werden. Heute kann das Kraftwerk von unserer Leitstelle in Luzern aus deutlich effektiver ferngesteuert werden“, erklärt Stalder. Mit dem erfolgreichen Umbau hat das Kraftwerk Obermatt einen bedeutenden Schritt in seiner technologischen Weiterentwicklung gemacht – und bleibt somit nach wie vor die wichtige Energiequelle der Stadt Luzern, als die es seine Erbauer vor über 100 Jahren konzipiert hatten. Noch immer steuert die Anlage rund ein Drittel des Luzerner Stromverbrauchs bei – und stellt zugleich das Rückgrat der Stromversorgung des bekannten Wintersportortes Engelberg sicher. Die Investition in die Modernisierung macht sich demnach schon heute bezahlt.
EIN 55–TONNER SORGT FÜR SPANNUNG
Der neue Synchrongenerator wurde mit Bedacht von den Verantwortlichen der Troyer AG ausgewählt. Man entschied sich für einen bürstenlosen Synchrongenerator des norddeutschen Herstellers LDW (Lloyd Dynamowerke), der durch hohe Effizienz, Robustheit und Spannungskonstanz besticht. Im Februar 2012 wurde das 55 Tonnen schwere Maschinenungetüm von der Weser an seinen Bestimmungsort in Engelberg geliefert und montiert. Seit Anfang Mai ist der Maschinensatz im Regelbetrieb. Nach der erfolgten Montage der vierdüsigen Peltonturbine im Januar dieses Jahres konnte im Februar der Synchrongenerator folgen, der den langen Weg von Bremen in die Zentralschweiz antreten sollte. Ganz bewusst war die Wahl der Verantwortlichen auf eine Maschine der Lloyd Dynamowerke gefallen. Im Werk in Bremen wird nach wie vor jeder Generator exakt an die jeweiligen Anforderungen und Bedürfnisse des Kunden angepasst – sozusagen maßgeschneidert. Mit einer Erfahrung aus fast 100 Jahren werden in Bremen Generatoren für die Wasserkraft hergestellt, von 0,4 kV bis 16 kV Nennspannung und von 4-poligen bis zu 60-poligen Maschinen. Für das Kraftwerk Obermatt wurde ein bürstenloser Synchrongenerator mit einer Ausbauleistung von 10 MVA gefertigt, dessen Rotorwelle direkt an das Laufrad der Peltonturbine geflanscht wurde. Der Generator wird mit einer Nenndrehzahl von 600 Upm betrieben.
WINTERHEIZUNG FÜR DIE MASCHINENHALLE
Für die Betreiber war entscheidend, dass dank des neuen Generators die Erregung nicht mehr länger über rotierende Bürsten erfolgen musste. Wie bei modernen Synchrongeneratoren üblich, funktioniert die Erregung für das Feld nun über die integrierte Erregermaschine, also eine rotierende Gleichrichterbrücke. Im Gegensatz zu den alten Maschinen hält sich die Temperatur des neuen Generators auch unter Volllast stets im moderaten Bereich. Dies wird über ein Kühlsystem bewerkstelligt, dessen funktionellen Kern ein integrierter Luft-Wasser-Wärmetauscher darstellt. Zusätzlich wurde eine motorische Umschaltung für eine Beheizungsfunktion eingebaut. In den kalten Wintermonaten sorgt der Generator somit auch für Wärme in der Maschinenzentrale. Die Montage des 55 Tonnen schweren Synchrongenerators entpuppte sich zwar als eine der größten Herausforderungen im Zuge der Umbaumaßnahmen. Doch am Ende gelang auch dieses Unterfangen mustergültig, sodass der neue Maschinensatz rechtzeitig zum Einsetzen der Schneeschmelze Anfang Mai die Stromproduktion aufnehmen konnte. Mit der neuen Maschinenlösung wurde die Stromerzeugung im Traditionskraftwerk der ewl nun sowohl auf effiziente als auch auf sichere Beine gestellt.
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