KW Susasca – Zweite Ausbaustufe bringt Leistungsschub und Optimierungspaket10 min read
Lesedauer: 7 MinutenAls eines der modernsten Wasserkraftwerke des Unterengadins wurde im Sommer 2011 das Kraftwerk Susasca am Fuße des Flüelapasses eingeweiht. Nun hat die Anlage ihre zweite und zugleich letzte Ausbaustufe erreicht.
Mit einer weiteren 4-düsigen und 3 MW starken Peltonturbine wurde die installierte Maschinenleistung verdoppelt, womit sich die Gesamtproduktion im Schnitt um etwa 50 Prozent erhöhen wird. Parallel dazu wurden Sanierungs- und Optimierungsarbeiten an der Wasserfassung La Jenna durchgeführt, wobei hier gleich mehrere interessante Speziallösungen zum Einsatz gekommen sind.
Nicht nur dank seiner historischen Bedeutung als wichtigster Passübergang zwischen Europas höchstgelegener Stadt Davos in Graubünden und dem Unterengadin genießt der Flüelapass Bekanntheit, die über die Grenzen der Schweiz hinaus reicht. Besonders macht ihn auch die Tatsache, dass sich hier, mitten in zwei Bergseen, die Europäische Wasserscheide befindet: Während sich der Lai Nair als Susasca Richtung Süden entleert, in seinem Verlauf in den Inn und dergestalt in das Schwarze Meer gelangt, fließt aus dem Lai de la Scotta der Flüelabach nach Norden, weiter in den Rhein und schließlich in die Nordsee.
Der Gemeinde Susch, am Fuße des Flüelapasses gelegen, wird ein schwer vorstellbarer Superlativ zugeschrieben: Sie soll die niederschlagsärmste Gemeinde der gesamten Ostschweiz sein. Dank den wasserreichen Gewässern Inn und Susasca dürfte das kostbare Gut allerdings nie ein Mangelthema gewesen sein. Eher im Gegenteil, in der Vergangenheit spielten die Gewässer bereits eine tragende wirtschaftliche Rolle, indem sie die Gewerke von Mühlen und Sägen angetrieben hatten. Lediglich die hydroelektrische Nutzung der Gewässer, die sollte bis zur ihrer tatsächlichen Realisierung noch ein wenig Zeit brauchen.
Langer Weg zum Kraftwerk
Zwar hatte es bereits in den 1960ern erste Überlegungen hinsichtlich eines Kraftwerks an der Susasca gegeben, doch konkret wurden diese Planungen nicht. Erst Mitte der 1990er traten neue Initiatoren mit neuen Projektvorschlägen auf den Plan. Damit sollte es dann langsam doch konkret werden. Hauptinitiator, Wegbereiter und heutiger Mitgesellschafter der Anlage ist Markus Hintermann von Hydro-Solar Engineering. Der Ingenieur erinnert sich: „Ich habe mich 1994 mit meinem Ingenieurskollegen Giovanni Mathis und dem Gemeindevorstand von Susch getroffen, um ein Kraftwerksprojekt mit einer Dimension von etwa 1 MW vorgeschlagen. Die Anlage hätte im Regeljahr rund 7 GWh erzeugt. Der Vorschlag stieß auf ein positives Echo von Seiten der Gemeinde, aber damals wurde das Projekt durch die langsam mahlenden Mühlen der Energiepolitik auf die lange Bank geschoben. Dank einer Änderung der Schweizer Gesetzgebung im Jahr 2005 wagten wir einen weiteren Anlauf mit diesem Konzept, mussten allerdings just zu dem Zeitpunkt von unserem Vorhaben ablassen, als wir die Finanzierung bereits aufgestellt hatten. Der Grund war die Kostendeckende Einspeisevergütung KEV, die damals in Kraft trat und wodurch die Fördergrenze von 1 MW auf 10 MW erhöht wurde. Die alten Pläne wanderten somit in den Schredder und wir begannen von Neuem. Dieses Mal letztlich mit Erfolg.“ 2008 wurde das Konzessionsprojekt für das Kraftwerk Susasca eingereicht, 2009 lag die Genehmigung durch den Kanton Graubünden vor. Und noch im selben Jahr erfolgte der Startschuss für die Bauarbeiten, die letztlich in rekordverdächtigen elf Monaten abgeschlossen werden konnten.
3 MW in erster Ausbaustufe
Seit Herbst 2010 ist das Kraftwerk nun in Betrieb. Vom Anlagenkonzept her handelt es sich um ein Laufkraftwerk ohne Speicher, das die Gefällstufe zwischen der Hochebene Chant Blau und der Wasserrückgabe in den Inn in Susch nutzt. Der Plan für die erste Ausbaustufe sah vor, eine Triebwassermenge bis zu 1 m3/s aus der Susasca zu entnehmen. Dieses Wasser wird nach Passieren des Entsanders durch eine 3.340 m lange Druckrohrleitung zum Zentralengebäude geleitet. Es handelt sich dabei um eine Hybridleitung, bestehend aus GFK-Rohren vom Fabrikat Amiantit im oberen und aus Stahlrohren im unteren Abschnitt. Das Zentralengebäude, das in seiner Ausbaustufe die Installation von einem Maschinensatz vorsah, wurde in unmittelbarer Nähe zum bestehenden ARA-Gebäude der Gemeinde Susch errichtet. Dabei wurde vom äußeren Erscheinungsbild her auf eine Anpassung an die stilgebenden drei Turmbauwerke der Standortgemeinde Wert gelegt. Die Gestaltung im Inneren richtete sich im Wesentlichen an den Platzbedarf im Endausbau, in dem zwei gleich große Maschinenätze den Raum im Krafthaus einnehmen.
Bei der eingesetzten Turbine handelt es sich um eine 3 MW starke Peltonturbine mit 4 innengesteuerten Düsen, die vom niederösterreichischen Turbinenspezialisten Kössler geliefert wurde. Diese treibt einen direkt gekoppelten Synchrongenerator vom Fabrikat TES an. Ein höchst solider Maschinensatz, der sich in diesen ersten sechs Betriebsjahren auch bestens bewährt hat, wie Markus Hintermann bestätigt.
Ökologie im Fokus
Die Konzessionsgenehmigung für die zweite Ausbaustufe durch den Regierungsrat des Kantons Graubünden lag schließlich im Oktober 2014 vor. Darin wurde die Zustimmung für die Installation der geplanten zweiten Maschinengruppe sowie diverse bauliche Veränderung erteilt, außerdem war mit der Konzessionsgenehmigung auch eine ökologische Optimierung der Restwasserdotierung verknüpft. „Unsere Hauptaufgabe sah im Wesentlichen vor, dass wir die gewässerökologischen Rahmenbedingungen für den Fischschutz an der Wasserfassung verbessern und Optimierungen für den Fischaufstieg sowie den Fischabstieg umsetzen“, erklärt Markus Hintermann. Im Hinblick auf den Fischabstieg wurde ein 1,50 m tiefes Becken angelegt, in das die abstiegswilligen Fische fallen können, ohne sich dabei zu verletzen. Zudem wurden seitliche Öffnungen in das Vorbecken zum Fischaufstieg integriert, um die Lockströmung zur besseren Auffindbarkeit des Einstiegs zu verstärken.
Von vertikal auf horizontal
Kurz nach Eingang der Konzessionsbewilligung wurde mit den ersten Arbeiten an der Wasserfassung begonnen, die vor allem den Umbau des Einlaufrechens betrafen. „Wir haben beschlossen, den alten Rechen am Seiteneinzug auszubauen und durch einen neuen Horizontalrechen mit einer Stabweite von 15 mm zu ersetzen“, so Markus Hintermann. Der Auftrag für die durchaus nicht alltäglichen Stahlwasserbauarbeiten an der hochalpinen Fassung wurde an den als sehr innovativ und verlässlich geltenden Stahlwasserbau-Spezialisten Wild Metal aus dem Südtiroler Ratschings vergeben. Der neue Horizontalrechen bietet nun nicht nur einen erhöhten Schutz für die Jungfische, sondern darüber hinaus konnte man damit ein – besonders in ökologischer Hinsicht – heikles Schwall-/Sunk-Problem in den Griff bekommen. Markus Hintermann: „Wir hatten an der Wasserfassung das Problem mit schwimmendem Eis, das hier in Form von zerkleinerten Eisstücken – quasi ‚crushed‘ Eis – auftritt. Es war deshalb so unangenehm, weil es am Rechen wegen der sehr geringen Fliessgeschwindigkeiten zusammenklebt und der Rechen zusehends vermacht. In weiterer Folge bedeutete das, dass wir die Maschine abschalten, manuell ausräumen und das Eis über den Grundablass spülen mussten. So kam es in der Winterzeit immer wieder zu ungewünschter Schwall-/Sunkbildung in der Restwasserstrecke – ein Umstand, den wir gemäß der Auflagen verbessern mussten und natürlich auch selbst wollten.“ Die Lösung dafür lieferte der Stahlwasserbauspezialist Wild Metal. Das von ihm konstruierte Rechenelement ist dreiseitig beheizt, wodurch die Eisbildung am Rechen lokal verhindert werden konnte. Der Wasserzufluss wurde so nicht mehr unterbrochen. Das System wurde bereits im Spätherbst 2014 installiert, um schon erste Erfahrungen damit zu sammeln, bevor im folgenden Frühjahr der zweite Maschinensatz in Stellung gebracht wurde. „Wir haben mittlerweile zwei Winter Erfahrung damit, und es hat sich gezeigt, dass es einwandfrei funktioniert. Wir sind sehr zufrieden“, konstatiert Giancarlo Neuhäusler, Geschäftsführer und Betriebsleiter des Kraftwerkes.
Maschine 2 kommt
Ein weiterer Aspekt betraf die Verbesserung der Entsandung bei Vollausbau. Zu diesem Zweck installierte man zusätzliche Beruhigungsrechen in den beiden Entsanderkammern, die danach noch mit einer modernen Erfassung der Sandablagerungen ausgerüstet wurden. Mit diesen Maßnahmen war die Anlage bereit für den Betrieb im Endausbau.
Am 15. März letzten Jahres wurde der Kraftwerksbetrieb eingestellt. Die Installationsarbeiten in der Maschinenzentrale konnten beginnen. Mitte April konnte der bestehende Maschine 1 bereits wieder in Betrieb gehen. Entsprechend Maschinensatz 1 wurde erneut eine 4-düsige Peltonturbine der Fa. Kössler installiert, die auf direkter Welle einen TES-Synchrongenerator antreibt. Die Inbetriebnahme von Maschinensatz 2 erfolgte Mitte Mai. Mit der Verdopplung der installierten Leistung war auch ein erheblicher Sprung im Regelarbeitsvermögen möglich. Erzeugte das Kraftwerk Susasca bislang im Regeljahr rund 17 GWh, sind es nun rund 26 GWh. Circa 80 Prozent der erzeugten Strommenge werden dabei im wasserreichen Sommerhalbjahr produziert.
Technik und Design – Hand in Hand
Im Spätsommer letzten Jahres folgte schließlich Teil zwei der Ausbauarbeiten an der Wasserfassung La Jenna. Den Auftakt machte der Einbau der neuen horizontalen Rechenreinigungsmaschine, ebenfalls vom Südtiroler Branchenspezialisten Wild Metal geliefert. Dabei bewies das Unternehmen einmal mehr seine Innovationsstärke. Ein Beispiel dafür ist die spezielle Plexiglas-Einhausung, die Wild Metal zum Schutz der Anlage realisierte. „Was mich beeindruckt, ist die absolut exakte Bewegung des Reinigungsarms. Der Antrieb erfolgt über einen Synchronservomotor. Eine hochpräzise Wegerfassung gibt millimetergenau Information darüber, wo sich die Maschine gerade befindet. Das ist hoher Standard“, so Markus Hintermann.
Er betont, dass die Südtiroler Stahlbauer auch im Hinblick auf Design immer wieder ausgezeichnete Lösungen finden, wie sie bei der Erneuerung des Grundablasses unter Beweis stellten. Die Seitenwände des Grundablasses hatten in den ersten vier Betriebsjahren schon stark unter dem starken Geschiebeabrieb gelitten, zudem hatte sich der bisherige Grundablass als suboptimal erwiesen. Daher hatten die Betreiber beschlossen, einerseits den Grundablass durch Stahlplatten zu sichern und anderseits das bestehende Verschlussorgan durch durch einen neuen komplett hydraulisch betriebenen Grundablass zu ersetzen. Wichtig war dabei, dass Wild Metal die bestehende Betonstruktur mit den Führungen dafür weiter nutzen konnte.
„Das ist sehr gut gelungen. Darüber hinaus hat Wild Metal mit einer Sonderlösung hinsichtlich der Hydraulikzylinder aufgewartet, die nun nicht mehr weit nach oben herausragen. Im Gegenteil: Sie wurden unten an der Schützen-Tafel befestigt. Eine raffinierte Lösung, die durchaus Schule machen könnte“, sagt Markus Hintermann.
Neue Steuerung für Alt und Neu
Ein weiterer wichtiger Aspekt im zweiten Ausbauschritt des Kraftwerks betraf die Steuerung der Anlage. „Die technologische Entwicklung in der Steuerungstechnik hat uns derart überrannt, dass die bestehende Steuerung von Maschinengruppe 1 aus dem Jahr 2010 ersetzt werden musste. Dies wurde erforderlich, um ein sicheres Zusammenspiel von Alt und Neu langfristig zu gewährleisten“, so der Betreiber. Aus diesem Grund wurde alles auf die neue Simatic S7-1500 umgestellt. Realisiert wurde dies vom bekannten E-Technik-Spezialisten Kobel aus dem Emmental, der seit mehr als 40 Jahren in der Kleinwasserkraft tätig ist und über entsprechend großes Know-how verfügt. Neben dem neuen Steuerungssystem für die beiden Maschinensätze legten Markus Hintermann und sein Stab großen Wert auf ein logisches und übersichtliches Visualisierungssystem. Speziell für den großen Touch-Panel in der Leitwarte ging man neue Wege: „Das Panel hier ist sehr groß gewählt worden. Daher war es uns wichtig, dass wir die Daten und Visulisierungen von beiden Maschinensätzen immer parallel nebeneinander auf einen Blick kontrollieren können. Damit hat man sofort alle Vergleichswerte im Überblick. Diese Art der Visualisierung ist den Programmierern von Kobel sehr gut gelungen“, erklärt Markus Hintermann.
Das Betriebspersonal ist ist mit einem Tablet ausgerüstet, mit dem er sich von jedem Ort aus einloggen kann und sämtliche Parameter abrufen kann, als ob er vor Ort in der Zentrale wäre. Die Betreiber des Kraftwerks gehen davon aus, dass man mit dem neuen Steuerungssystem nun für die nächsten 20 Jahre über die Runden kommen sollte.
Eine Stunde Spitzenlast Deckt jahres-Strombedarf eines Haushaltes
Abgerundet wird das Projekt durch die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen. Mittlerweile wurde oberhalb der Wasserfassung La Jenna eine Kiesentnahme und ein Steinbruch, in dem das bekannt harte Amphibolit-Gestein abgebaut wurde, stillgelegt und umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen vorgenommen. Zusätzlich wurde in dem landschaftlich sehr reizvollen Gebiet unweit des Flüela Passes ein Rundwanderweg angelegt, der zum Spazieren und Wandern einlädt.
In Summe flossen rund 3 Mio. CHF in die Erweiterung, an deren Ende ein Kraftwerk steht, das einerseits nun allen ökologischen Anforderungen unserer Zeit gerecht wird und das andererseits mit knapp 26 GWh Regelarbeitsvermögen auch energiewirtschaftlich höchste Standards setzt. Bei Spitzenproduktion ist das Kraftwerk Susasca heute in der Lage über 6 MW in der Stunde zu produzieren. Dies entspricht dem Jahresbedarf eines mittleren Engadiner Haushalts.
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