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KW Tischbach versorgt mit bislang ungenutztem Energiepotential 120 Haushalte mit grünem Strom4 min read

15. November 2021, Lesedauer: 3 min

KW Tischbach versorgt mit bislang ungenutztem Energiepotential 120 Haushalte mit grünem Strom4 min read

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Rund ein dreiviertel Jahr nach Baustart hat im Juli 2020 im Kanton Graubünden das Kleinwasserkraftwerk Tischbach der Albula-Landwasser-Kraftwerke AG (ALK) den Regelbetrieb aufgenommen.

Dank des Neubaus wird eine hydroenergetisch bislang ungenutzte Zuleitungsstrecke von der Wasserfassung Tischbach zum Ausgleichsbecken Bergün nun zur sauberen Stromgewinnung genutzt. Die Anlagenzentrale konnte im Zuge der notwendigen Erneuerung der altersschwachen Zuleitung mit minimalen, temporären Eingriffen in der Landschaft errichtet werden. Das komplette elektromechanische Equipment, dessen Herzstück eine robuste Durchström-Turbine mit einer maximal installierten Leistung von 238 kW bildet, lieferte der deutsche Kleinwasserkraftexperte Ossberger.

Die Graubündner Albula-Landwasser-Kraftwerke AG (ALK) wurde in den 1960er-Jahren gegründet und betreibt die beiden leistungsstarken Wasserkraftwerke Filisur und Tiefencastel. 75 Prozent der ALK-Gesellschaftsanteile stehen im Besitz des Schweizer Energiekonzerns AXPO, 15,74 Prozent hält die EWD Elektrizitätswerk Davos AG, 5 Prozent der Kanton Graubünden, die Konzessionsgemeinden Albula/Alvra, Bergün, Filisur und Schmitten teilen sich die restlichen 4,26 Prozent. Das 1967 fertiggestellte Kraftwerk Filisur (Wasserfassungen von Albula und Landwasser und ein zentrales Triebwassersystem) nutzt zur Stromproduktion zwei vertikalachsige Francis-Turbinen mit einer Engpassleistung von jeweils 32,5 MW, im Regeljahr erzeugt die Anlage rund 286 GWh grüne Energie. 1989 nahm die ALK das Unterliegerkraftwerk Tiefencastel in Betrieb. Dessen beide ebenfalls vertikal­achsig ausgeführten Francis-Maschinen erreichen unter Volllast eine Maximalleistung von jeweils 12 MW und produzieren im Regeljahr rund 103 GWh Strom. Mit dem Kleinwasserkraftwerk Tischbach ging im Sommer 2020 die dritte Anlage der ALK ans Netz.

Ungenutztes Energiepotential
Projektleiter Felix Hansmann erklärt die Entstehungsgeschichte des Kraftwerks Tischbach: „Zwischen der zum Kraftwerk Filisur gehörenden Wasserfassung Tischbach, die über eine rund 300 m lange Zuleitung das Ausgleichsbecken Bergün speist, besteht ein Höhenunterschied von rund 37 m, der bislang energetisch nicht genutzt wurde. Nachdem die ca. 60 Jahre alte Rohrleitung aufgrund von Materialermüdung bzw. Korrosionsschäden ohnehin ersetzt werden musste, wurde ein Konzept entwickelt, die Höhendifferenz zur Stromproduktion nutzbar zu machen.“ Hansmann führt weiter aus, dass die Realisierung des neuen Kleinkraftwerks erst mit der Gewährung des geförderten Schweizer Ökostromtarifs „Kostendeckende Einspeisevergütung“ (KEV) – neue Bezeichnung: Einspeisevergütungssystem (EVS) – wirtschaftlich darstellbar war. Bewilligt wurde die EVS-Förderung schließlich im Sommer 2019, die Genehmigung für den Ersatz der erdverlegten Zuleitungsstrecke und den Bau der Kraftwerkszentrale hatte die ALK bereits im Oktober 2016 erhalten.

Wasserfassung angepasst
Die Umsetzungsphase des Projekts startete im Mai des Vorjahres mit der Erneuerung der erdverlegten Zuleitungsstrecke zwischen der Wasserfassung und dem Ausgleichsbecken. Anstelle der an mehreren Positionen undichten Stahlleitung DN400 wurde die neue Druckleitung innerhalb von zwei Monaten mit glasfaserverstärkten Kunststoffrohren (GFK) DN700 vom Hersteller Amiblu ausgeführt. Nach der bewilligten EVS-Förderung startete im darauffolgenden September schließlich die Errichtung der Kraftwerkszentrale neben dem Ausgleichsbecken Bergün. „An der mit einem Tiroler Wehr und einem Entsanderbecken ausgeführten Wasserfassung Tischbach waren für den Bau des neuen Kraftwerks nur kleinere Anpassungen notwendig. So wurde etwa das Entsanderbecken mit einem neuen Übergangsstück für die vergrößerte Rohrdimension ausgestattet. Zusätzlich haben wir im Entsander eine Trennwand aus Stahl eingezogen, um das Regelvolumen der pegelgeregelten Turbine zu optimieren“, so Hansmann, der neben seiner Funktion als Projektleiter als Ressortleiter für den Bereich Bautechnik zuständig ist.

Durchströmer ideale Lösung
Hinsichtlich der Maschinenauswahl für das neue Kraftwerk wurden mehrere Varianten in Betracht gezogen, sagt Hansmann: „Es war relativ schnell klar, dass für das Kraftwerk Tischbach eine Durchström-Turbine die ideale Lösung darstellt. Zwar erreichen Durchström-Turbinen im Vergleich zu Maschinen anderer Bauart keine Spitzenwirkungsgrade, dafür decken diese aber einen sehr breiten Teillastbereich ab. Zudem sind Durchström-Turbinen sehr robust konstruiert und können auch bei geringem Wasserdargebot – die gesamte Ausbauwassermenge erreichen wir an vielleicht zehn Tagen im Jahr – zuverlässig betrieben werden.“ Den Zuschlag zur Ausführung des gesamten elektromechanischen Equipments erhielt im Rahmen der Ausschreibung der international renommierte deutsche Kleinwasserkraftspezialist Ossberger. Dieser lieferte als Herzstück der Anlage eine für 820 l/s Ausbauwassermenge und 37 m Nettofallhöhe konzipierte Durchström-Turbine, die unter Volllast eine Engpassleistung von 238 kW erreicht. Als Energiewandler dient der horizontal angeströmten Maschine ein direkt gekoppelter Synchron-Generator der Marke AEM. Der luftgekühlte 400 V Generator wurde auf eine Nennscheinleistung von 244 kVA ausgelegt und dreht wie die Turbine mit exakt 600 U/min. Ebenfalls im Ossberger-Lieferumfang enthalten war die Mittelspannungsschaltanlage, diese wurde als Sub-Auftrag an das Südtiroler Unternehmen EN-CO vergeben.

Saubere Energie für 120 Haushalte
Der Ausbruch der Corona-Epidemie im Frühjahr 2020 wirkte sich auch auf die Fertigstellung des Wasserkraft-Projekts aus, erklärt Hansmann: „Zwar konnte das Equipment im Frühling noch auf die Baustelle geliefert werden, die Montage musste aber aufgrund von Reisebeschränkungen von eigenem ALK-Personal erledigt werden. Die finale Inbetriebsetzung der Anlage erfolgte schließlich Ende Mai durch einen Techniker von Ossberger.“ Nach dem vierwöchigen Probebetrieb im Juni konnte die Anlage im Juli schließlich in den Regelbetrieb übergehen. Rund ein halbes Jahr nach Fertigstellung zieht Hansmann ein durchwegs positives Fazit über das Projekt: „Unsere ersten Betriebserfahrungen mit dem neuen Kraftwerk sind sehr zufriedenstellend, die Maschine läuft picobello.“ Im Regeljahr kann das Kraftwerk Tischbach rund 550.000 kWh Ökoenergie erzeugen, womit umgerechnet der Jahresstrombedarf von 120 durchschnittlichen 4-Personenhaushalten abgedeckt werden kann.

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