Leistungsstarkes Dreiergespann bringt mehr Eigenversorgung in Republik Nordkaukasiens6 min read
Lesedauer: 4 MinutenUnweit der georgischen Grenze, in der russischen Region Kabardino-Balkarien wurde ein neues Kraftwerk in Betrieb genommen, das mit deutsch-österreichischer Wasserkrafttechnik glänzt.
Ausgerüstet mit drei baugleichen Francis-Spiralturbinen von Voith Hydro, liefert das 10 MW starke Kraftwerk Verkhnebalkarskaja im Jahr rund 60 Gigawattstunden sauberen Strom. Damit trägt die neue Ökostromanlage von RusHydro wesentlich zu einer besseren und stabileren Stromversorgung einer Region bei, die bislang großteils von Stromlieferungen aus dem Umland abhängig war. Trotz der Corona-bedingten Einschränkungen konnten die Techniker von Voith Hydro die Nassinbetriebnahme im Frühling aus der Ferne vornehmen.
Am Fuße des Elbrus wird gebaut. Mit der verstärkt forcierten Nutzung der lokalen Ressourcen wird das Potenzial der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien weiter ausgeschöpft. In den letzten zehn Jahren ist schon einiges geschehen: Waren es zuvor der Bergbau und die Forstwirtschaft, die die Region im Nordkaukasus geprägt hatten, so läuft der Tourismus diesen immer mehr den Rang ab. Vor allem der Ski-Tourismus. Immer mehr Seilbahnen und Skilifte transportieren heute die Wintersportler auf die hoch gelegenen Hänge des nordkaukasischen Hauptkamms. Parallel zur Entwicklung des Wintertourismus konnte aber auch die Energiewirtschaft weiter ausgebaut werden. Vor allem die Wasserkraft spielt in der russischen Teilrepublik mittlerweile eine wichtige Rolle. Rund 188 MW installierte Leistung weisen die Wasserkraftwerke in Kabardino-Balkarien auf, rund ein Drittel davon entfällt auf Kleinwasserkraftwerke. Diese Anlagen stehen in Diensten eines Betreibers – RusHydro, dem größten, börsenotierten Wasserkraftproduzenten Russlands. Von seinen insgesamt 31 Kleinwasserkraftwerken sind 27 im Nordkaukasus und vier im Osten Russlands situiert. Das jüngste Vorzeigeprojekt wurde erst vor kurzem abgeschlossen und ans Netz genommen: das neue Kraftwerk Verkhnebalkarskaja am Fluss Tscherek-Balkarsky, der nach dem Zusammenfluss mit dem Tscherek-Chulamski den Fluss Tscherek bildet. Das Gewässer ist dafür bekannt, dass es hauptsächlich vom Schmelzwasser der Gletscher und von der Schneeschmelze gespeist wird.
Premierenauftrag an VHGE
Vom Prinzip her handelt es sich um eine Hochdruckanlage, die ein natürliches Gefälle von 136 m hydroenergetisch nutzt. Gemäß Konzessionsbescheid können an der Wasserfassung, die auf rund 1.350 m über Meeresniveau situiert ist, 10 m3/s entnommen und dem Triebwasserweg zugeführt werden.
Bei der technischen Umsetzung der Anlage vertrauten die erfahrenen Wasserkraftbetreiber von RusHydro einmal mehr auf das Know-how und die Qualität von Voith Hydro. „In der Vergangenheit hat Voith schon einige, vor allem sehr große Kraftwerke, für RusHydro ausgerüstet. Für den Voith-Standort der Division Small Hydro VHGE in St. Georgen in Niederösterreich war es aber eine Premiere – der erste Auftrag, den wir für den russischen Wasserkraftbetreiber ausführen durften“, erzählt Area Sales Manager Sebastian Mayerhofer von VHGE. Während die russischen Kollegen von Voith Hydro Balakovo mit der Lieferung der Saugrohre, Kühlwassersysteme, Einlaufrohre, Synchrongeneratoren sowie der Steuerung betraut waren, steuerte die österreichische Division Small Hydro VHGE die komplette elektromechanische Ausrüstung in Form dreier horizontaler Francis-Spiralturbinen mit elektrischem Antrieb für den Leitapparat und drei Einlaufklappen DN 1000 mit elektrischem Antrieb bei. Zudem war VGHE federführend bei Supervision und Inbetriebnahme der Anlage im Frühling dieses Jahres.
Inbetriebsetzung aus dem Home-Office
Der Zeitplan erwies sich als straff, sollte am Ende aber eine unvorhergesehene Verzögerung bereithalten. Bereits im Herbst 2017 erging der Auftrag für das elektromechanische Equipment an die Wasserkraftspezialisten aus Niederösterreich. Im August 2018 erfolgte termingerecht die Auslieferung, von März bis August 2019 standen die Montagearbeiten auf dem Programm, die unter Supervision von Voith durch Montage-Personal von RusHydro umgesetzt wurden. „Die Trockeninbetriebnahme ging zeitgerecht von November bis Dezember 2019 über die Bühne. Für die Nassinbetriebnahme hieß es allerdings ‚Bitte warten‘. Der Grund dafür war, dass die Hochspannungsleitungen zum Umspannwerk noch fehlten. Und ohne Energieableitung konnten wir die Nassinbetriebnahme nicht durchführen“, erinnert sich Sebastian Mayerhofer. Dieser Umstand sollte letztlich eine weitere, ungeplante Herausforderung für die Wasserkraftspezialisten aus Niederösterreich nach sich ziehen. Denn bedingt durch die Corona-Reisebeschränkungen im Frühling 2020 konnte die Nassinbetriebnahme nur über Telefon und Videokonferenz vom Werk in St. Georgen gesteuert werden. Man habe – wie Sebastian Mayerhofer erläutert – die russischen Fachkräfte vor Ort instruiert und auf diese Weise die Anlage in Betrieb nehmen können. Im Nachhinein stuft der Area Sales Manager diese Art von „Remote-Inbetriebnahme“ als die größte Herausforderung des Projektes ein.
Unterstützung durch russische Kollegen
Weniger herausfordernd waren die Lieferung der Komponenten in die nordkaukasische Republik, da die gesamten administrativen Hürden mithilfe der Unterstützung der russischen Konzernkollegen von Voith Hydro Balakovo genommen werden konnten. Dennoch brachten die sprachlichen Barrieren ab und an kleinere Herausforderungen im Baualltag mit sich: „Das Projekt wurde natürlich in der Landessprache, also auf Russisch, abgewickelt. Das bedeutete, dass für jede Aktivität, auch für kleinere Details eine Übersetzung erforderlich war. Gerade in diesem Punkt waren uns die Kollegen von Voith Hydro Balakovo eine wertvolle Unterstützung. Voith hat das Produktionswerk für Turbinenausrüstung in Balakovo in der Region Saratov im Juni 2019 eröffnet, um diese wichtigen Marktvoraussetzungen dauerhaft erfüllen zu können“, sagt Sebastian Mayerhofer.
Wirkungsgrad über 94 Prozent
Auf Basis der hydrologischen Gegebenheiten entschieden sich die Verantwortlichen für den Einsatz von drei baugleichen Francis-Spiralturbinen, die jeweils ein Schluckvermögen von 3,33 m3/s aufweisen. Ein starkes Argument für diesen Turbinentypus ist mit Sicherheit in der überzeugenden Performance zu sehen. Dank eines modernen Designs erreichen die Maschinen im Optimalpunkt Wirkungsgrade jenseits der 94 Prozent. Dabei sind die Maschinen extrem kompakt konstruiert, das Laufrad ist direkt auf der Generatorwelle montiert. Eine Turbinenwelle sowie ein Turbinen-Führungslager entfallen. Eine Maxime für das Maschinendesign bestand in einer möglichst weitreichenden Reduktion der Komplexität und einer Minimierung des Wartungsaufwands. Eine andere zielte auf den Natur- und Gewässerschutz ab: „Eine Vorgabe des Kunden sah vor, dass es kein Öl im wasserberührten Bereich geben dürfe. Daher haben wir eine komplett ölfreie Maschinenvariante realisiert. Konkret bedeutet das, dass die Steuerung des Leitapparats und der Absperrklappen mit Elektromotoren erfolgt und die Führungslager wassergeschmiert sind“, erörtert Mayerhofer die größte Abweichung von herkömmlichen Maschinenlösungen in der Wasserkraft. Die Vorgabe rührt von einem steigenden Umweltbewusstsein her. Da die Region stark touristisch genutzt wird, ist man um die Beibehaltung der bekannt guten Wasserqualität des Tscherek-Balkarsky bemüht.
Stärkung der regionalen Eigenversorgung
Knapp zwei Monate ist die Anlage nun in Betrieb und überzeugt die Betreiber in der täglichen Praxis. Das Maschinengespann arbeitet geräuscharm, effizient und zuverlässig. Zusammen erreicht das Turbinen-Trio unter Volllast eine Engpassleistung von 10 MW. Im Regeljahr wird die Anlage rund 60 GWh sauberen Strom an die 35kV-Leitungen liefern, die den Strom zum 40 Kilometer entfernten Umspannwerk Kaschatau führen. Dank der gebirgigen Topographie und des Wasserreichtums bringt die Region Kabardino-Balkarien sehr gute Voraussetzungen für die hydroelektrische Nutzung mit. Wo einst die Flüsse vorwiegend zum Flößen von Holz dienten, wird heute sauberer Strom aus Wasserkraft gewonnen. Dieser trägt mittlerweile zu einer Stabilisierung der Versorgung einer Region bei, die zuvor großteils auf Strom aus den Umlandregionen angewiesen war. Anlagen wie das neue Wasserkraftwerk Verkhnebalkarskaja bedeuten zudem ein Mehr an Arbeitsplätzen sowie sichere Steuereinnahmen für die Region und stellen somit einen wertvollen Mehrwert für eine aufstrebende Tourismusregion dar.
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