Maßgeschneiderte Kaplan-Turbinentechnik für neues Kraftwerk in der Emilia-Romagna8 min read
Lesedauer: 6 MinutenAuf der Kraftwerksbaustelle in der Kleinstadt Ponte Verucchio, keine 20 Kilometer von Rimini entfernt, herrscht aktuell noch Hochbetrieb. Das neue Kleinkraftwerk am Fluss Marecchia soll in Kürze den Probebetrieb aufnehmen.
Noch vor dem Jahreswechsel wird es den ersten Strom ans Netz liefern. Hinter dem Kraftwerksprojekt Ponte Verucchio steht der italienische Ökostromproduzent AREN Electric Power S.p.A., der in Norditalien mehrere Kleinwasserkraftwerke betreibt. Für die technische Umsetzung des Projektes sicherten sich die Investoren die Dienste des renommierten Südtiroler Wasserkraftspezialisten Troyer AG, der eine speziell für diese Anforderungen „maßgeschneiderte“ 6-flügelige Z-Kaplanturbine lieferte. Mit der 1,4 MW starken Maschine lassen sich im Regeljahr rund 3,4 GWh sauberer Strom aus der Marecchia erzeugen.
Auf dem Zucca, einem Berg in den apuanischen Alpen der Toskana, entspringt die Marecchia. Über eine Strecke von rund 70 Kilometer strebt der Fluss größtenteils auf dem Gebiet der Provinz Emilia-Romagna in nord-östlicher Richtung der Adria zu, in die er letztlich bei Rimini mündet. Er hieß übrigens im Altertum Ariminus, und wurde somit zum Namensgeber der Stadt Rimini. Was den Fluss von seiner Optik her kennzeichnet, sind extrem stark ausgeprägte Erosionserscheinungen am Ufer. Aufgrund des Sturzbachcharakters sowie der geologischen Eigenschaften sind regelrechte Erosionsschluchten, kleine Canyons, über längere Flussabschnitte entstanden. Hier ein Kleinwasserkraftwerk zu errichten, sollte mit erheblichen Herausforderungen verbunden sein. Diesen Herausforderungen stellte sich die Gecohydro srl, eine Tochtergesellschaft der AREN Electric Power S.p.A., und realisierte ein Kleinkraftwerk auf dem neuesten Stand der Technik, derzeit laufen bereits die Inbetriebsetzungsarbeiten.
Stromerzeugung und Bewässerung
„Die Kraftwerksplanung sowie die folgenden Behördenverfahren waren aufwändig, insgesamt nahmen sie rund 10 Jahre in Anspruch“, erzählt Dr. Gabriele Gentili von AREN EP, der das Projekt in leitender Funktion betreute. Als erfahrener Kraftwerksbauer und -betreiber war das Unternehmen beim Bau des Kraftwerks in Verucchio federführend in Planung und Gesamtbauleitung. Das Kraftwerksprojekt sollte dabei in ein duales Nutzungskonzept eingebunden werden, das einerseits die Nutzung des Wassers für Bewässerungszwecke und anderseits für die Stromgewinnung vorsah. Parallel zu den Arbeiten an der Kraftwerksinfrastruktur wurden auch umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen vorgeschrieben, die vor allem den starken Erosionserscheinungen am Flussbett sowie am Ausleitungskanal Einhalt gebieten und den natürlichen Flusslauf sichern sollen. Im Nachhinein bewertet Gabriele Gentili die gesamten Sicherungsarbeiten am Zulauf, die in enger Abstimmung mit den Behörden durchgeführt wurden, als die größte Herausforderung im gesamten Bauablauf. Das Projektareal befindet sich in einem Naturschutzgebiet und erforderte daher besonderes Fingerspitzengefühl.
Rohrverlegung ohne offene Künette
Im August 2016 erfolgte der Startschuss für die umfangreichen Bauarbeiten, die sich über rund 2 Jahre erstrecken sollten. „Die gesamten Bauarbeiten waren von permanentem Grundwasserdrang begleitet – und von daher schon etwas schwierig. Richtig aufwändig und komplex gestaltete sich in der Folge die Verlegung der Druckrohre, bei der wir auf neuartige Techniken setzten“, so der Betreibervertreter. Gentili verweist darauf, dass die Verlegung zur Gänze ohne offene Künetten erfolgte. Zum Teil wurde die unterirdische Rohrtrasse per Microtunneling-Verfahren geschaffen, zu einem anderen Teil wurden die Rohre DN1800 per Rohrdurchstoßmaschine durch den Untergrund getrieben. Erschwerend kam hinzu, dass bei diesen Bauarbeiten immer wieder Bedacht auf die Tierwelt genommen und zu diesem Zweck Pausen eingelegt werden mussten. So wurde sowohl 2017 als auch 2018 zwischen April und Juli ein Baustopp angeordnet, um auf die Brutzeit der hier ansässigen Vogelpopulation Rücksicht zu nehmen. Mittlerweile wurden im Sommer dieses Jahres die aufwändigen Bauarbeiten abgeschlossen und die Druckprobe an der Rohrleitung erfolgreich durchgeführt. Auch die Maschinenmontage ist bereits abgeschlossen. Dieser Tage sind die Inbetriebsetzungsspezialisten der Firma Troyer AG am Zug, die für die gesamte elektromaschinelle und auch elektro- wie leittechnische Ausrüstung verantwortlich zeichnet.
Herausforderung im Turbinen-Design
Warum man sich für den Wasserkraftspezialisten aus Sterzing entschieden hat, ist für Gabriele Gentili einfach erklärt: „Die Produkte der Firma Troyer haben einen hervorragenden Ruf, nicht nur im Alpenraum und in Italien. Wir wissen um die Qualität und die Zuverlässigkeit der Turbinen, daher haben wir unser Vertrauen in das Südtiroler Unternehmen gesetzt.“ Mitte Juli 2016 wurde der Auftrag unterzeichnet. Er umfasste neben einer vertikalen Z-Kaplanturbine samt Zuleitungsbogen, den 1,6 MVA-Generator, Steuerschränke und Automation sowie die Hydraulik-I aggregate für die Turbinensteuerung und die Schleuse im Wasserschloss.
Grundsätzlich liefern die erfahrenen Turbinenbauer keine Maschinen „von der Stange“, sie werden speziell für die jeweiligen Anforderungen am Standort designt. Doch die Turbine für das Kraftwerk Ponte Verucchio erforderte noch mehr Aufwand, wie der Projektmanager der Firma Troyer AG Stefan Macrina betont: „Im Hinblick auf die große Fallhöhe von 20 m und einer Saughöhe von 4,5 m sowie einem Ausbaudurchfluss von 7,40 m3/s haben wir ein 6-flügeliges Kaplanlaufrad mit einem Durchmesser von 1.200 mm gewählt, das bei einer spezifischen Drehzahl von 123 U/min einen kavitationsfreien Betrieb gewährleistet. Das Design der neuen Schaufelgeometrie des 6-Flüglers wurde mittels CFD-Analyse hausintern optimiert.“
Unwuchten unter allen umständen vermeiden
Warum die Turbinenspezialisten für den Einsatz an der Marecchia die Z-Bauform der Kaplanturbine wählten, liegt in erster Linie an der kompakten Form dieser Variante. Da das Krafthaus einen kreisförmigen Querschnitt und nicht allzu viel Platz aufweist, brachte die Z-Kaplanturbine relevante Vorteile für das Krafthaus-Konzept mit sich. Überdies weist diese Art der Turbine hohe Wirkungsgrade bei zugleich flachem Wirkungsgradverlauf auf, das heißt: Sie garantiert auch im Teillastbereich noch eine effektive Stromproduktion.
„Unsere Ingenieure waren gerade in konstruktiver Hinsicht beim neuen Turbinendesign gefordert. Das lag vor allem am Design des 6-flügeligen Laufradkopfs mit integrierter mechanischer Verstellung der Laufradschaufel sowie des hydraulischen Verstellzylinders. Generell stellte sich die Anforderung, neben einer effizienten und robusten Maschine, auch ein wartungsfreundliches Turbinenkonzept zu erarbeiten. Und dies ist gelungen“, so Stefan Macrina. Besonders großes Augenmerk wurde darüber hinaus auf die Auswuchtung des Laufrads sowie eine möglichst perfekte Ausrichtung der immerhin 6,4 m langen Turbinenwelle gelegt. Schließlich können schon geringste Unwuchten im Betrieb zu größeren radialen Wellenauslenkungen führen und damit Schwingungsprobleme auslösen.
Im Hinblick auf eine spätere Wirkungsgradmessung wurden bereits in der Konstruktionsphase alle notwendigen Messanschlüsse sowie spezielle Schaugläser unterhalb des Laufrads integriert. Dabei geht es nicht nur darum, die Effizienz der Maschine zu verifizieren. Diese Maß- nahmen dienen auch dazu, die Maschine – gerade in der Inbetrieb- setzungsphase – für einen möglichst optimalen Betrieb einstellen zu können.
Spezialaufgaben in der Saugrohr-Montage
Auf der Baustelle in Verucchio konnte das erfahrene Montage-Team der Firma Troyer seine ganze Kompetenz unter Beweis stellen. Wie Stefan Macrina bestätigt, stellte die Positionierung des Saugrohrs eine der größten Herausforderung der baulichen Umsetzung dar. Der Montageablauf sah dabei als erstes die Saugrohrpositionierung vor, danach – von unten nach oben – die Montage der Turbine bis hin zur Anbindung der Zuleitung an die Druckleitung. Die Position des Saugrohrs hing direkt von der Position der Druckrohrleitung ab. „Da die Druckrohrleitung mittels maschinellen Vortriebs vom Wasserschloss Richtung Krafthaus errichtet wurde, war die präzise Position des Rohrendes im Krafthaus nicht zu 100 Prozent klar. Die große Unbekannte war für die Monteure also die reale Abweichung des Druckleitungsendpunkts von dessen Sollposition. Durch die Konstruktion und auch die vertraglichen Bedingungen mussten wir im Stande sein, Abweichungen von bis zu 10 cm auszugleichen. Am Ende musste die Maschine rund 10 cm höher und 17 cm aus der Projekt- achse installiert werden. Möglich wurde die Neupositionierung des Saugrohres und somit auch der Turbinenachse dank einer digitalen 3D-Vermessung, die direkt vor Ort durchgeführt wurde. Zu diesem Zweck hatten zwei unserer Maschinenbaukonstrukteure ihren sauberen Büro-Arbeitsplatz kurzfristig mit der nicht immer angenehmen Kraftwerksbaustelle getauscht, um die Einbauplanung zusammen mit dem Obermonteur an die realen Bedingungen vor Ort anzupassen. Auf diese Art konnten Saugrohr und Turbine rasch und hochpräzise montiert werden.“
Vertikaler Zylinder mit 5 Stockwerken
Die Turbine samt Welle und der ersten Hälfte der Bogenzuleitung, zusammen immerhin 11,5 Tonnen schwer, wurden im März dieses Jahres im vormontierten Zustand an die Baustelle geliefert. Noch bevor das Krafthaus eine Überdachung hatte, wurde mit den Montagearbeiten begonnen. Es drängte die Zeit, schließlich war ab April aufgrund der Brutzeit der Vögel wieder „Schicht im Schacht“. Im August folgten die Lieferung und der Einbau des Generators sowie die Elektromontage. Nachdem die wesentlichen Montagearbeiten Ende September abgeschlossen werden konnten, fanden auch die Bauarbeiten im Krafthaus ihr Ende. Seiner geometrischen Form nach könnte man das Krafthaus als vertikalen Zylinder mit einem Durchmesser von knapp 10 m beschreiben, der sich über 5 Etagen und über 24 m in die Tiefe erstreckt. Im fünften und untersten Stockwerk wurden Auslaufkanal und Saugrohr angelegt, darüber befindet sich die Turbine, im dritten Stock wurden die Bogenleitung und das Hydraulikaggregat untergebracht, im zweiten der Generator. Ganz oben im Erdgeschoss befinden sich die Steuerungsschränke. Die Bauform brachte im Hinblick auf die Montage auch gewisse Herausforderungen mit sich. „Höhenangst durften die Monteure nicht haben. Wenn man bedenkt, dass etwa für die Verlegung von Hydraulik- oder Kühlleitungen gleich mehrere Stockwerke durchquert werden musste, war dies durchaus herausfordernd“, so der Projektleiter.
AREN EP setzt auf Erneuerbare Energien
Im vergangenen Oktober wurden die ersten Trockentests beendet, sie sind vielversprechend verlaufen. In diesen Wochen steht gerade die Nassinbetriebnahme des Maschinensatzes auf dem Programm. Bis Ende November ist die Inbetriebnahme der Anlage geplant. Im Regeljahr wird das neue Kleinwasserkraftwerk circa 3,62 GWh Strom aus der Kraft der Marecchia erzeugen. Den Strom verkauft AREN EP auf dem freien Markt. Für das Unternehmen mit Hauptsitz in Cesena stellt die Investition in Wasserkraftprojekte einen wichtigen Bestandteil der Firmenstrategie dar, wie Gabriele Gentili bestätigt: „Grundsätzlich entwickeln wir Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Im Verhältnis zu Wind- und Sonnenenergie spielte die Wasserkraft aber bislang eine eher untergeordnete Rolle, sie machte gerade einmal 4 Prozent unseres Gesamtportfolios aus. Aber sie trägt dazu bei, unser Angebot zu diversifizieren. Die Tendenz zeigt allerdings nach oben: Wenn wir unser neues Kleinwasserkraftwerk Ponte Verucchio und ein weiteres, das 2019 fertiggestellt wird, hinzurechnen, nähert sich der Anteil doch schon jenem der Photovoltaik an. Insofern hat die Wasserkraft für unser Unternehmen eine große Bedeutung.“ Noch vor dem Jahreswechsel soll das neue Kleinkraftwerk im Rahmen einer feierlichen Einweihung offiziell eröffnet werden.
Teilen: