Neues Leben für ehemaliges Kirchenkraftwerk im Vorarlberger Brandnertal10 min read
Lesedauer: 7 MinutenIn der Vorarlberger Gemeinde Brand hat das Wasserkraftwerk St. Theodul II im November des Vorjahres erstmals sauberen Strom produziert. Der Neubau der Gemeinde ersetzt das ehemals im Besitz der örtlichen Pfarre stehende Kraftwerk St. Theodul I, das nach rund 40-jähriger Betriebszeit an seinem technischen Lebensende angelangt war. Durch die erhebliche Steigerung der Ausbauwassermenge von 86 auf 1.000 l/s wurde die Leistungs- und Erzeugungskapazität im Vergleich zum Altbestand um ein Vielfaches erhöht. An der Wasserfassung sorgt ein nahezu komplett selbstreinigendes Coanda-System für das Abscheiden von feinen Sedimenten aus dem entnommenen Triebwasser. Der ca. 1,6 km lange Kraftabstieg zwischen Wasserfassung und Maschinengebäude besteht komplett aus duktilen Gussrohren DN700. Das Herzstück der Anlage bildet eine 6-düsige Pelton-Turbine in vertikalachsiger Ausführung, die im Volllastbetrieb 1.174 kW Engpassleistung erreicht. Im Regeljahr produziert das neue Kraftwerk rund 3,6 GWh Ökostrom, womit die Gemeinde Brand ihre jährliche Stromerzeugung aus Wasserkraft verdoppelt hat.
Das Brandnertal im westösterreichischen Bundesland Vorarlberg erstreckt sich von den Hängen der 2.964 m hohen Schesaplana, der höchsten Erhebung in der länderübergreifenden Region Rätikon, bis hinunter nach Bludenz. Mit seiner beeindruckenden Bergkulisse und den vielfältigen Wander-, Freizeit- und Wintersportmöglichkeiten bildet das rund 12 km lange Tal traditionell einen beliebten touristischen Anziehungspunkt im Ländle. Aus energiewirtschaftlicher Perspektive bieten der regionale Wasserreichtum in Kombination mit der Topographie des Brandnertals ideale Voraussetzungen für die Stromproduktion aus Wasserkraft. Deutlich zeigt sich das in der rund 750 Einwohner zählenden Ortschaft Brand, in der die Gemeinde insgesamt vier Wasserkraftwerke sowie zwei Trinkwasserkraftanla-gen betreibt. „Als Wintersport- und Tourismusgemeinde mit entsprechendem Energie-i bedarf für die Bergbahnen, Beschneiungsanlagen und Beherbergungsbetriebe wissen wir es sehr zu schätzen, dass ein wesentlicher Anteil des benötigten Stroms direkt vor Ort aus nachhaltigen Ressourcen erzeugt werden kann“, bekräftigt Bürgermeister Klaus Bitschi beim Lokalaugenschein von zek HYDRO im Brandnertal.
Neubau deutlich vergrößert
Die jüngste Ökostromanlage der Gemeinde, das Wasserkraftwerk St. Theodul II, hat im November des Vorjahres erstmals saubere Energie produziert. Der nach dem klassischen Ausleitungsprinzip konzipierte Neubau ersetzt das vormals im Besitz der örtlichen Pfarre gestandene Kraftwerk St. Theodul I, so Klaus Bitschi: „Anfang der 1980er Jahre hat die Pfarre das Kraftwerk Theodul I am Alvierbach errichtet, um die elektrische Kirchenheizung und andere Liegenschaften, wie den Kindergarten oder das Pfarrhaus, mit Strom zu versorgen. Nach knapp vier Jahrzehnten Dauerbetrieb hatte die technische Infrastruktur der Anlage ihren Zenit allerdings überschritten. Zudem stand die wasserrechtliche Konzession kurz vor dem Ablauf. Da die Gemeinde bereits mehrere Kraftwerksanlagen realisiert hatte, wurde im Einvernehmen mit der Pfarre entschieden, dass die Gemeinde die Reinvestition für die Erneuerung der Anlage stemmen soll.“ Als Generalplaner des Projekts wurde die Vorarlberger breuß mähr bauingenieure gmbh beauftragt, die ihre Kompetenz schon zuvor bei einer ganzen Reihe von Wasserkraft- und Trinkwasserversorgungsprojekten für die Gemeinde Brand unter Beweis gestellt hatte. „Für den Ersatzneubau des Kraftwerks St. Theodul I wurden bereits vor mehreren Jahren die ersten Vorkehrungen getroffen. 2014 hat die Gemeinde am Palüdbach ein Hoch- und Niederdruckkraftwerk errichtet, bei dem die beiden Maschinensätze in einem gemeinsamen Krafthaus untergebracht sind. Das Krafthaus der Anlage St. Theodul II sollte an dieses Maschinengebäude angebaut werden. Mehrere bauliche Voraussetzungen, wie beispielsweise der Anschluss an den Unterwasserkanal, wurden schon damals geschaffen“, erklärt Markus Mähr, der Geschäftsführer des renommierten Planungsbüros. Markus Mähr ergänzt, dass gemeinsam mit dem Bau des Wasserkraftwerks St. Theodul II auch die zentrale Trinkwasserleitung und die Quellfassung der Gemeinde erneuert wurden. „Die um rund 110 m weiter vom alten Standort bachaufwärts positionierte Wasserfassung des neuen Kraftwerks befindet sich in direkter Nähe zur Trinkwasserquelle. Damit das Wasserkraftprojekt die behördliche Genehmigung erhält, musste zunächst ein zweites Standbein für die Trinkwasserversorgung der Gemeinde realisiert werden, um die Quellfassung während der Bauphase außer Betrieb nehmen zu können. Nachdem dieses Projekt vor ca. zwei Jahren finalisiert wurde und ein Schutzkonzept für die bestehende Trinkwasserquelle während der Bauphase ausgearbeitet war, erteilte die Behörde grünes Licht für den Bau des neuen Kraftwerks.“
Ambitionierter Zeitplan
Nach dem Erhalt der wasserrechtlichen Genehmigung und dem Abschluss des Ausschreibungsverfahrens konnte das Projekt im Frühjahr 2022 in die Umsetzungsphase übergehen. Durchgeführt wurden die kompletten Hoch- und Tiefbauarbeiten sowie die Verlegung der Turbinen- und Trinkwasserleitungen von der Vorarlberger Jäger Bau GmbH. Das über die Landesgrenzen hinweg aktive Unternehmen war bereits für Errichtung der Hoch- und Niederdruckkraftwerke am Palüdbach zuständig gewesen. „Im Hinblick auf die Finanzierung des Projekts war das Zeitmanagement ein wichtiger Punkt. Die Anlage musste bis spätestens 28. Februar 2023 ans Netz gehen, um die von der Bundesregierung im Zuge der Corona-Krise initiierte AWS-Förderung zu erhalten. Bei diesem zeitlich begrenzenten Fördermodell erhalten Projekte im Bereich der Erneuerbaren Energien eine 14-prozentige Vergütung der Baukosten, wenn das Projekt bis zu einem gewissen Stichtag abgeschlossen ist. Dank des vorbildlichen Einsatzes und Kooperation der beteiligten Unternehmen konnte der ambitionierte Zeitplan des Projekts eingehalten werden“, erklärt Markus Mähr.
Coanda-Systemen reinigt Triebwasser
Witterungsbedingt startete die Bauphase des Projekts Mitte März 2022 beim Maschinengebäude. Am Standort der Wasserfassung begannen die Arbeiten nach der Schneeschmelze ca. einen Monat später. Der Einzug des Triebwassers aus der Alvier erfolgt durch ein 7 m breites und 1,8 m tiefes Tiroler Wehr. Aufgrund des vor allem im Frühjahr bzw. nach starken Niederschlägen hohen Geschiebetriebs wurde der Grobrechen mit 30 mm lichter Weite entsprechend massiv ausgeführt. Nach der Ausleitung strömt das Triebwasser zunächst in den Wehrkanal und danach weiter in den auf der orographisch rechten Gewässerseite angeordneten Verteilkanal im Entsandergebäude. Im Bauwerk sorgt das vom Südtiroler Stahlwasserbauallrounder Wild Metal gelieferte Coanda-System „Grizzly Power Optimus“ für das Abscheiden der feinen Sedimente aus dem Triebwasser. Bei dem von Wild Metal selbst entwickelten und patentierten System, das im gesamten Alpenraum mittlerweile mehr als 500-mal zum Einsatz kommt, handelt es sich um ein zum Großteil selbstreinigendes Schutzsieb für Wasserkraft- und Trinkwasseranlagen. Der Grizzly in der Ausführungsvariante Optimus besteht im Wesentlichen aus einem robusten Feinsieb, das aus speziellem Edelstahl mit hoher Abriebbeständigkeit gefertigt wird. Durch den namensgebenden Coanda-Effekt werden feine Partikel und Driftmaterial durch den Wasserstrom automatisch vom Feinsieb, dessen Spaltmaß beim Kraftwerk St. Theodul II 0,6 mm beträgt, abgespült und der Sandeintrag somit auf ein Minimum reduziert. In Summe lieferte Wild Metal 14 Coanda-Elemente, von denen jeweils sieben Stück links und rechts entlang des Verteilkanals im Entsandergebäude montiert wurden. Nach der Sedimentfiltration durch die Rechenfelder fließt das Triebwasser in ein Oberwasserbecken. Dieses Reservoir dient als Ausgleichs- und Beruhigungsbecken sowie für die Bereitstellung des erforderlichen Regelvolumens für die Turbine im Krafthaus. In einer Schieberkammer vor dem Beginn der Druckrohrleitung befindet sich eine Rohrbruchsicherung DN700. Der Rohrabgang in der gleichen Dimension sowie die Panzerungen des Verteilkanals und des Tiroler Wehrs stammen ebenfalls von Wild Metal. Die verpflichtende Restwasserabgabe erfolgt schon zuvor am Wehrkanal und besteht aus einer Basisdotation von konstant 114 l/s plus 10,5 Prozent der jeweiligen Zuflussmenge.
Kraftabstieg aus duktilen Gussrohren
Der rund 1,6 km lange Kraftabstieg zwischen Wasserfassung und Maschinengebäude besteht zur Gänze aus duktilen Gussrohren DN700. Die Trassenführung orientierte sich zu weiten Teilen am Verlauf eines bestehenden Güterwegs, in dem die Druckrohrleitung verlegt wurde. Markus Mähr weist auf eine Besonderheit des Druckrohrsystems hin: „2023 wird noch eine Anbindung des neuen Kraftabstiegs an die Druckrohrleitung der Hochdruckanlage Palüdbach, die bereits an das Beschneiungssystem des Skigebiets angeschlossen ist, hergestellt. Damit kann das aus der Alvier entnommene Wasser durch den Einsatz von Pumpen zukünftig auch für die Produktion von technischem Schnee verwendet werden.“ Geliefert wurde das komplette Rohrsystem für das Kraftwerk inklusive Sonderformstücke von der Tiroler Rohre GmbH (TRM). Die robusten Rohre von TRM kommen mit den oft extremen Anforderungen im alpinen Terrain bestens zurecht. In ökologischer Hinsicht hinterlassen die zu 100 Prozent aus Recyclingmetall gefertigten Rohre schon bei der Herstellung einen grünen Fußabdruck. Hinzu kommen die bekannten Vorzüge von duktilen Gussrohren wie hervorragende Festigkeit, Langlebigkeit und optimale Fließbedingungen durch eine äußerst glatte Zementmörtel-Innenbeschichtung. Weitläufige Richtungsanpassungen der Rohrtrasse können durch die geringfügige Abwinkelbarkeit der Rohrenden innerhalb der Verbindungsmuffen ohne den Einsatz von zusätzlichen Rohrkrümmern hergestellt werden. Aufgrund der anspruchsvollen geologischen Bedingungen wurde die Druckrohrleitung für das Kraftwerk St. Theodul II weitgehend mit dem schub- und zuggesicherten Verbindungssystem VRS®-T ausgeführt. Kurz vor ihrem Endpunkt unterquert die Druckrohrleitung mittels Unterdükerung noch die Alvier und tritt danach ins Maschinengebäude ein.
Leistungsstarke Pelton-Maschine
Als Herzstück der Anlage kommt eine Pelton-Turbine in vertikalachsiger Ausführung mit direkt gekoppeltem Generator zum Einsatz. Der Maschinensatz stammt von der oberösterreichischen WWS Wasserkraft GmbH, die für den Neubau im Brandnertal ein umfassendes Technikpaket schnürte. Neben dem Maschinensatz und dem Hydraulikaggregat lieferte der international aktive Wasserkraftallrounder auch die elektro- und leittechnische Ausstattung sowie diverse Schützen und Reguliereinrichtungen für die Wasserfassung. Mit den insgesamt sechs hydraulisch geregelten Düsen schafft die Turbine auch bei stark reduziertem Wasserdargebot sehr gute Wirkungsgrade in einem breiten Teillastspektrum. Ausgelegt wurde die Turbine auf eine Ausbauwassermenge von 1.000 l/s und 147 m Bruttofallhöhe, womit diese bei vollem Zufluss 1.174 kW Engpassleistung erreicht. Der direkt mit dem Laufrad verbundene Synchron-Generator vom Hersteller AEM Dessau GmbH wird von der Turbine mit exakt 750 U/min angetrieben. Für optimale Temperaturen des auf 400 V Spannung und 1.300 kVA Nennscheinleistung ausgelegten Generators sorgt eine Wasserkühlung, die von einem Wärmetauscher im Unterwasserbereich versorgt wird. Vom Generator fließt der erzeugte Strom zu einer Mittelspannungsschaltanlage, die wie der ebenfalls neue Transformator im angrenzenden Krafthaus der Anlage Palüdbach platziert wurde. „Mit dem Neubau werden auch die Gebäude der Pfarre weiterhin mit Strom versorgt. Dazu wurde eine bestehende Stromleitung, die direkt am Maschinengebäude vorbeiführt, an das neue Kraftwerk angeschlossen“, so Markus Mähr.
Erfolgreiches Projekt
Rund acht Monate nach Baustart ging der mustergültig realisierte Neubau Mitte November 2022 erstmals ans Netz. Bürgermeister Klaus Bitschi zieht ein durchwegs positives Fazit über das Projekt: „Während der feuchten Witterung im Dezember konnte die Anlage ihr Leistungsvermögen bereits unter Beweis stellen. Mit der Erneuerung hat die Gemeinde ihr Erzeugungspotential aus Wasserkraft verdoppelt, wodurch man definitiv von einem erfolgreichen Projekt sprechen kann.“ Ebenso positiv fällt das Resümee von Markus Mähr aus: „Trotz des ambitionierten Zeitplans konnte das Projekt ohne größere Verzögerungen abgewickelt werden. Die Betriebserfahrungen mit dem neuen Kraftwerk sind grundsätzlich gut, es gab bislang keine nennenswerten Probleme. Erfreulich ist natürlich auch, dass die zentrale Trinkwasserwasserleitung der Gemeinde im Zuge des Projekts erneuert wurde und die Quellfassung nun aus der Ferne elektronisch überwacht werden kann.“ Im Regeljahr wird das neue Kraftwerk St. Theodul II rund 3,6 GWh Ökostrom erzeugen. Klaus Bitschi bekräftigt, dass die Gemeinde Brand weiterhin auf die nachhaltige Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen setzen wird: „Das Wasserkraftpotential in der Gemeinde ist mit dem jüngsten Projekt ziemlich ausgeschöpft. Zukünftig wollen wir die Photovoltaik im Ort noch stärker ausbauen und das vielversprechende Potential von Windkraftanlagen durch das Land Vorarlberg untersuchen lassen.“
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