Neues Power-Trio in Südtirol10 min read
Lesedauer: 7 MinutenSeit Mai letzten Jahres wird im neuen Kraftwerk Rabenstein im hinteren Passeiertal wieder Strom erzeugt. Geblieben ist von der alten Anlage, die Anfang der 1960er errichtet wurde, lediglich der Name.
Rund 11,5 Mio. Euro hat das hiesige Konsortium E-Werk Rabenstein Genossenschaft in die Anlage investiert, an deren Umsetzung seit Spätherbst 2009 gearbeitet wurde. Das Herz des Kraftwerks besteht aus einem ungewöhnlichen Drei-Maschinen-Ensemble, bestehend aus zwei Francis- und einer Peltonturbine. Mit seiner modernen elektromaschinellen Ausrüstung, zur Gänze aus dem Hause Troyer AG, produziert das Kraftwerk Rabenstein heute mehr als fünfmal so viel Strom wie früher – und macht das kleine Rabenstein zu einem herausragenden Wasserkraft-Hot-Spot Südtirols.
Einst bildeten Silber, Blei und Zink, die man aus den Stubaier Alpen holte, die zentrale Säule für das wirtschaftliche
Überleben im ansonsten landwirtschaftlich geprägten Rabenstein im Hinterpasseier, einer Fraktion der Gemeinde Moos. Davon zeugt heute noch das Erlebnisbergwerk Schneeberg auf 2.350 Meter Seehöhe, das bis vor rund 50 Jahre Europas höchstgelegenes Bergwerk darstellte. Seit dieser Zeit ruht der Untertagebau. Eine andere wichtige Ressource der Natur hat in der Zwischenzeit die tragende wirtschaftliche Rolle übernommen: Wasser. Denn davon gibt es im hinteren Passeiertal, im Grenzgebiet zum österreichischen Ötztal, mehr als genug. Und angesichts der hoch aufragenden Hänge beiderseits des engen Tals überrascht es kaum, dass in dieser Region einige der effizientesten Hochdruck-Kraftwerke Südtirols errichtet wurden. Dazu zählt zweifelsfrei auch das neue Kraftwerk Rabenstein, das die Elektrogenossenschaft Rabenstein gemeinsam mit kompetenten Partnern aus der Wasserkraftbranche in den letzten Jahren realisieren konnte.
GEFÄHRLICHER KRAFTWERKS-ZUGANG
Seit Anfang der 1960er Jahre betreibt die Elektrogenossenschaft Rabenstein ein Kleinwasserkraftwerk an der Passer, jenem unberechenbarem Wildbach, der seit jeher das Leben der Talbewohner geprägt hat. Rund 2,5 Mio. kWh lieferte die Altanlage in einem durchschnittlichen Jahr. Speziell in den Wintermonaten sackte die Erzeugung meistens sehr stark ab. Was das Kleinkraftwerk ein wenig problematisch machte, war die Zugänglichkeit zur Wasserfassung. „Die Fassung war nur zu Fuß zu erreichen. Speziell in der kalten Jahreszeit war dies stets mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden“, erzählt der Projektleiter des mit der Planung des Neuprojektes beauftragten Ingenieurbüros EUT Brixen. Doch das war nicht der einzige Grund, warum die Betreiber Handlungsbedarf konstatiert hatten. EUT: „Man hat zwar die Generatoren einmal ausgetauscht, aber die Original-Turbinen von 1963 waren bis zuletzt im Einsatz. Und die waren schon schwer in Mitleidenschaft gezogen, wie man beim Ausbau festgestellt hat. Die Leitschaufeln der Francisturbinen konnte man verbiegen wie dünnes Autoblech.“
GRÜNES LICHT FÜR NEU-VARIANTE
Schon länger war daher eine umfassende Sanierung der Anlage im Raum gestanden. Diese schien konkrete Formen anzunehmen, als die Betreibergenossenschaft Anfang 2006 ein entsprechendes Projekt bei den zuständigen Behörden eingereicht hatte. Zwar waren in diesem Konzept bereits eine moderate Erhöhung der Ausbauwassermenge sowie eine Verlegung des Krafthauses vorgesehen, doch es beinhaltete keine zufriedenstellende Lösung für die Zugänglichkeit der Wasserfassung. Darüber hinaus stellte sich die geplante Ausbauwassermenge von 1.100 l/s bei einem Einzugsgebiet von 58,0 km2 als zu gering heraus. Aus diesen Gründen beauftragte die Elektrogenossenschaft Rabenstein in der Folge das Ingenieurbüro EUT mit der Erstellung eines Variantenprojektes. Dessen Kernpunkte umfassten im Wesentlichen die Verlegung der Fassung in den Bereich unterhalb des Rückgabekanals des Oberlieger- Kraftwerks Schönau auf rund 1.450 Meter Seehöhe. Dabei sollten – abgesehen vom Querbauwerk und dem Kiesgang – alle Komponenten der neuen Wasserfassung innerhalb einer neu zu errichtenden Kaverne angelegt werden. Außerdem plante man eine Verlegung der Druckrohrleitung DN1200 durch den Berg. Zu diesem Zweck sollte bergmännisch ein Stollen aufgefahren werden. Selbiger wurde zugleich als Zugang zur Fassung k onzipiert. Gemäß dem neu en Planungskonzept sollte das Krafthaus in der Nähe der Brücke Rabenstein errichtet werden, wobei die Zufahrt ebenfalls über einen unterirdischen Stollen ermöglicht werden sollte. Als letzter wesentliche r Pu n kt war nun eine Erhöhung der Ausbauwassermenge auf 3.000 l/s vorgesehen. 2009 gab es von Seiten der Südtiroler Behörden für dieses Alternativprojekt grünes Licht. Unmittelbar nach den Vergaben der Baulose auf Basis der Ausschreibungen konnten die Bauarbeiten im Spätherbst 2009 starten.
IM SPRENGVORTRIEB DURCH DEN BERG
„Der früh einsetzende Winter mit starken Schneefällen bescherte den Bauarbeiten allerdings schon nach einem Monat Pause“, erzählt der Planer von EUT. Die Fortsetzung folgte schließlich erst im Frühling 2010. Den Auftakt achten der Abbruch von Felsmaterial in der engen Schlucht oberhalb des Fassungsbereichs sowie aufwändige Hangsicherungen. In weiterer Folge begann man mit dem Ausbruch des Stollens, der konventionell im Sprengvortrieb aufgefahren wurde. „Bis August 2010 ist der Durchstich gelungen. Auf der wasserzugewandten Seite wurde vorerst nur in kleines Loch aus dem Fels gebrochen. Das reichte aus, um den Staub mit der entstandenen Luftzirkulation bziehen zu lassen. Für zwei Wochen ruhten die Arbeiten“, erzählt der Projektverant-wortliche des Brixener Planungsbüros. Danach wurde parallel an der Finalisierung des Stollens sowie an der Errichtung des festen ehrkörpers n der engen Schlucht der Passer gearbeitet. Auch mit dem Bau des neuen Maschinenhauses war man zu dieser Zeit bereits zugange. „Was die Errichtung des Krafthauses angeht, hatten wir im Vorfeld keine Möglichkeit für ine fundierte geologische Vorerkundung. Wir wussten aber, dass in diesem Bereichfrüher ein See war und der ntergrund daher jede Menge Feinsedimente aufwies. Aus diesem Grund haben wir zahlreiche Stützpfähle für die Gründung des Zentralengebäudes gesetzt“, erklärt Markus Gruber.
EIN UNGLEICHES MASCHINEN-TRIO
Ende Oktober 2010 wurden die Arbeiten am Stollen abgeschlossen. Die Druckrohrleitung DN1200 wurden verlegt und die Hauptkomponenten der Wasserfassung im Berginneren realisiert. „Den Winter 2010/2011 konnte nun urchgearbeitet werden. Im Inneren des Stollensystems herrschen konstant 8 bis 9 Grad. Das war nicht nur für die Bauarbeiten günstig. Auch für den Kraftwerksbetrieb bringt dies Vorteile. Im Gegensatz zur früheren Anlage spielt ereisung heute keine Rolle mehr“, so der Projektverantwortliche von EUT. Noch im Winter wurden die Maschinen, zwei ungleiche Francisturbinen sowie eine vierdüsige Peltonturbine aus dem Hause Troyer AG sowie die ynchrongeneratoren Fabrikat Marelli angeliefert und montiert. Es folgte die Inbetriebsetzungsphase – und nach umfangreichenTestläufen und Kontrollen konnte das neue Kraftwerk Rabenstein schließlich im Frühling 2011 den Probebetrieb aufnehmen.
DER WEG DES TRIEBWASSERS
Das neue Hochdruck-Kraftwerk an der Passer entnimmt nun sein Triebwasser über eine Seitenentnahme, präziser: über zwei Öffnungen mit einer Breite von jeweils 2,20 Meter. Diese Öffnungen sind mit einem ersten Grobrechen ersehen, der das Eindringen von größeren Steinen und Geschwemmsel verhindern soll. Bereits 2 Meter danach ist der weite, der eigentliche Einlaufrechen angebracht, der im Gegensatz zum vorderen Grobrechen aus dem Inneren der Wasserfassungskaverne gereinigt werden kann. Zwischen den beiden Rechen wurde eine Fischscheuchanlage und zwei Entnahmenschütze installiert. Das Triebwasser wird in der Folge über einen Querkanal zu den drei je 17 m langen, 2,10 m breiten und 2,10 m tiefen Entsanderbecken geleitet. Drei motorisierte Regulierschleusen regeln den asserzufluss zu den Entsanderkammern. Wird – je nach Bedarf – ein Entsanderbecken gespült, gelangt das pülwasser mit den Sedimenten über einen 40 Meter langen Stollen zurück ins Bett der Passer. Nach Durchströmen der ntsanderkammern wird das Triebwasser unter eine Tauchwand durch den Feinrechen geführt, es gelangt weiter über einen Überfall in die Vorkammer und von hier in die Druck – kammer, wo über einen Druckaufnehmer die asserspiegelregelung erfolgt. Über ein konisches Übergangsstück strömt das Wasser nun in die 812 Meter lange ruckrohrleitung, um darin die Fallhöhe von rund 134 Metern bis zu den Turbinen zu überwinden. Nach Passieren der urbinen wird das Wasser in einem 20 Meter langen Stahlbetonkanal zurück in die Passer geleitet.
GANGLINIE MIT XTREMEN
Was das neue Kraftwerk in Rabenstein so besonders macht, sind zum einen die aufwändigeTriebwasserführung durch den Stollen und zum anderen dessen ungewöhnliches Maschinen-Ensemble, das aus drei unterschiedlichen Turbine-Generator-Einheiten besteht. Der Projektverantwortliche: „Wir haben in diesem Bereich einfach extreme
Schwankungen der nutzbaren Wassermenge. Sie pendelt zwischen einem Minimum von 178 l/s und einem Maximum von 3.000 l/s. Und um ein Wasserdargebot mit derartigerSpreizung mit möglichst hohen Wirkungsgraden abarbeiten zu können, sind wir auf die Lösung mit zwei ungleichen Francis-Turbinen und einer vierdüsigen Pelton-Turbine gekommen.“ Turbine 1, die größte des Maschinen-Trios, ist auf eine Wassermenge von 2.100 l/s ausgelegt und weist eine Nennleistung von 2.432 kW auf. Turbine 2, ebenfalls eine Francis-tur- Nach Passieren des Feinrechens gelangt das Triebwasser zum unterirdisch angelegten Drei-Kammer-Entsander. Drei motorisierte Schleusen regulieren den Wasserzufluss. Die Spülung der Entsanderbecken erfolgt vollautomatisch. bine bringt es auf 1.020 kW Nennleistung bei einem Schluckvermögen von 900 l/s. Turbine 3, die so genannte Winterturbine, ist eine vierdüsige Peltonturbine, die bei einem maximalen Durchfluss von 400 l/s auf eine Leistung von 467 kW kommt.
SOLIDES STEUERUNGSKONZEPT
Das Betriebsregime ist so konzipiert, dass unter Volllast – sprich bei einer Ausbauwassermenge von 3.000 l/s – die beiden Francisturbinen in Betrieb sind. Die Peltonturbine steht in diesem Fall still. Im umgekehrten Fall, also in den wasserarmen Wintermonaten, wird bei einer Wassermenge bis 400 l/s nur die vertikalachsige vierdüsige Peltonturbine eingesetzt. Diese Maschine arbeitet auch bei geringeren Wassermengen in einem sehr guten Wirkungsgradbereich, während die Francisturbine gemäß ihrer Wirkungsgradcharakteristik bei einer Teilbeaufschlagung unter 40 Prozent ehr rasch absinkt. Dass die gesamte Anlage eine hohe energiewirtschaftliche Effizienz erreicht, ist nicht nur der bekannt hohen Qualität der Wasserkrafttechnik aus dem Hause Troyer AG geschuldet. Darüber hinaus hängt es auch von einer hochwertigen Steuerungs- und Automatisierungslösung ab. Auch diese stammt von den Wasserkraftspezialisten aus Sterzing, die gerade im wasserreichen Passeiertal den Großteil aller Wasserkraftwerke realisiert und diese letztlich auch in ein modernes übergeordnetes Leitsystem eingebunden haben. Im Fall des neuen Kraftwerks Rabenstein wurde zudem Inselbetriebs- und Schwarzstartfähigkeit integriert, um die ersorgungssicherheit im hintersten Teil des Passeiertals weiter zu erhöhen.
WILDBACHCHARAKTER BLEIBT ERHALTEN
Entsprechend der langjährigen Wasserganglinie wird die volle Ausbauwassermenge – die nötig ist, um beide Francisturbinen in ihrem Wirkungsgradoptimum zu betreiben – an rund 80 bis 90 Tagen im Jahr erreicht. „Wir haben hier eine Aufteilung von Nutzwasser zu Restwasser von 59,0 % zu 41,0 %. Die behördlichen Vorgaben sehen eine Dotationswassermenge von 175 l/s plus 20 % des aktuell anfallenden Wassers in der Passer vor. Das ist nicht wenig, aber damit bleibt der Wildbachcharakter der Passer erhalten und zugleich ist ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlage garantiert“, sagt der Projektverantwortliche von EUT. Die Dotation der Pflichtwassermenge wird über das kleinere der beiden Wehrfelder mittels eines Flachschützes gewährleistet. Das Schütz wurde so konstruiert, dass der für die vorgeschriebene Sockelmenge an Restwasser erforderliche Schütz-Hub nicht unterschritten werden kann. Darüber hinaus kann mithilfe dieses Schützes der Vorboden des Einlaufs frei von Geschiebe gehalten werden.
VERLEGUNG IN STOLLEN-SOHLE
Sämtliche stahlwasserbaulichen Komponenten des komplexen Wasserkraftwerks wurden dabei von einem Unternehmen realisiert, das zum einen über eine enorme Erfahrung im Stahlwasserbau für Wasserkraftwerke verfügt – und zudem direkt aus der Standortgemeinde, Moos im Passeier, kommt: die Firma Gufler Metall. Nicht nur sämtliche Schütze, Rechen, Klappe und viele kleinere Bauteile kamen vom hiesigen Stahlwasser-Spezialisten, auch die Schweißarbeiten an der Stahl-Druckrohrleitung wurden in gewohnt kompetenter Manier vom Team von Gufler Metall bewerkstelligt. Die Rohrleitung aus spiralgeschweißten Stahlrohren wurde in einem Sandbett in der Stollensohle über eine Länge von 812,50 Meter verlegt. Die einzelnen Rohre wurden mit Rundnähten direkt vor Ort verschweißt und abschließend mittels einer Streuflusskontrolle geprüft. Selbst das Einbringen der Rohre, das Verlegen und Einsanden im Stollen wurde von der Mannschaft von Gufler Metall bewerkstelligt – und das unter höchst beengten Bedingungen.
WASSERKRAFT-HOT-SPOT RABENSTEIN
Seit Mai letzten Jahres ist das neue Kraftwerk nun in Betrieb, konnte dabei bereits die volle Leistungskapazität während der Schneeschmelze ausschöpfen. Im Mittel werden über das Jahr rund 1.427 l/s Triebwasser eingezogen. Bei der maximalen Ausbauwassermenge von 3.000 l/s kommt die Anlage auf eine Engpassleistung von rund 3.300 kW. Zum Vergleich: Die minimale Leistung wird mit 190 kW angegeben. Mit den drei unterschiedlichen Maschinensätzen ist das neue Kraftwerk Rabenstein nun in der Lage, im Regeljahr rund 13,4 GWh sauberen Strom zu erzeugen. Das bedeutet nicht nur ein Verfünffachen der bisherigen Jahreserzeugung, sondern darüber hinaus einen massiven Ausbau der bisherigen Erzeugungskapazitäten im Hinterpasseier. In Summe werden alleine in der kleinen Fraktion Rabenstein heute pro Jahr rund 50 GWh Strom aus Wasserkraft ans Netz geliefert. Bezogen auf die Einwohnerzahl von etwa 230 darf sich die kleine Ortschaft am Fuße des Timmelsjochs zweifellos Südtirols zählen. Was nicht nur im Hinblick auf die Erzeugungskapazitäten gilt, sondern auch was den hohen technischen Standard angeht: Rabenstein ist eben ein echter Wasser kraft-Hot-Spot.
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