Neues Südtiroler Kraftwerk Mastle liefert Ökostrom für Gamsbluthütte und öffentliches Netz8 min read
Lesedauer: 7 MinutenIn der Südtiroler Gemeinde St. Christina in Gröden wurde das Kleinwasserkraftwerk Mastle zwischen Frühjahr 2022 und April 2023 umfassend erneuert. Durch den kompletten Neubau, der mit einer erheblichen Steigerung von Fallhöhe und Ausbauwassermenge einherging, übertrifft die Anlage die Leistungs- und Erzeugungskapazität des Altkraftwerks um ein Vielfaches. Während das alte, zuvor allein für den Inselbetrieb konzipierte Kraftwerk eine maximale Engpassleistung von 20 kW erreichte, kommt der Neubau mit seiner 4-düsigen Pelton-Turbine von der Maschinenbau Unterlercher GmbH unter Volllast auf 476 kW. Für die Ausleitung des Triebwassers sorgt das nahezu selbstreinigende Coanda-System „Grizzly“ vom Südtiroler Branchenspezialisten Wild Metal GmbH. Im Regeljahr wird das neue Kraftwerk Mastle rund 1,3 GWh Ökostrom produzieren.
Das malerische Bergpanorama der Dolomiten und ein äußerst vielseitiges Sport- und Freizeitangebot machen die Südtiroler Gemeinde St. Christina in Gröden zu einem weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Touristenmagneten. Dies verdeutlichen die jährlich weit über 400.000 Gästeübernachtungen in der rund 1.900 Einwohner zählenden Gemeinde. Seit iPhone Hersteller Apple die Bewerbung seiner Smartphones mit Panoramaansichten der Dolomiten untermalt hat, sollen die Besucherzahlen noch weiter in die Höhe gegangen sein. Dieser Eindruck stammt von Luca Runggaldier, der mit seiner Familie die direkt neben der Piste im Skigebiet Col Raiser/Seceda gelegene Gamsbluthütte bewirtschaftet. Neben dem Betrieb des fast ganzjährig geöffneten Berggasthofs, den Luca Runggaldier 2012 gemeinsam mit seinem Vater mit altem Holz zum Erhalt des urigen Charakters neu gebaut hat, ist der Südtiroler zudem auch Stromproduzent aus Wasserkraft.
Wasserkraftnutzung mit Tradition
Die ersten Gäste in der Gamsbluthütte wurden von Luca Runggaldiers Großvater Mateo bewirtet, der die Ausflugshütte 1967 ursprünglich gebaut hatte. Dieser war es auch, der die Wasserkraft zur autonomen Stromversorgung der Gamsbluthütte nutzbar gemacht hatte. „Das Kleinkraftwerk wurde von meinem Großvater insgesamt drei Mal umgebaut, wobei der Standort des Maschinengebäudes immer weiter nach unten gewandert ist. Zunächst befand sich das Krafthaus etwa 100 m unterhalb der Hütte, dann 300 m und schließlich 600 m. Der letzte Umbau des Kraftwerks vor der kompletten Erneuerung hat vor ca. 35 Jahren stattgefunden, wobei das mitten im Wald angelegte Maschinengebäude nur zu Fuß erreichbar war. Ausgerüstet war die Anlage mit einer 1-düsigen Pelton-Turbine mit ca. 20 kW Maximalleistung. Weil die Leistung des alten Kraftwerks für den Strombedarf der neuen Gamsbluthütte, die inklusive der Aussichtsterrasse Platz für rund 200 Gäste bietet, bei weitem nicht mehr ausreichte, haben wir uns dafür entschieden, die Anlage grundlegend zu erneuern“, erklärt Luca Runggaldier.
Restwasserabgabe unerwünscht
Vom alten Kraftwerk Mastle, mit dem das hydroenergetische Potential des namensgebenden Mastlebachs genutzt wird, blieb im Prinzip lediglich der Standort der Wasserfassung erhalten. Das neue Maschinengebäude befindet sich rund 1.000 m Luftlinie unterhalb der Gamsbluthütte. Errichtet wurde das in die natürliche Hanglage integrierte Bauwerk direkt oberhalb der Wasserfassung des Unterliegerkraftwerks, womit das Gewässer nun vollständig für die Stromerzeugung erschlossen ist. In Bezug auf die Ausbauwassermenge des Neubaus weist Luca Runggaldier auf ein interessantes Detail hin: „Üblicherweise ist man als Kraftwerksbetreiber verpflichtet, einen vorgeschriebenen Restwasseranteil im Gewässer zu belassen. Bei uns ist es hingegen so, dass wir so viel Wasser wie möglich ausleiten sollen. Begründet ist dies mit den zum Teil geologisch instabilen Verhältnissen im Bereich unterhalb der Gamsbluthütte. So ist der Boden in einem gewissen Hangbereich zwischen 20 und 60 Zentimeter pro Jahr in Bewegung. Um diese Situation durch den konstanten Zufluss des Mastlebachs nicht zu verschlimmern, muss an der Wehranlage des Kraftwerks so viel Wasser wie möglich entnommen werden.“
Grizzly fasst Wasser
Der Betreiber lässt nicht unerwähnt, dass eine ganze Reihe unterschiedlicher Arbeiten bei der Errichtung des neuen Kraftwerks in Eigenregie umgesetzt wurden: „Die rund 700 m lange Schneise zur Verlegung der Druckrohrleitung durch ein Waldstück haben wir selber geschlagen. Auch unser eigener Bagger war viel im Einsatz.“ Die geschlägerten Bäume wurden mit einer temporär aufgestellten Materialseilbahn nach unten gebracht, in der entgegengesetzten Richtung diente die Seilbahn zum Transport von Druckrohren und Baumaterial. Neben einer gehörigen Portion Eigeninitiative setzte Luca Runggaldier bei der Realisierung seines Wasserkraftprojekts auf die Kompetenz erfahrener Branchenspezialisten. So wurde das in Brixen ansässige Planungsbüro Exact – Ingenieure für die Planung des Ausführungsprojekts, die Bauleitung, die statischen Berechnungen, die Sicherheitskoordination und die Katasterarbeiten beauftragt. Für die Lieferung des kompletten Stahlwasserbauequipments der Wasserfassung sorgte mit der Wild Metal GmbH ein weiteres bewährtes Unternehmen aus Südtirol. Die Ratschingser sind in der Branche vor allem für ihr patentiertes Coanda-System „Grizzly“ bekannt, das seine Praxistauglichkeit im gesamten Alpenraum mittlerweile mehr als 500-mal unter Beweis stellt. Das namensgebende Coanda-Prinzip des „Grizzly“, wonach verkürzt gesagt Flüssigkeiten einer Oberfläche folgen, sorgt dafür, dass die Feinrechenfläche automatisch durch den Wasserstrom von Geschwemmsel und Treibgut gereinigt wird. Beim Kraftwerk Mastle kommt das Coanda System „Grizzly Protec“ zum Einsatz, dessen Feinsieb durch einen darüber angeordneten Grobrechen aus feuerverzinktem Stahl vor größeren Steinen und Ästen geschützt wird. Der Wild Metal Lieferumfang beinhaltete zudem einen separaten Wintereinlauf, der während der kalten Jahreszeit bei stark verringerten Zuflüssen zum Einsatz kommt. Der „Grizzly“ wurde mit einer Wassereinzugsmenge von insgesamt 500 l/s ausreichend groß dimensioniert, um auch das Überwasser vor dem Beginn des Rutschhangs fassen zu können. Für den Kraftwerksbetrieb werden maximal 190 l/s herangezogen, die von der Wasserfassung durch eine oberirdisch verlegte Leitung aus PE-Rohren zum rund 150 m entfernten Entsander geführt werden.
Kraftabstieg aus Guss
Gleich nach dem Entsanderbauwerk mit der Apparatekammer und der Rohrbruchsicherung beginnt der zur Gänze aus duktilen Gussrohren bestehende Kraftabstieg DN400, der das Triebwasser über eine Strecke von ca. 1,3 km ins Krafthaus führt. Geliefert wurden die robusten Rohre des Herstellers Saint-Gobain von dem auf Beschneiungstechnik spezialisierten Südtiroler Unternehmen Technoalpin AG. „Die Rohrverlegung war vor allem im unteren Trassenabschnitt kurz vor dem Krafthaus wegen des dort äußerst steilen Geländes nicht ganz einfach umzusetzen. In diesem Abschnitt kam ein spezieller Schreitbagger zum Einsatz“, sagt Luca Runggaldier. Darüber hinaus spielte auch der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle bei der Rohrverlegung. Im oberen Bereich der Rohrtrasse orientiert sich deren Verlauf entlang der bestehenden Forststraße, die gleichzeitig die einzige Zufahrtsmöglichkeit zum weitläufigen Almgebiet darstellt, so der Betreiber: „Damit die Rohre entlang der Forststraße verlegt werden konnten, musste bei der Behörde um eine einmonatige Straßensperre angesucht werden. Dank der schnell durchgeführten Arbeiten konnte dieser Leitungsabschnitt sogar innerhalb von nur drei Wochen fertiggestellt werden.“
Leistungsstarkes Kraftpaket aus Osttirol
Das Herzstück des Neubaus bildet eine 4-düsige Pelton-Turbine im Krafthaus, die vom Osttiroler Kleinwasserkraftspezialisten Maschinenbau Unterlercher GmbH stammt. „Ursprünglich war es vorgesehen, im Krafthaus eine größere und eine kleinere Turbine einzubauen. Schließlich sollte sich aber doch ein einziger Maschinensatz als die wirtschaftlich vernünftigere Lösung herauskristallisieren. Vergeben wurde der Auftrag an die Firma Unterlercher, weil diese ein finanziell interessantes Angebot vorgelegt hatte. Außerdem bin ich auch mit einem anderen Südtiroler Wasserkraftbetreiber aus der Gemeinde Sarntal bekannt, der mit seiner Turbine von Unterlercher sehr zufrieden ist“, betont Luca Runggaldier. Für das Kraftwerk Mastle fertigten die Osttiroler eine vertikalachsige Pelton-Maschine mit einem direkt gekoppelten Synchron-Generator vom oberösterreichischen Hersteller Hitzinger. Dank der vier individuell elektrisch geregelten Düsen kommt die Anlage auch mit erheblich verringerten Zuflüssen bestens zurecht und erzielt über ein breites Betriebsband hinweg hohe Wirkungsgrade. Bei vollem Wasserdargebot schafft die für 283,7 m Nettofallhöhe und 190 l/s Ausbauwassermenge konzipierte Maschine 476 kW Engpassleistung. Der luftgekühlte Generator, der auf 950 V Spannung und 580 kVA Nennscheinleistung ausgelegt wurde, dreht wie die Turbine mit exakt 1.500 U/min. Das gesamte elektro- und leitechnische Equipment der Anlage, die gleichzeitig inselbetriebs- und schwarzstartfähig ist und natürlich auch den Netzparallelbetrieb beherrscht, wurde durch das Südtiroler Unternehmen En-Co geliefert, einem weiteren Branchenexperten aus Südtirol. Die moderne Regelungstechnik der renommierten Automatisierungsprofis für den Kleinwasserkraftsektor sorgt für den vollautomatischen Betrieb der Anlage und ermöglicht dem Betreiber auch aus der Ferne via PC oder Smartphone umfangreiche Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Steuerung.
Ertragreiche Ökostromproduktion
Rund 13 Monate nach dem Baustart konnte das neue Kleinwasserkraftwerk der Gamsbluthütte im April 2023 zum ersten Mal in Betrieb genommen werden. „Die schnelle Fertigstellung ist neben der guten Arbeit der beteiligten Unternehmen auch den günstigen Wetterverhältnissen im Vorjahr zu verdanken. Während der meist trockenen Witterung gab es keine Probleme bei den Einsätzen der schweren Bagger und Baumaschinen. Generell bin ich sehr zufrieden mit dem Projektverlauf und dem Endergebnis. Die Anlage läuft seit der Inbetriebnahme tadellos und liefert zuverlässig Strom für den Hüttenbetrieb und das öffentliche Netz“, resümiert der Betreiber. Im Regeljahr kann das vorbildlich realisierte Kleinwasserkraftwerk rund 1,3 GWh Ökostrom erzeugen, wovon ca. 100.000 kWh für den Betrieb der Gamsbluthütte Verwendung finden. In der Zukunft möchte Luca Runggaldier das Kraftwerk zusätzlich für die Stromversorgung der naheliegende Liftgesellschaft oder eines großen Hotels in der Gemeinde nutzen, um die Wirtschaftlichkeit seiner Anlage noch weiter zu optimieren.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 6/2023
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