Niederösterreichische Wasserkraftprofis erneuern Osttiroler Kraftwerkskaskade und Stromnetz

25. Februar 2025, Lesedauer: 11 min

Innerhalb weniger Jahre hat die in Niederösterreich ansässige Anton Kittel Mühle Plaika GmbH in Osttirol eine mehrstufige Kraftwerksanlage modernisiert und erneuert. Die Kleinwasserkraftwerke nutzen das hydroenergetische Potential der Gewässer Taberbach und Haiglbach und versorgen mit dem regional erzeugten Ökostrom rund 450 Energieabnehmer im lokalen Stromnetz, das 2018 von den Niederösterreichern erworben wurde. Nach der Übernahme wurden von den neuen Besitzern, die auch in ihrem Heimatbundesland ein eigenes Stromnetz betreiben, erhebliche Investitionen getätigt, um die Versorgungsqualität in den Gemeinden Ainet und Schlaiten zu gewährleisten. Das jüngste und gleichzeitig leistungsstärkste Kraftwerk am Taberbach mit über 1,5 MW Engpassleistung ging im Sommer des Vorjahres erstmals ans Netz. Im Regeljahr kann die Osttiroler Kleinkraftwerkskaskade rund 9,5 GWh sauberen Strom produzieren.

In den Osttiroler Gemeinden Ainet und Schlaiten steht die Energieproduktion aus Wasserkraft hoch im Kurs. Das ist nicht verwunderlich, denn das privat betriebene Stromnetz der beiden Ortschaften wird seit über 80 Jahren durch mehrere Kleinwasserkraftwerke mit sauberem Strom versorgt. Zu verdanken ist dies dem 2015 verstorbenen Max Hechenblaikner, der als geschickter Elektrounternehmer und E-Werk-Betreiber seit den 1960er Jahren maßgeblich für den Aufbau des lokalen Stromnetzes und die Errichtung mehrerer Wasserkraftwerke verantwortlich war.

KITTEL MÜHLE ERWIRBT STROMNETZ
2018 wurde das E-Werk Hechenblaikner schließlich von der in Niederösterreich ansässigen Anton Kittel Mühle Plaika GmbH übernommen. Neben der Mehlproduktion ist die Kittel Mühle seit Jahrzehnten auch als privater Stromnetzbetreiber in Niederösterreich aktiv, darüber hinaus betreibt das Unternehmen im In- und Ausland zahlreiche Wasserkraftwerke und ist zudem im Stromhandel und Großvertrieb tätig. „Wir haben das Stromnetz in Ainet und Schlaiten und die dazugehörigen Kraftwerke im November 2018 erworben. Schon im Vorfeld der Übernahmne hatten wir als erfahrene Netz- und Kraftwerksbetreiber eine Perspektive für die in die Jahre gekommene Infrastruktur entwickelt, damit die rund 450 Stromkunden in Ainet und Schlaiten auch zukünftig sicher und zuverlässig mit Energie versorgt werden können“, sagt der Kittel Mühle-Geschäftsführer Hannes Taubinger: „Johannes Steiner und ich waren praktisch vom ersten Tag an im Netz stark gefordert. Dem Herbststurm 2018 fielen zahlreiche Strommasten zum Opfer. Im November 2019 zerstörte eine Mure eine ganze Trafostation. An allen Netzausläufern war die Spannungsqualität unzureichend. Mit erheblichen Investitionen errichteten wir innerhalb von sechs Jahren das Netz fast komplett neu. Dafür gibt es heute keine Engpässe mehr für die Netzkunden bei PV-Anlagen oder E-Tankstellen.“

DURCHDACHTES KONZEPT
Der beträchtliche finanzielle und technische Aufwand für die Gewährleistung der Versorgungsqualität betraf auch die Modernisierung bzw. den Neubau der Kleinwasserkraftwerke. Vor der Übernahme des Stromnetzes durch die Kittel Mühle wurde dieses von insgesamt vier im Laufe der Jahre errichteten Kraftwerke versorgt. „Der Vorbesitzer hatte bereits ein durchdachtes Konzept für die Inselversorgung entwickelt, an dem wir im Großen und Ganzen auch nach den Erfahrungen im Herbst und Winter 2018 – 2020 mit stundenlangen Unterbrechungen bei Tinetz festgehalten haben. Eine wesentliche Änderung wurde allerdings vorgenommen: Anstelle von vormals vier Anlagen wird nun mit drei Kraftwerken sauberer Strom erzeugt,“ so Hannes Taubinger. Das alte Konzept bestand aus einer Oberstufe mit ca. 300 kW Engpassleistung, einer Mittelstufe mit ca. 540 kW Engpassleistung und einer Unterstufe mit ca. 38 kW Engpassleistung, die allesamt mit dem hydroenergetischen Potential des Taberbachs betrieben wurde. Zusätzlich erzeugte noch an dem kleineren Parallelgewässer Haiglbach ein weiteres Kraftwerk, das über einen eigenen Speicherteich verfügte, mit ca. 40 kW Maximalleistung Strom. Im Zuge der umfassenden Modernisierung wurde die Anlage am Haiglbach aufgelassen. Anstelle dessen wird das Triebwasser des Haiglbachs vom bestehenden Speicherteich nun durch den Bau einer neuen Druckrohrleitung zur völlig neu gebauten Mittelstufe geleitet, wodurch diese ein erhebliches Plus an Leistungs- und Erzeugungskapazität erreicht. Neben dem Neubau der Mittelstufe wurden auch das obere und das untere Kraftwerk modernisiert, wobei sowohl das elektromechanische als auch das steuerungstechnische Equipment grundlegend erneuert wurden. Für die Planung des Erneuerungsprojekts setzte die Kittel Mühle auf das Ziviltechnikerbüro DI Klaus Oberacher aus Reith bei Kitzbühel, das schon auf eine Reihe von ausgezeichneten Referenzen in der Wasserkraft verweisen kann.

Wasserkraftwerk Taberbach Triebwassereinzug Wild Metal
Das Coanda-System von Wild Metal mit seinem funktionsbedingten Selbstreinigungseffekt gewährleistet den vollautomatischen Triebwassereinzug am Taberbach.

OBERSTUFE KOMMT ZUERST DRAN
Die Modernisierung der Wasserkraftwerke startete im Sommer 2020 an der Oberstufe. Zuerst wurde die Druckrohrleitung mittels Molch von Rostpartikeln im Innenrohr befreit. Zeitgleich wurden die komplette 400 V Anlage und Leittechnik erneuert. Als neues Herzstück der Anlage lieferte der Kärntner Kleinwasserkraftspezialist EFG Turbinenbau eine 2-düsige Pelton-Maschine in horizontalachsiger Bauform. Die hydraulisch geregelte Turbine wurde auf eine Ausbauwassermenge von 340 l/s und 166,4 m Bruttofallhöhe ausgelegt, womit diese bei vollem Wasserdargebot 443 kW Engpassleistung erzielt. Dabei wurde aber schon eine etwaige spätere Konsenswassermengen- und/oder Fallhöhenerweiterung mitgedacht, und die Turbine darauf ausgelegt. Der bestehende Generator vom Fabrikat Hitzinger wurde komplett überholt und mit einem Schwungrad im Hinblick auf den Inselbetrieb des Netzes Ainet ausgerüstet. Völlig neu ausgeführt hingegen wurden das elektround regelungstechnische Equipment sowie die Steuerung der Anlage vom Südtiroler Wasserkraftallrounder Troyer AG. „Bei der Leittechnik für das Oberstufenkraftwerk haben wir uns ganz bewusst für Troyer entschieden. Uns war ein Anbieter mit Erfahrung in Leittechnik und Betrieb von Wasserkraftwerken unter Inselnetzbedingungen wichtig. Troyer überzeugte nicht nur damit, sondern auch durch ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis und den Einsatz zukunftsträchtiger Leittechnikkomponenten“, sagt Hannes Taubinger.

COANDA-SYSTEME FÜR DIE MITTELSTUFE
Im Sommer 2023 startete schließlich der komplette Neubau des Mittelstufenkraftwerks, dessen Leistungskapazität durch eine höhere Wassermenge, den Wegfall enormer Rohrreibungsverluste und die Einbeziehung des Speicherteichs am Haiglbach nahezu verdreifacht werden konnte. Bei den beiden Wasserfassungen des Kraftwerks setzten die Betreiber auf das bewährte Coanda-System „Grizzly“ vom Südtiroler Branchenexperten Wild Metal GmbH, das seine Praxistauglichkeit mittlerweile an mehr als 500 Standorten im gesamten Alpenraum unter Beweis stellt. Die zentralen Merkmale des Südtiroler „Grizzlys“ sind seine charakteristisch geschwungene Form sowie dessen Feinsieb mit äußerst geringer Spaltweite. Dank des namensgebenden Coanda-Effekts – vereinfacht beschrieben: Flüssigkeiten folgen konvexen Oberflächen – wird das Triebwasser mit äußerst geringem Sedimentanteil eingezogen. Das Funktionsprinzip beinhaltet zudem auch einen Selbstreinigungseffekt der sicherstellt, dass durch die Wasserströmung größere Steine oder Kiesel sowie Laub und Geschwemmsel automatisch von der Rechenfläche abspült werden. Die Wasserfassung am Taberbach wurde mit dem System „Grizzly Power Protec“ ausgestattet, bei dem das Feinsieb durch einen darüber angeordneten Grobrechen vor Steinen und Treibgut geschützt wird. Außerdem lieferten die Südtiroler für die Hauptfassung eine Rinne für die dynamische Restwasserabgabe, eine Spülklappe mit integriertem Wintereinlauf sowie ein Hydraulikaggregat samt Steuerölleitungen. Am Speicherteichauslauf Haiglbach, von dem das Triebwasser der Hauptdruckrohrleitung zugeführt wird, kommt durch einen „Grizzly Power Optimus“ ein weiters Coanda-System zum Einsatz. „Dank des Speicherteichs können wir das Mittelstufenkraftwerk auch im Schwellbetrieb fahren und damit Verbrauchsspitzen im Netz abfangen bzw. PV-Strom besser nutzen“, merkt Hannes Taubinger an. Für die Schlosserarbeiten an der Mittelstufe war der Osttiroler Stahl- und Anlagenbauspezialist Trost GmbH aus Matrei zuständig. Der Auftrag umfasste sämtliche Schlosserarbeiten inkl. Lieferung und Montage von Armaturen und Stelleinrichtungen, den fachgerechten Einbau diverser Rohrleitungen und Durchführungen sowie die Montage von Schachtabdeckungen, Zugangsstiegen und Fußgängerbrücke.

Kleinwasserkraftwerk Taberbach Schaltschrank Troyer
Visualisierung der Troyer-Kraftwerkssteuerung am Touchpanel eines Schaltschranks im Maschinengebäude der Mittelstufe.
© Troyer

ARBEITEN IM STEILGELÄNDE
Die in der Salzburger Gemeinde Mittersill ansässige Empl Baugesellschaft m.b.H. konnte sich im Zuge der Ausschreibung den Zuschlag für die Durchführung der gesamten Hoch-, Tief- und Spezialtiefbauarbeiten für die mittlere Kraftwerksstufe sichern. Dies beinhaltete den Bau der beiden Wasserfassungen, des Krafthauses und die Verlegung der Druckrohrleitungen. Aufgrund des abschnittsweise extrem steilen und schwierigen Geländes waren vor allem die Errichtung der Wasserfassungen und die Rohrverlegung mit beträchtlichen Herausforderungen verbunden. So verläuft ein mehrere 100 Meter langer Abschnitt der Druckrohrleitung über einen Geländeabschnitt mit mehr als 40 Grad Neigung. Somit musste die Rohrverlegung mit angeseiltem Schreitbagger, Seilbahn und Hubschrauberunterstützung erfolgen, aufwändige Sicherungsmaßnahmen eingeschlossen. Hergestellt wurden die beiden Rohrleitungsstränge von der Haupt- und Nebenfassung mit duktilen Gussrohren von der Tiroler Rohre GmbH (TRM), welche zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial bestehen. Wegen des anspruchsvollen Geländes wurden die Muffenverbindungen der Druckrohrleitung zur Gänze zug- und schubgesichert ausgeführt. Das äußerst robuste Rohrmaterial kommt mit den oft extremen Anforderungen im alpinen Raum problemlos zurecht und gewährleistet darüber hinaus optimale Fließbedingungen durch sehr geringe Reibungsverluste. Von der Hauptfassung am Taberbach bis zum Maschinengebäude wurde der Kraftabstieg, der eine Strecke von ca. 1.600 m überwindet, in der Dimension DN500 hergestellt. Die Druckrohrleitung DN200 vom Haiglbach zur Hauptleitung ist mit ca. 350 m Länge bedeutend kürzer.

Wasserkraftwerk Taberbach Oberstufe EFG Pelton-Turbine
Das Oberstufenkraftwerk wurde bereits 2020 vom Kärntner Unternehmen EFG Turbinenbau mit einer neuen 2-düsigen Pelton-Turbine mit 443 kW Engpassleistung ausgestattet. Der direkt mit dem Laufrad gekoppelte Synchron-Generator der Marke Hitzinger wurde bei der Anlagenmodernisierung einer Revision unterzogen.

LEISTUNGSSTARKE MITTELSTUFE
Das Maschinengebäude der Mittelstufe wurde von Troyer mit einem Komplettpaket ausgestattet, dessen Kern eine 2-düsige Pelton-Turbine mit direkt gekoppeltem Synchron-Generator bildet. Ausgelegt wurde die Maschine auf 398 m Bruttofallhöhe und 450 l/s Ausbauwassermenge, womit diese bei vollem Wasserdargebot 1.525 kW Engpassleistung erzielt. Die exakte Regelung der beiden Pelton-Düsen, dank der die Turbine auch bei stark variierendem Wasserdargebot in einem breiten Teillastbereich hohe Wirkungsgrade erreicht, übernehmen zwei elektrische Stellmotoren. Der Generator vom Hersteller TES Vsetin wird von der Turbine mit 1.000 U/min angetrieben. Der Generator mit 2.000 kVA (690 V) verfügt über einen aufgesetzten Luft-Wasser-Wärmetauscher, über den die Abwärme ins Unterwasser des Triebwassers abgeführt wird. Im Winter ermöglicht ein Bypass eine gezielte Temperierung des Krafthausgebäudes. Komplettiert wurde der Troyer Lieferumfang durch das gesamte elektro- und regelungstechnische Equipment sowie die Kraftwerkssteuerung. Dem Stand der Technik entsprechend funktioniert der Anlagenbetrieb vollständig automatisiert. Selbstverständlich kann die Anlage mittels Online-Anbindung auch aus der Ferne rund um die Uhr überwacht bzw. geregelt werden. Nach Abschluss der finalen Installationsarbeiten konnte die neue Mittelstufe Ende Mai 2024 bei voller Wasserführung den Probebetrieb aufnehmen. Im Oktober 2024 erfolgten die von Betreiberseite mit Spannung erwarteten Netztests. „Vorgabe war bei Volllast aller Anlagen (2 MW), geringer Netzlast (0,2 MW) und Ausfall des vorgelagerten 25 kV Netzes unterbrechungsfrei und mit <2 Hz Überfrequenz in den Inselbetrieb überzugehen. Dank ausgeklügelter Steuerung, Schwungrädern an den Pelton-Turbinen der Ober- und Mittelstufe und schnellstmöglicher Bewegung der Strahlablenker der Troyer-Turbine konnte der Test einwandfrei auf Anhieb bestanden werden“, so Hannes Taubinger.

NEUES EQUIPMENT FÜR UNTERSTUFE
Aufgrund eines Turbinenschadens an der alten Turbine wurde die Unterstufe am Taberbach ebenfalls 2024 komplett modernisiert. Wie bei den Oberliegerkraftwerken wurde auch dort das elektro- und regelungstechnische Equipment von Troyer ausgeführt. Die neue vertikalachsige Pelton-Turbine stammt von der Maschinenbau Unterlercher GmbH, die in der Osttiroler Nachbargemeinde Hopfgarten in Defereggen ansässig ist. Ausgelegt wurde die mit vier elektrisch geregelten Pelton-Düsen konzipierte Turbine auf 200 l/s Ausbauwassermenge und 48 m Bruttofallhöhe, womit diese unter Volllast 72 kW Engpassleistung erzielt. Komplettiert wird der Maschinensatz durch einen direkt mit dem Laufrad gekoppelten Asynchron-Generator mit 75 kW Nennleistung.


ERZEUGUNGSKAPAZITÄT MASSIV GESTEIGERT
Hannes Taubinger zieht im Rahmen des zek HYDRO-Interviews Mitte Jänner 2025 ein durchwegs positives Fazit über das Kittel Mühle-Projekt in Osttirol: „Die Erneuerung der Kraftwerke konnte dank hoch kompetenter Fachfirmen mit wenigen Komplikationen und etwas Geduld bei den Genehmigungsverfahren realisiert werden. Die Modernisierung des Netzes war trotz Kostenteilung der Grabarbeiten mit dem Glasfaserausbau der Gemeinde Ainet mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Wir freuen uns über 450 nunmehr zufriedene Netzkunden in Ainet und Schlaiten und dass wir die Erzeugungskapazität trotz höherer Restwasserabgabe von 6,5 auf fast 10 GWh steigern konnten. Am meisten aber freuen wir uns über drei feine Kraftwerke samt kleiner Tagesspeicherkapazität, die uns hoffentlich noch viele Jahre Freude bereiten werden.“

Erschienen in zek HYDRO, Ausgabe 1/2025