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Obervinschgauer Vorzeigekraftwerk9 min read

20. Feber 2014, Lesedauer: 6 min

Obervinschgauer Vorzeigekraftwerk9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Einen Meilenstein in der nachhaltigen Entwicklung des Südtiroler Vinschgaus markierte die Einweihungsfeier für das neue
Kraftwerk Puni am 10. September2011.

Innerhalb eines Jahres wurde in dem kleinen Bergbauerndorf Planeil, einer auf 1600 Meter gelegenen Fraktion der Gemeinde Mals, ein Wasserkraftwerk realisiert, das sowohl in seiner technischen, als auch in seiner ökologischen und nicht zuletzt auch in der ästhetischen Umsetzung neue Maßstäbe setzt. Das Betreiber-Konsortium, bestehend aus der Marktgemeinde Mals, der SEL GmbH und der Fraktion Planeil, wird mit der neuen Anlage im Jahr rund 12,2 GWh sauberen Strom erzeugen. Wie verantwortungsvoll auf Umweltbelange Rücksicht genommen wurde, zeigt allein der Umstand, dass die Restwassermenge höher angesetzt wurde, als dies von der Autonomen Provinz Bozen vorgeschrieben ist. Eine Anlage mit Vorbild-Charakter.

Der Vinschgau zählt zu den trockensten Regionen Südtirols. Aus diesem Grund waren die Bauern der Region schon seit jeher auf die Bergbäche angewiesen, um die Felder und Weiden zu bewässern. Über groß angelegte „Waalsysteme“ (künstliche,
zumeist offene Kanäle) wurde lange Zeit das Wasser in die Flure geleitet und dort verteilt. Die Bewohner des kleinen Dörfchens
Planeil nutzten daneben das Wasser aus der Puni auch für den Betrieb von Getreidemühlen, einer Schmiede und einer Säge.
Somit spielte die Wasserkraft schon seit langer Zeit eine wichtige Rolle für das Dorf, das heute rund 180 Einwohner zählt.
Die Puni zur Stromerzeugung zu nutzen,
geht auf Initiativen von Ortsansässigen
zurück, die Anfang der 1990er damit begonnen
hatten, Messungen vorzunehmen und
erste Studien zu erstellen. Doch letztlich
sollten noch zwei Jahrzehnte ins Alpenland
ziehen, ehe man das Vorhaben in die Tat
umsetzen konnte. In den vergangenen Jahren
ging es vor allen Dingen um eine gerechte
Aufteilung der Eigentümerverhältnisse am
Betreiberkonsortium. Dass dies am Ende
eines an Disput reichen, aber konstruktiven
Dialogs dennoch gut gelang, machte auch
Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder zum
Thema: „In der Entstehungsgeschichte des
Kraftwerks sticht heraus, dass Land, Gemeinde
und Fraktion in Sachen Wasserkraft
an einem Strang gezogen haben. Und gerade
im Vinschgau, wo das Thema Wasserkraft oft
sehr kontrovers diskutiert wird, ist es besonders
erfreulich, dass nach etwas Anlaufzeit
eine zufriedenstellende Einigung gefunden werden konnte.“ In der Puni Energie Konsortial
GmbH sind nun die Gemeinde Mals
(über die E-AG) mit 50,01 Prozent, die SEL
GmbH mit 37 Prozent und die Eigenverwaltung
Bürgerliche Nutzungsrechte Planeil mit
12,99 Prozent vertreten.
GUSS UND STAHL VEREINT
Eine zentrale Rolle in dem Projekt spielt der
Präsident des Verwaltungsrates der Puni
Energie, Dr. Ing. Walter Gostner, Dreh- und
Angelpunkt im Projektablauf und sachkundiger
Ansprechpartner für die beauftragten
Firmen. In seiner Eröffnungsrede drückte er
seine Freude über die gelungene Abwicklung
aus und bedankte sich bei den beauftragten
Unternehmen. „Wir haben es geschafft, die
Anlage innerhalb eines Jahres zu realisieren.
Möglich war dies nur durch den steten
Einsatz von allen Beteiligten“, so Gostner.
Der Spatenstich erfolgte im Juni 2010 – und
im Sommer dieses Jahres konnten die
Maschinen bereits in den Probebetrieb
genommen werden. Ein dynamischer
Projektablauf, vor allem wenn man bedenkt, dass das Triebwasser doch einen Weg von
über 4 Kilometer von der Wasserfassung bis
zum neuen Krafthaus zurückzulegen hat.
Exakt 4.115 Meter ist die Druckrohrleitung
mit einem Innendurchmesser von DN800
lang. Hergestellt wurde sie aus zwei unterschiedlichen
Rohrmaterialien, die in dieser
Zusammensetzung nicht allzu häufig anzutreffen
sind: Guss und Stahl. Während die
ersten 2,9 km ab Wasserfassung durch Rohre
aus duktilem Guss vom Traditionshersteller
Duktus Tiroler Rohrsysteme GmbH in
Druckstufen bis PN25 erstellt wurden,
kamen im Anschluss daran Stahlrohre zum
Einsatz, die eine noch höhere Druckstufe aufweisen.
Diese wurden in gewohnt sorgfältiger
Arbeit vom Team von Gufler Metall aus
Moos im Passeier verschweißt. Die gesamte
stahlwasserbauliche Ausrüstung des Kraftwerks
wurde von Gufler Metall realisiert.
Das Gelände hielt für die Verlegemannschaft
zwar keine topographischen Tücken bereit,
nichtsdestotrotz handelte es sich um eine hochalpine
Baustelle – die Wasserfassung liegt
knapp unterhalb von 2.000 Meter Seehöhe.
Raue Witterungsbedingungen und die Abgeschiedenheit
im Planeilertal brachten somit
ganz eigene Herausforderungen mit sich.
ROHRLEITUNG MIT DOPPELFUNKTION
Der größte Teil der Gussrohrleitung – rund
2,2 km – wurde in nicht längskraftschlüssiger
Verbindung „TYTON“ ausgeführt. Bei den
restlichen 700 m Rohrleitung kam die längskraftschlüssige
Verbindung „BLS“ zum Einsatz.
Im Detail wurden duktile Gussrohre
gewählt, die außen einen aktiven Korrosionsschutz
mit Zink und einen passiven Korrosionsschutz
mit Epoxy aufweisen – und innen
mit einer speziellen Tonerdeschmelzzementauskleidung
versehen sind. Letzteres war aufgrund
des niedrigen pH-Wertes des Triebwassers
erforderlich. Diese Eigenschaft stellte
ebenso ein schlagendes Argument für den
Einsatz der Gussrohre dar wie die gute
Abwinkelbarkeit in den Muffen mit bis zu 2
Grad, sowie die einfache und vor allem witterungsunabhängige
Verlegbarkeit der Rohre.
„Eine wichtige Vorgabe an die Eigenschaften
der Druckrohleitung war unter anderem, dass
diese im Bedarfsfall auch zur Beregnung herangezogen
werden kann“, erklärt der Projektleiter
der SEL GmbH, Dr. Ing. Martin
Kössler. Er verweist darauf, dass die Bewässerungsfunktion
für die Planeiler Landwirte
einen sehr hohen Stellenwert habe.
Diese Doppelfunktion der Druckrohrleitung
stellt auch aus ökologischen Erwägungen heraus
eine sinnvolle Lösung dar. Schließlich
braucht nun an der Puni nur eine einzige
Wasserfassung betrieben werden, das alte Fassungsbauwerk
konnte im Zuge des Neubaus
abgetragen werden. Weiterer Vorteil: Für die
Bachfauna, für die der alte Absturz ein nahezu
unüberwindbares Hindernis darstellte,
wurde eine Fischaufstiegshilfe errichtet, die
heute eine Durchgängigkeit der Puni sicherstellt.
Generell wurde das Wasserkraftwerk am
äußersten Westrand der Ötztaler Alpen durch
ein Konzept geprägt, das Natur und
Landschaft höchste Priorität einräumt. Eindrucksvoller
Beleg dafür: die Dimensionierung
der Restwassermenge. „Wir führen über
die Fischaufstiegshilfe eine fixe Dotation von
125 l/s ab – und zusätzlich 25 Prozent der
aktuellen Wasserführung über spezielle
Abflussbleche am Tirolerwehr. In Summe ist
das mehr als von der Autontomen Provinz
Bozen vorgeschrieben“, erklärt Kössler.
SPÜLVORGÄNGE MIT BEDACHT
Um bereits im Zuge der Bauarbeiten zu vermeiden,
dass die Natur in irgendeiner Form
Schaden nimmt, stand den Baufirmen eine
ökologische Baubegleitung zur Seite. „Es geht
darum, dass die Arbeiten möglichst schonend
von statten gehen und dass etwa zur Gestaltung
der sichtbaren Bereiche von Kraftwerk
und Umgebung standortgerechte Pflanzen
gepflanzt werden. Auch bei Grabungsarbeiten
kann es eventuell zu starken Wassertrübungen
kommen, was sich sehr negativ auf
die Tier- und Pflanzenwelt im Gebirgsbach
auswirken kann. Daher ist eine ökologische
Baubegleitung auch sinnvoll“, so der Präsident
der Betreibergesellschaft, Dr. Ing. Walter
Gostner.
Dass derartige Trübungen des Wassers auch
im Zuge des Kraftwerksbetriebs passieren
könnten, wurde seit längerem von Gewässerökologen kritisiert. Tatsächlich bewirken schlecht durchgeführte
Entsanderspülungen, dass in relativ kurzer Zeit große Mengen an
Feststofffrachten ins Gewässer befördert werden. Aus diesem Grund war es den
Verantwortlichen wichtig, dass ein ökologisch vertretbares Spülmanagement
implementiert wurde, das darauf achtet, dass die Entsanderspülungen keine zu
hohen Feststoffkonzentrationen hervorrufen und dass sich das Geschiebe
innerhalb einer längeren Bachstrecke auf naturnahe Weise verteilt.
INNOVATIVE AUTOMATIONSLÖSUNGEN AUS SÜDTIROL
Hinter derartigen Prozessen steckt natürlich eine ausgeklügelte Automationslösung,
die unter Einbeziehung mannigfacher Parameter einen wärterlosen
Betrieb garantiert. Der Auftrag dafür erging an die Firma EN-CO aus
Ratschings, die einmal mehr ihrem guten Ruf gerecht wurde. EN-CO kreierte
das komplette „Nervensystem“ der Anlage, wobei das Südtiroler Unternehmen als Konsortialführer gemeinsam mit der Firma Geppert aus Hall in Tirol
für den gesamten Auftrag über die elektromaschinelle inklusive des
SCADA-Systems zuständig war „Technisch gesehen brachte das Projekt
zwar keine großen oder neuen Herausforderungen für uns. Es waren eher
die extremen Witterungs-bedingungen während der Montagearbeiten, die
dem Team ein wenig zusetzten“, erinnert sich EN-CO-Chef Robert
Steindl. Doch nur so konnten die Termine eingehalten werden.
Für die Puni Energie GmbH war es vor allen Dingen entscheidend, in den
wichtigen Fragen der Steuerungs- und Automationstechnik einen Partner
an der Seite zu haben, der sie in allen Fragen unterstützen kann.
Unter anderem realisierte das Unternehmen aus Ratschings die
Sedimentmessung im Sandfang über einen Sediment-Messpropeller.
Dabei handelt es sich um einen einflügeligen, drehbaren Bauteil, der über
einen kleinen Elektromotor permanent auf konstanter Höhe im
Entsanderbecken rotiert. Entscheidend ist, dass der Propeller sensibel auf
jeden Widerstand reagiert, der seine Drehung verlangsamt. Das passiert
dann, wenn sich mehr Sand und Geschiebe absetzt. In diesem Fall initiiert
das Messgerät den Spülvorgang.
GEPPERT-PELTON-ZWILLINGE IM EINSATZ
Sämtliche Vorgänge, die in einem Kraftwerk heute automatisch ablaufen,
wurden von der Firma EN-CO mustergültig automationstechnisch umgesetzt
– angefangen vom Spülmanagement über die Leckageüberwachung
bis hin zur Steuerung der beiden installierten Maschinensätze. Als
„Hardware“ steuerte EN-CO zudem die bewährten elektrisch, über einen
Servomotor betriebenen, Düsen- und Strahlablenker-Steuerungen bei.
Deren extrem präzise und schnelle Ansteuerung hatte die Betreiber schnell
dazu gebracht, auf eine sonst übliche Ölhydraulik zu verzichten.
Als Antwort auf die hydrologischen Gegebenheiten der Puni wählte man
eine Zwei-Maschinenlösung, die auch bei jahreszeitlich bedingt, stark
schwankendem Wasserdargebot optimale Wirkungsgrade garantiert.
Konkret entschieden sich die Betreiber für zwei baugleiche, zweidüsige
Peltonturbinen aus dem Hause Geppert. Überzeugende Robustheit und
Leistungsstärke – Markenzeichen der Turbinen des Nordtiroler Herstellers
– hatte auch die Verantwortlichen im Obervinschgau überzeugt. Die
Geppert-Turbinen sind bei einer Bruttofallhöhe von 457 Metern auf eine
Ausbauwassermenge von je 810 l/s ausgelegt. Die Engpassleistung der
Turbinen wird mit 3.190 kW angegeben. Das Zusammenspiel der beiden
Turbinen folgt einem ausgeklügelten Programm, das ebenfalls vom Team
der Firma EN-CO entwickelt und implementiert wurde. Je nach
Wasserdargebot werden die Maschinen zu- oder weggeschaltet, um sie
stets so nah wie möglich am Top-Wirkungsgrad zu halten. PROFUNDE PLANUNG
Der Erfolg eines derartigen Projektes liegt
selbstredend auch in einer durchdachten und
professionellen Planung. Dass dies auf das
Kraftwerk Puni zu 100 Prozent zutrifft, ist
dem SEL-Bereich Engineering und Consulting
zu verdanken, der für die Ausführungsplanung
der gesamten Anlage sowie die
Bauleitung verantwortlich zeichnete.
Die Wasserfassung wurde auf knapp 1975 m
Seehöhe als Sohlentnahme mittels Tirolerwehr
konzipiert. Es besteht aus Vorbecken
mit Einlaufschwelle, einem Überfallwehr mit
Sohlrechen, einem Zweikammer-Entsander
sowie einer Druckhalte- und einer Apparatekammer.
Heute, nach erfolgreicher Begrünung,
ist von der Wasserfassung lediglich das
Tirolerwehr mit der Fischtreppe als sichtbarer
Bauteil erhalten geblieben, die anschließenden
Bauwerke liegen allesamt unterirdisch.
Knapp 460 Meter tiefer, direkt oberhalb des
SELEDISON Kraftwerks Glurns, wurde das
Krafthaus errichtet, das nicht nur in seiner
Funktion überzeugt, sondern auch in der
Form. Die gewählte architektonische Lösung
nach den Plänen des Architekturbüros monovolume
architecture+design Dr. Arch. Jury
Pobitzer orientiert sich offensichtlich an der
umgebenden Hügellandschaft. „Das Kraftwerk
verschwindet und soll wie durch einen
Riss in der Erde zum Vorschein kommen“,
lautet wortgemäß die Beschreibung der
Architekten, die dank der unregelmäßigen,
geschwungenen Form des Gebäudes gut
nachvollziehbar ist. Dem Architekten ist es
tatsächlich gelungen, das Kraftwerk harmonisch
in die Landschaft zu integrieren ohne es
zu verstecken.
AN EINEM STRANG GEZOGEN
Rund 12,2 Mio. kWh sauberen Strom
erzeugt das neue Kraftwerk Puni im Regeljahr.
Damit kann der Strombedarf von etwa
3.000 Haushalten abgedeckt werden. Im
Vergleich zu thermischen Kraftwerken erspart
die Anlage damit der Umwelt rund
12.000 Tonnen klimaschädliches CO2. „Um
etwa aus Sonnenlicht dieselbe Strommenge
generieren zu können, müssten rund 11 ha
Fläche mit Photovoltaikanlagen verbaut werden“,
sagt Walter Gostner.
Für die rund 180 Bewohner des kleinen
Bergdorfs Planeil stellt das neue Kraftwerk
fraglos ein Jahrhundertprojekt dar, das eine
wichtige Rolle in der weiteren nachhaltigen
Entwicklung spielen wird. Sowohl die
Vertreter der Fraktion Planeil als auch jene
der Marktgemeinde Mals und der SEL
GmbH sind sich darin einig, dass für den
Projekterfolg ein Punkt besonders wichtig
war: Die Tatsache, dass man erfolgreich die
Eigeninteressen auf den kleinsten gemeinsamen
Nenner brachte und letztlich alle gemeinsam
an einem Strang gezogen haben.
Auch dafür steht das neue Kraftwerk Puni.

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