Projekte

Österreichisches Know-how im Apennin8 min read

27. Feber 2014, Lesedauer: 5 min

Österreichisches Know-how im Apennin8 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Mit rund 25 MW an installierter Leistung in vier Hoch- und Mitteldruck-Kraftwerken zählt die 900-Seelen-Gemeinde Ligonchio im toskanisch-emilianischen Apennin zu den Wasserkraft-Hotspots der Region.

Eines dieser Kraftwerke ist das privat betriebene KW Ligonchio , das 1991 in Betrieb genommen wurde. Vergangenes Jahr erfuhr die Anlage eine umfassende Erneuerung, wobei die elektromaschinelle Ausrüstung ausgetauscht wurde. Dabei setzten die Betreiber auf hochwertige Wasserkraft-Technologie aus Österreich. Während die Turbinen vom Tiroler Wasserkraftspezialisten Geppert geliefert wurden, kamen die beiden neuen Synchrongeneratoren vom oberösterreichischen Traditionshersteller Hitzinger, der mit diesen Maschinen in neue Leistungsdimensionen und Baugrößen vorstieß. Für die Steuerungs- und Automatisierungstechnik zeichneten die
Südtiroler E-Technik-Spezialisten aus dem Hause en-co verantwortlich.

Vor allem die Stadtbewohner Norditaliens
zieht es in den Ferien mehr
und mehr in die abgeschiedene
Apennin-Region in der Provinz Emilia-
Romagna. Sie suchen und finden hier die
Ruhe und den Naturreichtum der ausgedehnten
Buchenwälder des Nationalparks
Toskanisch-Emilianischer Apennin, wo sich
auch die Gemeinde Ligonchio befindet. Hier
setzt man auf sanften Tourismus, mit dem es
in den vergangenen Jahren stetig bergauf
gegangen ist. Ligonchio versprüht den rauen
Charme eines Gebirgsdorfes, mit seiner Lage
auf über 1.000 Meter Seehöhe ist sie die
höchstgelegene Gemeinde des Apennin. Und
noch etwas prägt ihr Erscheinungsbild: Wasserkraft.
Seit den 20er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts wird in Hochdruckanlagen
Strom erzeugt, die Zentralen sind längst Teil
des historischen Ortsbildes.
KRAFTWERKE PRÄGTEN DÖRFLICHE
ENTWICKLUNG ÜBER JAHRZEHNTE
Aus der gesamten Provinz Emilia-Romagna
zog es Anfang der 20er Jahre Arbeiter an, die
am Bau des ersten Wasserkraftwerks in
Ligonchio mitwirkten. Die Wasserkraftanlage
wurde in der Folge nicht nur zum
Symbol für die Technologisierung der zuvor
ausschließlich ländlich geprägten Region,
sondern stand auch für den wirtschaftlichen
Aufschwung, mit dem ein Wachstum der Bevölkerung
einherging. Und diese Bedeutung
spiegelt sich in der äußeren Erscheinung der
Maschinenzentrale wider. Das Gebäude
wurde im Jugendstil gestaltet und zählt heute
als gelungenes Beispiel der frühen Industriearchitektur.
Technisch gesehen beherbergt die Zentrale
zwei Kraftwerke, die einerseits Wasser aus dem
Ozola und anderseits aus dem Rosendola abarbeiten. Insgesamt kommen die drei
Maschinensätze auf insgesamt rund 11 MW
installierte Leistung. Heute wird das Traditionskraftwerk
vom Enel betrieben. Ebenso
wie das tiefer gelegene Kraftwerk Ligonchio
Ozola, das die Hauptstufe in der Nutzung des
Ozola darstellt. Eine vertikale Francis-
Turbine mit 11,9 MW turbiniert das Wasser
aus einem großen Reservoir, in dem neben
dem Ozola auch kleinere Seitenbäche einmünden.
Dieses Kraftwerk wurde 1928 realisiert
und – wie die erste Anlage – wurde es
architektonisch aufwändig und mit markanter
Optik ins Ortsbild Ligonchios integriert.
Die beiden Kraftwerke prägten über die folgenden
Jahrzehnte stark die Entwicklung des
kleinen Apennin-Dorfes. So sehr sie anfänglich
zum Anwachsen der lokalen Bevölkerung
beitrugen, so führte der zunehmende
Automatisierungsgrad vor allem im Laufe der 1960er Jahre zu einem Rückgang der Beschäftigung
und in weiterer Folge zu einer
vermehrten Abwanderung.
NEUES KRAFTWERK AUS PRIVATINITIATIVE
Eine weitere Investition in die reichen Wasserkraftressourcen
der Region sollte danach
viele Jahrzehnte auf sich warten lassen. Erst
knapp 70 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten
Kraftwerks wurde in der Apennin-Gemeinde
erneut an einem Wasserkraftwerk gebaut,
das als Unterstufen-Kraftwerk zum KW
Ligonchio-Ozola realisiert wurde – und heute
einfach als Kraftwerk Ligonchio bezeichnet
wird. Im Gegensatz zu den anderen drei
Kraftwerken handelt es sich um eine private
betriebene Anlage, die der Gesellschaft P.E.I.
AG mit Sitz in Como gehört.
Das seit 1991 in Betrieb befindliche Kraftwerk
wurde so konzipiert, dass es das abgearbeitete
Wasser aus dem Oberlieger direkt
übernimmt und dieses über einen Freispiegelkanal
weiter zu einem Beruhigungsbecken leitet.
Von hier verläuft in direkter Falllinie die
Stahl-Druckrohrleitung bis zum Zentralengebäude,
das sich im Gegensatz zu den beiden
anderen großen Zentralen in einem abseits
gelegenen, schwer zugänglichen Ortsteil
befindet. Knapp 45 Meter überwindet das
Triebwasser, ehe es auf die beiden im
Maschinengebäude installierten Turbinen
trifft. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme
war eine vertikalachsige Francisturbine mit
einer Nennleistung von 2.380 kW installiert,
fünf Jahre später, 1996, wurde eine zweite,
kleinere Turbine eingebaut. Diese horizontalachsige
Francisturbine diente als „Winterturbine“
für die Phasen mit geringem Wasserdargebot
und war auf 550 kW ausgelegt.
DOPPELTE GRÖSSE FÜR WINTERTURBINE
Obwohl das Kraftwerk nach gut 20 Jahren
Betrieb nicht als alt eingestuft werden konnte,
entsprachen doch einige Teile der elektromaschinellen
Ausrüstung nicht mehr dem
heutigen Stand der Technik. Aus diesem
Grund, und um die Wirtschaftlichkeit der
Anlage zu erhöhen, beschlossen die Betreiber
einen Tausch der installierten Maschinen
sowie der Steu er ungs- und Auto mationstechnik.
Dabei vertrauten die Betreiber aus
Norditalien auf die ausgereifte Maschinentechnologie
aus Österreich. Die Tiroler Firma
Geppert wurde mit der Lieferung der beiden
Turbinen betraut, die trotz der vorgegebenen
hydraulischen aber auch räumlichen
Bedingungen in der Zentrale gewissen Spielraum
für die Varietät der Turbinen nutzte.
„Die große Maschine konnte aufgrund der
baulichen Rahmenbedingungen nur durch
eine vertikale Francisturbine ersetzt werden.
Mit 2.300 kW wurde sie leistungsmäßig
sogar ein wenig kleiner dimensioniert als das
zuvor installierte Modell“, erklärt der
Projektverantwortliche aus dem Hause
Geppert, Ing. Christian Moriel. „Die kleine
horizontalachsige Francisturbine wurde nun
durch eine Diagonalturbine ersetzt, die dank
ihrer spezifischen Eigenschaften einen wesentlich
größeren Arbeitsbereich abbildet als
die zuvor installierte Maschine. Sie ist mit
1.100 kW Nennleistung glatt doppelt so groß
ausgelegt und erlaubt nun die Verarbeitung
einer größeren Gesamt-Triebwassermenge,
nämlich bis zu 9.000 l/s. Was die Diagonalturbine
aber vor allem auszeichnet, ist, dass
das Kraftwerk auch bei sehr kleinen Wassermengen,
wie sie im Winter häufig gegeben
sind, noch betrieben werden kann. Dies stellte
sich schon bei der Inbetriebsetzung im
Dezember als richtig heraus, als die Diagonalturbine
in der ersten Betriebsnacht mit
einer Turbinenöffnung von gerade 3 Prozent
durchlief.“ BETRIEBSSTART MIT GEDROSSELTER MASCHINE
Schon von der Konstruktion her waren die Ingenieure aus dem Hause
Geppert voll gefordert. Es galt zu gewährleisten, dass die neuen Turbinen
ohne Umbauarbeiten an der Maschinenzentrale integriert werden
können. Gerade bei der Dimensionierung der Diagonalturbine musste,
so Christian Moriel, jeder Millimeter des Platzes genutzt werden. Mit
der größeren „Wintermaschine“ sollte notwendigerweise auch ein größerer
Leitungsquerschnitt in der Zuleitung, beginnend mit dem Hosenrohr,
einhergehen – und zwar von DN700 auf DN1000. „Leider konnte
der Eigentümer die dafür notwendigen Baugenehmigungen in der
kurzen Zeit nicht bekommen. Somit wurde kurzer Hand als Provisorium
ein Rohrstück gefertigt, um die bestehende Absperrklappe DN700
zu nutzen, um mit der neuen Maschine in gedrosselter Form in Betrieb
gehen zu können“, so der Fachmann aus dem Hause Geppert.
Eine weitere Herausforderung für die Maschinenlieferanten aus Österreich
war die Anlieferung von Turbine und Generator. Dies lag zum
einen am extrem steilen und unbefestigten Zufahrtsweg zum Krafthaus,
zum anderen aber auch am Gewicht des Generators. Der größere der
beiden schlug mit rund 17,5 Tonnen zu Buche und erforderte damit
sogar eine Umtypisierung des Hallenkrans im Zentralengebäude.
VORSTOSS IN EINE NEUE DIMENSION
Dieses Gewicht ist dabei für einen Synchrongenerator des Traditionsherstellers
Hitzinger keineswegs gängig oder üblich. Ganz im Gegenteil:
Vielmehr handelt es sich beim größeren der beiden Generatoren
(dem BG136) für Ligonchio um eine Baugröße, die Hitzinger so erstmalig
erreichen sollte. Beim etablierten Hersteller aus Linz reagierte
man damit auf die Anforderungen des Wasserkraftmarktes, der vermehrt
Synchrongeneratoren in mittlerer Leistungsklasse – zwischen
1,5 bis 3 MVA – nachfragt. Bislang lagen die von Hitzinger angebotene
Leistungsklasse darunter, waren also für den klassischen „Kleinwasserkraft-
Bereich“ ausgelegt, nun können Betreiber auch in der „mittleren
Wasserkraft“ auf die hohe Qualität der Hitzinger-Generatoren zählen.
Technologie-Sprung sei, so heißt es beim Hersteller, dafür keiner
erforderlich gewesen. Vielmehr ging es darum, die hohen Qualitätsstandards
der kleineren Maschinen friktionslos auf die größeren zu
übertragen. Und das ist zweifellos gelungen. Auch in der Mittelklasse
punkten diese Synchrongeneratoren durch Robustheit, Laufruhe, hohe
Zuverlässigkeit und Top-Wirkungsgrade. Das patentierte Regelsystem
für hohen Dauerkurzschlussstrom wurde ebenso mit übernommen wie
die zusätzliche, aufwändige Isolationstechnologie, um die Maschinen
noch widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse zu machen. Der große
der beiden Generatoren im Kraftwerk Ligonchio wurde somit zur
ersten Referenzmaschine dieser Leistungsklasse, die sich mittlerweile
seit Monaten bestens bewähren.
MODERNE STEUERUNG IMPLEMENTIERT
Konkret handelt es sich beim größeren Generator um eine auf 2.600
kVA ausgelegte Maschine, die mit 500 Umdrehungen pro Minute von
der vertikalen Francisturbine angetrieben wird. Der kleinere Synchrongenerator,
der an die Welle der Diagonalturbine gekuppelt ist,
weist eine Nennleistung von 1.400 kVA auf. Die Turbinen-Ausbau-leistung
des Maschinensatzes wird mit 1.119 kW angegeben. In Summe
beträgt die installierte Turbinen-Nennleistung rund 3.350 kW. Für die
Leitapparat-Steuerung wurde bei beiden Maschinen auf Öl-
Hydrauliksysteme verzichtet. Stattdessen kamen die bewährten
Elektroantriebe aus dem Hause en-co zum Einsatz.
Das E-Technik-Unternehmen aus dem Südtiroler Ratschings sorgte für
die Erneuerung der e-technischen Seite und für die Modernisie-rung
der Steuerung. Es galt, sowohl die Transformatoren, als auch die
Nieder- und Mittelspannungsanlagen sowie die Übergabestation auszutauschen. Zudem verlangte gerade der
Zwei-Maschinenbetrieb als Unterlieger-
Kraftwerk eine hochmoderne Steuerungsautomatik,
sowie eine digitale Wasserstandsregelung
mit Störgrößenaufschaltung. Diese
Pegelregelung ist mittlerweile exakt auf die
Soll-Wassermengen der Turbinen abgestimmt.
Die Zuteilung auf die Maschinen
folgt präzise den jeweiligen Wirkungsgradkurven,
sodass das Kraftwerk stets am Wirkungsgradoptimum
betrieben werden kann.
Darüber hinaus wurde nun auch die
Schwarzstartfähigkeit des Kraftwerks, beispielsweise
nach einem Netzausfall, von den
E-Technik-Spezialisten aus dem Hause en-co
realisiert. Selbstredend wurde auch eine
moderne Alarmierung umgesetzt.
RESTARBEITEN AUSSTÄNDIG
Nach Ende der Schneeschmelze, im Juni letzten
Jahres, wurden die beiden alten Maschinen
vom Netz genommen und das Retrofitprojekt
gestartet. Weniger als ein halbes Jahr
nahmen die gesamten Arbeiten in Anspruch,
ehe im Dezember die neuen Maschinensätze
den Betrieb aufnehmen konnten. Allerdings
ist das gesamte Projekt noch nicht abgeschlossen.
In nächster Zeit stehen Umbauund
Anpassungsarbeiten am Fassungsbauwerk,
am Wasserschloss und dem Rechenreiniger
auf dem Programm, selbstredend
wird auch das Zuleitungsrohr für die kleine
Maschine noch ausgetauscht. Auch so manches
elektrotechnisches und steuerungstechnisches
Detail wird von der Firma en-co demnächst
noch verwirklicht.
Ein Plus von rund 500 kW an installierter
Gesamt-Ausbauleistung weist die neue
maschinelle Ausrüstung heute gegenüber
dem Altbestand auf. Das ist beachtlich, lässt
aber dennoch keine genauen Schlüsse auf die
Steigerung im Regelarbeitsvermögen der
Anlage zu. Bislang erzeugte das Kraftwerk
Ligonchio im Regeljahr rund 5 Mio. kWh.
Dank der höheren Wirkungsgrade des neuen
Maschinensatzes, der höheren Ausbauwassermenge
sowie der effektiveren Steuerbarkeit
sollten durchaus ein paar Prozent Steigerung
möglich sein. Wie groß diese ausfallen könnte,
darauf will man sich von Betreiberseite
nicht festlegen. Entscheidend ist für den
Betreiber vielmehr, dass die Revitalisierung
erfolgreich verlaufen ist, dass die Anlage nun
in jeder Hinsicht modernste Anforderungen
der Wasserkraft erfüllt und dass die Betriebssicherheit
dank der hohen Maschinenqualität
wieder für Jahre gesichert ist. Letzteres garantieren
die hochwertigen Maschinen aus österreichischer
Herstellung, die den ausgezeichneten
Ruf rot-weiß-roter Wasserkraft-Technologie
auch in den Bergen des Apennin festigen.

Teilen: