Partnerkraftwerk Augand an der Kander liefert Ökostrom für 7.700 Haushalte9 min read
Lesedauer: 7 MinutenMit dem Bau des Wasserkraftwerks Augand im Kanton Bern wurde ein bislang hydroenergetisch ungenutzter Abschnitt der Kander für ein Ökostromprojekt herangezogen. Realisiert wurde das Partnerwerk von der BKW Energie AG und der Energie Thun AG, die gemeinsam die Kraftwerk Augand AG gründeten. Die Projektumsetzung war an eine ganze Reihe von herausfordernden Rahmenbedingungen gekoppelt, wozu nicht nur die Herstellung der baulich aufwändigen Triebwasserstrecke zählte. Unmittelbar nach der Ausleitung unterquert der Kraftabstieg mittels Unterdükerung eine Bahnlinie und geht danach in einen ca. 1,4 km langen Freispiegelstollen über, der untertags verläuft und dabei zwei Bahntunnel im knappen Abstand überquert. Im Krafthaus kommen zwei horizontalachsige Kaplan-Turbinen zum Einsatz, die unter Volllast 8,3 MW Engpassleistung erreichen. Offiziell in Betrieb genommen wurde das Kraftwerk Augand nach rund drei Jahren Bauzeit im September 2023.
Südwestlich des Thunersees wurde in den Gemeinden Wimmis, Aeschi b. Spiez und Spiez zwischen 2020 und 2023 ein neues Wasserkraftwerk an der Kander errichtet. Ursprünglich wurden für den energetisch ungenutzten Gewässerabschnitt oberhalb des Kraftwerks Spiez zwei konkurrierende Konzessionsgesuche eingebracht. Während der rund 10-jährigen Projektierungsphase, innerhalb derer verschiedene Umsetzungsvarianten geprüft wurden, einigten sich schließlich die BKW Energie AG und die Energie Thun AG, das Projekt gemeinschaftlich umzusetzen, wobei für den rechtlichen Rahmen die Kraftwerk Augand AG gegründet wurde. Nachdem der Kanton Bern im März 2019 die Wassernutzungskonzession erteilt hatte, wurde im Dezember 2019 auch das Baugesuch genehmigt. Vorausgegangen ist den Bewilligungen ein zweistufiges Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Die zentralen umweltrechtlichen Bestandteile des Verfahrens bildeten dabei das Restwasserregime, die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen und die Herstellung der Fischdurchgängigkeit. In die Umsetzungsphase konnte das Projekt mit der Baustellenerschließung schließlich im Frühjahr 2020 gehen.
Herausfordernde Bedingungen
Grundsätzlich konzipiert wurde das Kraftwerk Augand als Ausleitungsanlage an der Kander im Oberwasserbereich des Kraftwerks Spiez. BKW-Projektmanager und Bauherrenvertreter Patrik Eichenberger betont, dass sich die Auswahl des Standorts der Wasserfassung, der sich direkt neben der BLS-Bahnlinie befindet, stark an den Anforderungen der Ökologie orientierte. „Die Einhaltung der umweltrechtlichen Randbedingungen engten die Möglichkeiten beim Anlagenkonzept so weit ein, dass schlussendlich der Standort der Wasserfassung gegeben war. Die Projektierung der Anlage in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer der wichtigsten alpenquerenden Bahnlinien, der Lötschberg-Basislinie der BLS, war aufgrund der engen Platzverhältnisse sehr herausfordernd.“ Für die Ausleitung von bis zu 30 m³/s Triebwasser, das nach der Wasserfassung direkt die Bahnlinie unterquert, wurde eine Variante mit einem ca. 1,4 km langen Freispiegelstollen gewählt, der unter Tage zur Kraftwerkszentrale führt. Im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung qualifizierten sich eine ganze Reihe von bewährten Branchenspezialisten für die Umsetzung der einzelnen Bau- und Techniklose. So wurde für die Realisierung der gesamten Hoch- und Tiefbauarbeiten eine aus drei Schweizer Unternehmen gebündelte Arbeitsgemeinschaft gebildet. Für die umfangreichen Planungen wurde eine Ingenieursgemeinschaft gegründet, deren zentrale Säulen die BKW, die Kissling + Zbinden AG, die Bächthold & Moor AG und die wvw Bauleitungen GmbH bildeten. Gemeinsam mit der BKW war die Kissling + Zbinden AG (K+Z AG) für die stellvertretende Gesamtprojektleitung sowie für die Oberbauleitung über alle Gewerke hinweg zuständig. Dies beinhaltete unter anderem Teilprojektleitungen, die Erstellung von Ausführungsplänen für den Fischauf- und Abstieg, die Dükerquerung und andere Gewerke an der Wasserfassung. Zum Aufgabengebiet der K+Z AG zählte zudem die Planung und Begleitung der umfangreichen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen, die im Bereich der Wasserfassung realisiert wurden.
Bahnlinie im Betrieb unterquert
Die Unterquerung der in Betrieb stehenden Doppelspurstrecke der Lötschberg-Bahnlinie zählte zu den baulich herausforderndsten Baumaßnahmen des Projekts. Durchgeführt wurde die Unterdükerung der Bahnlinie innerhalb von drei Wochen im Spätsommer 2020, wobei die Gleise und Fahrleitungsmasten sowie die Böschung im Bereich der Unterquerung aus Sicherheitsgründen während der Bauarbeiten geodätisch überwacht wurden. Die Ausleitung des Triebwassers aus der Kander, die durch eine zweiteilige Wehrklappe aufgestaut wird, erfolgt durch einen seitlich angeordneten Einlauf. Von dort fließt das Wasser durch zwei Vorbecken, in welchen das Geschwemmsel und Treibgut von den Rechenreinigungsmaschinen vor den vertikalen Feinrechen aus der Ausleitungsstrecke entfernt werden. Ebenfalls großer Bauaufwand war für die Herstellung der fischökologischen Durchgängigkeit an der Wehranlage notwendig. Um die ca. 7 m Höhenunterschied zwischen dem Ober- und Unterwasserbereich für die Gewässerlebewesen passierbar zu machen, wurde ein technischer Fischaufstieg in Form eines Vertical-Slot-Passes errichtet, der aus insgesamt 49 Einzelbecken besteht. Die Restwasserabgabe an der Wasserfassung orientierte sich in erster Linie an den Lebens- und Wanderzyklen der Seeforelle und beträgt in Abhängigkeit zur Jahreszeit zwischen 1,5 und 4 m³/s.
1,5 Jahre unter Tage beschäftigt
Das Ausbrechen des 1.360 m langen Freispiegelstollens mit Hufeisenprofil erfolgte klassisch bergmännisch mithilfe von Tunnelbaggern mit Fräsaufsatz und Abbruchhammer im Schutz vorauseilender Bauhilfsmaßnahmen. Da der Stollen einen in Betrieb stehenden Bahntunnel der BLS-Linie sowie einen weiteren, stillgelegten Tunnel im Abstand von 1,9 bzw. 5,9 m überquert, waren im Projektvorfeld umfangreiche Planungen, Berechnungen und Sicherheitsnachweise erforderlich. „Im Doppelspurtunnel wurden für die permanente Überwachung der Gleise, des Gewölbes und der Tunnelsohle ein Tachymeter installiert, welches vom Start des Vortriebes bis nach den Lasttests in Betrieb war. Auch das Gewölbe des zweiten, nicht mehr in Betrieb stehenden Hondrichtunnels wurde in regelmäßigen Abständen geodätisch überwacht. Für den Doppelspurtunnel wurden außerdem für den Notfall Sicherungsbögen hergestellt und auf der Baustelle vorgehalten, für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Gewölbe des Eisenbahntunnels innert kürzester Zeit hätte gesichert werden müssen“, erklärt Patrik Eichenberger. Der Durchschlag, auf den die Mineure von beiden Stollenseiten rund 1,5 Jahre hingearbeitet hatten, konnte schließlich im März 2022 gefeiert werden.
Turbinen schaffen Bestmarke
Am Ende des Stollens ist das Wasserschloss der Anlage angeordnet, in dem sich die Sonden der pegelgeregelten Turbinen befinden. Vom Wasserschloss führen zwei jeweils 95 m lange Druckrohrleitungen aus GFK-Rohren DN2400 auf direktem Wege ins Maschinengebäude. Parallel zu den Druckrohren wurde eine Entlastungsleitung in der Dimension DN2000 installiert, mit der bei einem Anlagenstillstand das Triebwasser vom Wasserschloss an der Zentrale vorbei direkt in die Kander geleitet wird. Die Herzstücke des Maschinengebäudes bilden die beiden Kaplan-Rohrturbinen, die vom österreichischen Wasserkraftexperten Global Hydro Energy GmbH im Rahmen eines elektromechanischen Komplettpakets geliefert wurden. Jede der horizontalachsigen Turbinen wurde auf eine Ausbauwassermenge von 15 m³/s und ca. 30 m Nettofallhöhe ausgelegt, womit diese im Volllastbetrieb 4.150 kW mechanische Engpassleistung erzielen. Darüber hinaus ermöglichen die mittels verstellbaren Leitapparaten und Laufradschaufeln ausgeführten Maschinen auch bei verringertem Wasserdargebot eine hohe Effizienz über ein breites Betriebsband hinweg. Komplettiert wurden die Maschinensätze durch zwei Synchron-Generatoren vom Hersteller Koncar in wassergekühlter Ausführung und den dazugehörigen Gewerken wie Absperrklappen, Turbinenregler oder die Kühl- und Schmieraggregate. Global Hydro-Projektleiter Stefan Prünstinger betont die herausfordernden Begleitumstände des Projekts: „Gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Vertrages sind auch die Einschränkungen seitens Corona in Kraft getreten, sodass die gesamte Abwicklung des Projektes nur über die Ferne gelaufen ist. Trotz dieser Einschränkungen und der nicht einfachen Kommunikation konnten die Anforderungen des Kunden an Qualität der Ausführung, Einhaltung der Termine und Verpflichtungen eingehalten werden. Obwohl kein Modellversuch für die Ausführung vorlag, konnten unsere Techniker mittels CFD-Berechnung den Kunden überzeugen, dass wir ihre Erwartungen erfüllen können.“ Das elektro- und leittechnische Equipment, das für den vollautomatischen Betrieb der Anlage sorgt, wurde von der BKW in Eigenregie ausgeführt. Der von den Maschinensätzen erzeugte Strom wird von den Mittelspannungsschaltanlagen zu den Transformatoren geleitet und im Bereich der Wehranlage des Unterliegerkraftwerks ins Netz der BKW eingespeist.
Kraftwerk für Generationen
Rund drei Jahre nach Baustart konnte das Kraftwerk Augand Mitte Juni 2023 erstmals im Probebetrieb getestet werden, im September folgte schließlich die offizielle Einweihungsfeier des Partnerwerks von BKW und Energie Thun AG. Im Regeljahr kann der Neubau, in dessen Realisierung ca. 68 Millionen CHF investiert wurden, rund 35 GWh grüne Energie erzeugen, und damit den Strombedarf von rund 7.700 durchschnittlichen 4-Personen-Haushalten abdecken. Patrik Eichenberger betont, dass trotz der widrigen Umstände wie COVID-19-Pandemie, Lieferengpässen, Teuerung, Zeitdruck und zwei großen Hochwasserereignissen die Anlage termingerecht und ohne schwerwiegende Unfälle fertiggestellt werden konnte. Der relevante Termin für die Zusage der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV bzw. EVS) konnte sogar mit drei Wochen Vorsprung eingehalten werden. „Alle beteiligten Unternehmungen, Ingenieure, Planer und Monteure haben mitgeholfen, eine gelungene Anlage zu konzipieren und innerhalb von etwas mehr als drei Jahren Bauzeit zu realisieren und in Betrieb zu nehmen. Bei ihnen allen, sowie bei den BehördenvertreterInnen, welche dieses Projekt unterstützt und begleitet haben, bei allen GrundeigentümerInnen, welche ihr Land oder ihren Wald zur Verfügung gestellt haben, möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Angetrieben hat mich meine persönliche Mission: für meine Kinder und für die uns nachfolgenden Generationen haben wir dieses Kraftwerk gebaut, damit es für die nächsten 80 Jahre erneuerbare, lokale Energie erzeugen wird. Dafür haben sich auch die unzähligen schlaflosen Nächte gelohnt.“ Nebst der Fischdurchgängigkeit hat die Kraftwerk Augand AG zusammen mit der Gemeinde Aeschi b. Spiez und der Schwellenkorporation Wimmis mit finanzieller Beteiligung durch Bund und Kanton auch die Kander auf einem Abschnitt unterhalb des Kraftwerks angepasst. Mit der Realisierung dieses Revitalisierungsprojektes aus dem Gewässerrichtplan Kander soll sich die Kander auf einer Länge von rund 450 Metern möglichst viel Gewässerraum eigendynamisch zurückerobern. Als weitere Maßnahme hat die Kraftwerk Augand AG eine bestehende Hochwassersperre mit einer Blockrampe ergänzt und damit sichergestellt, dass die Fische auch oberhalb des Stauwehrs weiter aufsteigen können.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 2/2024
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