Projekt zur Steigerung der Wasserqualität ermöglicht Kleinkraftwerk am Thiersee9 min read
Lesedauer: 6 MinutenDer Thiersee im Tiroler Bezirk Kufstein gilt als kleines Juwel in den Brandenberger Alpen. Eine als Naturdenkmal geschützte landschaftliche Preziose, deren Bewahrung sich ein privater Anrainer zur Aufgabe gemacht hat. Aus Eigeninitiative und in Absprache mit Tiroler Ökologen hat Dr. Dieter Höss, Arzt in Thiersee, eine Tiefenwasserentnahme initiiert und realisiert, die eine Erhöhung der Wasserqualität im Thiersee sicherstellt. Das abgeführte Tiefenwasser wird zusammen mit Oberflächenwasser aus dem See einem neuen Kleinkraftwerk zugeführt. Die Kleinkraftanlage mit einer 4-düsigen Peltonturbine der Firma Tschurtschenthaler liefert im Jahr genug Strom, um rund 100 Haushalte in Thiersee mit sauberer Energie zu versorgen. Das ganze Projekt ist seit Herbst letzten Jahres in Betrieb.
Schon 1930 wurde der Thiersee, ein 25 Hektar großer Alpensee im Tiroler Grenzgebiet zu Bayern, zum Naturdenkmal erklärt. Er gilt heute nicht nur als landschaftliches Kleinod, sondern auch als beliebter Badesee, der im Grunde über eine gute Wasserqualität verfügt. Dennoch sei gerade in den letzten Jahren eine schleichende Verschlechterung des ökologischen Zustandes feststellbar gewesen – und dies trotz der vor mehreren Jahrzehnten errichteten Ringkanalisation und einem restriktiven Dünge-Management für die Landwirte in Seenähe, sagt einer, der es wissen muss: Dr. Dieter Höss, selbst See-Anrainer von Kindesbeinen an. „Die Überdüngung der Felder, sowie Straßenabwässer und Streusalz haben zu einer Verschlechterung der Wasserqualität geführt. Die Gewässerökologen haben festgestellt, dass speziell die Population des früher sehr häufig vorgekommenen Edelkrebses deutlich zurückgegangen ist“, erklärt der Mediziner aus Thiersee. Hinzu komme die Burgunderblutalge, die in wiederkehrenden Perioden für einen schleimigen, rotbraunen Teppich an der Wasseroberfläche sorge. „Gerade für einen Badesee ist das eine bedenkliche Entwicklung. Die Alge, die sich besonders erfolgreich in nitratreichem Wasser ausbreitet, ist in großer Menge für den Menschen giftig.“ Für eine Verbesserung sorgte bereits ein neuer Oberflächenwasserkanal, den die Gemeinde Thiersee schon vor einigen Jahren gebaut hatte. Um die Ökologie noch nachhaltiger zu verbessern, hatten Tiroler Limnologen zu dieser Zeit schon eine Tiefenwasserableitung vorgeschlagen. Eine Idee, mit der sich Dieter Höss in der Folge über einige Jahre hinweg beschäftigte.
Idee reifte über Jahre
„Damals wurde eine technische Tiefenwasserableitung als zu teuer eingestuft. Daher wurde davon Abstand genommen“, erzählt Dieter Höss. Dennoch reifte in seinem Kopf über Jahre die Idee, eine Tiefenwasserableitung mit dem Oberflächenwasser sowie dem Unterlauf der Thierseer Ache zu verbinden und das Wasser energetisch zu nutzen. „Mir ist die Idee nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Vor sechs Jahren habe ich dann auf eigene Kosten ein ökologisches und ein technisches Gutachten für ein derartiges Projekt eingeholt. Mit den beiden Fachexperten bin ich dann zum Besitzer des Sees gegangen. Der Eigentümer hat nicht nur ein offenes Ohr gezeigt, sondern bereits im Erstgespräch seine Zustimmung und Zusage zur Mitfinanzierung zu dem Projekt gegeben.“
Von diesem Zeitpunkt an gab es kein Zurück mehr. Nachdem die Planungen mit dem erfahrenen Ingenieurbüro ZT-Oberacher aus Reith bei Kitzbühel abgeschlossen waren und sämtliche behördlichen Genehmigungen vorlagen, konnte im Winter 2020/21 mit den Bauarbeiten begonnen werden. Noch vor Weihnachten wurde das Rohr für die Tiefenwasserableitung im See verlegt. Dieter Höss: „Es war gar keine einfache Angelegenheit, das Rohr im See vom Ufer aus zu verlegen. Zum einen, weil es Eisbedeckung gab, zum anderen, weil die ökologische Vorgabe lautete, dabei möglichst wenig Material aufzuwirbeln.“ Etwa 200 m vom Ufer entfernt wurde das Kunststoffrohr DN120 in rund 10 m Tiefe versenkt. Um ein Aufschwimmen zu verhindern, wurde es gemäß der Pläne von DI Klaus Oberacher alle 5 m mit einer Auflage aus Beton beschwert. Der Einlauf wurde mit einem Seiher versehen, um zu verhindern, dass Tiere oder Pflanzen in die Ableitung gelangen.
Triebwasser mit Verdünnungseffekt
Tiefenwasser im Ausmaß von 5 l/s wird durch die Tiefenwasserentnahme und die anschließende Ableitung bis zur Hauptwasserfassung am Thierseebach nördlich des Thiersees geführt. Als alleiniges Triebwasser käme es nicht in Frage, wie Dieter Höss näher erläutert: „Das extrem sauerstoffarme und gleichzeitig nährstoffreiche Tiefenwasser ist im Grunde ökologisch tot. Es stinkt nach Schwefel-Wasserstoff, wenn es an die Oberfläche kommt, und wäre in großer Menge nicht nur eine olfaktorische, sondern vor allem auch eine ökologische Beeinträchtigung für die Thierseer Ache. Daher werden zu den 5 l/s aus dem Tiefenwasser des Thierseebachs noch bis zu 165 l/s aus dem Oberflächenwasser hinzugefügt, um eine effektive Verdünnung zu erreichen.“ An der Wasserfassung, die mit einem modernen Coanda-Rechen ausgeführt ist, werden je nach Wasserstand bis zu 190 l/s des Oberflächenwassers entnommen. 20 Prozent des ankommenden Wassers werden als dynamischer Restwasseranteil hinter dem Wehr dem Bach wieder zugeführt. Zusätzlich müssen noch weitere 25 l/s gemäß Auflage der Naturschutzbehörde im Bach verbleiben. Das Fassungsbauwerk, das an einer felsigen Geländekante im Thierseebach errichtet wurde, weist zudem eine echte Besonderheit auf: Hier wurde die erste Krebstreppe Österreichs errichtet. Mit viel Liebe zum Detail gelang es dem Institut für Limnologie H & S Innsbruck, hier eine Möglichkeit der Durchgängigkeit für die geschützten Tiere zu schaffen, um einen genetischen Austausch zu ermöglichen.
Knifflige Arbeiten im Steilgelände
Von der Wasserfassung führt der Kraftabstieg unterhalb des Wanderwegs hinunter in Richtung Steinbruch Wachtl. Um die rund 60 Meter Fallhöhe bis zur Wasserfassung zu überwinden, wurde eine 420 m lange Druckrohrleitung in Form eines längskraftschlüssigen Kunststoffdruckrohres im steilen Gelände unterhalb des Weges verlegt – eine durchaus knifflige Angelegenheit, wie Dieter Höss bestätigt: „Der Trassenverlauf wurde so gewählt, dass keine der hier vorkommenden, streng geschützten Eiben beeinträchtigt wird. Im Zuge des Baus musste das Team von Bodner Bau darauf achten, dass in den steilen Bereichen der klamm-ähnlichen Hänge nichts zu rutschen begann. Eine besondere Herausforderung für die beauftragte Baufirma Bodner stellte letztlich der Steilhang oberhalb des Krafthauses dar: Hier konnte der Schreitbagger nur mit Seilsicherung arbeiten. Grundsätzlich waren die Bauarbeiten für mich eine sehr spannende Erfahrung.“
Knapp vor Weihnachten 2020 wurde mit diesen Bauarbeiten begonnen. Nachdem im Sommer letzten Jahres die Druckprobe erfolgreich durchgeführt wurde, ging das Kraftwerk im August 2021 in Betrieb.
Abschaltung während Schilfmahd
Das Maschinenhaus, das in kompakter Form unweit des Steinbruchs Wachtl errichtet wurde, beherbergt modernste Wasserkrafttechnik. Konkret setzte der Betreiber auf das Know-how des Südtiroler Wasserkraftspezialisten Tschurtschenthaler, der eine 4-düsige Peltonturbine für die optimale Nutzung des Wasserdargebotes entwickelte. „Man darf nicht vergessen, dass wir hier keinerlei Staumöglichkeit haben. Das heißt: Wir können nur das Überwasser des Sees nutzen. Wenn es also – wie es oft im Winter der Fall ist – wenig Niederschlag und kein Schmelzwasser gibt, muss die Maschine auch noch mit geringen Durchflussmengen zurechtkommen“, erklärt Dieter Höss. Die kleine 4-düsige Turbine stellt somit die optimale Antwort auf die schwankenden Triebwassermengen dar. Ihre Zuverlässigkeit und hohen Wirkungsgrade über das gesamte Betriebsspektrum sorgen dafür, dass die Anlage über das ganze Jahr effektiv betrieben werden kann. „Abschalten müssen wir nur einmal im Jahr – und zwar im Herbst zur Schilfmahd. Dafür wird der See kurzfristig um 0,5 m abgesenkt. Eine wichtige Arbeit im Hinblick auf seinen ökologischen Schutz. Schließlich will man vermeiden, dass durch die Biomasse des Schilfs noch zusätzliche Nährstoffe in den See gelangen. Diesen Zeitraum nutzen wir dann für allfällige Kontroll- und Revisionsarbeiten am Kraftwerk.“
Wasserkrafttechnik aus Südtirol
Die 4-düsige Tschurtschenthaler-Peltonturbine erreicht bei einer Netto-Fallhöhe von rund 54 m und einem Ausbaudurchfluss von 170 l/s eine Ausbauleistung von 80 kW. Die Turbinen des Sextener Traditionsherstellers stehen seit Jahrzehnten im Ruf, nicht nur effizient, sondern auch robust und sehr zuverlässig zu arbeiten. Das bestätigt auch der Betreiber des neuen Kraftwerks: „Die Turbinentechnik funktioniert einwandfrei, wir hatten seit Inbetriebnahme keinerlei Probleme. Es steckt viel Erfahrung und Spezialwissen in diesen Maschinen.“ Tatsächlich kann der Südtiroler Wasserkraftspezialist mittlerweile auf eine über 40-jährige Erfahrung zurückgreifen, die durch den langjährigen Firmenchef Paul Tschurtschenthaler verkörpert wird. Er steht dem Führungsteam der Firma Tschurtschenthaler noch immer zur Seite, das heute bereits aus der nächsten Generation – aus seinen Kindern Helga, Monika und Andreas – besteht.
Auch bei der elektro- und leittechnischen Ausstattung des Kraftwerks setzte der Betreiber mit der Firma Elektro Clara auf Südtiroler Know-how. Gemäß deren Firmenphilosophie wurde die Steuerung möglichst zentralisiert ausgelegt. Das bedeutet, dass möglichst alle Komponenten der Anlage zentral gesteuert und integriert werden und die Anlage entsprechend über Fernwartung bestmöglich betreut werden kann. Im Kraftwerk wurde auf hydraulische Antriebe verzichtet, sämtliche Antriebe werden elektrisch angesteuert. Das bedeutet, dass das Kraftwerk wartungsarm betrieben werden kann. Als Besonderheit sieht Firmenchef Janpaul Clara die spezielle Wasserentnahme an der Fassung: „Für die Ansteuerung der Wasserfassung wurden Messeinrichtungen sowie spezielle Armaturen installiert, um die Einhaltung der strikten Vorgaben zu gewährleisten.“ Generell punktet Electro Clara beim Betreiber aber mit seinem Service. Sollten Fragen oder Fehlermeldungen auftauchen, steht das Team von Janpaul Clara stets mit Rat und Tat zur Verfügung.
Mehrwert in der Wasserkraftnutzung
Der Strom wird über eine in der Leitungskünette mitverlegte Erdleitung zurück Richtung Wasserfassung geführt und von dort in das benachbarte Umspannwerk der Stadtwerke Kufstein eingespeist. Rund 300.000 bis 400.000 kWh erzeugt das Kleinkraftwerk im Jahr. Der Strom, der ausreicht um die Hälfte der Thierseer Haushalte mit sauberem Strom zu versorgen, wird über das Förderregime der OeMAG für die nächsten 13 Jahre vergütet. Dass die erwartete Amortisation sich schon über viele Jahre hinziehen werde, ist Dieter Höss völlig klar. Aber als rein gewinnorientierte Investition haben der Thierseer Arzt und der Seebesitzer ihr Projekt auch nie gesehen. „Für mich stand von Anfang an die ökologische Verbesserung unseres Sees im Vordergrund. Durch die Zu- und Abflüsse wird das Wasser des Sees theoretisch alle 1,5 Jahre erneuert. Mithilfe der installierten Tiefenwasserentnahme wird sich eine weitere Verbesserung der Qualität in den nächsten Jahren noch deutlicher zeigen“, zeigt sich Höss zuversichtlich. Mit diesem Projekt hat der findige Tiroler einen Weg aufgezeigt, wie ein ökologischer Mehrwert durch die hydroenergetische Nutzung auch wirtschaftlich dargestellt werden kann. Ein Vorzeigebeispiel, das vielleicht auch für andere Seen im Alpenraum zum Vorbild werden könnte.
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