Rot-weiß-rote Wasserkrafttechnik sorgt für energetische Nutzung des Nutzwassers in Sakarya7 min read
Lesedauer: 5 MinutenGleich fünf neue Wasserkraftwerke wurden kürzlich vom oberösterreichischen Wasserkraft-Allrounder WWS Wasserkraft GmbH in der türkischen Marmara-Region ausgerüstet.
Alle fünf Anlagen wurden in das weitläufige, bislang nicht energetisch genutzte Wasserversorgungssystem von Adapazarı, der Hauptstadt der Provinz Sakarya, integriert. Insgesamt lieferte WWS dafür nicht nur sieben leistungsstarke Turbinen, sondern auch die dazu passenden Generatoren, die allesamt vom Linzer Traditionshersteller Hitzinger geliefert wurden. Seit Oktober letzten Jahres sind alle Wasserkraftwerke in der westanatolischen Provinz in Betrieb.
Adapazarı zählt zu den am stärksten wachsenden und zu den wirtschaftlich aufstrebenden Städten in der Türkei. Alleine in den letzten 70 Jahren hat sich die Bevölkerung fast verzehnfacht. Heute leben in der Provinzhauptstadt von Sakarya rund 270.000 Einwohner. Die Lage ist günstig: Man profitiert von der Nähe zum großen Absatzmarkt Istanbul und den Häfen in Izmit. Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind die Textilindustrie, Industriezulieferer sowie Dienstleistungen. Für die Wasserversorgung von Adapazari sorgt das Wasser aus dem Fluss Akçay, eines Zubringers zum Fluss Sakarya – dem die Provinz ihren Namen verdankt. „Schon vor vielen Jahren hat die staatliche Organisation SASKI gemeinsam mit dem Versorgungsunternehmen der Provinz Sakarya beschlossen, einen Damm am Fluss Akçay zu errichten, um die Wasserversorgung der rund 1 Million Einwohner von Sakarya sicherzustellen“, erzählt Ing. Günther Scharrer, Sales Manager bei WWS. 2016 wurde das Dammprojekt fertiggestellt. Ein 55 m hoher Staudamm ermöglicht heute das Speichern von knapp 10 Millionen Kubikmeter Wasser. Er dient nicht nur der Sicherung der Trinkwasserversorgung, sondern darüber hinaus auch der Bewässerung von landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Vom Damm in die Stadt
Über ein Rohrleitungssystem wird das Wasser vom Akçay-Damm über eine Entfernung von ca. 27 km bis in die Provinzhauptstadt Adapazarı geleitet. Dabei blieben anfänglich beachtliche energetische Potenziale ungenutzt. Ein Umstand, den das stadteigene Versorgungsunternehmen Akim Enerji Inc. Co. ändern wollte. Dabei setzten die Betreiber vor allem auf Know-how und Technik aus Österreich: Der Auftrag ging an das oberösterreichische Wasserkraftunternehmen WWS Wasserkraft GmbH mit Sitz in Neufelden im Bezirk Rohrbach. Insgesamt sollte WWS dabei sieben Turbinen für vier Krafthäuser im Rahmen von fünf Projekten liefern, die Günther Scharrer wie folgt beschreibt: „Das Wasser vom Akçay-Damm wird zuerst in Ikramiye turbiniert, fließt dann weiter nach Hacimercan, wo sich die nächsten Maschineneinheiten befinden. In Hacimercan wurde zudem noch eine weitere Anlage – Balikci – installiert, die von einem anderen Fluss gespeist wird. Anschließend fließt das Wasser mitten in die Stadt Adapazarı zum Krafthaus Hizirilyas, wo ebenfalls zwei Maschinengespanne untergebracht sind. Das Kraftwerk Keremali wurde von diesem System unabhängig in eine bestehende Rohrleitung anstelle eines Druckreduzierventils verbaut.“
Pelton-Technik für 78 bar Druck
Konkret stellen sich die fünf Anlagen somit folgendermaßen dar: Im Kraftwerk Ikramiye wurde eine 3-düsige Pelton-Turbine am Ende einer 9,4 Kilometer langen Druckrohrleitung installiert. Sie ist auf 390 Meter Fallhöhe und einen Ausbaudurchfluss von 1,2 m3/s ausgelegt und erreicht damit 4.140 kW. In Hacimercan wurden zwei baugleiche vertikalachsige, 6-düsige Pelton-Turbinen, ausgelegt auf 260 Höhenmeter und je 1,25 m3/s Ausbaudurchfluss eingebaut. Das Kraftwerk erreicht eine Engpassleistung von 2.868 kW. Das im selben Maschinenhaus mit integrierte Kraftwerk Balikci nutzt eine Francis-Spiralturbine, die für eine Fallhöhe von 49,27 m und ein Schluckvermögen von 0,5 m3/s konzipiert wurde. Ihr Leistungsvermögen liegt bei 220 kW. Das Kraftwerk Hizirilyas beherbergt zwei Francis-Spiralturbinen, ausgelegt auf eine Nennfallhöhe von 84,34 m sowie einen Ausbaudurchfluss von je 1,25 m3/s. Am Ende einer 12 km langen Rohrleitung kommt das Maschinenduo auf eine Engpassleistung von 967 kW. Außerdem wurde für das Kraftwerk Keremali eine 1-düsige Peltonturbine installiert, die zwar nur auf 75 l/s Schluckvermögen ausgelegt wurde, dafür aber eine Nettofallhöhe von 779 m energetisch nutzt.
„Das Kraftwerk Keremali war mit Sicherheit die technisch anspruchsvollste der fünf Anlagen. Der hohe Druck von 78 bar bei sehr geringen Wassermengen stellte unsere Kon- strukteure vor gewisse Herausforderungen“, erklärt Günther Scharrer. Die Rahmenbedingungen ergaben letztlich eine extrem kompakte und robuste Turbine mit kleinen Laufradbechern. „Die Turbine ist das Resultat aus der jahrzehntelangen Erfahrung unseres technischen Leiters, Herrn Josef Wögerbauer sen. und der Expertise der Wissenschaftler der TU Graz, die hier ihr Fachwissen beisteuerten.“ Diese Turbine, ebenso wie die anderen sechs überzeugten mit ihrer qualitativen Ausführung und ihrer Performance die Betreiber von Anfang an.
Maßgeschneiderte Generatoren
„Unsere Referenzen, zahlreiche Empfehlungsschreiben zufriedener Kunden sowie auch die hohe Qualität unserer Premium-Sublieferanten, hier vor allem zu nennen die Firma Hitzinger, hat die Kunden von Akim Enerji Inc. Co. auf ganzer Länge überzeugt“, freut sich Günter Scharrer. Auch für die erfahrenen Generatorhersteller aus der Stahlstadt Linz war der Auftrag durchaus etwas Besonderes. „Wir haben schon häufiger Generatoren in die Türkei geliefert. Der Auftrag über sieben Generatoren in die Marmara-Region durch die Firma WWS war aber eine neue Dimension“, so Volker Schmid von Hitzinger. Er verweist dabei auf die unterschiedlichen Leistungsgrößen und Bauvarianten der gelieferten Generatoren, wobei jeder einzelne – wie bei Hitzinger üblich – passgenau für die jeweilige Anforderung designt wurde. Dabei wird bei jeder Bestellung eines Hitzinger-Generators bereits im Vorfeld genau abgeklärt, welche Priorität gegeben ist: ob die Robustheit oder ein High-End-Wirkungsgrad Vorrang hat. Beim Linzer Qualitätshersteller werden die Maschinen somit von Grund auf individuell konzipiert und ausgelegt: Das beginnt bei der magnetischen Auslegung, geht weiter über das Verhältnis von Kupfer zu Eisen und endet noch nicht beim verwendeten Isolationssystem. Dank jahrzehntelangem Know-how und hauseigener Forschung und Entwicklung liefert Hitzinger heute Generatoren für die Wasserkraft, die einerseits über eine hohe Drehzahlfestigkeit und eine starke Leistungs-Performance verfügen sowie andererseits eine enorme Langlebigkeit aufweisen. Aus diesem Grund zeigten sich die Betreiber der neuen Wasserkraftwerke in Sakarya durchaus angetan von den leistungsstarken Maschinengespannen aus oberösterreichischer Provenienz. „Für den Kunden spielte es durchaus eine Rolle, dass unser Komplettpaket einen sehr hohen Eigenfertigungsgrad hat. Sowohl die Turbinen als auch die Generatoren werden zur Gänze in Österreich hergestellt“, so Günther Scharrer. Er verweist darauf, dass vor allem die kompetente und unkomplizierte Unterstützung im After-Sales ein wesentlicher Punkt war, der sowohl vom Turbinenbauer selbst als auch vom Kraftwerksbetreiber hochgeschätzt wird.
Bypass garantiert Wasserversorgung
Wie man es in unseren Breiten auch von Trinkwasserkraftwerken kennt, ist jede ein- zelne der Kraftwerksanlagen mit einem Bypass-System ausgestattet. Damit ist sichergestellt, dass auch im Falle eines Stromausfalls die Wasserversorgung jederzeit gewährleistet bleibt. Aktuell wird der in den Kraftwerken erzeugte Strom zu 100 Prozent ins öffentliche Versorgungsnetz gespeist. Zusätzlich ist für die nahe Zukunft auch eine Inselbetriebslösung angedacht, da man für den Fall der Fälle auch den Pumpenbetrieb für die Wasserversorgung sicherstellen möchte.
Meilenstein in der Entwicklung
2017 erhielt der oberösterreichische Wasserkraftspezialist den Zuschlag für die Ausrüstung der Kraftwerke. Gegen Ende 2019 konnte das Montageteam von WWS die Montagearbeiten in Sakarya aufnehmen. „Der Transport und die Montage durch unser eigenes Personal gestaltete sich im Grunde als ‚Business as usual‘, da wir aufgrund unserer großen Erfahrung in der Türkei die zu erwartenden Probleme und Tücken bereits im Vorfeld ausräumen und klären konnten. Durch die angenehme Zusammenarbeit und die offene Kommunikation mit dem Kunden konnten einige zusätzliche Kundenwünsche gut realisiert werden. Da es eine bauliche Verzögerung am Akçay-Damm gegeben hatte, wurde auch unser Terminplan ein wenig nach hinten verschoben – aber ohne nennenswerte Folgen“, erzählt der Projektleiter Lukas Wögerbauer jun.. Auch die Restriktionen und Hürden durch die Corona-Pandemie konnten den Projektfortschritt nicht bremsen. „Unser Team musste zwar viele zusätzliche PCR-Tests über sich ergehen lassen, aber das hat unseren Arbeitsablauf in keiner Weise beeinflusst.“
Seit Oktober dieses Jahres sind nun die Inbetriebsetzungsarbeiten abgeschlossen, alle sieben Maschinen laufen einwandfrei und bewähren sich bereits im täglichen Praxiseinsatz. Die Bedeutung für die Stadt Adapazarı und die ganze Provinz Sakarya ist nicht hoch genug einzuschätzen. Zweifellos stellt die hydroelektrische Nutzung ihres Wasserversorgungssystems einen weiteren wichtigen Meilenstein in ihrer infrastrukturellen Entwicklung dar. Zudem stellen die sieben Maschinengespanne sicher, dass im Regeljahr rund 45 GWh sauberer Strom ins öffentliche Netz eingespeist wird. Und dass dies verlässlich über die nächsten Jahre und Jahrzehnte geschieht, dafür steht die bewährte rot-weiß-rote Wasserkrafttechnik.
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