Saas-Grund generiert Ökostrom aus den eigenen Trinkwasserressourcen9 min read
Lesedauer: 7 MinutenMitte September vergangenen Jahres feierte die Walliser Gemeinde Saas-Grund offiziell die Einweihung ihres neuen, bemerkenswerten Trinkwasserkraftwerks. Die Anlage, die mit zwei Troyer-Turbinen die beiden Hauptstränge der lokalen Trinkwasserversorgung nutzt, wird im Regeljahr genug Strom liefern, um damit rund 420 Haushalte mit grünem Strom zu versorgen. Die Umsetzung des Kraftwerks stellt für das kleinen Bergdorf einen Meilenstein auf ihrem Weg zur energieautarken Gemeinde dar. Dieses Ziel soll nach eigenem Bekunden bis 2032 erreicht sein.
Mit seiner beeindruckenden Naturkulisse zieht Saas-Grund im Herzen des Saastals heute längst nicht mehr nur Wintersportler an, sondern hat sich auch zu einer attraktiven Sommerdestination entwickelt. Ein kleines, malerisches Bergdorf, das einerseits Traditionen lebt, andererseits aber auch auf Modernität und Zukunftsbewusstsein ausgerichtet ist. Ein Beleg dafür ist das richtungsweisende Beleuchtungskonzept, das die 1000-Seelen-Gemeinde im Jahr 2018 erfolgreich umgesetzt hat. Die alten Lampen waren allesamt durch moderne LED-Leuchten ersetzt worden, die zum Teil auch im Boden verbaut wurden. Das Ziel dahinter war zum einen eine umweltfreundliche und wirtschaftliche Form der Beleuchtung zu finden, die zum anderen auch eine positive Auswirkung auf die zunehmende Lichtverschmutzung in der Region hat. Das Thema Nachhaltigkeit hat für das Walliser Bergdorf zentrale Bedeutung. Selbstredend gilt das auch für die Energieversorgung. Schon seit längerem verfolgen die Gemeindeverantwortlichen unter der Führung von Gemeindepräsident Bruno Ruppen die Absicht, die Gemeinde energieunabhängig zu machen. „Unsere Strategie zielt darauf ab, bis 2032 eine energieautarke Gemeinde mit einem energieautarken Skigebiet zu werden“, sagt der umtriebige Gemeindepräsident.
Lange Planung – kurze Umsetzung
Das funktioniert natürlich nur, wenn Möglichkeiten gegeben sind, eigene Erzeugungsanlagen zu realisieren. Eine höchst bewährte Option dieser Art: ein Trinkwasserkraftwerk. Nachdem auch ein gewisser Erneuerungs- und Modernisierungsbedarf an der hiesigen Trinkwasserversorgung gegeben war, entstand schon im Rahmen der Sanierungsstrategie vor über 10 Jahren die Idee, das eigene Trinkwasser auch zur Stromerzeugung zu nutzen. Gegen Ende des Jahres 2013 wurde den Einwohnern von Saas-Grund eine erste Projektskizze präsentiert, die ein klares Ja-Votum in der Ur- und Bürgerversammlung erhielt. In der Folge wurden Experten und Planungsingenieure beigezogen, um das Projekt zu konkretisieren und auch weitere Synergieeffekte zu nutzen, wie etwa Verbesserungen in der Kommunikation oder die Integration der Beschneiungsanlagen in das Gesamtprojekt. Auf dieser Basis konnte eines der wichtigsten Bauvorhaben für das Walliser Bergdorf auf Schiene gebracht werden. Bis zur Umsetzung sollte es allerdings noch ein wenig dauern. Zunächst galt es dafür noch geeignete Partner zu finden. 2016 gründeten die Gemeinde (40 Prozent), das Energieversorgungsunternehmen BKW (40 Prozent) sowie die Elektrizitätsversorgung Saas-Grund (20 Prozent) die Trinkwasserkraftwerk Saas-Grund AG. Die neue Betriebsgesellschaft musste sich aber noch etwas in Geduld üben, da eine Einsprache den Projektfortschritt über Jahre blockieren sollte. Nachdem 2019 die Förderzusage aus dem KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung) erteilt und nachdem zu guter Letzt auch die Einsprache ausgeräumt worden war, konnten die Baumaschinen im März 2022 gestartet werden.
Gussrohre ersetzen alte PVC-Rohre
Das Konzept des neuen Trinkwasserkraftwerks sieht vor, dass die zwei Trinkwasserstränge, die beide über 2.000 m Seehöhe gefasst werden, separat zu einer bestehenden Felskaverne auf 1.660 m Seehöhe geführt werden, wo zwei neue Turbinen die Energie des Wassers abarbeiten. Da die Schüttungen der Quellen unterschiedlich groß sind, unterscheiden sich natürlich auch die dazugehörigen neuen Druckrohrleitungen sowie die beiden Maschinensätze. „Im Kreuzboden auf knapp 2.240 m Seehöhe befindet sich die Brunnenstube Engpass, der 6 Quellen zufließen. Sie stellt die größere der beiden Versorgungsleitungen dar. Die zweite, kleinere Leitung im Bereich der Triftalpe wird von vier Quellen gespeist. Früher führten beide Leitungen zu einem Druckunterbrecherschacht auf 1.900 m, in dem die Energie des Wassers abgebaut wurde. Danach gelangte das gesamte Trinkwasser zu einer Felskaverne mit 400 m3 Fassungsvermögen auf rund 1.660 m Seehöhe. Diese Felskaverne wurde nun umgebaut zur Maschinenkaverne, wo die beiden neuen Turbine-Generator-Einheiten untergebracht sind“, erklärt der Projektleiter der Gemeinde Saas-Grund, Fabian Zurbriggen. Baulich sei die größte Herausforderung der Tausch der bestehenden Rohrleitungen gewesen. Über eine Gesamtlänge von knapp 2.800 Meter mussten die bestehenden PVC-Leitungen durch druckfeste Rohrleitungen aus Guss ersetzt werden. Dabei kamen Gussrohre der Marke VONROLL HYDRO zum Einsatz, die vom Rohrspezialisten Hagenbucher geliefert wurden. Sie sind sowohl außen als auch innen mit einer Zementmörtelumhüllung ausgeführt. Die hochglatte Zementmörtelinnenschicht bietet maximalen Schutz für das wertvolle Triebwasser, die Zementaußenschicht schützt das Gussrohr vor mechanischen Beschädigungen, die mitunter in felsigem Gelände passieren können. „Gerade die Verlegung im unteren Steilgelände war für die Baufirma eine Herausforderung. Zum Teil musste in felsigen Abschnitten geschrämt und gesprengt werden. Unterhalb der Triftalpe konnte aufgrund der Neigung von bis zu 42 Grad im Gelände nur mit einem am Seil fixierten Schreitbagger gearbeitet werden, in gewissen Abschnitten konnte die Rohrkünette auch nur per Hand ausgehoben werden. Eine zusätzliche Herausforderung war die Querung der Schutzwasserzone“, erinnert sich Fabian Zurbriggen an die Tücken der Verlegearbeiten.
Ungleiches Maschinenduo installiert
Zeitgleich zur Errichtung der neuen Druckrohrleitung wurde auch die bestehende Maschinenkaverne umgebaut, sodass hier die beiden neuen Turbinen eingebaut werden konnten. Der Auftrag über die elektromaschinelle Ausrüstung des neuen Trinkwasserkraftwerks ging an den Südtiroler Wasserkraftallrounder Troyer AG, der zusätzlich zur Turbine und zum Generator auch die Zuleitung, Steuerung, Visualisierung, den Transformator, die beiden Turbinen-Bypässe übernahm und somit seine Qualitäten als Turnkey-Spezialist wieder einmal unter Beweis stellen konnte. Die größere der beiden 2-düsigen Peltonturbinen für den Trinkwasserstrang aus dem Kreuzboden ist auf eine Netto-Fallhöhe von 543 Metern und eine Ausbauwassermenge von 90 l/s ausgelegt, wodurch die Maschine auf eine Ausbauleistung von 430 kW kommt. Die kleinere, ebenfalls 2-düsige Peltonturbine für den Trinkwasserstrang aus der Triftalpe weist ein Schluckvermögen von 45 l/s auf und kommt bei einer Nettofallhöhe von knapp 386 Metern auf eine Leistung von 153 kW. Natürlich sind beide Turbinensätze voll trinkwassertauglich ausgelegt, wie Pirmin Schneider, Leiter der Troyer Suisse AG, betont: „Alle wasserberührten Teile der Turbine sind mit trinkwassertauglichem, hochwertigen Inox-Stahl ausgeführt. Um jede Eventualität für einen Kontakt mit Öl auszuschließen, werden die Düsen der Turbine elektrisch angetrieben. Auch die Antriebe für den Strahlablenker mit Federpaketen wurde von uns elektrisch ausgeführt.“
Trinkwasserversorgung hat Priorität
Wie bei modernen Trinkwasserkraftwerken obligatorisch und üblich, bleibt die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser dennoch als höchste Priorität bestehen. Daher wurden beide Turbinensätze mit Bypässen ausgerüstet, damit im Fall eines Maschinenstillstands das Wasser an den Turbinen vorbeigeführt werden kann. Selbstredend funktioniert dies vollautomatisch und ist Teil des Steuerungspakets der Troyer AG. „Unsere Programmierer haben die Anbindung unserer Steuerung an das bestehende Trinkwasser-Leitsystem vorgenommen, damit der Wasserwart nun alle Betriebsdaten und Alarme auf der Visualisierung seines Leitsystems übersichtlich dargestellt zur Verfügung hat. Hinzu kommt noch die Anbindung der Troyer-Steuerung an die Kraftwerksbewirtschaftung, die der BKW obliegt. An dieser digitalen Schnittstelle wird allerdings zurzeit noch gearbeitet“, sagt Pirmin Schneider. Ein Kapitel für sich sei auch die Anlieferung der Maschinen in den schwer zugänglichen Bereich der Felskaverne gewesen. So mussten sämtliche elektromaschinellen Komponenten mit Helikoptern angeliefert werden, im Fall von Generator und Transformator wurde dazu sogar ein Schwerlast-Heli angefordert. Die Zuleitungsrohre in der Kaverne wurden nachträglich vor Ort mit einer 7 mm dicken Isolierschicht von Armaflex ummantelt. Die Isolierung dient dazu, dass kein Schwitz- oder Kondenswasser in der Kaverne entsteht. Nach ersten Betriebserfahrungen funktioniere sie ausgezeichnet, lobt Fabio Zurbiggen.
Erster Strom im Juni 2023
Aufgrund der Witterungsbedingungen in der Höhenlage der Baustellen wurde das Gros der Bauarbeiten in den Sommermonaten durchgeführt. Dabei galt es auch zahlreiche Schnittstellen mit Viehwirtschaft, Wanderwegen und touristisch genutzten Gebieten zu berücksichtigen, sodass verschiede Bauabschnitte nötig waren. Nachdem im März 2022 der Startschuss für die Bauarbeiten gefallen war, konnten die neuen Maschinensätze erstmalig Ende Juni letzten Jahres Strom erzeugen. Am 16. September lud die Trinkwasserkraftwerk Saas-Grund AG zu einem Tag der offenen Tür, in dessen Rahmen das Projekt offiziell eingeweiht wurde und die zahlreichen Interessierten viel über die Technik und die Umsetzung des Trinkwasserkraftwerks erfahren konnten. In seiner Eröffnungsrede freute sich Gemeindepräsident Bruno Ruppen über die erfolgreiche Inbetriebnahme des neuen Trinkwasserkraftwerks: „Im Rahmen der Sanierung der Trinkwasserversorgung konnten wir in Zusammenarbeit mit BKW und der Elektrizitätsversorgung Saas-Grund das Trinkwasserkraftwerk bauen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ In Summe investierte die Betriebsgesellschaft rund 5 Millionen Schweizer Franken in das Gesamtprojekt.
20 Prozent steuert das Kraftwerk bei
Mit der gesamt installierten Leistung von rund 583 kW erzeugen die beiden Turbinen im Regeljahr etwa 2 Gigawattstunden grünen Strom. Diese Stromproduktion deckt rund 20 Prozent des Strombedarfs der circa 1.000 Einwohner und 3.500 Feriengäste der Gemeinde Saas-Grund. Nachdem die Schüttung der beiden Quellstränge relativ konstant ist, rechnen die Verantwortlichen mit einem Produktionsverhältnis von Sommer zu Winter von etwa 60 zu 40 Prozent. Demnach sind auch in den Niederwasserperioden des Winters sehr gute Energieerträge zu erzielen. Selbstredend ändert sich durch das neue Trinkwasserkraftwerk auch nichts an der verfügbaren Trinkwassermenge, die weiterhin bei durchschnittlich 50 l/s liegt. Das neue Trinkwasserkraftwerk hat die Gemeinde Saas-Grund einen großen Schritt weitergebracht in der Umsetzung ihrer Energievision. Neben der Nutzung des Trinkwassers hat man bereits zwei Photovoltaikanlagen realisiert. Die dritte, die in Kürze gebaut wird, soll definitiv den Weg zur Energieautarkie freimachen, wie Gemeindepräsident Bruno Ruppen betont: „Mit der geplanten Hochgebirgs-Photovoltaikanlage auf Hohsaas werden wir ab 2024 deutlich mehr Strom produzieren als in der Gemeinde Saas-Grund verbraucht wird. Dies ist ganz im Sinne unserer Strategie, bis 2032 eine energieautarke Gemeinde mit einem energieautarken Skigebiet zu werden.“
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 2/2024
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