Skigebiet in Andorra erreicht mit neuem Kleinwasserkraftwerk ein Stück Energieunabhängigkeit6 min read
Lesedauer: 5 MinutenDas Skigebiet Grandvalira im Fürstentum Andorra nutzt seit Dezember 2022 das hydroelektrische Potential eines Gebirgsbachs für die Produktion von sauberer Energie. Im Sektor Grau Roig des Skiresorts wurde innerhalb von ca. sechs Monaten ein neues Kleinwasserkraftwerk am Gewässer Riu dels Pessons realisiert. Für den Einzug von 450 l/s Triebwasser wurde eine Wasserfassung, die zuvor für die Produktion von Kunstschnee genutzt wurde, völlig neu errichtet. Das gesamte elektromechanische und leittechnische Equipment im Krafthaus stammt vom deutschen Kleinwasserkraftexperten Ossberger. Für die Stromproduktion setzen die Betreiber auf eine zuverlässige Durchström-Turbine mit 316 kW Engpassleistung, die aus den variierenden Zuflüssen ein Maximum an Effizienz generiert. Im Regeljahr kann das neue Kleinwasserkraftwerk rund 500.000 kWh Ökostrom produzieren.
In dem zwischen Frankreich und Spanien gelegenen Fürstentum Andorra mit rund 79.000 Einwohnern spielt die Stromerzeugung aus Wasserkraft eine signifikante Rolle. Knapp ein Viertel der im Kleinstaat produzierten Elektrizität stammt aus dem Energieträger Wasser. Darüber hinaus werden etwa 15 Prozent des jährlichen Strombedarfs aus anderen erneuerbaren Ressourcen wie Wind, Sonne oder Biomasse gewonnen. Eines der jüngsten Wasserkraftwerke im Land ging Ende des Vorjahres im Skiresort Grandvalira, das mit über 200 km Pistenlänge das größte Skigebiet der Pyrenäen bildet, erstmals in Betrieb.
Energieunabhängigkeit ausbauen
„Wie in jedem Skigebiet stellt der Faktor Energie auch in Grandvalira einen der größten Kostenpunkte dar. Es ist absehbar, dass der Energiebedarf in der Zukunft weiter steigen wird. Um die eigene Energieautonomie zu steigern, beschäftigte sich Joan Viladomat, der Eigentümer der Skisektoren Pas de la Casa und Grau Roig, die zum Resort Grandvalira gehören, mit verschiedenen Möglichkeiten, wie das Resort seine Energieunabhängig verbessern könnte“, sagt Ferran Huertas Martínez, der stellvertretende technische Leiter des Grandvalira Resorts. Im Jahr 2020 wurde eine Studie erstellt, bei der das Wasserkraftpotential im Sektor Grau Roig für die Stromproduktion untersucht werden sollte. Als Energieträger für das neue Kleinwasserkraftwerk dient der Gebirgsbach Riu dels Pessons, der durch das Skigebiet fließt. Die behördliche Genehmigung zum Bau der Anlage wurde den Betreibern bereits im Herbst 2021 erteilt. Da die Errichtung wegen des nahenden Winters nicht mehr im selben Jahr realisiert werden konnte, wurde der Baubeginn auf den Sommer 2022 verlegt.
Ökostrom- statt Kunstschneeproduktion
Das Funktionsprinzip des Kraftwerks basiert auf dem klassischen Ausleitungskonzept, wobei das Triebwasser an einem Fassungsbauwerk aus dem Bachbett entnommen wird und durch eine Druckrohrleitung ins Krafthaus gelangt. Die Wasserfassung Grau Roig befindet sich am Standort einer Wehranlage auf einer Seehöhe von ca. 2.200 m ü. M, die zuvor ausschließlich für die Kunstschneeproduktion genutzt wurde. Mit dem Wasserkraftprojekt wurde die Kunstschneeproduktion und die Erzeugung von grünem Strom kombiniert. Das zuvor ungenutzte hydroelektrische Potential treibt nun die Turbine im neu errichteten Maschinengebäude an. Danach wird das abgearbeitete Triebwasser zur bestehenden Pumpstation geleitet und kann während der Wintersaison für die Kunstschneeproduktion verwendet werden. Zur Gewährleistung der ökologischen Durchgängigkeit an der Wasserfassung wurde eine Fischaufstiegshilfe in Form eines technischen Vertical-Slot-Pass errichtet, der den Gewässerlebewesen eine kontinuierliche Passage ins Oberwasser gewährleistet. Ebenfalls neu ausgeführt wurde die 757 m lange Druckleitung in der Dimension DN450. Der Kraftabstieg besteht komplett aus duktilen Gussrohren und wurde in einem möglichst linearen Trassenverlauf zur Gänze unterirdisch verlegt. Martínez hebt hervor, dass die Höhenlage die wesentliche Herausforderung des Projekts darstellte: „Arbeiten auf über 2.000 m Höhe in einem abgelegenen Gebiet gehen naturgemäß mit schwierigen Bedingungen einher. Wir konnten uns ab dem Baustart im Juni 2022 keine Verzögerungen erlauben, da mit dem Einsetzen von Schneefällen ein Betrieb auf der Baustelle nicht mehr möglich gewesen wäre. Glücklicherweise gab es während der Bauarbeiten keine nennenswerten Probleme mit Hochwässern oder schwierigen geologischen Bedingungen.“
Durchström-Turbine für breites Betriebsspektrum
Die elektrohydraulische und regelungstechnische Ausstattung für das Krafthaus lieferte im Rahmen eines Komplettpakets der deutsche Wasserkraftallrounder Ossberger. Als Herzstück der Anlage dient eine robuste Durchström-Turbine, deren Einsatzbereich zwischen 2,5 und 200 m Fallhöhe liegt. Die bewusst einfach konstruierte Maschine mit nur drei beweglichen Teilen liefert zuverlässig Strom und kommt auch mit schwankenden Zuflüssen bestens zurecht. Ermöglicht wird dies durch den aus zwei Zellen bestehendem Aufbau im Inneren der Turbine, die unabhängig voneinander arbeiten. So reichen der kleineren Zelle bereits 5 Prozent der Ausbauwassermenge, um die Turbine zu betreiben. Für das Kraftwerk Grau Roig lieferte Ossberger eine auf 450 l/s Ausbauwassermenge und 96 m Bruttofallhöhe ausgelegte Maschine. Bei vollem Wasserdargebot, das vor allem während der Schneeschmelze im Frühjahr zur Verfügung steht, schafft die Turbine 296 kW Engpassleistung. Die Umwandlung der kinetischen Bewegungsenergie des Laufrads in elektrischen Strom übernimmt ein direkt gekoppelter Synchron-Generator. Der in luftgekühlter Ausführung gefertigte Generator rotiert wie die Turbine mit 1.000 U/min und wurde auf 400 V Spannung sowie 306 kVA Nennscheinleistung ausgelegt. Komplettiert wurde der Ossberger Lieferumfang durch das gesamte elektro- und leittechnische Equipment, das für den vollautomatischen Betrieb der Anlage sorgt.
Resort setzt auf erneuerbare Energien
Nach einer Bauphase von ca. sechs Monaten konnte das Wasserkraftwerk Mitte Dezember 2022 erstmals in Betrieb genommen werden. Die Stromproduktion währte zunächst allerdings nur für wenige Tage, da das Wasserdargebot während der kalten Wintermonate erheblich zurück ging. Drei Monate später konnte das Kraftwerk Mitte März 2023 wieder den Betrieb aufnehmen. „Obwohl wir die Anlage noch nicht unter Volllast testen konnten, sind wir äußerst zufrieden mit den bislang gesammelten Erfahrungen. Die Durchström-Turbine von Ossberger liefert bei den schwankenden Zuflüssen, die an unserem Standort vorherrschen, sehr gute Ergebnisse“, resümiert Martínez. Im Regeljahr wird das neue Ökostromkraftwerk ca. 500.000 kWh saubere Energie erzeugen. Durch den Bau des Wasserkraftwerks sowie mehreren auf verschiedenen Dächern montierten Solarpaneelen kann das Skiresort nun ca. 10 Prozent des Eigenenergiebedarfs selbst erzeugen. Martinez lässt nicht unerwähnt, dass das Skiresort die Nutzung der Energieträger Wasser, Wind und Sonne weiter vorantreiben will, um das Ziel der vollständigen Energieunabhängigkeit zu erreichen.
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