Südtiroler Kraftwerkstechnik bewährt sich in neuem Kraftwerksduo an norwegischem Fjord7 min read
Lesedauer: 5 MinutenIm nördlichen Norwegen, unweit der bekannten Hafenstadt Narvik, gingen im Frühling dieses Jahres zwei neue, leistungsstarke Kleinwasserkraftwerke in Betrieb.
Die in Sachen Wasserkraft erfahrenen Betreiber der heimischen Russvikkraft AS setzten dabei auf das technische Know-how des Südtiroler Wasserkraftallrounders Troyer AG, der die gesamte elektromechanische Ausrüstung der beiden Anlagen lieferte. Eine Francis-Turbine mit rund 2,85 MW Leistung und eine vierdüsige Pelton-Turbine mit knapp 5 MW Leistung sorgen dafür, dass die beiden Ökostromanlagen im Regeljahr rund 19 GWh sauberen Strom in das unterirdische Seekabel einspeisen. Für die Troyer AG ein erfolgreicher Einstieg in den spannenden Wasserkraftmarkt im hohen Norden.
Tysfjord in der Provinz Nordland zählt zu den landschaftlich reizvollsten Regionen von ganz Norwegen. Der gleichnamige Fjord ist der tiefste Nord-Norwegens, und wie im Kontrast dazu ragen hier steile Berge in den Himmel. Es finden sich Gletscher ebenso wie große Kalksteingrotten, zudem der größte natürliche Canyon Nordeuropas. Kein Wunder also, dass die Gegend als Eldorado für Wanderer, Fischer und Naturliebhaber aller Art gilt. Zudem kann man hier, unweit der Hafenstadt Narvik, auch skifahren. Die amerikanische Outdoor-Zeitschrift „Outside Online“ listete Narvikfjellet in den Top Ten der besten unentdeckten Skigebiete Europas. Die Hauptstadt Narvik selbst hat einen klingenden Namen: Dank des Golfstroms ist das Klima hier relativ mild und der Hafen das ganze Jahr über eisfrei. Seit Jahrhunderten wird von hier aus Erz aus Lappland verschifft. Dessen strategische Bedeutung machte es auch zu einem Angriffsziel im Zweiten Weltkrieg. Von der zweimonatigen Schlacht um Narvik im Frühjahr 1940 zeugen heute noch zahlreiche Monumente und ein eigenes Kriegsmuseum in der Stadt. Und es gibt noch etwas, wofür Narvik weltweit gerühmt wird: die Mitternachtssonne, die hier an schönen Sommertagen nie hinter dem Horizont verschwindet und die gesamte Landschaft in malerische Orange- und Rottöne taucht.
Wasserkraftstrom – ein Exportschlager
Dass man in einer derartig schützenswerten Naturlandschaft auf Energieversorgung aus natürlichen Ressourcen setzt, liegt auf der Hand. Und Wasserkraft spielt seit langem die dominante Rolle in der norwegischen Stromversorgung. Das Land, das mit großen Wassermengen und Gefällen gleichermaßen gesegnet ist, kann mit Stand 2020 auf knapp 1.700 Wasserkraftwerke verweisen, die für rund 88 Prozent der norwegischen Stromerzeugung verantwortlich sind. Wasserkraftstrom ist auch ein Exportschlager: Norwegen exportierte zuletzt rund 14 TWh an Ökostrom ins Ausland.
Um auch in der Region Tysfjord unweit von Narvik den Anteil an Wasserkraftstrom zu erhöhen, bündelten zwei erfahrene Betreiber ihre Kompetenzen. Die Småkraft AS, Europas – wie es heißt – „größter kleiner Stromkonzern“, der rund 110 Kleinkraftwerke in ganz Norwegen betreibt, und Nordkraft AS, das über ein Portfolio von 15 Wasserkraftwerken verfügt, gingen für das geplante Doppelprojekt am Fluss Russvikelva eine erfolgreiche Partnerschaft ein. Die zusammen mit fünf Landbesitzern gegründete Russvikkraft AS ist der offizielle Betreiber der beiden Anlagen, die seit Frühling dieses Jahres in Betrieb sind.
Maschinentransport per Fähre
„Die Standort-Region ist sehr abgelegen. Man erreicht sie nicht über den Landweg, was letztlich für die Anlieferung von Baumaterial und Maschinen eine Herausforderung darstellte“, erzählt Ing. Thomas Fiechter, der für die Firma Troyer AG das Projekt in leitender Funktion abwickelte. „Die Wasserkraftnutzung war hier dennoch nichts ganz Neues. Schließlich hatte der Grundbesitzer vor Ort ein kleines Wasserkraftwerk für die Eigenversorgung in Betrieb.“ Im Januar 2020 wurde das renommierte Südtiroler Wasserkraftunternehmen vom Bauherrn beauftragt, die komplette elektromechanische Ausrüstung für die beiden Kraftwerke an der Russvikelva zu liefern. Das Lieferpaket umfasste dabei die beiden Turbinen, die Zuleitungen, Absperrorgane, Generatoren, Hydraulikaggregate, Kühlsysteme, Niederspannungs- und Mittelspannungsanlagen sowie Zivilelektrik, Maschinentransformatoren, Fassungsversorgung und Fassungssteuerung. Ein klassischer Water-to-Wire-Auftrag für die erfahrenen Wasserkraftallrounder aus Sterzing. „Die Ursprünge dieses Doppel-Projekts reichen bis 2014 zurück, als die Nordkraft AS mit dessen Entwicklung begann“, erzählt Bernt Grimstvedt, Repräsentant für Troyer AG in Norwegen. Er verweist dabei zugleich auf die strengen ökologischen Kriterien für den Bau von Kleinwasserkraftwerken in Norwegen. „In die Bewertung eines Kraftwerks fließt eine ganze Reihe an ökologischen Parameter mit ein. Diese spielen letztlich eine entscheidende Rolle, ob die Behörden einem Projekt grünes Licht erteilen“, sagt Grimstvedt.
Wasser aus den Seen
Im Sommer 2019 lagen sämtliche Genehmigung für den Bau der beiden Kraftwerke – dem Øvre Russvik und dem Nedre Russvik – vor. Die Arbeiten konnten beginnen. Von ihrem Konzept her sind beide Kraftwerke Hochdruckanlagen. Während die Oberstufe Øvre Russvik eine natürliche Fallhöhe von rund 400 m aufweist, nutzt die Unterstufe Nedre Russvik ein Gefälle von circa 100 m. „Beide Anlagen werden von Seen versorgt. Die Einlaufbauwerke bestehen je aus einem Einlaufkonus aus Stahl mit schrägem, fast senkrechtem Grobrechen. Das Triebwasser wird über ein Zulaufrohr in den Fassungsschacht geführt. Der vollständig in PE gefertigte Fassungsschacht beherbergt die Rohrbruchklappe, die Restwasserversorgung, den Eigenbedarfs-Trafo und das Steuerfeld“, erklärt Thomas Fiechter. Der Kraftabstieg bis zum Krafthaus der Oberstufe erstreckt sich über eine Trassenlänge von ca. 2.230 m, er wurde in Dimension DN700 aus duktilem Guss hergestellt. Die Druckrohrleitung der Unterstufe besteht aus GFK-Rohren der Dimension DN1100 und ist etwa 650 m lang. Die gesamten Bauarbeiten an dem Projekt erstreckten sich über circa 18 Monate, ehe die Anlagen das erste Mal Strom produzierten.
Auftrag mit Hürden
„Wir haben die ersten Komponenten im August letzten Jahres geliefert: Dabei handelte es sich um die Zuleitungen außen für beide Anlagen sowie die Steuerschränke und Versorgungstrafos für die Fassungen. Die restliche mechanische Ausrüstung wurde dann ab Jänner 2021 geliefert“, erzählt Thomas Fiechter. Für den erfahrenen Projektleiter kein alltäglicher Auftrag: Schließlich mussten sämtliche Maschinenteile, jeder Ausrüstungsteil per Fähre angeliefert werden. Eine Straßenverbindung zu dem Standort existiert nicht. Die pandemiebedingten Auflagen und Einschränkungen trugen zu dieser Zeit das ihrige bei und machten das Projekt zu einer Herausforderung für alle Beteiligten. „Ab Mitte März waren unsere Monteure vor Ort, mussten allerdings zuvor für 10 Tage in Quarantäne. Die Unterkünfte waren strikt getrennt. Die Einschränkungen waren natürlich anstrengend und trieben letztlich auch bedingt durch diverse Verzögerungen die Kosten in die Höhe“, erzählt Fiechter. Bis Ende Mai, Anfang Juni gelang es den Inbetriebsetzungsspezialisten der Troyer AG beide Anlagen erfolgreich ans Netz zu bringen.
Eingespeist ins Unterseekabel
Konkret kommt im Øvre Russvik eine 4-düsige Peltonturbine zum Einsatz, die auf eine Ausbauwassermenge von 1,444 m3/s ausgelegt ist. Bei einer Nettofallhöhe von 390,2 m erreicht die Maschine eine Nennleistung von 4,996 MW. Ein wenig anders stellt sich das maschinelle Equipment im Unterlieger-Kraftwerk, Nedre Russvik, dar: Hier wurde eine Francis-Turbine installiert, die auf ein Schluckvermögen von 3,363 m3/s ausgelegt ist. Sie kommt bei einer Netto-Fallhöhe von 95,06 m auf eine Nennleistung von 2,858 MW. Beide Maschinen wurden von den Ingenieuren der Troyer AG passgenau für die hydrologischen Anforderungen vor Ort konzipiert. Sie gelten als hocheffizient, langlebig und wartungsarm. Diese Attribute überzeugten letztlich auch die norwegischen Wasserkraftbetreiber. „Die sehr attraktive Kombination von Qualität und gutem Preis war wohl das ausschlaggebende Argument, warum Troyer als Sieger aus der Ausschreibung hervorgegangen war“, erklärt Bernt Grimstvedt. Während Øvre Russvik im Regeljahr rund 12 Gwh ins Netz speist, erzeugt die Unterstufe Nedre Russvik etwa 7 Gwh. Die gesamte Stromproduktion wird in ein Unterseekabel eingespeist und dient der lokalen Stromversorgung über ein 22 kV-Netz.
Projekt mit Win-Win-Situation
Was das Kraftwerks-Duo nun im Betrieb auszeichnet, ist die Tatsache, dass beide auch über die Niederwasserperiode im Winter hinweg betrieben werden können. Es wird damit gerechnet, dass die Anlagen von Anfang Oktober bis Ende April rund 3,2 GWh Strom liefern können. Das erfreut sowohl die beiden Kooperationspartner Småkraft AS und Nordkraft AS als auch die fünf lokalen Grundbesitzer. Das Kooperationsmodell soll dabei nicht nur für ein Mehr an Ökostrom in der Region sorgen, sondern zudem die Wertschöpfung in der Region sichern. „Bei unserem Modell geht es darum, eine Brücke zwischen dem nationalen Bedarf an mehr erneuerbaren Energien und der lokalen Wertschöpfung und Kompetenzbildung zu schlagen. Die Projekte an der Russvikelva sind ein gutes Beispiel dafür, wie wir gemeinschaftlich mehr zukunftsweisende erneuerbare Energienutzung entwickeln können“, sagte Terjo Vedeler, CEO von Småkraft AS in einem offiziellen Statement. Für die beiden Energiekonzerne stellt das Doppelprojekt einen weiteren Baustein in einer konsequenten Ausbaustrategie dar, die auch in der Region Nordland weitere Kleinwasserkraftwerke beinhaltet. Für die Ausrüsterin der Kraftwerke, die Troyer AG, jedenfalls ein positives Signal. Die Realisierung der Kraftwerke Øvre Russvik und Nedre Russvik stellt einen erfolgreichen ersten Schritt auf den spannenden Wasserkraftmarkt Norwegen dar, dem in Zukunft noch einige weitere folgen könnten – die Vorzeichen dafür sind vielversprechend!
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