Walliser Kraftwerk Heidadorf produziert Strom für rund 4.000 Haushalte9 min read
Lesedauer: 6 MinutenNach einer Bauzeit von nur 1,5 Jahren wurde Anfang Oktober 2018 in der Walliser Gemeinde Visperterminen das neu errichtete Kraftwerk Heidadorf offiziell in Betrieb genommen.
Die mit zwei eigenständigen Zentralen ausgeführte Anlage nutzt zur Stromerzeugung das energetische Potential des Wildbachs Gamsa, wobei eine beachtliche Gesamtfallhöhe von fast 1.000 m genutzt wird. Als positiver Nebeneffekt des 16,5 Millionen CHF Projekts dient ein beträchtlicher Teil des ausgeleiteten Wassers zur Versorgung der landwirtschaftlichen Betriebe entlang der Rohrtrasse. Für den rechtlichen Rahmen wurde die Kraftwerk Heidadorf AG gegründet, an der die Stadtgemeinde Brig-Glis und die für die Betriebsführung zuständige EnBAG AG jeweils 40 Prozent halten, die Gemeinde Visperterminen ist mit 18 Prozent und der lokale Energieversorger EW Riedbach mit 2 Prozent beteiligt. Um den ambitionierten Terminplan einhalten zu können, wurde während der Umsetzung im Sommer 2017 an bis zu neun Baustellen gleichzeitig gearbeitet. Die komplette elektromechanische Ausstattung der beiden Zentralen Chrizji und Stundhüs lieferte der Weltmarktführer im Small Hydro-Bereich ANDRITZ Hydro. Zwei hocheffiziente 4-düsige Pelton-Turbinen erreichen bei vollem Wasserdargebot eine Maximalleistung von über 5,5 MW. Im Regeljahr kann das neue Kraftwerk Heidadorf rund 16 GWh Ökostrom erzeugen, der zur Gänze ins öffentliche Netz eingespeist wird.
Das Walliser Bergdorf Visperterminen am Eingang des Vispertals hat als Anbaugebiet für den qualitativ hochwertigen Weißwein „Heida“ Bekanntheit erlangt, woraus der inoffizielle Zweitname „Heidadorf“ entstanden ist. Die sonnigen Rebterrassen der rund 1.350 Einwohner zählenden Gemeinde erstrecken sich auf einer Höhe zwischen 600 und 1.200 m.ü.M. und gehören somit zu den höchstgelegen Weinbergen Europas. Gleichzeitig bilden die topographischen Verhältnisse ideale Voraussetzungen für die Stromproduktion aus Wasserkraft. Bereits vor der Jahrhundertwende um 1900 wurde mit dem Bau eines Stollens durch den Berg Gebidum zur Bewässerung der hochgelegenen Weiler und Alpwirtschaften begonnen. Die Fertigstellung des rund 2,65 km langen Stollens, mit dem das gefasste Wasser des Gebirgsbachs Gamsa bis heute durch den Fels geleitet wird, nahm rund 20 Jahre in Anspruch. Bereits kurz nach dem Stollendurchbruch sollte 1916 das Krafttwerk Riedji in Betrieb genommen werden. Dort wurde das Wasser der Gamsa ein erstes Mal genutzt, bevor es im noch weiter unten gelegenen Kraftwerk Ackersand ein weiteres Mal turbiniert wurde.
Neubau mit zwei Zentralen
Mit dem Ablauf der Konzession des Kraftwerks Riedj wurden 2009 die ersten Planungen für einen Ersatzneubau der über 90 Jahre in Betrieb stehenden Anlage erstellt. Federführend von der Konzeption bis hin zur finalen Projektumsetzung des neuen Kraftwerks Heidadorf war der Energieversorger EnBAG aus Brig-Glis. Für den Neubau der Anlage einigten sich die Bauherren auf ein adaptiertes Nutzungskonzept, bestehend aus einem Wasserschloss und zwei eigenständigen Kraftwerkszentralen. Die erste Zentrale sollte unterhalb von Visperterminen beim Weiler Chrizji errichtet werden, die Zentrale im Tal wurde an einem Standort direkt neben der Kantonsstraße im Ortsteil Stundhüs platziert. Wie die Stadtgemeinde Brig-Glis beteiligte sich auch die EnBAG mit jeweils 40 Prozent an der neu gegründeten Kraftwerk Heidadorf AG. Die Gemeinde Visperterminen übernahm 18 Prozent der Gesellschaftsanteile, die restlichen 2 Prozent der genossenschaftliche Energieversorger EW Riedbach. EnBAG-Projektleiter Jonas Kalbermatten beschreibt die Genehmigungsphase des Projekts als grundsätzlich unkompliziert: „Mit allen vom Projekt direkt Betroffenen, wie den Grundbesitzern, über deren Grundstücke die Rohrleitung verläuft, konnten jeweils gute Lösungen gefunden werden. Grundsätzlich haben die Bürger und die Gemeinde das Projekt sehr gut getragen. Durch den Kraftwerksbau sollte auch die Wässerwasserversorgung entlang der Ausleitungsstrecke verbessert werden, weswegen auch von den zuständigen Umweltbehörden kein Veto gegen das Projekt eingelegt wurde.“ Zur praktischen Umsetzung des Projekts wurden mehrere Arbeitsgemeinschaften gebildet, insgesamt sechs Baufirmen erledigten die fachgerechte Ausführung der Hoch- und Tiefbauarbeiten. Mit der Projektplanung wurden zwei Ingenieurbüros aus dem Wallis beauftragt. Die Teysseire & Candolfi AG aus Visp war für den oberen Abschnitt mit der Wasserfassung, dem Wasserschloss und dem ersten Teilabschnitt der Druckrohrleitung zuständig. Die weiterführende Rohrtrasse ins Tal und die Zentralen Stundhüs und Chrizji wurde von der Cordonier und Rey AG aus Siders geplant.
Baustart im Sommer 2016
Im Sommer 2016 starteten mit der Komplettsanierung der Wasserfassung im Nanztal die konkreten Bauarbeiten. Eine hydraulisch betriebene Wehrklappe dient zum Aufstauen der Gamsa, über ein daneben montiertes Tiroler Wehr wird das Triebwasser ausgeleitet. Um die ökologische Durchgängigkeit zu gewährleisten, wurde an der Wehranlage ein Umgehungsgewässer angelegt, über welches gleichzeitig auch die ganzjährig konstante Restwasserdotation von 78 l/s abgegeben wird. Gleich nach dem Tiroler Wehr wird das Wasser in einen offenen Entsander mit zwei Becken geleitet, in welchem sich die mitgeführten Sedimente des Gebirgsbachs langsam absetzen können. Über eine Spülklappe wird der Sand kontinuierlich wieder in den natürlichen Gewässerverlauf abgegeben. Dank der beiden separaten Becken wird die Stromproduktion bei den Spülvorgängen nicht beeinträchtigt. Nach dem Entsander wird das Wasser über eine oberirdisch verlegte Leitung aus GFK-Rohren auf direktem Wege in den Freispiegelstollen geleitet.
Wasserfassung mit autonomer Stromversorgung von ASWA
Um die Sensoren, Schützenantriebe und Steuerungskomponenten der Wasserfassung mit Strom zu versorgen, entschieden sich die Betreiber für eine technische Sonderlösung. „Da der mittels Sprengvortrieb erstellte Stollen mit seinem unregelmäßigen Querschnitt ohne glatte Flächen für die Verlegung einer eigenen Stromleitung nicht geeignet ist, musste eine Alternative gefunden werden“, erklärt Projektleiter Kalbermatten. Es wurde ein Konzept entwickelt, bei dem die Wasserfassung mit einer eigenen Mikro-Turbine völlig autonom mit Strom versorgt werden sollte. Geliefert und installiert wurde das entsprechende Equipment vom Schweizer Wasserkraft-Allrounder Adrian Schwarz, der sich mit seinem Unternehmen ASWA aus Wasen im Emmental unter anderem auf den Bau von Mikro-Turbinen spezialisiert hat. Die auf einen Durchfluss von 48 l/s ausgelegte Kaplan-Turbine mit Permanentmagnet-Generator wurde im hinteren Teil des Entsanders, wo diese auch bei äußerst geringem Wasserdargebot zuverlässig Strom erzeugt, montiert. Das turbinierte Wasser bleibt im Betriebssystem der Anlage erhalten, gleichzeitig ergibt sich durch diese Zielvorgabe eine relativ kleine Fallhöhe für die Mikro-Turbine. Bei einer maximalen Fallhöhe von 1,1 m schafft die Turbine eine Engpassleistung von 450 W. Über einen Laderegler wird die erzeugte Energie einem Batteriesystem zugeführt. Wenn die Batterie komplett geladen ist, vernichtet ein Heizelement die überschüssige Energie. Drei Wechselrichter mit je 3,5 kVA wandeln den 24 V Gleichstrom in 230/400 V Wechselstrom um. Eine selbstreinigende horizontale Rechenanlage des Systems „ASWA Fishlive“ hält Fische und Geschwemmsel von der Turbine fern. Die Leistungs- und Leittechnikkomponenten der Wasserfassung lieferte die Kobel Elektrotechnik AG aus Affoltern.
Selbstreinigender Coanda-Rechen im Wasserschloss
Zur Regulierung der Maschinengruppe Chrizji wurde nach dem Freispiegelstollen im Gebiet Muttji ein Wasserschloss errichtet.Dort werden von der maximal 875 l/s betragenden Ausbauwassermenge im Nanztal bis zu 225 l/s für die Wässerwasserversorgung der landwirtschaftlichen Betriebe abgegeben. Da das Triebwasser in dem offenen Entsander feine Lärchennadeln und Treibholz aufnimmt und diese auch durch den Stollen mit sich führt, wurde im Wasserschloss ein zusätzlicher selbstreinigender Coanda-Rechen über die Schweizer Firma Wild Armaturen AG installiert. Sechs kombinierte, jeweils 1 m breite Coanda-Einheiten des Systems „Grizzly Power Optimus“ des Südtiroler Herstellers Wild Metal GmbH halten unerwünschtes Schwemmmaterial vom Übergang in den Kraftabstieg fern. Das Wasserschloss markiert auch gleichzeitig den Beginn der komplett unterirdisch verlegten Druckrohrleitung mit einer Länge von rund 3,8 km. Aufgrund der anspruchsvollen geologischen Bedingungen entlang der Rohrtrasse wurde der Kraftabstieg zur Gänze in duktilen Gussrohren ausgeführt. Das hochwertige Rohrmaterial, das zum Schutz vor Umwelteinflüssen mit einer Zementmörtelummantelung versehen ist, sowie die komplette Stahlwasserbauausstattung für die Wehranlage und das Wasserschloss lieferte der Schweizer Branchenexperte Wild Armaturen AG.
ANDRITZ Hydro liefert Komplettpaket
Den Auftrag zur Lieferung der kompletten elektromechanischen und leittechnischen Ausstattung der beiden Zentralen konnte sich der Weltmarktführer im Small-Hydro-Bereich ANDRITZ Hydro sichern. Beide Zentralen wurden mit jeweils 4-düsigen vertikalachsigen Pelton-Turbinen mit einer Drehzahl von 1.000 U/min ausgerüstet. An der oberen Zentrale Chrizji, an welcher nach der Turbinierung 50 l/s Wässerwasser abgegeben werden, stehen zur Stromproduktion eine maximale Ausbauwassermenge von 650 l/s sowie eine Nettofallhöhe von 532 m zur Verfügung. Bei vollem Wasserdargebot erreicht die Maschine eine maximale Engpassleistung von 3.110 kW. Sollte die Zentrale Chrizji durch ein technisches Gebrechen zum Stillstand kommen, gewährleistet ein Bypass-System die sekundenschnelle Umleitung des Triebwassers. Die Turbine der Zentrale Stundhüs im Tal nutzt eine Ausbauwassermenge von maximal 600 l/s und eine Nettofallhöhe von 450,2 m. Im Idealfall schafft diese Maschine eine Engpassleistung von 2.430 kW. Die Düsenregelung beider Maschinen erfolgt jeweils auf hydraulischem Wege, dank der frei stehenden Gehäuse erreichte man für Wartungszwecke optimale Zugänglichkeit. Die Stromproduktion der beiden Zentralen erfolgt dem Stand der Technik entsprechend komplett vollautomatisch.
Energiewandler mit hohen Wirkungsgraden
Bei der Konstruktion der vom oberösterreichischen Branchenspezialisten Hitzinger gefertigten Synchron-Generatoren wurde hoher Wert auf lange Lebensdauer und beste Wirkungsgrade gelegt. Beide Maschinen drehen mit exakt 1.000 U/min, wurden jeweils direkt mit den Turbinenwellen gekoppelt und mit hoch beanspruchbaren Gleitlagern ausgeführt. In der Zentrale Chrizji wurde der Generator auf eine Nennscheinleistung von 3.350 kVA ausgelegt, unter Volllast kommt die Maschine auf einen Wirkungsgrad von über 98 Prozent. Der Generator der Zentrale Stundhüs hat eine Nennscheinleistung von 2.600 kVA und erreicht im Volllastbetrieb einen Wirkungsgrad von 97,36 Prozent. Um optimale Betriebstemperaturen bei der wärmeintensiven Stromgewinnung zu gewährleisten, werden beide Generatoren von einem Wasserkreislauf mittels Luft-Wasser-Wärmetauscher gekühlt. Die qualitativ hochwertigen Kühlsysteme inklusive Edelstahlverrohrung für beide Generatoren fertigte die Wagner GmbH aus dem westösterreichischen Vorarlberg. Das Unternehmen produziert seit mehreren Jahren Kühlmodule für verschiedene Anwendungen. Funktionsfertige Module von Wagner werden grundsätzlich werksseitig in Betrieb genommen, wodurch äußerst kurze Installationszeiten auf der Baustelle erreicht werden. Für das Projekt Heidadorf wurden die Module mit einer Kühlleistung von ca. 100 kW gemeinsam mit dem Auftraggeber Andritz geplant und ausgelegt. Die finale Anschlussverrohrung der komplett im Werk vorgefertigten, elektrisch verkabelten und ausgiebig getesteten Einheiten vor Ort erfolgte durch einen lokalen Installateur.
Strom für 4.000 Haushalte
Am 20. Juni des Vorjahres konnten die Turbinen des Kraftwerks Heidadorf ein erstes Mal angedreht werden, die offizielle Inbetriebnahme erfolgte im Rahmen eines Festaktes bereits wenige Monate später Anfang Oktober. Der Terbiner Gemeinderatspräsident Rainer Studer und der Verwaltungsratspräsident der Kraftwerk Heidadorf AG Renato Kronig zeigten sich dabei in Ihren Ansprachen erfreut über die termingerechte Fertigstellung und den unfallfreien Bauablauf. Projektleiter Kalbermatten zieht im Gespräch mit zek Hydro ebenfalls ein positives Fazit: „Trotz des sehr trockenen Sommers gab es im Wallis während des Herbstes ergiebige Niederschläge. Somit konnten die Erzeugungsprognosen in den ersten 6 Betriebsmonaten sogar übertroffen werden. Bereits Anfang Dezember hatten die beiden Zentralen gemeinsam etwa 10 GWh Strom erzeugt.“ Im Regeljahr kann das Kraftwerk rund 16 GWh Strom produzieren, der zur Gänze ins öffentliche Netz eingespeist wird. Somit deckt das Kraftwerk Heidadorf den Jahresstrombedarf von rund 4.000 durchschnittlichen Haushalten. In Summe investierte die Heidadorf AG rund 16,5 Millionen CHF in den Bau der Anlage.
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