Wasserkraftwerk Dürrenbach setzt weiteren Schritt zur Vorarlberger Energieautonomie10 min read
Lesedauer: 7 MinutenWeniger als ein Jahr nach der offiziellen Inbetriebnahme des Kraftwerks Argenbach ging im Februar 2023 mit dem Kraftwerk Dürrenbach bereits die nächste Ökostromanlage der illwerke vkw im Bregenzerwald erstmals ans Netz. Als Herzstück des Ausleitungskraftwerks in der Gemeinde Au kommt eine 6-düsige Pelton-Turbine in vertikalachsiger Bauform mit knapp 1 MW Engpassleistung zum Einsatz, die auch bei stark verringerten Zuflüssen ein Maximum an Effektivität gewährleistet. Für den Einzug von 1.100 l/s Ausbauwassermenge wurde am Dürrenbach eine kombinierte Wasserfassung, bestehend aus einem Tiroler Wehr mit automatischer Rechenreinigung und einem zum Großteil selbstreinigenden Coanda-System, errichtet. Die Fertigstellung der Anlage wurde Mitte Juni im Beisein von hochrangigen Teilnehmern aus Politik und Wirtschaft, Vertretern der ausführenden Unternehmen und zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern gebührend gefeiert.
Die illwerke vkw, Vorarlbergs größtes Energie- und Dienstleistungsunternehmen, betreiben im „Ländle“ eine Vielzahl von Wasserkraftwerken unterschiedlicher Bauart und Leistungsklassen. Aufgrund der topographischen Gegebenheiten in Österreichs westlichstem Bundesland befinden sich die leistungsstärksten Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke der illwerke, die einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des europäischen Stromnetzes leisten, in den Regionen Montafon und dem Bregenzerwald. Darüber hinaus zählen auch eine ganze Reihe von Anlagen der mittleren und kleineren Leistungsstufen zum Kraftwerkspark der illwerke. Das jüngste Kleinwasserkraftwerk der Vorarlberger wurde in der Gemeinde Au im Bregenzerwald in weniger als einem Jahr Bauzeit errichtet und hat im heurigen Februar erstmals sauberen Strom ins Netz eingespeist.
Kraftwerk Dürrenbach folgt auf Kraftwerk Argenbach
Die erste Inbetriebnahme des Kraftwerks Dürrenbach im Februar 2023 erfolgte neun Monate nach der feierlichen Eröffnung des Kraftwerks Argenbach im April des Vorjahres, das von den illwerken ebenfalls auf dem Gebiet der Gemeinde Au realisiert wurde. „Das Kraftwerk Dürrenbach ist aus einer Potenzialstudie entstanden, bei der sämtliche Gewässer in Vorarlberg auf ihr Wasserkraftpotenzial und den ökologischen Zustand untersucht wurden. Im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie ist unter anderem der Dürrenbach herausgestochen“, erklärt illwerke-Projektleiter Harald Feldkircher beim Lokalaugenschein von zek HYDRO. „Die ersten Konzepte für den Bau der Anlage und die weiterführenden Planungen sowie die obligatorischen Behördenkonsultationen begannen vor ca. sieben Jahren. Aus wirtschaftlichen Gründen bzw. anderen, prioritären Projekten kam das Bauvorhaben allerdings wieder in die Schublade und wurde erst im vergangenen Jahr in Angriff genommen“, so der Projektleiter, der im gleichen Zug betont, dass mit den Behörden und Umweltverbänden und nicht zuletzt mit den vom Bau betroffenen Grundstückseigentümern ein gutes Einvernehmen hergestellt werden konnte. Eine wesentliche Erleichterung für die Projektgenehmigung stellte laut Feldkircher die Einstufung des Dürrenbachs mit der Gewässergüte 2 dar. Darüber hinaus waren im Gewässer aus Hochwasserschutzgründen schon in der Vergangenheit insgesamt zwölf Wildbachverbauungsstufen platziert worden, die für bachaufwärts wandernde Fische eine unüberwindbare Barriere darstellen. An der Wasserfassung war somit keine Errichtung einer finanziell bzw. baulich aufwändigen Fischaufstiegsanlage notwendig. Zu den an die Projektgenehmigung gekoppelten ökologischen Auflagen zählte die verpflichtende Restwasserabgabe, die aus einem Sockelbetrag von mindestens 50 l/s plus 10 Prozent des jeweiligen Triebwassereinzugs besteht. Zusätzlich musste ein Neophytenkonzept erstellt werden, um die Ausbreitung von invasiven Pflanzen im Projektgebiet zu verhindern und besondere Rücksichtnahme auf die geschützte Lurchart „Alpenmännchen“ genommen werden.
Herausfordernde Umstände
Mit der Generalplanung für die neue Ökostromanlage im Bregenzerwald wurde das nicht nur im Wasserkraftbereich vielfach bewährte Ingenieurbüro Dr.-Ing. Koch aus dem süddeutschen Kempten beauftragt. Dessen Projektleiter Christian Braun betont, dass die widrigen Witterungsbedingungen in der kalten Jahreszeit eine hohe Belastung für das vor Ort tätige Personal der ausführenden Unternehmen darstellten: „Die Wasserfassung befindet sich einem Tobel, der gut und gerne als Schneeloch bezeichnet werden kann. Während der Bauarbeiten in den Wintermonaten herrschten dort oben Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Zudem spielte der Faktor Zeit eine wichtige Rolle, damit die Anlage so schnell wie möglich in Betrieb gehen konnte.“ Auch die Folgen der Corona-Pandemie und der Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar des vergangenen Jahres wirkten sich durch die damit einhergehenden Lieferprobleme auf das Projekt aus, betont Harald Feldkircher: „Zu Beginn der Bauarbeiten im Frühjahr 2022 spielte der Markt verrückt, man hat so gut wie keine fixen Zusagen für Liefertermine erhalten. Glücklicherweise konnte das ausführende Bauunternehmen GEO-Alpinbau GmbH bei der Beschaffung der Baumaterialien wertvolle Unterstützung leisten.
Tiroler Wehr & Coanda-System kombiniert
„Üblicherweise wird an der Wasserfassung eines Kraftwerks dieser Bauart ein Entsanderbecken errichtet, wegen der beschränkten Platzverhältnisse am Standort war das aber nicht möglich. Somit war eine etwas speziellere Variante notwendig“, erklärt Christian Braun. Harald Feldkircher ergänzt, dass die Stahlwasserbaukomponenten aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit zur Wasserfassung während des Winters möglichst wartungsarm ausgeführt werden sollten. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde eine Variante konzipiert, die im Wesentlichen aus einem Tiroler Wehr und einem nahezu selbstreinigenden Coanda-System besteht. Geliefert und fachgerecht montiert wurde das komplette Stahlwasserbauequipment inklusive Schützen, Absperrorganen, Hydraulikaggregat und den Verrohrungen vom Südtiroler Branchenspezialisten Wild Metal. Das mittig im Gewässer angeordnete Tiroler Wehr wurde für die Reinigung des Schutzgitters mit einem innenliegenden Gegenrechen ausgestattet. Angetrieben wird die vollautomatische Rechenreinigungsanlage von insgesamt sieben Hydraulikzylindern, die dafür sorgen, dass angeschwemmtes Treibgut zuverlässig von der Wehrfläche entfernt wird. Im Anschluss fließt das Triebwasser direkt zu dem aus acht Feldern bestehenden Coanda-System „Grizzly Power Optimus“. Bei dem von Wild Metal entwickelten und patentierten System handelt es sich um ein zum Großteil selbstreinigendes Schutzsieb für den Einsatz im Trinkwasser- und Wasserkraftsektor. Das mit einem minimalen Spaltmaß von nur 0,6 mm ausgeführte Feinsieb besteht aus speziellem abriebbeständigem Edelstahl. Durch das namensgebende Coanda-Prinzip wird Geschwemmsel wie Baumnadeln, Moos oder feine Sandkörner durch den Wasserstrom automatisch von der Rechenoberfläche gespült. Nach dem Coanda-System folgt ein Beruhigungsbecken, in dem sich die Messsonde der pegelgeregelten Turbine befindet. Im Anschluss führt der Triebwasserweg durch die Apparatekammer mit der Rohrbruchsicherung und geht danach in die Druckrohrleitung über.
Robuster Kraftabstieg
Der Kraftabstieg zum Maschinengebäude hat eine Länge von ca. 900 m und besteht zur Gänze aus duktilen Gussrohren DN800 von der Tiroler Rohre GmbH. „Von der Druckstufe her wäre prinzipiell auch eine Leitung aus glasfaserverstärkten Kunststoffrohren (GFK) möglich gewesen. Dennoch haben wir uns wegen des alpinen Geländes mit sehr viel Blockwerk für die weitaus robusteren Gussrohre entschieden“, so Harald Feldkircher. Entlang des möglichst linear gewählten Trassenverlaufs, der ohne Hoch- oder Tiefpunkte auskommt, waren für die notwendigen Richtungsanpassungen nur vier Rohrkrümmer notwendig. Dank der erlaubten Abwinkelbarkeit der Rohrenden um mehrere Grad innerhalb der Verbindungsmuffen konnten weitläufige Richtungsänderungen der Rohrtrasse ohne den Einsatz von zusätzlichen Sonderformstücken hergestellt werden. Einiger Aufwand war mit der Durchquerung der massiven Wildbachverbauungsstufen entlang der Trassenführung verbunden, welche mit dem Einsatz von Betonsägetechnik bewerkstelligt wurde. Für die digitale Kommunikation zwischen Wasserfassung und Krafthaus wurde gemeinsam mit der Druckrohrleitung ein Lichtwellenleiterkabel verlegt.
6-düsiges Kraftpaket im Maschinenhaus
Für die elektromechanische und regelungstechnische Ausstattung des Maschinengebäudes sorgten mit der Tschurtschenthaler Turbinenbau GmbH und Electro Clara zwei weitere bewährte Kleinwasserkraftexperten aus Südtirol. Das Herzstück der Anlage, eine 6-düsige Pelton-Maschine in vertikalachsiger Bauform, stammt vom Unternehmen Tschurtschenthaler aus Sexten. „Maschinen, die unser Werk verlassen, zeichnen sich in erster Linie durch beste Wirkungsgrade, höchste Material- und Verarbeitungsqualität sowie geringen Wartungsaufwand aus. Auch das Thema Flexibilität wird bei uns großgeschrieben, Anfragen von Kunden werden stets individuell bearbeitet“, betont Geschäftsführerin Helga Tschurtschenthaler bei der offiziellen Inbetriebnahme. Die Turbine für das Kraftwerk Dürrenbach wurde auf eine Ausbauwassermenge von 1.100 l/s und eine Bruttofallhöhe von 119 m ausgelegt, womit diese im Volllastbetrieb 998 kW Engpassleistung erreicht. Dank der mittels sechs Elektroantrieben exakt geregelten Düsen deckt die Turbine ein breites Teillastspektrum ab und generiert somit auch bei stark verringerten Zuflüssen ein Maximum an Effektivität. „Das Pelton-Laufrad besteht aus hochwertigem Edelstahl und wurde aus einem Monoblock gefräst“, so Helga Tschurtschenthaler und ergänzt: „Die Fertigung von Laufrädern für die unterschiedlichen Turbinentypen erfolgt seit mehreren Jahren bei uns im Haus. Dadurch können wir beim Bedarf von Ersatzlaufrädern schnell aktiv werden und diese innerhalb kurzer Zeit ausliefern.“ Das Laufrad dreht mit 600 U/min und treibt einen direkt gekoppelten Synchron-Generator der Marke Marelli Motori an. Zur Optimierung des Wirkungsgrads wurde der auf 1.300 kVA Nennscheinleistung und 50 Hz Frequenz ausgelegte Generator mit speziellen verlustarmen Magnetplatten bestückt. Die optimale Temperierung der Maschine gewährleistet eine Wasserkühlung rund um den Generatormantel, die an den im Unterwasserbereich der Turbine platzierten Wärmetauscher angeschlossen ist.
Moderne Elektro- und Regelungstechnik
Die im Gadertal ansässige Electro Clara OHG, ein langjähriges Partnerunternehmen von Tschurtschenthaler, hatte für den Neubau am Dürrenbach ein umfassendes E-Technikpaket geschnürt. „Neben der Ausführung der elektro- und regelungstechnischen Komponenten zählte auch die Programmierung der Anlagensteuerung zu unserem Leistungsumfang. Eine logistische Herausforderung des Projekts stellte die Beschaffung von diversen Steuerungskomponenten dar, da die Corona-Pandemie zu teilweise erheblichen Verzögerungen bei der Lieferung von elektrotechnischen Bauteilen führte. Dennoch konnte die Anlage dank unserer Bemühungen fristgerecht in Betrieb genommen werden“, sagt Janpaul Clara, Geschäftsführer von Electro Clara. Ein wichtiger Punkt des Projekts war für Electro Clara die Auslegung der Anlage zur Einhaltung der österreichischen „TOR“-Vorschriften (Technische und Organisatorische Regeln für Betreiber und Benutzer von Netzen) sowie die Umsetzung der „Smart-Grid“ Schnittstelle zum Netzbetrieb der Illwerke. Dabei handelt es sich verkürzt gesagt um die Interoperabilität der Netznutzung in der elektrischen Energietechnik zwischen Netzbetreibern und Netzbenutzern. „Bei diesen Thematiken war es definitv von Vorteil, dass die illwerke gleichzeitig die Anlagen- und Netzbetreiber sind. Dadurch gab es weniger Schnittstellen und kürzere Wege zur Abklärung verschiedener Details“, so Janpaul Clara.
Weiterer Schritt zur Energieautonomie
Nach einer Umsetzungsphase von rund elf Monaten ging das Kraftwerk Dürrenbach im Februar 2023 erstmals in Betrieb. Mehrere Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Unternehmen hoben bei der offiziellen Eröffnung im Juni einstimmig hervor, dass die schnelle Fertigstellung zu großen Stücken dem tatkräftigen Einsatz und Koordinierungsgeschick des illwerke-Projektleiters Harald Feldkircher zu verdanken sei. Ursprünglich war die Erstinbetriebnahme erst mehrere Monate später im Frühjahr geplant. Feldkircher gab das Kompliment zurück und lobte ausdrücklich den vorbildlichen Einsatz aller Beteiligten: „Ich habe vor allem den wertschätzenden Umgang zwischen den Mitarbeitern auf der Baustelle geschätzt. Das Projekt wurde sehr lösungsorientiert angegangen, es gab zwar Herausforderungen, aber nie größere Probleme.“ Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner betonte in seiner Ansprache das erhebliche Wasserkraftpotenzial des Bundeslands für große, aber auch kleinere Anlagen. Wallner plädierte weiters für die Schaffung von günstigeren Rahmenbedingungen, um den Ausbau von Kleinwasserkraft stärker zu fördern. Mit der Fertigstellung ihres neuesten Kleinwasserkraftwerks haben die illwerke einen weiteren Schritt zur Vorarlberger Energieautonomie gesetzt, gemäß derer bis zum Jahr 2050 der komplette Energiebedarf im Ländle aus zu 100 Prozent nachhaltigen Ressourcen erzeugt werden soll. Das Kraftwerk Dürrenbach kann im Regeljahr rund 3,8 GWh Ökoenergie produzieren, dies entspricht umgerechnet dem jährlichen Strombedarf von ca. 1.300 durchschnittlichen Haushalten.
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