Wasserkraftwerk Obermühle mit Jank-Turbine versorgt innovatives Immobilienprojekt in Cham9 min read
Lesedauer: 7 MinutenIn der Schweizer Gemeinde Cham ist auf dem rund 11 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Papierfabrik ein wegweisendes Wohn- und Gewerbeprojekt am Entstehen. Aufgrund seiner nachhaltigen Energiestrategie wurde die Überbauung „Papieri Cham“ als erstes Projekt dieser Art im Kanton Zug mit dem „2000-Watt-Areal“-Zertifikat ausgezeichnet. Durch die Kombination von Photovoltaik und Wasserkraft können rund 40 Prozent des Energiebedarfs auf dem weitläufigen Areal zur Gänze aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden. Komplett ausgestattet wurde das wiederbelebte Wasserkraftwerk Obermühle am Gelände vom österreichischen Kleinwasserkraftallrounder Jank GmbH. Der Jank-Lieferumfang beinhaltete neben einer doppeltregulierten Kaplan-Turbine mit direkt gekoppeltem Permanentmagnet-Generator auch das gesamte Stahlwasserbauequipment. Geplant wurde die Wasserkraftanlage von der fmb-ingenieure.ch gmbh. Für die elektro- und leittechnische Ausstattung war der Schweizer Automatisierungsspezialist Kobel Elektrotechnik AG zuständig. Im Regeljahr kann das neue Kleinwasserkraftwerk ca. 1,15 GWh Ökostrom zu 100 Prozent nachhaltig produzieren.
Jene Siedlungsgebiete, die vom Schweizer Bundesamt für Energie mit dem Zertifikat „2000-Watt-Areal“ ausgezeichnet werden, stehen für eine vorbildliche Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens. Als erstes Vorreiterprojekt dieser Art im Kanton Zug hat die aktuell entstehende Überbauung „Papieri Cham“ diese Auszeichnung erhalten. Bei dem ambitionierten Projekt in der Gemeinde Cham wird auf dem rund 11 Hektar großen Areal einer ehemaligen Papierfabrik ein modernes Wohn- und Arbeitsquartier nach höchsten ökologischen Standards geschaffen. Die umfassende Revitalisierung des einstigen Industriegeländes, die unter der Federführung der Cham Group AG realisiert wird, beinhaltet die Errichtung von Wohnraum für rund 3.000 Bewohner sowie die Schaffung von ca. 1.000 Arbeitsplätzen. Eine zentrale Anforderung für den Erhalt des „2000-Watt-Areal“-Zertifikats liegt darin, dass die verbrauchte Energie zu einem wesentlichen Anteil auf dem Areal bzw. lokal produziert wird, und darüber hinaus eine hohe ökologische Qualität aufweist. Bei der Überbauung „Papieri Cham“ wird dieses Ziel durch die vorbildliche Kombination von Photovoltaik und Wasserkraft erreicht. Somit stammen rund 40 Prozent des Strombedarfs auf dem Areal zur Gänze aus erneuerbaren Quellen. Ein eigenes Stromnetz am Quartier wird den Zusammenschluss zum Eigenverbrauch auf Mittelspannungsebene ermöglichen.
Traditionsreicher Standort
Die Nutzung der Wasserkraft am Standort, der von der Lorze durchflossen wird, ist mit einer jahrhundertelangen Tradition verbunden. Schon vor über 350 Jahren wurde in Cham Papier hergestellt, wobei die mechanischen Transmissionen der Produktionsstätten von klassischen Wasserrädern angetrieben wurden. Im Laufe der Jahrhunderte nahm die Papier- und Zellstoffproduktion immer größere Ausmaße an, wobei die Herstellungsprozesse stets mit technischen Weiterentwicklungen Schritt hielten. Dies betraf auch das betriebseigene Wasserkraftwerk, das mit der Einführung der Elektrizität auf die Produktion von Strom umgerüstet wurde. Aufgrund der zunehmenden Globalisierung wurde die Chamer Papierfabrik, die während des 20. Jahrhunderts noch der größte Arbeitgeber in der Region war, allerdings schrittweise ins Ausland verlegt, 2015 wurde der Traditionsbetrieb schließlich endgültig stillgelegt. Das Potential der brachliegenden Fläche wurde von der Immobiliengesellschaft Cham Group aufgegriffen, die für den Standort ein ambitioniertes Wohn- und Gewerbeprojekt entwickelte. Die Finalisierung des großangelegten Bauprojekts, das in der Chamer Bevölkerung große Unterstützung genießt und in mehreren Etappen umgesetzt wird, ist für das Jahr 2035 anvisiert. Das komplett erneuerte Wasserkraftwerk hingegen produziert bereits seit über einem Jahr sauberen Strom.
Komplexe Vorprojektphase
Konkret handelt es sich bei der Anlage um das Kraftwerk Obermühle, für dessen Wiederbelebung eine ganze Reihe von bewährten Branchenexperten sorgten. Als Generalplaner wurde das Ingenieurbüro für Tief-, Wasser- und Kraftwerksbau fmb-ingenieure.ch gmbh beauftragt, dessen Geschäftsführer Fernando Binder auf eine ganze Reihe erfolgreicher Kleinwasserkraftprojekte verweisen kann. „Die besondere Projektherausforderung stellten die engen Platzverhältnisse am Kraftwerksstandort inmitten einer Häuserschlucht dar“, betont der fmb-ingenieure-Geschäftsführer Fernando Binder. Bevor der Anlagenbau in die Praxis umgesetzt werden konnte, galt es im Vorfeld aber noch eine ganze Reihe von legistischen Hürden zu überwinden. Als die Planungen im Jahr 2016 mit der Baueingabe starteten, basierte die Anlage noch auf dem sogenannten ehehaften Wasserrecht – zu diesem Zeitpunkt war die zukünftige Handhabung dieser Rechtsform allerdings bereits ungewiss. Denn ein Jahr zuvor hatte schon der ähnlich gelagerte Fall des naheliegenden Wasserkraftwerks Hammer für Aufsehen gesorgt. Der diesbezügliche Entscheid des Schweizer Bundesgerichtshofs im April 2019 führte schlussendlich zur endgültigen Abschaffung der ehehaften Wasserechte im Land. In Folge des Richterspruchs wurde für das Kraftwerk Obermühle im Herbst 2019 eine neue Baueingabe eingereicht und um die Konzession für den Neubau angesucht. In den folgenden 18 Monaten wurden die Berechnungen für die ökologischen Ersatzleistungen nachgereicht, die Konzessionsverhandlungen geführt, Einsprachen von Umweltverbänden bereinigt und ein Finanzierungsansuchen beim Bundesamt für Umwelt gestellt. Die Realisierungsphase des Projekts startete schließlich im Herbst 2021, wobei die Bauarbeiten von der in Zürich ansässigen KIBAG Bauleistungen AG umgesetzt wurden.
Österreichisches Know-how für Schweizer Kraftwerk
Einen gewichtigen Anteil an der Erneuerung des Kraftwerks Obermühle hatte zudem der aus Österreich stammende Kleinwasserkraftallrounder Jank GmbH. Die Branchenexperten waren sowohl für die Lieferung des gesamten Stahlwasserbauequipments als auch für die elektromechanische Ausstattung des Maschinengebäudes zuständig. Siegi Jank, der Konstruktionsleiter des in 4. Generation geführten Familienbetriebs, der bereits 2016 die Strömungssimulationen für den Neubau und die dazugehörigen Fischpassagen durchgeführt hatte, spricht von einem in mehrerlei Hinsicht komplexen Projekt: „Das neue Kraftwerk wurde an seinem angestammten Standort an der Lorze inmitten von zwei Gebäuden errichtet, wobei die beengten Platzverhältnisse nicht nur für das ausführende Bauunternehmen eine Herausforderung darstellten. Aufgrund der direkt an das Maschinengebäude angrenzenden Wohnungen war die Minimierung von Schall- bzw. Körperschallemissionen ein wichtiges Thema. Auch die Realisierung der Fischwanderhilfen entlang des räumlich begrenzten Anlagenstandorts war eine komplexe Aufgabe.“ Um den Gewässerbewohnern eine Passage ins Oberwasser zu ermöglichen, setzten die Betreiber auf den enature® Fishpass, der vom österreichischen Ingenieurbüro „Der Wasserwirt“ exklusiv in der Schweiz vertrieben wird. Grundsätzlich handelt es sich bei dem System um einen Vertical-Slot-Pass aus Beton-Fertigteilelementen, der im Vergleich zu anderen Schlitzpasssystemen um bis zu 40 Prozent weniger Wasser benötigt. Beim Kraftwerk Obermühle wurde der Fischpass in Form einer zweireihigen Kaskade ausgeführt, wodurch die Fische die 3,20 m Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser durch 27 Einzelbecken komfortabel passieren können. Als Fischabstieg wurde ein separater, direkt durch das Krafthaus führender Betonkanal errichtet.
Zuverlässiger Stahlwasserbau
„Das zum Krafthaus strömende Wasser wird durch eine hydraulisch betriebene Wehrklappe aufgestaut, die im gleichen Zuge auch für die Nivellierung des Oberwasserpegels zuständig ist. Auf der gegenüberliegenden Gewässerseite wird das Triebwasser durch einen seitlich angeordneten Einlaufbereich zur Turbinierung geleitet“, so Siegi Jank. Für den Schutz vor Geschwemmsel und Treibgut dient ein horizontaler Schutzrechen mit 15 mm Stablichtweite, der eine Länge von 12,7 m sowie 1,7 m Höhe aufweist. Die Reinigung des Rechenfelds übernimmt eine dazugehörige Rechenreinigungsmaschine mit Pegelregelung, die von der Jank GmbH mit einem elektrohydraulischen Antrieb ausgestattet wurde. Das von der Putzharke vollautomatisch entfernte Geschwemmsel gelangt schließlich zu einer Spülklappe am Fischabstiegskanal, über den das Treibgut auf direktem Weg ins Unterwasser abgeführt wird, wodurch für die Betreiber kein Entsorgungsaufwand entsteht.
Leistungsstarke Kaplan-Maschine
Die beiden Francis-Schacht-Turbinen des Altkraftwerks wurden beim Neubau durch eine doppeltregulierte Kaplan-Turbine in vertikalachsiger Bauform ersetzt. Um die Ausbreitung von Schall und Vibrationen vom Maschinensatz zu verhindern, wurden zwei zentrale Maßnahmen gesetzt. So wurden sowohl das Maschinengebäude als auch der Turbinenkörper mit speziellen Körperschalldämmungen ausgestattet. Dank der zweifachen Regulierfähigkeit mittels ölhydraulisch verstellbarem Leitapparat und Laufrad-Schaufeln gewährleistet die Jank-Turbine auch bei stark verringertem Zufluss ein Maximum an Effizienz. Bei vollem Wasserdargebot schafft das auf 3,2 m Bruttofallhöhe und 10,5 m³/s Ausbauwassermenge ausgelegte Kraftpaket 230 kW Engpassleistung. Komplettiert wird der Maschinensatz durch einen direkt mit dem Laufrad gekoppelten Generator. Der vom Hersteller Krebs & Aulich gefertigte Generator wird von der Turbine mit 150 U/min angetrieben und gewährleistet dank seiner Permanentmagnet-Technologie einen besonders leisen Betrieb. Darüber hinaus erreicht der permanenterregte Generator mit 236 kW Wirkleistung noch höhere Wirkungsgrade als vergleichbare Synchron-Generatoren. Im Regeljahr wird der hocheffiziente Maschinensatz rund 1,15 Millionen kWh Ökostrom für das Wohn- und Arbeitsquartier erzeugen.
Leittechnik vom Schweizer Automatisierungsexperten
Bei der Vergabe der Kraftwerks-Leittechnik setzten die Betreiber auf die Kompetenz der Kobel Elektrotechnik AG. Das im Emmentaler Affoltern ansässige Unternehmen ist seit über 50 Jahren im Wasserkraftsektor tätig und gilt als ausgewiesener Automatisierungsspezialist. Davon zeugen über 1.000 ausgestatte Anlagen in mehr als 70 Ländern. Die jahrzehntelange Erfahrung spiegelt sich auch in der modernen Steuerung des Kraftwerks Obermühle wider, die sämtlichen Sicherheitsanforderungen entspricht und den Anwendern eine bedienerfreundliche Benutzeroberfläche bietet. Die Steuerung übernimmt die Synchronisation und Kopplung des Generators ans Elektrizitätsnetz, die Regelung des zufließenden Wassers auf das gewünschte Stauziel sowie die Ansteuerung von Rechenreiniger, Stauklappe, Einlaufschütz und dem Drehtor für Geschwemmsel und Fischabstieg. Dabei wird die Anlage stets nach den neuesten Sicherheitsvorschriften überwacht und im Falle eines Fehlers kontrolliert heruntergefahren. Sämtliche Zustände und Daten werden aufbereitet und an der Modbus-TCP Schnittstelle bereitgestellt. Das übergeordnete Leitsystem übernimmt die Daten, zeichnet diese auf und alarmiert im Störungsfall den Anlagenwart. „Ein Feature, das nicht alltäglich bei Kleinwasserkraftwerken anzutreffen ist, hat die Anlage in Cham auch zu bieten“, merkt der Kobel-Automatisierungstechniker Patric Bertschy an: „Sobald das Kraftwerk in Betrieb ist und Abwärme erzeugt, wird dies dem übergeordneten Leitsystem gemeldet. Mit einer automatisierten Freigabe wird die erzeugte Wärme vom Kraftwerk einer externen Heizung zugeführt. So kann diese umweltfreundlich weiter genutzt werden, um die anliegenden Wohnungen und Räume unterstützend zu heizen.“
Mehrfach ausgezeichnetes Projekt
Nach Abschluss der finalen Arbeiten konnte das von Grund auf erneuerte Kraftwerk Obermühle Ende 2022 erstmals in Betrieb genommen werden. Siegi Jank findet ausschließlich positive Worte über das jüngste Referenzprojekt der österreichischen Turbinenbauer in der Schweiz: „Angesichts der herausfordernden Begleitumstände war die Projektumsetzung keine leichte Aufgabe. Dank der guten Kooperation und Kommunikation der beteiligten Unternehmen konnte das Projekt im vorgesehenen Zeitraum zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden.“ Diesen Eindruck bestätigt auch Roland Regli, der Leiter der Abteilung Realisierung bei der Cham Group, der nicht unerwähnt lässt, dass die Überbauung „Papieri Cham“ Anfang 2024 mit dem Schweizer „Watt d‘Or“-Preis für Bestleistungen im Energiebereich ausgezeichnet wurde.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 1/2024
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