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Weltpremiere – Die Bauarbeiten am ersten Schachtkraftwerk starten11 min read

2. Juli 2018, Lesedauer: 7 min

Weltpremiere – Die Bauarbeiten am ersten Schachtkraftwerk starten11 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Mitte November 2016 war es endlich soweit: Der langersehnte Spatenstich für das neue, höchst fischfreundliche Schachtkraftwerk in Großweil im bayerischen Landkreis Garmisch-Partenkirchen konnte gesetzt werden.

Nach einer Vorlaufzeit von knapp acht Jahren und ernsten Befürchtungen, das Projekt könnte an äußeren Widerständen scheitern, können nun in Kürze endlich die Bauarbeiten aufgenommen werden. Das Schachtkraftwerk, das damit zum ersten Mal über den Status eines Prototypen hinausgeht, setzt nicht nur in Sachen Fischfreundlichkeit neue Maßstäbe, es nutzt zugleich auch die hydrologischen Gegebenheiten an der Loisach optimal. Im Regeljahr rechnen die Betreiber mit grünem Strom im Ausmaß von etwa 2,4 GWh. Das Investitionsvolumen liegt bei 5,4 Millionen Euro.

Die Bezeichnung „Pionierleistung“ war des Öfteren an diesem 17. November zu vernehmen, als sich Prominente aus Politik und Wirtschaft mit den Verantwortlichen zum gemeinsamen Spatenstich für das neuartige Schachtkraftwerk in Großweil im Landkreis Garmisch-Partenkirchen eingefunden hatten. Tatsächlich handelt es sich bei dem Projekt um eine durchaus wegweisende Wasserkraftinnovation der jüngsten Zeit, zugleich aber um eine ziemlich schwere Geburt. Bereits 2010 gab es erste Kooperationsgespräche, um das Projekt auf Schiene zu bringen. Die Partner dafür hatten sich schon gefunden: Die Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen, das Kraftwerk Farchant und die Gemeinde Großweil waren entschlossen, gemeinsam an der Loisach ein derartiges Schachtkraftwerk zu errichten, das in Sachen Umwelt- und Fischfreundlichkeit neue Maßstäbe setzen sollte. 2014 erteilte das Landratsamt die Genehmigung für das Bauvorhaben. Die Freude darüber sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Denn nur wenig später schaltete die Ampel prompt wieder von Grün auf Rot. Der Bund Naturschutz sowie der Landesfischereiverband hatten dagegen beim Bayerischen Verfassungsgericht geklagt. Begründet wurde der Einspruch mit einer möglichen Schädigung des Fischbestands, dem Ausmaß des Eingriffs in die Natur, sowie mit der Lage im FFH-Naturschutzgebiet. „Die Enttäuschung war damals natürlich groß, vor allem weil der Bund Naturschutz und der Landesfischereiverband in der Folge auch die juristischen Fristen zur Gänze ausnutzten und damit unsere Geduld strapazierten“, erzählt Günther Rösch, Technischer Leiter der Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen und einer der beiden Geschäftsführer der neu gegründeten Wasserkraftwerk Großweil GmbH. „Allerdings waren wir zugleich gelassen und blickten dem Prozess sehr zuversichtlich entgegen, schließlich hatten wir im Rahmen unserer Planung sämtliche relevanten Vorgaben berücksichtigt und vollumfänglich erfüllt.“
ministerin überreicht Förderscheck
Aufatmen konnten die Projektbetreiber erst im Februar 2016 nach dem geschlossenen Vergleich am Münchner Verwaltungsgericht. Auf Empfehlung des Gerichtes hatte man sich auf einen Vergleich geeinigt, in dem die Projektwerber gewisse Auflagen erfüllen müssen. Faktisch bedeutet das, dass bauliche oder betriebliche Adaptionen vorzunehmen sind, sollte der Fischbestand, insbesondere Mühlkoppe und Huchen über die festgelegten Grenzen hinaus Schaden nehmen. Eine Auflage, der man schließlich auch leichten Herzens zustimmen konnte. Immerhin handelt es sich beim Schachtkraftwerk um eine Anlage, die in Sachen Fischfreundlichkeit neue Maßstäbe setzt.
Nach einem weiteren Jahr an Vorarbeiten, in dem die Vergleichsauflagen umgesetzt und Markterkundungen durchgeführt wurden, war es am 10. November letzten Jahres soweit: Der symbolische Spatenstich für den Bau des Kraftwerks konnte vorgenommen werden. Als höchstrangige Vertreterin der bayrischen Politik nahm auch Wirtschafts­ministerin Ilse Aigner (CSU) einen Spaten zur Hand und ergriff im Anschluss auch das Wort: Das innovative Konzept sei in dieser Form weltweit einmalig und es sei die optimale Verbindung von Ökologie und Ökonomie, so die Staatsministerin. Für die Projektbetreiber hatte sie ein besonderes Geschenk im Gepäck. Sie überreichte ihnen einen Förderungsscheck des Freistaats Bayern in der Höhe von 1,9 Millionen Euro. Dieser Förderungszuschuss gilt als wichtiger Baustein, um das Projekt wirtschaftlich realisieren zu können. Schließlich soll es insgesamt rund 5,4 Mio. Euro kosten. „Ohne diesen Förderungszuschuss wäre das Projekt wirtschaftlich nicht darstellbar gewesen. Wenn wir heute von einer Amortisationsdauer von über 20 Jahren ausgehen, so war dies für uns ein wirtschaftlicher Klimmzug ohne große Renditeansprüche“, so Günther Rösch. Getragen wird es von den drei Projektpartnern Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen (55 Prozent), Kraftwerk Farchant (20 Prozent) und der Gemeinde Großweil, die 25 Prozent Anteile hält.

Bayern fördert die Wasserkraft
Dass dem Projekt ein durchaus nicht üblicher Förderzuschuss zuteilwird, hat einen politischen Hintergrund: In dem 2011 von der Bayerischen Staatsregierung beschlossenen Bayerischen Energiekonzept mit dem Titel „Energie Innovativ“ wurde festgeschrieben, dass bis 2021 die Wasserkraft 17 Prozent des Stromverbrauchs im Freistaat decken soll. In dem Dokument wurde dabei ausdrücklich der Förderwille betont, die Weiterentwicklung und den Einsatz des Schachtkraftwerks zu forcieren. Die Begründung lautete, dass mit dieser Technologie ein wirtschaftlicher Betrieb auf höchstem gewässerökologischen Niveau erreicht werden soll.

TU München liefert Weltneuheit
Wenig überraschend handelt es sich beim Wasserkraftkonzept Schachtkraftwerk um eine Entwicklung aus Bayern, genauer gesagt um ein Projekt der Technischen Universität München. Unter der Leitung von Prof. Peter Rutschmann, der den Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TU München innehat, und seinem Assistenten Dipl.-Ing. Albert Sepp wurde das Schachtkraftwerk von der Idee bis zur Marktreife geführt. Das innovative Konzept sieht vor, die Einheit aus Turbine und Generator in einem Schacht mit einer horizontalen Einlaufebene zu installieren. Der Schacht selbst ist vor dem Wehrkörper in die Oberwassersohle zu integrieren. Der Zufluss zum Kraftwerk erfolgt durch den horizontal angeordneten Rechen mit abflussabhängiger Überdeckungshöhe. Über das Saugrohr wird das abgearbeitete Wasser schließlich durch den Wehrkörper hindurch ins Unterwasser geführt. In der Wehrebene ist über die Einlaufbreite hinweg ein multifunktionaler Verschluss integriert. Er dient beim Kraftwerksbetrieb durch leichte Überströmung der Wirbelvermeidung, gibt bei der Rechenreinigung das Rechengut direkt ins Unterwasser ab und kann im Hochwasserfall vollständig abgesenkt werden, um somit einen großen Fließquerschnitt freizugeben und die vollständige Geschiebedurchgängigkeit herzustellen.

Spezieller Horizontalrechen
Am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft von Prof. Rutschmann wurde Schritt für Schritt an der Praxistauglichkeit des Konzeptes getüftelt. Als einer der wichtigsten Entwicklungsschritte wurde ein physikalisches Vollmodell umgesetzt. Es wurde mit kompletter maschinentechnischer Ausstattung, also bereits mit einer installierten Turbine, an der Versuchsanstalt Obernach errichtet und dann auf seine Funktionalität hin untersucht. Auf Basis diverser hydraulischer Messungen erfolgte eine stetige Weiterentwicklung, welche unter anderem die Einlaufhydraulik, die Rechenreinigung sowie die Geschiebedurchgängigkeit umfasste. Dabei wurde der Spezialrechen mit einem bayerischen Wasserkraftausrüster umgesetzt – dem Familienunternehmen MUHR aus Brannenburg, das neben den erforderlichen 4 Schachtrechenmodulen noch 2 Wehrklappen, sowie weitere Stahlwasserbaukomponenten, wie die Dammtafeln etc. liefert. Die Rechenmodule sind für eine Schachtbreite von je 6,5 m ausgelegt, und werden pro Schacht jeweils nebeneinander installiert. Gerade im Bereich Rechen bzw. Rechenreinigungsmaschinen bringt die Firma MUHR großes Know-how mit, ihre Produkte kommen heute auf der ganzen Welt zum Einsatz. Diese Spezialanfertigung, die gemeinsam von MUHR und dem Team von Prof. Rutschmann entwickelt wurde, hält nun Fische und Geschiebe vom Eindringen in den Turbinenbereich ab. „Das Funktionieren des Horizontalrechens ist das A&O des Kraftwerkskonzeptes. Dementsprechend wichtig war dessen Entwicklung“, so Günther Rösch.

Herausforderungen für das Bauvorhaben
Dank dieser innovativen Kraftwerksarchitektur sollte sich das neue Schachtkraftwerk auch für den Standort am Loisachwehr im bayerischen Großweil wärmstens empfehlen. 2007 war bereits ein wasserrechtlicher Bewilligungsantrag für ein Buchtenkraftwerk in konventioneller Bauweise abgewiesen worden. Die ökologische Verträglichkeit wurde als nicht gegeben angesehen. Das neuartige Schachtkraftwerk dagegen bringt alle Voraussetzungen für eine effiziente Wasserkraftnutzung unter maximalem Schutz der Gewässerfauna mit, auch wenn die Standortverhältnisse sogar für dieses Nutzungskonzept herausfordernde Aspekte bereithält. „Eine echte Herausforderung stellt die extreme Wehrgeometrie am Standort Loisachwehr dar. Eine andere ergibt sich durch die gegebenen Untergrundbedingungen. Der Bodenaufschluss ergab, dass wir am ursprünglich vorgesehenen Standort mit massivem Grundwasserdrang rechnen hätten müssen. Aus diesem Grund haben wir nun den Standort auf die orographisch andere Seite der Loisach verlegt, wo sich im Zuge unserer Probebohrungen in 14 m tiefe eine dichte Tonschicht nachweisen ließ. Auf diese Weise können wir uns den Aufwand einer künstlich im Düsenstrahlverfahren herzustellenden Dichtschicht ersparen. Auch statische Aspekte stehen darüber hinaus derzeit noch zur Diskussion“, erklärt Günther Rösch. „Nicht zu vergessen, dass am Standort immer wieder extreme Hochwasser-, Geschiebe- und Treibholzfrachten zu beobachten waren. Auch dieser Punkt spielt eine Rolle in den Überlegungen für die anstehenden Bauarbeiten. Grundsätzlich orientiert sich aber das gesamte Anlagenkonzept am Prototyp-Kraftwerk in Obernach.“
Schachtkraftwerk ist modular
Ein weiterer Vorteil des Konzeptes Schachtkraftwerk besteht in seiner Modularität. Um bei größeren Projekten etwaige Begrenzungen durch die Baugröße der Turbinen-Generator-Einheit sowie die hydraulischen Anforderungen zu berücksichtigen, können auch mehrere Schächte direkt nebeneinander angeordnet und aneinander gekoppelt werden.
Diese Möglichkeit macht man sich nun auch in Großweil zu Nutze, wo auf der orographisch linken Seite der Loisach ein Doppelschacht mit zwei Segmentschützen vorgesehen ist.
Baulich muss im Rahmen der bevorstehenden Arbeiten die gesamte Wehrkrone angepasst werden, um den vorgegebenen Mindestoberwasserstand zu gewährleisten. Für die Hochwassersicherheit wird die bestehende Spundwand abgeschnitten und mit einem umklappbaren Wehrständer erhöht. Die Dotierung des Mühlbachs erfolgt über eine Druckrohrleitung aus dem oberen Bereich des Wehrpfeilers, wodurch ein sedimentfreier Abfluss sichergestellt wird.

Turbinen trotzen Sedimenten
Ökologische und landschaftsästhetische Kriterien erfordern es, dass ein Basisabfluss für die Dotation des Mühlbachs, die beiden Fischaufstiege, den Fischabstieg über die Segmentwehre sowie eine geringfügige Permanentüberströmung des gesamten Wehrkörpers gegeben sein muss. Das restliche Wasser steht der Stromproduktion zur Verfügung. Es strömt einen fünfeinhalb Meter tiefen Schacht hinunter, um dort auf zwei horizontalachsige Unterwasserturbinen zu treffen. Es handelt sich um doppeltregulierte Kaplan-Turbinen des Tiroler Turbinenspezialisten Geppert, die speziell für dieses Projekt designt und entwickelt wurden. „Im Hinblick auf Laufrad und Leitapparat haben wir unter erheblichem Aufwand eine spezielle strömungsoptimierte und fischfreundliche Geometrie der Leit- und Laufschaufeln entwickelt. Wir setzen dabei ein 4-flügeliges Laufrad ein“, erklärt der Projektleiter aus dem Hause Geppert, Markus Ribis. Als absolute Besonderheit wurde die Turbine auch dahingehend entwickelt, dass ein Starten sogar dann möglich sein sollte, wenn der Turbinenschacht mit Feinkies gefüllt ist. Dass dies tatsächlich funktioniert, zeigte sich bereits an der Pilotanlage in der Versuchsanstalt Obernach, wo schon ein horizontales Kaplan-Aggregat der Firma Geppert installiert wurde. „Dort wurden auch diverse Versuche in Hinblick auf die Fischfreundlichkeit mit Barben, Äschen, Kleinforellen und anderen Tieren angestellt, die allesamt sehr vielversprechend verlaufen sind“, sagt Markus Ribis und räumt zugleich ein: „Wir haben zwar schon einige Kaplan-Aggregate ausgeliefert, allerdings noch nie zuvor mit Umgebungsbedingungen, wie sie hier vorliegen. Gerade durch die Ergebnisse der Messanalysen aus der Projektanlage ist es uns gelungen, die Turbine bis zur absoluten Praxistauglichkeit zu entwickeln.“

Maschinenfertigung läuft an
Für den Standort an der Loisach sind die beiden Turbinen auf eine Ausbauwassermenge von jeweils 11 m3/s und eine Ausbauleistung von jeweils 248 kW ausgelegt worden. Mit einer Nenndrehzahl von 150 Upm treiben sie – einmal in Betrieb – einen direkt gekoppelten Permanentmagnetgenerator an, der ebenfalls für den Unterwasserbetrieb konzipiert wurde. Die erwartete Engpassleistung des Maschinen-Duos im Doppelschacht wird mit 430 kW beziffert.
Aktuell sind die Arbeiten im Werk der Firma Geppert in Hall bereits angelaufen. „Die ersten Bauteile sind bereits in der Fertigung. Gegen Ende Juli dieses Jahres werden wir die beiden Saugrohre liefern. Knapp zwei Monate später folgen dann die Turbinen“, sagt Projektleiter Markus Ribis. Für das renommierte Turbinenbauunternehmen stellt der Auftrag durchaus eine besondere Herausforderung dar, die – wie Markus Ribis betont – sehr gerne angenommen wurde.

Strom für 600 Haushalte
Noch sind die Bagger in Großweil nicht aufgefahren. Im März, spätestens April soll es dann losgehen. „Das eigentliche Kraftwerk wird bei kalkulierbarem Hochwasserrisiko in den Sommermonaten bis Herbstmonaten gebaut werden. Dann folgt die Montage von Turbine und Stahlwasserbau sowie die Errichtung des Betriebsgebäudes, sodass wir hoffentlich noch vor Weihnachten dieses Jahres die Inbetriebnahme realisieren können“, sagt Günther Rösch.
Das neue, quasi unsichtbare Kraftwerk wird im Regeljahr rund 2,4 GWh sauberen Strom aus der Kraft der Loisach erzeugen. Das reicht aus, um rund 600 Durchschnittshaushalte zu versorgen. Die kleine Gemeinde Großweil wird damit im Sinne einer Jahresbilanz auf einen Schlag energieautark. Doch nicht das Leistungsvermögen hebt diese Anlage von vergleichbaren Kleinkraftwerken ab, vielmehr macht die außergewöhnliche Fischfreundlichkeit den großen Unterschied. Außerdem fällt das Schachtkraftwerk weder optisch noch akustisch auf. Das Kraftwerk wirkt sich dabei nicht störend auf die natürliche Dynamik des Abflusses aus, das Geschiebe wird einfach über den Rechen weitergeleitet. Feinere Sedimente lassen sich bei einer Schachtspülung entfernen. Es kann sowohl in kleineren als auch in größeren Flüssen installiert werden. Dank dieser Vorzüge könnte dem Schachtkraftwerk tatsächlich noch eine bedeutende Rolle im zunehmend schwieriger werdender Ausbau der Wasserkraft zukommen. Das neue Projekt in Großweil gibt zu dieser Hoffnung Anlass.

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