Projekte

Willstätter WKW: Neuer Standort7 min read

6. Juni 2013, Lesedauer: 5 min

Willstätter WKW: Neuer Standort7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

In der Baden-Württemberger Gemeinde Willstätt wurden an der Kinzig bereits Ende des 15. Jahrhunderts zwei herrschaftliche Mühlen betrieben, die für das wirtschaftliche Leben im Ort von großer Bedeutung waren.

Als die damalige Kunstmühle im Jahre 1888 abgebrannt war, wurde die sogenannte „Alte Mühle“ neu errichtet und anno 1909
von der Elektrizitätsgesellschaft Rheinelektra erworben, um dort ein Wasserkraftwerk zu installieren. Knapp 100 Jahre
später siedelte die Süwag die Energieproduktion vom historischen Ortskern an den Hochwasserentlastungskanal außerhalb
der Gemeinde Willstätt um, wo ein neu errichtetes, hochmodernes Kraftwerk sowohl ökonomische als auch ökologische
Interessen erfolgreich in sich vereinen kann.

An dem im Jahre 1911 in Betrieb
genommenen Wasserkraftwerk an der
„Alten Mühle“ nagte schon sichtbar
der Zahn der Zeit, sodass der Betreiber
Süwag intensive Überlegungen hinsichtlich
der Wirtschaftlichkeit von Renovierungsund
Modernisierungsmaßnahmen anstellte.
Die anstehenden Investitionen vor allem im
baulichen Bereich der Anlage bereiteten den
Verantwortlichen allerdings einiges an Kopfzerbrechen.
Als man von den Bestrebungen
der Gemeinde Willstätt erfuhr, den alten
Ortskern zu sanieren und neu zu gestalten,
wobei auch ein interessantes Nutzungskonzept
für das Gebäude der „Alten Mühle“ im
Raum stand, fasste man nach reiflicher Überlegung
und in Abstimmung mit den Gemeindevätern
schließlich den Entschluss zum
Neubau des Wasserkraftwerks sowie zur
Verlegung des Kraftwerksstandortes außerhalb
der Gemeinde.
HOCHWASSERENTLASTUNGSGERINNE ALS
NEUER TRIEBWASSERKANAL
Der neue Standort lag praktisch auf der
Hand: Im Jahre 1954 wurde an der Kinzig
ein Entlastungskanal errichtet, um den
Willstätter Ortskern vor Hochwasser zu
schützen. Dieses Gerinne war als geradliniger
„Durchstich“ der durch die Gemeinde führenden
Flussschlaufe der Kinzig konzipiert,
wobei an der Wehranlage beim Zusammentreffen
von Fluss und Kanal eine Fallhöhe von
über 5 Meter zur Verfügung stand. Da die
Altanlage im Ortskern über ein nutzbares
Gefälle von lediglich 3,8 Meter verfügte und
am neuen Standort auch eine Erhöhung der
alten Ausbauwassermenge von 17 m3/s ermöglicht
wurde, waren die technischen
Parameter für eine beträchtliche Effizienzund
Produktionssteigerung im neuen
Wasserkraftwerk zweifelsfrei gegeben.
DURCHGÄNGIGKEIT AN DER KINZIG FÜR
DEN LACHS
Und noch eine Anspruchsgruppe konnte von
der Standortverlegung des Willstätter Wasserkraftwerks
profitieren: Das vom Land
Baden-Württemberg ins Leben gerufene
Programm „Lachs 2020“ zur Wiederansiedelung
des atlantischen Lachses in den Nebenflüssen
des Rheins konnte mit der Wiederherstellung
der Durchgängigkeit an der Kinzig
bei Willstätt einen wichtigen Schritt zur
erfolgreichen Realisierung ihres Vorhabens
setzen. Das Regierungspräsidium Freiburg
gab dem Betreiber Süwag noch zusätzlich die
Auflage, den Hochwasserentlastungskanal als ökologische Fischwanderstrecke umzugestalten, um den vom Rhein
einschwimmenden Salmoniden eine möglichst natürliche Aufstiegsmöglichkeit
bieten zu können.
TURBINEN- UND STAHLWASSERBAU AUS DER REGION
Bei der Ausschreibung der beiden großen Positionen elektromaschinelle
Ausrüstung und Stahlwasserbau für das neue Wasserkraftwerk konnte
sich schlussendlich das in der unmittelbaren Umgebung der neuen
Anlage beheimatete Unternehmen Wiegert & Bähr Maschinenbau
GmbH durchsetzen, das beide Ausschreibungsposten gemeinsam
abdecken konnte: „Wir haben natürlich hart um diesen Auftrag
gekämpft, da wir hiermit nun über eine sehr schöne Referenzanlage
praktisch vor unserer Haustüre verfügen, die wir dann auch unseren
Kunden präsentieren können“, erklärt Konstruktionsleiter Dipl.-Ing.
(FH) Markus Rest von Wiegert & Bähr die Ambitionen seiner Firma
im Rahmen der Auftragsvergabe. Nach Fertigstellung der Betonbauarbeiten
beim neuen Wasserkraftwerk konnte der Turbinen- und
Stahlwasserbauer aus Renchen schließlich im August 2012 mit der
Montage seiner Komponenten beginnen.
KAPLAN STATT FRANCIS
Im alten Kraftwerk an der „Alten Mühle“ versahen zwei Francis-
Schachtturbinen von Voith beinahe 100 Jahre lang verlässlich ihren
Dienst. „Wegen den beiden Turbinen hätte es eigentlich noch keinen
Revisionsbedarf am alten Kraftwerk gegeben“, schwärmt Markus Rest
von der robusten Qualität der beiden Maschinen, „die würden sicher noch 20 bis 30 Jahre problemlos laufen.“ Derzeit stehen die Ende der
80er Jahren generalüberholten Francis-Laufwerke im Hof der Firma
Wiegert & Bähr und warten auf einen Käufer.
An der neuen Wasserkraftanlage lag anhand der Standortparameter
Fallhöhe und Ausbaudurchfluss das Kaplanprinzip als Turbinenlösung
praktisch auf der Hand. Der neue doppelt regulierbare Fünfflügler aus
dem Hause Wiegert & Bähr wurde Ende August 2012 schließlich ins
Maschinenhaus eingehoben und kann nun ein breites Spektrum der
Abflüsse an der Kinzig bis zu 10% des Ausbaudurchflusses mit hohen
Wirkungsgraden abarbeiten. Die neue Turbinenleistung von 990 kW
stellt auch beinahe eine Verdoppelung der alten Anlagenleistung von
knapp 560 kW dar.

EFFIZIENTER PM-GENERATOR AUF LEISEN
SOHLEN
Für die Lösung der Generatorfrage holte sich
die Firma Wiegert & Bähr einen Spezialisten
für Permanentmagnet-Generatoren mit ins
Boot, nämlich das in Sachsen-Anhalt beheimatete
Unternehmen Krebs & Aulich
GmbH. In der Ausschreibung war bei einer
Turbinendrehzahl von 150 U/min noch eine
Variante mit Getriebe vorgesehen, schlussendlich
konnten sich aber die kompakten
und vor allem geräuscharmen permanentmagnetisch
erregten Generatoren von Krebs &
Aulich mit Direktantrieb durchsetzen, welche
zudem über ausgezeichnete Wirkungsgrade
in allen Leistungsbereichen verfügen. Ein
weiterer Vorteil der PM-Generatoren sind die
relativ geringen Rotordimensionen, wodurch
sich die Ausmaße und auch das Gewicht im
Vergleich zu herkömmlichen Synchrongeneratoren
deutlich reduziert.
PASSGENAUE HYDRAULIKLÖSUNGEN FÜR
EFFEKTIVE KRAFTWERKSSTEUERUNG
Die komplexe hydraulische Steuerung der
verschiedenen Komponenten der neuen Wasserkraftanlage
in Willstätt wurde in die Hände der Firma Lotz Hydraulik + Pneumatik
GmbH gelegt. Der Hydraulikspezialist aus
Emmendingen in Baden-Württemberg ermöglicht
mit seinen selbst entwickelten, konstruierten
und produzierten Aggregaten die
verlässliche Umsetzung sämtlicher Steuerungsbefehle
für den effizienten Einsatz der
doppeltregulierten Kaplanturbine, der
Schütztafeln und der Knickarm-Rechenreinigungsmaschine
am Turbineneinlauf des
Kraftwerks. Mit ihren hochwertigen Hydraulikaggregaten
ist die Firma Lotz Hydraulik
nun bereits seit über 20 Jahren am europäischen
und auch am südamerikanischen
Wasserkraftmarkt erfolgreich tätig.
MODERNE KRAFTWERKSELEKTRIK
Die Kraftwerkssteuerung selbst wurde von
der Firma Klotter Elektrotechnik GmbH realisiert,
welche auch die Schalt- und Trafoanlage
im Willstätter Kraftwerk installierte.
Der von der Klotter Elektrotechnik optimierter
Wasserstandsregler sorgt für konstante
Wasserverhältnisse vor dem Kraftwerk.
Durch den Leistungsregler kann die Turbinenleistung
vom Energieversorger im Bedarfsfall
auch aus der Ferne gesteuert werden. Die Schaufeln der Turbine werden Fallhöhenabhängig
in die optimale Stellung zum
Leitapparat gebracht, damit wird bei unterschiedlichen
Wasserdurchflüssen das Maximum
an Energie erzeugt. Der installierte
Generatorschutz ist auf den Generator mit
Permanentmagneten optimiert, überwacht
ständig die Strom- und Spannungswerte und
schaltet bei Überlast oder Kurzschluss ab.
Der zeitgesteuerte Fischschutzbetrieb des
Rechenreinigers sorgt dafür, dass die Fische
beim Betrieb des Kraftwerks unversehrt bleiben,
und der neueste 19“ Touch Bildschirm
erleichtert die Bedienung der Anlage.
UMFANGREICHER STAHLWASSERBAU MIT
IMPOSANTER RRM
Eine besonders komplexe Position in der
Ausschreibung und natürlich später in der
Bauphase stellten die verschiedenen Stahlwasserbaukomponenten
der neuen Anlage
am Hochwasserkanal dar, die allesamt von
der Firma Wiegert & Bähr fristgerecht und in
gewohnt hoher Qualität gefertigt, geliefert
und montiert wurden. Im Einzelnen waren
dies: Ein Grob- und ein Feinrechen mit einer
Breite von jeweils 13 Meter, ein KnickarmRechenreiniger mit einem Gesamtgewicht
von 17 Tonnen und 11 Metern Hub, zwei
jeweils 6,5 Meter breite und 4 Meter hohe
Einlaufschützen sowie ein 7,1 Meter breiter
und 5,2 Meter hoher Dammbalkenverschluss
für die Turbine. Weiters wurden für die
Fischaufstiegsanlage und für die Treibgutrinne
jeweils ein Einlauf- sowie ein Hochwasserschütz
geliefert. Mit einer Reinigungsbreite
von 12,9 Meter ist der imposant aufragende
Rechenreiniger übrigens die größte von
Wiegert & Bähr bis dato produzierte RRM.
ALLES FÜR DEN LACHS
Die umfangreichen ökologischen Aufgabenstellungen
im Umfeld der neuen Wasserkraftanlage
waren stark von den Anforder –
ungen zur Wiederherstellung der Durch –
gängigkeit speziell für den atlantischen Lachs
geprägt. Der Fischaufstieg wurde zum einen
über einen klassischen Vertical-Slot-Pass mit
47 Becken direkt beim Kraftwerk sichergestellt,
zum anderen kann die Fischfauna über
den Altarm der Kinzig flussaufwärts
wandern, wobei an der Alten Mühle mittels
einer rauen Rampe eine naturnahe Aufstiegs –
möglichkeit geschaffen wurde. Eine Dotier –
wasserabgabe von mindestens 4 m3/s soll die
ökologische Funktionsfähigkeit und die
Durchwanderbarkeit der Restwasserstrecke
ganzjährig sicherstellen.
Der Fischabstieg erfolgt über die Spülrinne
vor dem Turbineneinlauf, in welche die
Fische über 3 Öffnungen oberhalb des flach
geneigten Feinrechens gelangen und von dort
über das Spülschütz ins Unterwasser einschwimmen
können. Der Feinrechen selbst
hat einen Stababstand von nur 10 mm, die
Rechenstäbe wurden dabei mit einem speziell
für den Fischschutz konzipierten Y-Profil versehen.
Zu guter Letzt wurden für den Betrieb
des Rechenreinigers ein spezielles Fischschutzprogramm
installiert, welches speziell
während der flussabwärts gerichtete Wanderung
des Lachses in den Monaten von März
bis Juli eine besonders behutsame Bedienung
der Harke vorsieht und ermöglicht.
SPEZIELLE VORRICHTUNGEN FÜR FISCHMONITORING
Der Betreiber Süwag hat weiters in Zusammenarbeit
mit dem örtlichen Fischereiverein
und dem Regierungspräsidium Freiburg im
Umfeld des Schlitzpasses neben der Kraftwerksanlage
eine Möglichkeit für ein umfassendes
Monitoring des Fischbestandes an der
Kinzig geschaffen. Dazu zählen neben
Kameras und Beleuchtung zur Fischzählung
auch spezielle Becken, wo die in Reusen
gefangenen Fische vermessen, kategorisiert
und registriert werden können.
Von der Gesamtinvestitionssumme von 8
Mio. Euro für das neue Wasserkraftwerk in
Willstätt wurden allein 2 Mio. Euro für
gewässerökologische Maßnahmen wie Fischauf-
und –abstieg aufgewendet. „Mit all diesen
Einrichtungen haben wir in Abstimmung
mit den Behörden dem Lachsvorranggebiet
in unserer Region Rechnung getragen“,
berichtet Süwag-Betriebsleiter Rolf Nägele,
„da wir das erste Kinzig-Kraftwerk nahe der
Rheinmündung sind kommt unserem Standort
in dieser Hinsicht eine besondere
Bedeutung zu.“
ANLAGENEINWEIHUNG MIT BÜRGER-FEST
Nach knapp einjähriger Bauzeit konnte im
Dezember 2012 der Maschinensatz der
neuen Anlage ans Netz geschaltet werden, das
jährlich prognostizierte Jahresarbeitsvermögen
von 5,3 Mio. kWh konnte gegenüber
dem alten Kraftwerk an der Alten Mühle
somit mehr als verdoppelt werden.
Am 18. April 2013 wurde das Wasserkraftwerk
schließlich offiziell eingeweiht, im Anschluss
an den Festakt gab es ein Bürgerfest
sowie die Möglichkeit für Interessierte, diverse
Stationen des Wasserkraftwerks zu besichtigen.
Als man den Vertical-Slot-Pass für den
Fischaufstieg in Betrieb nahm, war dieser
bereits mit unzähligen Fischen stark frequentiert
– der beste Beweis, dass sich die Anstrengungen
der Süwag auch in ökologischer
Hinsicht gelohnt haben.

Teilen: