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Historisches Kraftwerk am Rheinfall glänzt mit neuem Leittechnik-Paket6 min read

31. Mai 2023, Lesedauer: 4 min

Historisches Kraftwerk am Rheinfall glänzt mit neuem Leittechnik-Paket6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Seit Ende letzten Jahres präsentiert sich das Kraftwerk Neuhausen am Rheinfall mit neuer, modernster Leittechnik. Über einen Zeitraum von drei Monaten gelang den Branchenspezialisten der Firma Rittmeyer, die historische Anlage vor Ort auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Mit der innovativen Hardware aus dem Hause Rittmeyer wurden nicht nur die Bedienerfreundlichkeit und die Skalierbarkeit verbessert, sondern auch die Gesamtverfügbarkeit. Das Kraftwerk, das im Regeljahr rund 40 Gigawattstunden sauberen Strom liefert, ist damit gerüstet für die aktuellen und kommenden Anforderungen an den Betrieb eines modernen Wasserkraftwerks.

Satellitenbild des Wasserkraftwerk Neuhausen
Situierung des Kraftwerks Neuhausen am Rheinfall
© Rittmeyer

Als vor zwei Jahren in den Medien wieder einmal über ein neues Kraftwerk am berühmten Rheinfall ventiliert wurde, war mancherorts der Aufschrei groß. Schließ-lich geht es beim Rheinfall nicht um irgendeinen Wasserfall. Hier rauschen im Schnitt 300.000 Liter pro Sekunde über eine natürliche Gefällstufe von etwa 23 Meter, kurzum es ist der größte Wasserfall Europas. Und der ist auch ein Touristenmagnet, der jährlich rund 1,3 Millionen Besucher anlockt. Was vielen in der Diskussion um ein vermeintlich neues Kraftwerk am Rheinfall gar nicht bewusst war: Es gibt hier schon eine Kraftwerksanlage – und zwar seit über 70 Jahren. Zwischen 1948 und 1950 wurde das unauffällige Kraftwerk Neuhausen von der Interessengemeinschaft Aluminiumwerke Neuhausen AG errichtet. Heute heißt der Betreiber Rheinkraftwerk Neuhausen AG – kurz RKN –, die zu 56 Prozent von der EnAlpin AG und zu 40 Prozent von der Axpo AG gehalten wird. Die restlichen 4 Prozent befinden sich im Eigentum der Gemeinde Neuhausen. Das historische Kraftwerk gilt als sehr wirtschaftlich. Mit der installierten Francis-Turbine mit 5,6 MW Nennleistung und dem direkt gekoppelten Synchrongenerator kommt das Kraftwerk bei einer Ausbauwassermenge von 29,9 m3/s auf rund 45 GWh im Regeljahr.

Leittechnik-Profi am Werk
Eine Effizienzsteigerung hatte das traditionsreiche Kraftwerk bereits vor 12 Jahren erfahren, als die elektrotechnische Ausrüstung vollständig erneuert wurde. Nun galt die volle Aufmerksamkeit dem leittechnischen Equipment, das ebenfalls komplett ausgetauscht werden sollte. Der Auftrag darüber ging an den renommierten Branchenexperten Rittmeyer Schweiz mit Sitz in Baar, der mit seinen Hard- und Software-Lösungen zu den absoluten Impulsgebern und Leadern der Wasserkraftbranche zählt. „Unser Auftrag umfasste gemäß Werkvertrag ein breites Gesamtpaket aus Produkten und Dienstleistungen, angefangen von der Auslegung und der Fabrikation, über Montage und die aufwändige Verkabelung für die Steuerung und die Versorgung des Eigenbedarfs bis hin zur Inbetriebsetzung und Mitarbeiterschulung – um nur die wichtigsten Punkte zu nennen“, fasst der Projektleiter der Rittmeyer AG Michael Gasser den Lieferumfang der Leittechnik-Profis zusammen. Wie bei einem derartigen Projekt üblich starteten die ersten Arbeiten mit der Erstellung des Pflichtenhefts, die sich von Dezember 2021 bis Februar 2022 erstreckten. Erst danach konnte mit dem Engineering von Hard- und Software sowie im Weiteren mit der Fertigung der Schaltschränke für die Leittechnik-Infrastruktur begonnen werden.

 

Bereit für Virtualisierte Rechner
Für die Visualisierung, Bedienung und Überwachung sowie die vollautomatische Steuerung des gesamten Kraftwerks hat Rittmeyer das bewährte Leittechniksystem RITOP entwickelt, das auch im modernisierten Kraftwerk Neuhausen das leittechnische Rückgrat bildet. Was dieses System zu einem echten Tausendsassa macht, ist seine Offenheit zur Ankopplung an die verschiedensten Automatisierungs- und Messsysteme. Hinzu kommt, dass es völlig problemlos in bestehende übergeordnete Leitsysteme und IT-Einrichtungen eingebunden werden kann. Im Fall des historischen Kraftwerks am Rheinfall wurde ein singuläres, nicht redundantes RITOP Leitsystem auf dem Hypervisor ESXi von VMware installiert. Etwas verkürzt erklärt, ermöglicht diese Virtualisierungs- und Cloud-Computing-Software es dem Benutzer, auf einer physischen Server Hardware verschiedene Ressourcen, wie etwa Arbeitsspeicher und Verarbeitung, nach individuellen Vorstellungen aufzuteilen, und damit etwa auch unterschiedliche Betriebssysteme zu installieren. „Dem Kunden ist es wichtig, die installierte Hardware möglichst effizient zu nutzen. Mit der Virtualisierung können auf diese Weise mehrere virtuelle Rechner auf einer einzelnen Hardware betrieben werden. Des Weiteren haben wir auf einer zweiten virtuellen Maschine die Software Veeam Cloud Backup installiert, die eine sehr einfache, schnelle und sichere Backup-Option ermöglicht“, erklärt Michael Gasser. Er verweist zudem darauf, dass diese Lösung dem Kunden eine hohe Skalierbarkeit und Verfügbarkeit bietet.

Alle Fäden laufen im RITOP zusammen
Über das RITOP werden permanent alle protokollierten Prozessdaten in Prozessbildern, Meldebüchern, Alarmlisten und Mehrfach­trends gespeichert und für eine spätere Visualisierung und Auswertung archiviert. Das Team von Rittmeyer hat dieses System in der Zentrale des Kunden installiert und bedarfsgerecht konfiguriert. Bedient wird es wahlweise über den Arbeitsplatz in der Zentralwarte, das Touchpanel, oder aus der Ferne durch den Betreiber vom Kraftwerk Reckingen aus, oder durch die Firma Rittmeyer für Wartungszwecke. In das neue Steuerungssystem wurden in der Folge auch der bestehende Turbinenregler, der Spannungsregler sowie die bestehenden Schutzgeräte in der Zentrale eingebunden. Die Messungen sämtlicher elektrischer Größen – wie Spannungen, ­Ströme, Energie- verbrauch – werden von jedem einzelnen Verbraucher sowie auch von der Eigenbedarfs-Haupteinspeisung in das RITOP eingelesen. „Über Wandler werden diese elektrischen Größen der einzelnen Aggregate gemessen, über eine Funkverbindung zentral erfasst und über Modbus TCP in das Leitsystem eingespielt“, geht Michael Gasser weiter ins Detail.

Bewährte Produktpalette im Einsatz
Neben der Lieferung von vier neuen Schaltschränken für die Eigenbedarfssteuerung sowie einer redundanten 110 VDC Batterieanlage realisierte das Team von Rittmeyer exakt nach den Vorstellungen der RKN ein neues Lichtwellenleiter-Netzwerk zwischen der Zentrale und dem Rechengebäude. Dabei wurden je zwei LWL-Fasern für das Leitsystem und je zwei für das WebCam-Netzwerk verlegt. Zudem wurden im Rechengebäude noch einige Modifikationen vorgenommen. Dazu Michael Gasser: „Am Rechengebäude haben wir die bestehende Rechenreinigungsmaschine ebenso in das Leitsystem integriert wie die Steuerung des Einlauf- und des Kiesablassschützes. Am Einlaufschütz haben wir die bewährte Positionsmessung RIPOS installiert und neue Pegelmessungen im Oberwasserbereich und vor dem Rechen eingebaut.“ Im Rechengebäude wurde eine unabhängige Steuerung mit Vorort-Bedienung installiert. Für die Maschinensteuerung und den mechanischen Schutz integrierte das Team von Rittmeyer eine zentrale RIFLEX-Steuerung. Dabei handelt es sich um das vielfach bewährte und äußerst robuste Automatisierungs- und Fernwirksystem aus dem Hause Rittmeyer, in welches bereits das Schutz- und Synchronisierungsmodul vorinstalliert ist.

 

Leitsystem am Puls der Zeit
Nachdem die aufwändigen Verkabelungs- und Montagearbeiten, die sich über rund fünf Wochen erstreckten, im Oktober letzten Jahres abgeschlossen werden konnten, folgten die Trocken- und daraufhin die Nass-Inbetriebsetzung. Nach einem erfolgreichen Probebetrieb in der Adventzeit 2022 konnte das Kraftwerk noch vor dem Jahreswechsel in den Regelbetrieb überführt werden. Da es dem Team von Rittmeyer gelang, sämtliche vereinbarten Termine einzuhalten, konnten sich die Betreiber über eine Punktlandung im Zeitplan freuen. Der Betriebsleiter der Kraftwerk Reckingen AG Thomas Häfeli kommentiert: „Heute verfügt die RKN über ein hochmodernes Leit­system, das exakt nach unseren Bedürfnissen realisiert werden konnte. Die letzten Betriebswochen im Kraftwerk Neuhausen belegten dabei eindrücklich, dass sämtliche Prozesse mit dem neuen Rittmeyer-Leitsystem optimal arbeiten und frei von Störungen blieben.“

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