Meerwasser-Turbine vom österreichischen Wasserkraftexperten für südkoreanisches Kohlekraftwerk7 min read
Lesedauer: 6 MinutenDie renommierte GUGLER Water Turbines GmbH hat in Südkorea ein außergewöhnliches Projekt ihrer weltumspannenden Referenzliste hinzugefügt. Für das thermische Großkraftwerk Shin Seocheon lieferten die in Oberösterreich ansässigen Wasserkraftexperten eine von Meerwasser angetriebene Kaplan-Turbine in Pit-Ausführung mit über 3,8 MW Engpassleistung. Die auf 43,3 m³/s Ausbauwassermenge und einen Fallhöhenbereich von 3,0 bis 9,7 m ausgelegte Maschine ist die erste von GUGLER gefertigte Turbine, die für den Einsatz mit Salzwasser konzipiert wurde. Da das Meerwasser, das vom thermischen Kraftwerk vor der Turbinierung zur Kühlung genutzt wird die üblicherweise im Turbinenbau eingesetzten Werkstoffe durch Korrosion zerstören würde, wurden hochlegierte Duplexstähle verwendet. Im Rahmen der Turbinen-Konzeption entwickelte GUGLER zudem eine verbesserte Schaufelgeometrie für 3-flügelige Kaplan-Pit-Turbinen, die nun auch bei anderen Maschinen dieser Bauform angewendet wird.
Das rund 52 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählende Südkorea gehört zu den sogenannten „Tigerstaaten“ im ostasiatischen bzw. südostasiatischen Raum. Dies ist die Bezeichnung für jene Länder, die dank hohem Wirtschaftswachstum innerhalb von Jahrzehnten einen Aufstieg von Entwicklungsländern zu Industriestaaten vollzogen haben. Südkorea nimmt vor allem bei der Produktion von Schiffen sowie bei der Herstellung von elektronischen Produkten wie Smartphones, Mikrochips oder Halbleitern zum Teil eine weltweit marktbeherrschende Stellung ein. Gewaltigen Aufholbedarf hat das hoch technologisierte Land gemäß dem Online-Portal „laenderdaten.info“ allerdings bei der Nutzung von regenerativen Energiequellen. So stammten im Jahr 2020 fast zwei Drittel des in Südkorea erzeugten Stroms aus den fossilen Energieträgern Kohle und Öl, die fast zur Gänze aus anderen Ländern importiert werden. Auch die Nutzung von Nuklearenergie zur Stromgewinnung spielt in Südkorea eine wichtige Rolle. Weit abgeschlagen hingegen sind erneuerbare Energiequellen wie Wind, Sonne und Wasser, im Jahr 2020 lag deren Erzeugungsanteil bei mageren 3,6 Prozent. Um die traditionelle Abhängigkeit von fossilen Energieträgern erheblich zu verringern, gibt es im Land starke Bestrebungen, die Nutzung erneuerbarer Energien bis 2030 auf bis zu 20 Prozent anzuheben.
Wärme- und Wasserkraftwerk kombiniert
Ein kleiner Schritt zum Ausbau der „Erneuerbaren“ wurde im Zuge des Projekts Shin Seocheon in der Provinz Chungcheongnam-do gesetzt, deren Küste im Westen des Landes an das Gelbe Meer grenzt. Bei dem Projekt handelt es sich um den Bau eines neuen, auf Kohleverfeuerung basierenden Thermalkraftwerks, das ein in die Jahre gekommenes Kohlekraftwerk ersetzt. Realisiert wurde das Projekt von der Korea Midland Power Co. (KOMIPO), einer Tochtergesellschaft des staatlichen Energieversorgungsunternehmens Korea Electric Power Corp. (KEPCO). Der auf den ersten Eindruck verwunderlich erscheinende Bezug zur Ökostromproduktion besteht in einem an das Kühlwassersystem gekoppelten Kleinwasserkraftwerk. Dabei wird das zur Kühlung der Dampfturbinen genutzte Meerwasser von einer separaten Wasserkraft-Turbine zur Stromproduktion genutzt. Den Auftrag zur Lieferung der hydromechanischen Ausrüstung erhielt die oberösterreichische GUGLER Water Turbines GmbH von einem südkoreanischen Partnerunternehmen. „Vor dem Projekt Shin Seocheon hatten wir bereits insgesamt 18 Kaplan Pit-Turbinen für verschiedene Anlagen in ganz Südkorea geliefert. Es macht uns besonders stolz, dass wir für das jüngste Projekt im Land unsere erste Maschine für den Meerwassereinsatz gefertigt haben“, so Michael Schober, der Leiter Technologie & Entwicklung bei GUGLER.
Aggressives Medium verlangt Spezialstahl
Den Auftrag zur Fertigung der ersten Meerwasser-Turbine in Kaplan-Pit-Ausführung erhielten die im oberösterreichischen Feldkirchen ansässigen Wasserkraftallrounder vom südkoreanischen Unternehmen Kumsung. Die bereits zuvor von GUGLER in Südkorea realisierten Wasserkraftprojekte wurden ebenfalls gemeinsam mit diesem Vertriebspartner abgewickelt. Michael Schober betont, dass bei der Fertigung einer für den Einsatz mit Meerwasser konzipierten Turbine die Werkstoffauswahl eine zentrale Rolle spielt: „Salzwasser ist ein weitaus anspruchsvolleres Medium als Süßwasser. Um eine lange Lebensdauer der Turbine zu gewährleisten, war die Verwendung von hochwertigem Duplex-Edelstahl für die wichtigsten wasserberührten Komponenten, wie die Laufradflügel, die Leitapparatschaufeln oder die Laufradnabe, unerlässlich. Es war gar nicht so einfach, einen Hersteller zu finden, der den benötigten Werkstoff liefern bzw. bearbeiten konnte und diesen auch zu einem vernünftigen Preis angeboten hat.“ Micheal Schober ergänzt, dass GUGLER schon einige Jahre vor dem Projekt Shin Seocheon eine Anfrage zur Lieferung einer Meerwasser-Turbine für einen anderen Markt erhalten hatte. Dieses Projekt wurde von den Oberösterreichern zwar nicht umgesetzt, allerdings erwiesen sich die in der Vergangenheit angestellten Konzeptionen für den speziellen Einsatzzweck und die Recherchen für potentielle Werkstoff-Lieferanten nützlich für den Auftrag in Südkorea. Einen weiteren wichtigen Punkt bei der Auslegung der Maschine stellten die stark schwankenden Fallhöhenverhältnisse an der Meeresküste dar. Durch die Gezeitenbewegungen am Gelben Meer ergibt sich ein Betriebsbereich zwischen 3,0 und 9,7 m. Auch dahingehend wurde die Maschine perfekt angepasst. „Im Zuge des Projekts wurde eine neue Schaufelgeometrie für 3-flügelige Kaplan-Pit-Turbinen entwickelt, die wir seither auch bei anderen Maschinen dieser Bauart anwenden. Die verbesserte Schaufelgeometrie erlaubt höhere Durchflüsse und optimiert im gleichen Zug den Wirkungsgrad der Turbine“, bekräftigt Michael Schober und ergänzt, dass der größte Teil des Turbinen-Pits aus Beton bestehe: „Diese in Absprache mit dem Kunden gewählte Variante bringt im Hinblick auf das Medium Meerwasser den Vorteil, dass erheblich weniger vom teuren Duplex-Edelstahl verbaut werden musste und so signifikant Kosten gespart werden konnten. Eine weitere Besonderheit dieser Maschine ist das besonders robust ausgeführte Dichtungssystem, um Eintritt von Salzwasser in andere Turbinenkomponenten zu verhindern.“
Fertigung in Europa und Übersee
Neben der für 43,3 m³/s Ausbauwassermenge und 3.821 kW Engpassleistung ausgelegten Turbine zählten auch ein Getriebe und das für die Laufrad- und Leitapparatverstellung zuständige Hydraulikaggregat zum GUGLER-Lieferumfang. Der zum Maschinensatz gehörende Generator in Asynchron-Ausführung und das elektro- und leittechnische Equipment wurden von den Auftraggebern in Eigenregie bereitgestellt. Aus logistischen bzw. wirtschaftlichen Gründen wurden größere Maschinenkomponenten, wie der vordere Teil des Turbinen-Pits, in Südkorea gefertigt. Die zentralen Bestandteile des Antriebsstrangs wurden in Europa hergestellt und zusammengebaut. Bevor die weit vormontierte Baugruppe auf dem Seeweg nach Südkorea transportiert wurde erfolgte noch die Werksabnahme unter der Teilnahme von Kundenvertretern. Die Montage der Turbine auf der Baustelle ging schrittweise vonstatten und wurde zwischen 2020 und 2021 zur Gänze von südkoreanischem Personal durchgeführt.
Wertvolles Referenzprojekt
Nachdem das neu gebaute Thermalkraftwerk mit über 1.000 MW Leistungskapazität im Sommer 2021 ans Netz gegangen war, folgte wenige Monate darauf die Inbetriebnahme des Kleinwasserkraftwerks. Im Februar 2023 führte die GUGLER-Ingenieurin Martha Hayden, die auch an der Maschinen-Auslegung beteiligt war, im Zuge einer Indexmessung die finalen Einstellungen zwischen dem Turbinen-Leitapparat und dem Laufrad durch: „Die Indexmessung musste im Februar erfolgen, weil durch die Gezeitenbewegungen des Meeres in diesem Monat alljährlich die größtmögliche Fallhöhe besteht. Bei dem Einsatz ging es im Wesentlichen darum, die optimale Zuordnung zwischen Leitapparat und Laufrad bei unterschiedlichen Fallhöhenverhältnissen einzustellen. Die Optimierungen haben sich für die Kraftwerksbetreiber definitiv bezahlt gemacht: Durch die Indexmessung konnte im Volllastbetrieb ein beachtlicher Leistungszuwachs von ca. 10 Prozent erzielt werden“, so Martha Hayden. Michael Schober zieht ebenfalls ein positives Resümee: „Das Turbinen-Design und das Engineering sowie die Beschaffung der speziellen Werkstoffe waren durchaus mit einigen Herausforderungen verbunden. Dennoch konnte das Projekt von Beginn an erfolgreich realisiert werden – dafür spricht auch das positive Feedback, das wir von der Betreibergesellschaft erhalten haben. Außerdem ist GUGLER durch den Auftrag um eine wertvolle Referenz reicher geworden. Mit den gesammelten Erfahrungen sind wir bestens gerüstet für potentielle zukünftige Aufträge in Sachen Meerwasser-Turbinen.“
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