ÖBB bauen Sicherheitsstruktur von Kraftwerk Obervellach II auf solidem Fundament7 min read
Lesedauer: 6 MinutenIm Gemeindegebiet von Mallnitz und Obervellach wird aktuell unter Volldampf am Ausbau der Wasserkraftkapazitäten der Österreichischen Bundesbahnen gearbeitet. Konkret entstehen hier das neue Bahnstrom-Kraftwerk Obervellach II sowie das Kleinkraftwerk Kaponig, in deren Umsetzung die ÖBB insgesamt rund 220 Millionen Euro investieren. Beide Anlagen befinden sich aktuell bereits in der Montagephase, die bereits im Herbst in die avisierte Inbetriebnahmephase münden soll. Einen wichtigen Teilaspekt des Gesamtprojekts repräsentiert der hydraulische Schutz, also die Überwachung der beiden Kraftabstiege, der vom renommierten Branchenspezialisten Rittmeyer realisiert wird. Der hydraulische Schutz stellt einen zentralen Baustein in der gesamten Sicherheitsstruktur eines Kraftwerks dar. Mit der neuen Kraftwerksanlage, die voraussichtlich Anfang 2024 den Betrieb aufnehmen wird, wird die Energieerzeugung am Standort Obervellach um 35 Prozent gesteigert.
Seit über 100 Jahren fährt die österreichische Bahn mit Strom aus Wasserkraft. Dank dieser umweltfreundlichen Antriebsform gelten die Österreichischen Bundesbahnen als Vorreiter in Sachen Elektro- mobilität. Seit 2018 setzen die ÖBB auf 100 Prozent erneuerbare Energie, wobei ein Drittel davon aus eigenen Wasserkraftwerken stammt. Bis zum Jahr 2030 soll die Eigenversorgung inklusive der Partnerkraftwerke auf 80 Prozent steigen. Die ÖBB investieren dafür 1,6 Mrd. Euro in den Ausbau der Energieerzeugung aus Wasser, Wind und Sonne. Diese Ambitionen stehen auch hinter dem umfangreichen Wasserkraftprojekt Obervellach II, das aktuell zu den komplexesten Projekten dieser Art in Österreich zählt. Mit der neuen Kraftwerksanlage ersetzen die Betreiber die zwei bestehenden Kraftwerke Obervellach und Lassach, die mit einer Betriebsdauer von rund 100 Jahren das Ende ihrer technischen Lebendauer erreicht hatten. Für den 16,7-Hertz-Bahnstrom „Made in Kärnten“ wird in Zukunft das neue KW Obervellach II sorgen.
Leistungsspitzen können abgedeckt werden
„Die beiden Kraftwerksanlagen Lassach und Obervellach wurden planmäßig im Oktober 2021 bzw. im Mai 2022 außer Betrieb genommen, um die Wasserfassung Mallnitzbach sowie den Kraftabstieg für die Kraftwerksanlage errichten zu können“, erklärt Christian Höss, ÖBB-Projektleiter. Für den Ausbruch des Stollensystems wurde seit Jänner 2021 untertage gesprengt und gebaggert. Mit durchschlagendem Erfolg. Bereits im Juli letzten Jahres glückte dem beauftragten Bauteam der Stollendurchschlag, im April dieses Jahres konnten die Betonarbeiten im Stollen abgeschlossen werden. Bei dem neuen Speicherstollen handelt es sich um ein wahres Monument im Berg. Mit einem Ausbruchsquerschnitt von 180 m² und einer Länge von rund 600 Metern bietet er in Zukunft ein Fassungsvermögen von 60.000 m3. Damit können die Leistungsspitzen im österreichischen Bahnstromnetz noch besser abgedeckt werden.
Im Juni dieses Jahres wurde bereits die Druckrohrleitung erfolgreich ihrer Druckprobe unterzogen. Sie ist nun ebenso fertig wie die gesamten Untertagebauarbeiten. Aktuell laufen an allen Ecken und Enden Fertigstellungsarbeiten, während parallel dazu bereits die Montagearbeiten an den neuen Maschinensätzen begonnen haben. So wurden etwa kürzlich die beiden Rotorwellen der Generatoren eingehoben. Das technische Herz der Anlage bilden die zwei BahnstromMaschinensätze mit jeweils 18,5 MW Leistung. Diese werden über zwei Pelton-Turbinen angetrieben. Gemeinsam mit dem Kleinwasserkraftwerk Kaponig wird die Kraftwerksanlage Obervellach II künftig grünen Bahnstrom im Ausmaß von 125 GWh pro Jahr erzeugen.
Leckagen erkennen bevor sie entstehen
Einen ganz wesentlichen Teilaspekt der technischen Ausstattung eines jeden Wasserkraftwerks macht seine Sicherheitsinfrastruktur aus. Das betrifft sowohl sämtliche mechanische Absperrorgane als auch den elektrischen sowie den hydraulischen Schutz. Letzterer sorgt für eine zuverlässige Überwachung der hydraulischen Verhältnisse im Kraftabstieg und basiert im Wesentlichen auf moderner Durchflussmessung sowie der angeschlossenen digitalen Überwachungssysteme. Im Fall des neuen Kraftwerks Obervellach II vertrauen die ÖBB auf die in zahlreichen Kraftwerksprojekten bewährte Kompetenz der Firma Rittmeyer. „Im Prinzip umfasst unser Leistungsumfang die Planung, Lieferung, Vermessung und Montage der Sensoren, die in die Druckrohrleitung eingeschraubt werden. Außerdem die Lieferung der Schaltschränke inklusive Verkabelung sowie die Planung und Inbetriebnahme des hydraulischen Schutzes“, umreißt Dieter Beer, die wesentlichen Bestandteile des Auftrags für die Rittmeyer GmbH. Konkret bedeutet das, dass die Firma Rittmeyer hochpräzise Durchflussmessungen an beiden Enden der Druckrohrleitung installiert, um allfällige Leckagen und Brüche zu erkennen, bevor sie entstehen. Das heißt, dass durch die Erfassung der Durchflussdifferenz zwischen oberer Messung in der Apparatekammer bzw. Wasserfassung im Fall des Kleinkraftwerks Kaponig und unterer Messung im Krafthaus über längere Zeit hinweg auch kleinste Undichtigkeiten in der Leitung detektiert werden können.
Hochpräzise Durchflussmessung
„Wir führen mit dieser Messanordnung drei Überwachungen durch: Wir messen erstens den Maximaldurchfluss, der sich auf den größeren der beiden Durchflusswerte bezieht. Zweitens den Differenzdurchfluss, der auf beiden Messwerten basiert. Und drittens den Rohrbahndruck. Sollte einer der Werte aus dem Sollwertbereich geraten, wird zuerst zeitverzögert eine Alarmierung aktiviert. Kommt es zu einem weiteren Anstieg des Werts wird eine Auslösung der Schutzvorrichtung aktiviert“, umreißt Dieter Beer das Grundprinzip. Für die Visualisierung, die Bedienung und die Parametrierung der hydraulischen Schutzeinrichtungen wird im Schaltschrank im Krafthaus ein Bedienpanel installiert. Hier werden die wichtigsten Messwerte dargestellt. Sämtliche Grenzwerte und Sollwertvorgaben sind problemlos konfigurierbar und an die jeweiligen Anforderungen anpassbar. Die Einbindung in das Leitsystem funktioniert relativ einfach, der Datenaustausch zwischen Prozessstation, Visualisierung, der Partnerstation und der Ultraschallmessung erfolgt über IEC 60870-5-104. „Als Steuerungseinheit kommt unser RIFLEX M1 zum Einsatz. Dabei handelt es sich um unser vielfach bewährtes und äußerst robustes Automatisierungs- und Fernwirksystem“, erklärt Dieter Beer. Für die Durchflussmessung setzen Dieter Beer und sein Team das RISONIC modular aus dem Hause Rittmeyer ein, das abgesehen von den standardmäßigen Durchflussmessungen noch einige weitere intelligente und flexible Anwendungen bietet. Beer: „Was unter anderem für das RISONIC modul spricht, sind einerseits die hohe Messgenauigkeit von bis zu 0,5 Prozent in der praktischen Anwendung und von 0,2 Prozent unter Idealbedingungen und die redundante, respektive autonome Messung, die selbst bei einem Ausfall des SCADA-Systems weiter funktioniert.“
Heißer Herbst bis zur Inbetriebnahme
Zum Zeitpunkt Mitte Juli hat das Team von Rittmeyer bereits alle Baugruppen, wie Schaltschränke, Sensoren oder Steuereinheiten, auf die Baustelle geliefert, somit sind Konstruktion und Engineering bereits abgeschlossen. In den nächsten Wochen folgt die Einbringung und Verkabelung der Schaltschränke sowie die Montage und der Anschluss der Sensoren. Bis Ende September dieses Jahres wird der hydraulische Schutz für das Kleinkraftwerk Kaponig in Betrieb genommen. Die Inbetriebnahme des hydraulischen Schutzes ist dann im Dezember dieses oder spätestens im Januar kommenden Jahres geplant. Generell laufen aktuell noch bis Oktober die technische Ausrüstung der beiden Kraftwerke sowie die letzten baulichen Maßnahmen parallel. „Im Herbst 2023 startet die Inbetriebnahmephase. Dabei werden die einzelnen Komponenten geprüft und gezielt hochgefahren. Anfang 2024 beginnt dann der dreimonatige Probebetrieb, der schließlich nahtlos in den Regelbetrieb übergehen wird“, erklärt ÖBB-Ausrüstungskoordinator Christoph Sailer.
Um 35 Prozent mehr Energie
Mit der Gesamtinvestitionssumme von 220 Millionen Euro gilt das Kraftwerkprojekt neben der Koralmbahn als eine der größten Baustellen der ÖBB in Kärnten. Dank zahlreicher regionaler Partner verbleibt der größte Anteil der Wertschöpfung in der Region. Aktuell arbeiten rund 60 Personen an dem Projekt, zu Spitzenzeiten waren es an die 150 Arbeiter und Arbeiterinnen. Durch die heimische Wertschöpfung von rund 80 Prozent des Investitionsvolumens profitiert das Kärntner Mölltal in mehrfacher Hinsicht vom Kraftwerksneubau. Wenn das Kraftwerk Obervellach II Anfang kommenden Jahres in Betrieb geht, wird es die bestehenden 8 Wasserkraftwerke der ÖBB ergänzen und damit zur Versorgungssicherheit sowie zu einem verlässlichen Bahnbetrieb beitragen. Bis 2030 soll die Eigenversorgung mit grünem Bahnstrom inklusive der ÖBB-Partnerkraftwerke auf 80 Prozent steigen. Das neue Kraftwerk Obervellach II spielt dabei eine entscheidende Rolle, da die nachhaltige Energieerzeugung am Standort Obervellach um mehr als 35 Prozent gesteigert werden kann.
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