Richtungsweisendes Leittechnikkonzept verknüpft Kraftwerke in Mels9 min read
Lesedauer: 6 MinutenMit gleich drei neuen Kleinkraftwerken investierte das Ostschweizer EW-Mels zuletzt massiv in den Ausbau seiner Erzeugungskapazitäten. Konkret wurden zwei kleinere Anlagen als Oberlieger zum Traditionskraftwerk Plons errichtet,
… während die letztgenannte Anlage komplett erneuert und auf 7,2 MW Engpassleistung erweitert wurde. Spezielles Augenmerk legten die Betreiber dabei auf ein modernes Leittechnikkonzept, das maximale Kommunikations- und Steuerungsmöglichkeiten gewährleisten sollte. Die Antwort darauf lieferte der Branchenexperte Rittmeyer. Den Leittechnik-Experten aus Baar gelang es letztlich mit einem Konzept zu überzeugen, dessen Basis ein großer LWL-Ring darstellt. Dieser Ring gewährleistet nun eine flache hierarchische Bedienebene, sodass eine vollständige Bedienung aller Anlagenkomponenten von allen Standorten möglich wurde.
Seit 1954 versorgt das EW Mels die gleichnamige Gemeinde mit Strom. Heute sind es etwa 8.550 Einwohner, die am Netz des EWM angeschlossen sind. Neben der Stromversorgung stellt das Unternehmen seinen Kunden auch Trink- und Löschwasser sowie Kabel-TV und Internet zur Verfügung. „Mit dem Wasser aus dem Chapfensee, der Seez und unseren Trinkwasserversorgungsleitungen produzieren wir Strom, der die Ressourcen unserer Umwelt schont sowie schnell und einfach verfügbar ist. Wasserkraft ist erneuerbar, natürlich und sauber. Sie steht im ökologischen Vergleich zu andern Stromerzeugungsarten weit vorne“, argumentiert der Geschäftsleiter des EW Mels, Erich Riget, warum man seit Jahrzehnten auf die Wasserkraft setzt. Neben dem Traditionskraftwerk Tobel und den Trinkwasserkraftwerken Mühleboden und Vorderberg betreibt das EWM auch das Speicherkraftwerk Plons, das in den Jahren 1946 bis 1947 errichtet worden ist. Das Kraftwerk nutzt dabei die Speicherkapazität des Chapfensees von 430.000 m3 sowie die natürliche Gefällestufe von circa 550 m zwischen dem künstlich angelegten See auf 1.030 m Seehöhe und dem Maschinenhaus. Das Chapfenseegebiet ist ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung, es gilt als Naturjuwel mit besonderer Fauna und Flora. Als Erholungsgebiet lockt es zahlreiche Besucher zum Wandern, zur Erholung und zum Verweilen an. Mit dem Bau der Stauanlage in den Vierzigerjahren ist der See geschaffen worden.
Kraftwerksleistung massiv erhöht
In den vergangenen beiden Jahren wurde nun das Kraftwerk Plons vollständig erneuert und dabei massiv ausgebaut. Die Engpassleistung konnte von 4,5 MW auf nunmehr 7,2 MW gesteigert werden. Nahezu zeitgleich machte sich das EW Mels an die Errichtung von zwei nagelneuen Oberlieger-Anlagen. Zum einen konnte durch den Bau des Kraftwerks Chapfensee nun eine bislang brachliegende Gefällsstrecke von 30 m oberhalb des Chapfensees hydroelektrisch genutzt werden. Zum anderen wurde mit dem Kraftwerk Weissenstein, das sein Triebwasser aus der Fassung Mädems bezieht, ein weiteres Wasserkraftwerk realisiert. Beide Anlagen leiten das turbinierte Wasser in den Chapfensee, der das leistungsstarke Kraftwerk Plons mit Triebwasser versorgt. Während im Kraftwerk Weissenstein eine 2-düsige Peltonturbine aus dem Hause Andritz für eine Nennleistung von 650 kW sorgt, wurde im Kraftwerk Chapfensee eine Durchströmturbine vom Fabrikat WKV mit 450 kW Leistung installiert. Beim Ausgleichsbecken Mädems, wo das Wasser für das Kraftwerk Weissenstein entnommen wird, handelt es sich um einen auf 1.655 m Seehöhe gelegenen Speicher mit 500 m3 Fassungsvermögen. Hierin gelangt das Überwasser aus höher gelegenen Trinkwasserquellen. Alle drei neuen Maschinen nahmen zwischen Oktober und Dezember letzten Jahres ihren Betrieb auf.
LWL-Ring als Fundament
Ein ganz wesentlicher Stellenwert kam in dem Projekt der Steuerungs- und Leittechnik zu, die nach absolut modernsten Kriterien und den individuellen Vorstellungen der Betreiber konzipiert werden sollte. Dabei gelang es dem Branchenexperten Rittmeyer mit einer Idee zu punkten, die dem Wunschbild des EW Mels am nächsten kam. „Das architektonische Fundament unseres Leittechnikkonzeptes bildet ein großer 1-Gigabit-LWL-Ring, in dem alle Gewerke und Komponenten dieser Kraftwerksgruppe eingebunden werden sollten. Darauf aufbauend entwickelten wir ein Bedienkonzept, das im Gegensatz zu vielen anderen in den letzten Jahren realisierten Projekten von unterschiedlichen hierarchischen Bedienebenen absah. Das ermöglichte, dass man auf diese Weise wunschgemäß von jedem Ort aus alles bedienen, abfragen, steuern und regeln kann“, erklärt der Projektleiter aus dem Hause Rittmeyer, Michael Gasser. Nachdem die Firma Rittmeyer den Zuschlag für die gesamte leit- und steuer- ungstechnische Ausrüstung der Kraftwerke erhalten hatte, wurde es im Sommer 2017 in sämtliche Planungen miteingebunden – um die Idee letztlich in ein funktionelles System umzusetzen. Im Februar 2018 wurde der Vertrag über die Ausrüstung der Leittechnik zwischen den beiden Projektpartnern unterzeichnet. Damit blieben den Ingenieuren von Rittmeyer knappe zehn Monate, um ein komplexes Steuerungs- und Leittechniksystem zu implementieren. „Das war durchaus sportlich“, blickt Michael Gasser zurück.
Flache Hierarchie im Trend der Zeit
Konkret sah das Konzept vor, dass in der Zentrale des Traditionskraftwerks Plons ein RITOP Server installiert wurde. An allen anderen Außenstationen sowie einmal im Betriebsgebäude wurden in Abstimmung mit dem Betreiber fünf RITOP Clients eingebaut. Damit war bereits die Grundlage dafür gelegt, dass man eine möglichst flache hierarchische Architektur schafft – und somit die Bedienung aller Gewerke von überall erfolgen kann. Dies setzt natürlich eine hohe Verfügbarkeit der einzelnen Komponenten voraus. Dennoch scheint der allgemeine Trend in diese Richtung zu weisen. Michael Gasser: „Früher waren die Konzepte noch sehr stark davon geprägt, dass man vor Ort unterschiedliche Bedienebenen hat – nicht zuletzt, um sich nicht wechselseitig zu beeinflussen. Doch heute geht der Trend eher in die Richtung, dass man alles von überall sehr einfach bedienen möchte. Und das war auch bei den Vorstellungen des EW Mels nicht anders.“ Das bestätigt auch Erich Riget, seines Zeichens Geschäftsleiter des EW Mels: „Uns war wichtig, dass das neue Leitsystem möglichst einfach und funktionell ist – und diese Vorgabe hat die Firma Rittmeyer sehr gut umgesetzt.“
Doch was passiert, wenn die Leittechnik einmal ausfällt? Auch auf diese Frage mussten die Ingenieure von Rittmeyer eine Antwort liefern. „Wenn die Verbindung vom RITOP Server im Betriebsgebäude des KW Plons zum Kraftwerk Chapfensee oder dem Kraftwerk Weissenstein abreißen sollte, dann kann man natürlich von außen keine Sollwerte mehr einstellen. Dies funktioniert ja alles über den Server. Daher haben wir für diese kleinen Kraftwerke jeweils eine Rückfall- ebene eingebaut. Dadurch kann man die beiden Maschinen auch ohne externe Verbindung stoppen und starten“, so der Projektleiter. Jedes einzelne Kraftwerk verfügt über eine Notbedienung mit Taster, das KW Plons hat ein Touch-Panel.
Schnittstellen als schwächstes Glied der Kette
Neben dem Leittechnikkonzept lieferte das Technikunternehmen aus Baar auch die Maschinensteuerung für jedes Kraftwerk, die elektronischen Turbinenregler für das KW Chapfensee und das KW Plons, den elektrischen Schutz und die Synchronisierung, die Gleichstromverteilung und MCC für alle Aggregate sowie die Durchfluss- und Pegelmessungen inklusive der Druckrohrleitungsüberwachungen. Hinzu kam noch eine durchaus aufwändige Wasserhaushaltsautomatik und die Pegelregelung. „Wir hatten schon den alten Bewirtschaftungsregler geliefert, mit dem die Betreiber in Mels schon früher sehr zufrieden waren. Die neue Wasserhausautomatik bietet heute noch mehr Features. Unter anderem ermöglicht sie Spitzenabdeckung, Blockleistung sowie die Pegelregelungen“, so Michael Gasser. Die Betreiber vom EW Mels konnten dabei gerade dem Argument „Schnittstellenvermeidung“ einiges abgewinnen, wie Erich Riget bestätigt: „Ein System für viele Gewerke bringt natürlich den Vorteil mit sich, dass wir keine Schnittstellenprobleme haben. Eine Schnittstelle ist im Grunde das schwächste Glied der Kette. Es ist natürlich auch viel einfacher in Hinblick auf den Service, das Handling, oder die Ausbildung, wenn man das System aus einer Hand erhält.“ Spezielle Anforderungen brachte das Kraftwerk Plons mit sich, das inselbetriebsfähig ausgeführt werden sollte. Von steuerungstechnischer Seite her schafft ein Touch-Panel die erforderliche Unabhängigkeit für die Notbedienung. „Hier kann man unabhängig vom Leitsystem direkt auf die Prozessstation zugreifen und sehr viel steuern und bedienen“, erklärt Michael Gasser. Der Steuerung am Touch-Panel liegt ein kleiner Webserver zugrunde, der sich über den Chrome Browser bedienen lässt. „Die Funktion der Inselbetriebsfähigkeit hatte für uns durchaus hohen Stellenwert, auch wenn man deren Bedeutung zumeist erst dann zu schätzen weiß, wenn man sie braucht. Ich halte die Möglichkeit der dezentralen Notversorgung aber für eine zukunftsgerichtete Perspektive“, so der Geschäftsführer des EW Mels.
Saubere Lösung für die Webcams
Selbstverständlich ist die Anlage komplett fernsteuerbar. So ist etwa eine Störungsbehebung über den Fernzugriff auch von Zuhause aus möglich. Außerdem verfügt sie über moderne Webcams, die ebenfalls Rittmeyer geliefert hat. Dafür wurde ein V-LAN – also ein virtual LAN installiert, auf ein separates LWL-Netzwerk wurde verzichtet. Michael Gasser: „Wir haben das V-LAN aus den Switches ausgekoppelt und haben dann mit einem zweiten Internetkabel den Anschluss an die Clients hergestellt. Das ist möglich, weil jeder Client über zwei Internet-Karten verfügt. Es handelt sich somit um eine Hardware-Lösung, die eine saubere Trennung von Video-LAN und Prozess-LAN sicherstellt. Es wäre fahrlässig, die Daten aus den Cams auf das Prozess-LAN zu legen, auf diese Art wurde das einfach und effizient vermieden.“
Richtungsweisende Entwicklungen
Für den Kunden steht üblicherweise das Thema der Usability bzw. Bedienungsfreundlichkeit im Vordergrund. Aus diesem Grund legte man darauf bei Rittmeyer großes Augenmerk. Den größten Fortschritt gegenüber der Altanlage stellt dabei das neue Bedienebenenkonzept dar, das für die Spezialisten aus Baar so keineswegs Standard war. „Dieses Abweichen von den unterschiedlichen Bedienebenen, haben wir auf diese Weise noch nicht so oft umgesetzt. Es bietet aber für den Kunden deutliche Vorteile in Hinblick auf die Einfachheit und Möglichkeit, alle Gewerke von überall bedienen zu können“, sagt Michael Gasser. Erich Riget kann dem nur zustimmen und begrüßt vor allem die Bedienerfreundlichkeit des neuen Leitsystems: „Wir konnten mit unserer alten Steuerung auch sehr viel machen. Aber die neue ist definitiv bedienerfreundlicher. Ich finde, es ist eben der Lauf der Dinge, dass auch in diesem Bereich die Entwicklung voranschreitet.“
Für die Techniker von Rittmeyer hat das Projekt durchaus richtungsweisenden Charakter. Michael Gasser verweist darauf, dass man in absehbarer Zeit von den eigenen Betriebssystemen, auf denen der Betrieb der Clients beruht, abrücken könnte. „Früher hatten wir auf den Bedienstationen jeweils immer eigene Betriebssysteme installiert. In Zukunft können wir den Client auch über einen Chrome Webbrowser bedienen. Der RITOP Client stellt dabei einfach Sessions auf dem Webserver dar. Das bedeutet, dass man nicht mehr mit der lokalen Oberfläche bedient, sondern über den Webbrowser am Server. Das ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Einfachheit. Praktisch hat es für den Kunden den Vorteil, dass Änderungen sofort überall in Echtzeit vollzogen werden, die an einer Station vorgenommen worden sind. Daher halten wir die Entwicklung des Konzepts mit einem zentralen RITOP System für durchaus wegweisend“, erklärt Michael Gasser abschließend.
Anfang Dezember vergangenen Jahres ist das gesamte Steuerungssystem in Betrieb genommen worden. Die Betriebserfahrungen über die ersten zehn Monate bezeichnet der Betreibervertreter als sehr zufriedenstellend.
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