Spektakuläre Taucharbeiten ermöglichen Speichersanierung im Schweizer Nationalpark8 min read
Lesedauer: 6 MinutenAuch über vier Jahre nach ihrem erfolgreichen Abschluss zählt die Sanierung an der Staumauer Punt dal Gall der Engadiner Kraftwerke AG zu den spektakulärsten und aufwändigsten Speichersanierungen in jüngster Zeit.
Rund 25 Mio. CHF investierten die Betreiber, um die mechanischen Einrichtungen der Betriebswasserfassung, den Grundablass und die Dotierwasserfassung wieder betriebsfit für die nächsten Jahrzehnte zu machen. Zu diesem Zweck kamen auch sogenannte Sättigungstaucher zum Einsatz, die ihre Aufgabe unter sehr speziellen Bedingungen zu erfüllen hatten. Diese Vorgangsweise war nicht nur effizient, sondern garantierte zudem die geforderte maximale Sicherheit für Fauna und Flora des Flusses Spöl, dem größten Fluss im einzigen Schweizer Nationalpark. Im Rahmen der 3. Energie- und Umwelttage Ende Februar präsentierte Michael Roth, der Direktor der Engadiner Kraftwerke EKW, das Projekt einem interessierten Publikum.
Stahlwasserbauteile, die in unseren Breiten über vier Jahrzehnte unter Wasser gelegen sind, bedürfen in der Regel nach dieser Zeit einer eingehenden Sanierung. Bei Anlagen, die über eine Konzession von 80 Jahren verfügen, ist somit nach 40 Jahren der Zeitpunkt für eine Totalsanierung gekommen, um die Betriebssicherheit auch für die restliche Laufzeit der Konzession sicherzustellen. Eine solche planten die Verantwortlichen der EKW vor rund fünf Jahren auch für die Stauanlage Punt dal Gall, die im Jahr 1970 ihren Betrieb aufgenommen hatte. Speziell die mechanischen Einrichtungen der Betriebswasserfassung, des Grundablasses und der Dotierwasserfassung sollten einer umfassenden Revision unterzogen werden.
Sedimente gelangen in den Spöl
Allerdings war der Modus Operandi zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Ein Grund dafür war, dass ein einschneidendes Umweltereignis im Frühling 2013 zu einer in diesem Ausmaß völlig unerwarteten ökologischen Gefährdung des Flusses Spöl geführt hatte. Dazu Michael Roth: „Ende März 2013 lag der Seespiegel relativ tief mit etwa 17 m über der minimalen Betriebskote. Das führte zu einer veränderten Dynamik in der Sedimentverfrachtung. Sogenannte Trübeströme, eine Art von Schlammlawine am Seegrund, traten auf, woraufhin Sedimente über die Dotieranlage in den Spöl gelangten. Im Nachhinein wurde festgestellt, dass deshalb auch zahlreiche Bachforellen verendet waren. Die Dotieranlage wurde durch den Schlamm verstopft, sodass der Spöl von seiner Wasserzufuhr abgetrennt wurde. Als erste Reaktion auf das Ausbleiben des Dotierwassers öffneten Angestellte der EKW den Grundablass, die einzige Möglichkeit, um den Gebirgsbach wieder mit Wasser zu versorgen. Doch dadurch wurden erneut Sedimentfrachten in den Bach gespült.“ Ein Ereignis, das aufgrund der hohen Schutzziele des Gewässers inmitten des Nationalparks medial entsprechend hohe Wellen schlug. Verständlicherweise wollte man eine Wiederholung dieses Szenarios unter allen Umständen vermeiden. Im Hinblick auf die Sanierung der Anlage wäre bei einer vollständigen Entleerung des Speichersees die Gefahr eines erneuten Schlammeintrags in den Spöl zu groß gewesen. Man machte sich auf die Suche nach einer alternativen Lösung.
Sanierung ohne Seeentleerung
Es folgte eine Machbarkeitsstudie über Sanierungsvarianten ohne Seeentleerung, die in Zusammenarbeit von EKW, HYDRO Exploitation, Hydrokarst und TSM Perrottet angestellt wurde. Als Resultat daraus entschieden sich die Verantwortlichen letztlich dafür, den Einlaufbereich mit provisorischen Verschlüssen durch Taucher abzudichten, sodass im Trockenen von der Luftseite her gearbeitet werden könnte. Konkret fiel die Wahl auf das sogenannte Sättigungstauchverfahren, das zuvor erst einmal an einem Schweizer Stausee eingesetzt worden war. Die Unterwasserarbeiten wurden vom Ingenieurbüro IM Maggia ausgeschrieben und von dem Konsortium TSA umgesetzt, das aus den drei Unternehmen HYDRO Exploitation, Hydrokarst und TSM Perrottet bestand. „Der Vorteil des Sättigungstauschverfahrens lag einerseits natürlich in seiner ökologischen Unbedenklichkeit, andererseits aber auch darin, dass die Anlage während der Bauphase ohne nennenswerte Unterbrechungen weiterbetrieben werden konnte“, erklärt Michael Roth. Außerdem habe man auf diese Weise die gesamten Arbeiten in einem Sommer abwickeln können. Ein herkömmlicher Taucheinsatz wäre aus naheliegenden Gründen nicht in Frage gekommen. Schließlich sind die Taucher bei einer Tauchtiefe von 110 m einem enormen Druck ausgesetzt. Bei jedem Auftauchvorgang müssten diese Druckunterschiede ausgeglichen werden, was je nach Aufenthaltsdauer am Seegrund sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Auf diese Weise hätten sich die Arbeiten über mehrere Bausaisonen hingezogen.
Anspruchsvolles Tauchverfahren
Aus diesem Grund wurde die französische Firma Hydrokarst mit den Taucharbeiten im Sättigungstauchverfahren beauftragt. Dabei wurden die Taucher in einer speziellen Druckkammer einem konstanten Druck von 10 bar ausgesetzt, wie er auch in der Tiefe des Stausees vorherrscht. Das heißt: Das Tauch-Quartett lebte in dieser Zeit in den Druckkammern, wenn sie nicht gerade Revisionsarbeiten durchführten. An ihre Arbeitsstelle gelangten sie mittels einer Tauchglocke, die mit der Leitstelle verbunden war. Über eine „Nabelschnur“ wurden die Taucher in den schweren Anzügen mit speziellem Tauchgas, einem Helium-Sauerstoff-Gemisch, sowie Warmwasser mit 36° C Temperatur versorgt. Die Dekompressionsphase wurde erst am Ende der mehrwöchigen Arbeit eingeleitet – und dauerte aufgrund der im Blut gelösten Tauchgase rund vier Tage. Insgesamt waren für die gesamten Unterwasserarbeiten 62 Tauchtage erforderlich.
„Grundsätzlich war dieses Verfahren vielversprechend, aber auch sehr anspruchsvoll und kostenintensiv. Im Vorfeld waren umfangreiche Planungen erforderlich, damit die Projektabwicklung sicher und effizient vonstattengehen konnte. Ein Teil davon waren etwa die medizinischen Vorbereitungen für eventuelle Notfälle. Es wurden verschiedene Ärzte ausgebildet, um etwa unter Druck Notoperationen durchführen zu können. Außerdem wurde eine eigene kleine – natürlich druckfeste – Krankenstation auf dem Ponton eingerichtet“, blickt Michael Roth zurück. Über eine Druckschleuse konnten die Quartiere der Taucher mit Nahrung versorgt werden.
600 Tonnen Equipment
Bevor die französischen Sättigungstaucher ans Werk gehen konnten, wurde im Frühling 2016 das 750 m2 große Ponton aufgebaut. Eine schwimmende Plattform, auf der die Druckkammern und sämtliche Einrichtungen für die Unterwasserarbeiten installiert werden mussten. Das dafür erforderliche Material mit einem Gesamtgewicht von 600 Tonnen wurde mithilfe von über 100 Sattelschlepperladungen angeliefert und anschließend per Autokran von der Staumauer auf den Ponton verfrachtet. „Speziell die Zufahrt zur Baustelle stellte aufgrund eines sehr engen, einspurigen Tunnels eine große Herausforderung für die Beteiligten dar. Das war tatsächlich Präzisionsarbeit“, erinnert sich Michael Roth.
Unterwasser-Arbeiten in Extremis
Ende Mai 2016, während man noch mit dem Zusammenbau des Pontons zugange war, starteten die Pumpmaßnahmen zur Sedimententfernung. Es galt, die Sedimentansammlungen vor den beiden Einläufen zu entfernen. Die Unterwasserpumpe saugte dabei circa 1.500 m3 Schlamm ab, der in der Folge rund 200 m weiter am Seegrund auf Schweizer Seite abgelagert wurde. Mitte Juni war es schließlich für die Taucher soweit: Die ersten Arbeiten unter Wasser konnten beginnen. Doch diese sollten jäh unterbrochen werden, als eine Mure in den See glitt und neue Sedimente in den Bereich des Grundablasses verfrachtet wurden. „Aufgrund der schlechten Sicht am Seegrund mussten damals die Arbeiten für drei Tage unterbrochen werden“, erzählt Elmar Kämpfen, Direktor von HYDRO Exploitation SA. Im Zuge der folgenden Arbeiten stießen die Taucher auf sperrige Betonbrocken aus der Bauzeit sowie auf große Holzstämme. Es war zwar zu diesem Zeitpunkt gelungen, die Sedimente hinter der etwas höher gelegenen Dotierwasserfassung zu entfernen, aber nicht jene, die sich weiter unten im Bereich des Grundablasses angesammelt hatten. Somit konnten die Taucher in dieser ersten Tauchphase lediglich den 16 m2 großen und 15 Tonnen schweren Abschluss für den Dotiereinlauf montieren. Als Konsequenz aus dem Zwischenfall von 2013 wurde dem Dotiereinlauf ein Trompeteneinlauf vorgesetzt, der dafür sorgt, dass das Dotierwasser seither um 9 Meter höher gefasst wird. Damit konnte das Risiko, dass erneut Sedimente über den Dotiereinlauf in den Spöl gelangen, markant gesenkt werden. Somit war die erste Tauchphase nur im Hinblick auf den Dotiereinlauf erfolgreich, die Arbeiten am Grundablass konnten erst in der zweiten Tauchkampagne realisiert werden.
Erfolgreicher Abschluss
„Um den Grundablass von den Sedimenten zu befreien, damit die Taucher den Verschluss montieren konnten, setzte die TSA einen leistungsstarken Kran mit Greifer ein. Vom Ponton aus wurde der Greifer rund 100 m auf den Seegrund abgesenkt, wo er in Summe 600 m3 des Materials entfernte. Dadurch wurde letztlich ausreichend Platz hinter dem Grundablass geschaffen, um den Deckel zu montieren“, schildert Elmar Kämpfen. In weiterer Folge gelang es den Sättigungstauchern, den 8×5 m großen und 33 to schweren Verschluss des Grundablass an der Staumauer zu fixieren. Trotz des Wasserdrucks von 10 bar war der Abschluss auf Anhieb dicht. Am 12. September 2016 wurde der Grundablass entleert und konnte damit für die erforderlichen Revisionsarbeiten an den Schiebern sowie die Korrosionsschutzarbeiten an der Galerie freigegeben werden.
Im weiteren Verlauf der zweiten Tauchphase inspizierten Taucher die Betriebswasserfassung, dabei wurden die Einlaufgitter entfernt, Vermessungen angestellt und Materialprüfungen vor Ort durchgeführt. Parallel dazu erfolgte die Erhöhung der Dotierwasserfassung mit der Montage des nun 9 m höher situierten Einlaufrechens. Im November 2016 konnte der seeseitige Abschluss des Grundablasses abgezogen werden, nachdem der Grundablasskanal zwischen Grundablass und Schützen zuvor wieder geflutet worden war. Damit war nun die dritte und letzte Tauchphase eingeläutet. In diesen letzten zehn Tauchtagen waren die Taucher vor allem mit der Montage des Wassereinlasses für die erhöhte Dotierwasserfassung beschäftigt. Nach Abschluss dieser Arbeiten konnten sie in die Dekompressionsphase übergehen, die vier Tage in Anspruch nahm.
Herausforderung für alle Beteiligten
Rückblickend betrachtet, gelang es den 4 Sättigungstauchern von Hydrokarst, die extrem schwierigen und körperlich wie mental fordernden Unterwasserarbeiten in einer Tiefe von 115 m im Rahmen von drei Tauchkampagnen in insgesamt 62 Tauchtagen abzuwickeln. „Die großen Herausforderungen dieses sehr komplexen Projektes lagen neben dem Aufwand für das Sättigungstauchen vor allem in der Logistik. Die Baustelle liegt auf 1.800 m ü.M., wodurch wir natürlich stets mit stark wechselnden Wetterverhältnissen zu rechnen hatten. Schnee ist auf dieser Höhe auch im Juli gang und gäbe. Außerdem ist die Staumauerkrone nur durch einen schmalen, einspurigen Tunnel erreichbar, der den LKW-Fahrern echte Präzisionsarbeit abverlangte“, resümiert Michael Roth, der letztlich aber ein durchaus positives Fazit unter ein Projekt ziehen kann, das in dieser Form in den Alpen seinesgleichen sucht. Schließlich war es den Verantwortlichen gelungen, eine Staumauersanierung ohne Seeentleerung umzusetzen, die ein Höchstmaß an Rücksichtnahme auf die ökologische Situation des anschließenden Gewässers garantierte.
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