Stromboje am Mittelrhein – „Projekt soll Selbstläufer werden“8 min read
Lesedauer: 6 MinutenDer Mittelrhein ist nicht nur ein Touristikmagnet in Deutschland – auch die Wasserkraftbranche interessiert sich vermehrt für die bedeutende Schifffahrtsstraße.
Frei schwimmende Kraftwerke wie die Strom-Boje könnten den Durchbruch bedeuten. Am Mittelrhein ist nun ein Projekt mit diesem Turbinentyp geplant.
„Wir sind optimistisch, noch in diesem Jahr die erste Strom-Boje im Rhein installieren zu können“, sagen unisono Norbert Burkart (65) und Christian Hanne (45), Geschäftsführer des Unternehmens „Strom-Boje Mittelrhein UG“ in Bingen. Der Senior stammt aus Bingen und ist als Betriebswirt erst kürzlich in Rente gegangen. „Vor ein paar Jahren hat mich der Nachbau einer Schiffsmühle bei Mainz für das Thema Wasserkraft begeistert“, erzählt er.
Wasserkraftnutzung neu definieren
Sein Kollege Christian Hanne steht noch mitten im Beruf. Er ist selbständiger Metallbauer aus Bad Sobernheim an der Nahe und prädestiniert dafür, um sich mit den technischen Fragestellungen des zu befassen. Burkart und Hanne hatten sich vor ein paar Jahren auf einem Windenergietag an der Fachhochschule in Bingen kennengelernt und waren sich schnell einig, die Wasserkraftnutzung am Mittelrhein neu definieren zu wollen.
Große Potenziale
Grundsätzlich sei der Mittelrhein von Bingen bis Bonn interessant für schwimmende Kleinkraftwerke. „Wir konzentrieren uns dabei auf Standorte ab einer durchschnittlichen Strömungsgeschwindigkeit von 2 m/s“, erklärt Burkart. Nach einer großräumigen Suche nehme man gezielte Standortbewertungen vor. Dabei halte man 20 m Abstand zu der internationalen Schifffahrtsstraße, das gleiche gelte bei Buhnen, Schiffsanlegern etc. sowie zu dem ufernahen Lebensraum für Fische.Nach Abzug aller Restriktionen erscheint das Potenzial interessant genug, um etliche Projekte vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen. Wenn auch der Abschnitt des Rheingaus teils etwas oberhalb ihres eigentlichen Reviers liegt, haben sie für dort eine erste Abschätzung vorgenommen, die zeigte, dass auf 60 km Länge, würde man pro Kilometer fünf Strombojen, teils auch nebeneinander, installieren, 300 Exemplare unterzubekommen wären. ihre Erzeugung könnten 10-15% der Grundlast des Rheingaues decken, so eine grobe Abschätzung.
Detaillierte Planungen
Inwieweit diese Studien auf den gesamten Mittelrhein übertragbar sind, ist noch genauer zu klären. Der verfügbare Datenbestand besteht aus bestehenden ADCP-Profilen des Wasserschifffahrtsamtes. „Doch für uns sind das nur rudimentäre Momentaufnahmen“, urteilt Norbert Burkart, der deshalb mit seinem Kompagnon ein eigenes Messboot angeschafft hat und in jeder freien Minute an aussichtsreichen Stellen von einer Seite des Stromes zur anderen schippert um Daten zu sammeln.
Messungen auf dem eigenen Boot
Herzstück des kleinen Wasserfahrzeuges ist ein kalibriertes GPS-Messgerät. Dieses erfasst zusammen mit GPS-Standort-Daten die Flußtiefe und die Fließgeschwindigkeit in 1,50 m Tiefe – was der späteren Position der Strom-Boje entspricht. Die GPS-Messung erfolgt mit einer Genauigkeit von 20 cm. Solche Profile fahren Burkart und Hanne zu drei unterschiedlichen Wasserständen im Jahr ab und interpolieren die Ergebnisse für ein durchschnittliches Profil. Außerdem gleichen sie die Ergebnisse mit 15-jährigen Pegelwerten taggenau ab.
Die so gewonnenen Daten sind das wertvollste Kapital des noch jungen Unternehmens. Mit jeder Ausfahrt gewinnen die beiden einen Vorsprung gegenüber möglichen anderen Investoren, die später hinzukommen. Nach vielen geleisteten Arbeitsstunden weiß Hanne bereits zu berichten: „Der Rhein ist wesentlich besser berechenbar als der Wind“.
Start mit zehn Bojen
Unterhalb von Bingen haben die Entwickler längst einen ersten Standort ausgemacht, an dem zehn Strombojen Platz fänden und wo später eine Erweiterung um zehn weitere möglich wäre. Die Anträge dazu seien bereits beim zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamt für den Standort und bei den Wasserbehörden für Naturschutz, Fische und FFH-Auflagen gestellt. Bei den Besuchen in den Amtsstuben hätten sie festgestellt: „Auch für die Genehmigungsbehörden sind unsere Vorhaben noch neu und bedürfen daher oft etwas mehr Bearbeitungsaufwand“.
Technologie
Für den späteren Erfolg ist die Wahl der richtigen Technologie entscheidend: Das Produkt des österreichischen Herstellers Aqua Libre aus Margarethen am Moos in Niederösterreich, einem Betrieb der BEB Industries, konnte die beiden Unternehmer dadurch überzeugen, dass es aus ihrer Sicht so ausgereift ist, um es einsetzen zu können.
Die Anlage befindet sich im Betrieb stets unter Wasser und wird über eine Befestigungskette und einen Anker im Flussbett fixiert. Auf dem ersten Blick ähnelt sie einer Flugzeugturbine, allerdings nur mit einem Zweiblattrotor. Im Luvbereich befindet sich ein sich selbstreinigender Rechen aus kunststoffummantelten Stahldrähten, der als Abweiser dient.
Den Rotor trägt ein Schwimmkörper aus Stahlblech. In diesem Mittelstück befindet sich auch der zweifach gelagerte drehzahlvariable Synchrongenerator, der ohne Getriebe besonders wartungsarm sein soll. Des Weiteren enthält diese Einheit die Steuerungselektronik und eine Fernüberwachungseinheit. Nach hinten weitet sich im Lee ein Trichter aus Polyethylen. Dieser sogenannte Diffusor erzeugt einen Sog und erhöht damit die Strömung am Rotor.
Schon dritte Generation
Der Hersteller bietet bereits die dritte Generation der Strom-Boje mit einem Rotordurchmesser von 2,5 m und einer Nennleistung von 70 kW (ab ca. 3,5 m/s) an. Bei einer durchschnittlichen Fließgeschwindigkeit von 2,5 m/s werden um die 30 kW Leistung versprochen. Das etwa 6.000 kg schwere Kleinkraftwerk ist bereits seit vier Jahren in der Donau im Einsatz und eine Serienproduktion geplant.
Es eignet sich für alle Standorte mit mindestens 3,50 m Wassertiefe. Wo der Wasserspiegel geringer ist, und dies dürfte am Rhein der Fall sein, wird man auf das Vorgängermodell, die zweite Generation mit dem 1,5-Meter-Rotor und etwa 27 kW Nennleistung ausweichen. Ein Vorserienmodell dieser kleineren Turbine ist beim Hersteller vorhanden und soll ebenfalls in Serienfertigung gehen. Burkart und Hanne spekulieren nun darauf, die alte Anlage im Rheingau präsentieren zu dürfen.
Vorteile im sensiblen Umfeld
Wer mitbekommen hat, wie erbittert im Mittelrheintal über die optischen Auswirkungen von neuen Brücken, Windkraftanlagen, sogar Seilbahnen – wie in Koblenz – gestritten wird, kann es erst richtig einschätzen, wenn die Planung einer Kleinwasserkraftanlage für keinerlei Diskussion in der Öffentlichkeit sorgt.
Genau dies ist im Fall der Strom-Boje bislang der Fall: Sie beeinträchtige das Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal optisch in keiner Weise, sagen die Projektierer und hätte auch schon die Zustimmung der dafür zuständigen Stelle. Lediglich eine schmale gelbe Flosse luge aus den Wellen heraus und ermögliche über einen Reflektor die Erkennbarkeit über Schiffsradar. Da der durchgehend internationalen Schifffahrtsstraße absoluter Vorrang gelte, sei es optimal, dass zur Errichtung keine dauerhaften Bauwerke nötig seien.
Freundlich zur Fischwelt
Auch für Wasserlebewesen ist die Strom-Boje offensichtlich keine größere Gefahr: Sie birgt keine Sperrwirkung durch Querverbauungen, und somit sind auch keine Fischtreppen für die Durchgängigkeit notwendig. Die Strom-Bojen werden in einer Zone zwischen Schifffahrtsstraße und Ufersaum befestigt, einem Bereich mit auch noch ausreichender Strömung, die von vielen Fischen aber eher gemieden werde. Vor allem Langdistanzfische wie der Maifisch laichen nämlich näher am Ufer.
Falls doch einmal Fische an die Strom-Boje geraten, werden sie entweder durch den Abweiser zurückgehalten oder passieren den Langsamläufer mit seinen 70-110 U/min. Des Weiteren schlägt zu Buche, dass die Anlage keine Fallhöhe und keinen eigenen Antrieb erfordert und insgesamt nur ein schmales Profil im Verhältnis zum Flussquerschnitt genutzt wird. Indem die Anlage bei Hochwasser weiter untertaucht kann auch Schwemmgut keinen Schaden an der Technik anrichten.
Ziel sind ganze Schwärme von Bojen im Rhein
Sauberer Strom ist die eine Sache – dass sich die 350.000 Euro-Investition der 70 kW-Anlage unterm Strich auch rechnet, die andere. Die Anlage ist grundlastfähig und man geht davon aus, dass sie an nur einem Tag im Jahr für Wartungsarbeiten stillstehen muss. Bei einer durchschnittlichen Erzeugung von 27 kW erwartet man daher einen jährlichen Ertrag von rund 240.000 kWh. Bei einer Vergütung von 12,46 Cent/kWh (nach EEG, Jahr 2016) sind jährlich also 28.800 Euro zu erwirtschaften.
Unter Berücksichtigung des laufenden Aufwandes für Wartung, Betreuung und Pacht wäre die Investition nach etwa 14 Jahren amortisiert. Geschäftsführer Christian Hanne ist sich dessen bewusst, dass man hier noch Kostensenkungen herauskitzeln muss: „Investoren sind Amortisationszeiten von 12 bis 13 Jahren gewohnt. Wir sind zuversichtlich, dass wir dies hinbekommen, indem die Strombojen bald schon in ganzen Schwärmen installiert werden.“
Auch an anderen Flüssen aussichtsreich
Das Unternehmen aus Bingen will in einem ersten Schritt Standorte genehmigungsfähig machen, dann die Projekte realisieren, um sie anschließend selbst zu betreiben oder an Investoren zu veräußern. Man konzentriere sich primär auf den Mittelrhein, könne sich aber auch vorstellen, an anderen Flüssen in Deutschland tätig zu werden.
Gegenüber regionalen Versorgern sehen sich die beiden als Projektierer im Vorteil, da die anderen selten mit weniger als 10% Rendite zufrieden seien. „Wir sehen das ganze eher als Bürgerprojekt“, so Burkart. Dass auch Banken sich im Vorfeld eher zurückhaltend gezeigt hatten, überrascht die beiden kaum. Sie mussten es als gegeben wegstecken.
Anleihe soll Strom-Boje Schub geben
Umso mehr freuen sich die beiden Akteure aus Deutschland, dass der Gründer des Herstellers, Fritz Mondl, in Österreich bis Ende März eine erste Anleihe herausgegeben hat, die ihm beträchtliche Summen einbrachten, die möglicherweise auch in erste Standorte fließen könnten. Ermöglicht wurde dies durch das sogenannte neue Crowdfundig-Gesetz in Österreich, das es durch ein vereinfachtes Prospekt erleichtert, Gelder einzuwerben. Aqua Libre hatte nun als erstes Unternehmen dieses Gesetz für sich genutzt.
Entscheidend ist auch, wie lukrativ der erzeugte Strom zu vermarkten ist. Dieser wird zunächst nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz abgenommen und in 2016 zu 12,46 Cent pro Kilowattstunde vergütet. Bei einer Leistung ab 100 kW wird jedoch die Direktvermarktung notwendig. „Das schadet uns aber nicht, wir sind schon in Verhandlungen mit einem regionalen Grünstromanbieter, der unseren Strom in sein Produkt aufnehmen würde“, so Burkart.
Arbeiten am Vorzeigeprojekt
Ausschreibungen, wie sie nun in Deutschland bei der Windenergie und Solarparks begonnen haben, seien für die Kleinstwasserkraft nicht vorgesehen. Zudem liege ein Eckpunktepapier beim Bundeswirtschaftsministerium vor, das mit der nächsten EEG-Novelle eine regionale Grünstromkennzeichnung attraktiv machen soll.
Wichtig sei jetzt, ein erstes Projekt zum Laufen zu bekommen, um Interessenten etwas vorzeigen zu können, sagen Burkart und Hanne. Kooperationen mit Genossenschaften, lokalen Versorgern seien denkbar. Norbert Burkart sagt zuversichtlich: „Die Anleihe gibt dem Ganzen noch einen weiteren Schub. Wir sind überzeugt, dass die Strom-Boje zum Selbstläufer wird, sobald hier die erste in Betrieb ist.“
Mehr unter: www.stromboje.de
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