Uni Innsbruck entwickelt Seilrechen6 min read
Lesedauer: 4 MinutenWasserkraftanlagen stellen für Fische, die flussabwärts wandern möchten, ein unbekanntes Hindernis dar. Damit die Fische die für sie vorgesehenen Abstiegswege bestmöglich finden, müssen sie geleitet werden.
Diesem Thema nahmen sich Prof. Markus Aufleger, Dipl.-Ing. Heidi Böttcher und das Team der Uni Innsbruck an. In Zusammenarbeit mit der ALBATROS Engineering GmbH entwickelt man zurzeit ein flexibles und kostengünstiges Fischleitsytem in Form eines Seilrechens. Nach ersten Erfolg versprechenden Modellversuchen begibt man sich jetzt in der nächsten Phase auf die Suche nach Versuchsanlagen, um den Seilrechen in der Praxis weiter zu entwickeln.
Die Wiederherstellung der Gewässerdurchgängigkeit an Querbauwerken gemäß Europäischer Wasserrahmenrichtlinie stellt eine der größten Herausforderungen für den Betrieb und Neubau von Wasserkraftanlagen dar. Während für den Fischaufstieg bereits Bemessungsgrundlagen und eine Vielzahl von technischen Lösungsmöglichkeiten zu Verfügung stehen, besteht für die Umsetzung von effizienten und gleichzeitig wirtschaftlichen Fischschutzanlagen und Leitsystemen noch Handlungsbedarf. Fischschutzanlagen werden dazu eingesetzt, um Fische vor dem Eintritt in die Turbine zu bewahren und in Richtung Bypass ins Unterwasser eines Querbauwerkes zu leiten. Zum Fischschutz an Wasserkraftanlagen werden überwiegend Feinrechen mit geringen Stababständen eingesetzt, welche die Fische physisch sowie verhaltensbeeinflussend vor der Turbinenpassage zurückhalten. Das Leiten der Fische Richtung Bypass wird durch die Schrägstellung der Rechenanlage (flache Neigung zur Sohle oder zur Anströmrichtung s. Abbildung “Anordnung Seilrechen Buchtenkraftwerk”) und einen Bypass am unterstromigen Ende der Anlage erreicht. Um den Schutz der Zielfischarten und -stadien zu gewährleisten, werden sehr geringe Stababstände der Rechenanlagen empfohlen (bzw. gefordert). Der Einsatz von Feinrechen ist jedoch vor allem an mittleren und großen Wasserkraftanlagen mit einigen Problemen verbunden (oft hohe hydraulische Verluste, hohe Verlegungsanfälligkeit, etc.) und derzeit technisch und wirtschaftlich nicht realisierbar. Dies hat die Universität Innsbruck zur Entwicklung eines neuen Fischschutzkonzeptes veranlasst – und daraus entstand der Seilrechen.
Funktionsweise des Seilrechens
Der sogenannte Seilrechen besteht aus horizontal gespannten Seilen, welche die Fische physisch und durch verhaltensbeeinflussende Reize vor dem Kraftwerkseinlauf zurückhalten. Sein Einbau eignet sich daher besonders für den Neubau überströmbarer Laufwasserkraftwerke oder zur ökologischen Nachrüstung bestehender Wasserkraftanlagen. Das Grundprinzip besteht darin, dass Seile in einer bestimmten, aus dem Fischschutz geforderten, lichten Weite über den gesamten Fließquerschnitt oberhalb der Wasserkraftanlage horizontal gespannt werden. Während des Normalbetriebes sind die Seile gespannt. Im Falle lokaler Verlegungen der Seile durch Laub, Gras oder kleinere Äste können einzelne Seile oder Seilgruppen gelockert werden, um das Material von der Rechenfläche zu mobilisieren. Ab einem bestimmten erhöhten Abfluss werden die Seile auf der Gewässersohle abgelegt und der Fließquerschnitt für Abfluss und Feststoffe jeder Art freigegeben. Durch vollständiges oder teilweises Entspannen und Ablegen der Seile kann die Rechenfläche gereinigt und so vor Verklausung geschützt werden.
Modellversuch mit vereinfachten Mechanismen
Um die Theorie in einem Modellversuch zu testen, wurde im April 2012 der Seilrechen in ein bestehendes Modellgerinne im Wasserbaulabor der Universität Innsbruck im geometrischen Maßstab 1:5 eingebaut. Der Seilrechen wurde in einer, im Grundriss gesehen, schrägen Anordnung von ca. 45 ° zur Strömungsrichtung eingebaut. Im ersten Schritt prüfte man durch Einbringung von Laub und Ästen die Funktionsfähigkeit der Reinigung mittels vereinfachten Klappmechanismus. Es wurden jeweils zwei unterschiedliche hydraulische Lastfälle (maximale Fließgeschwindigkeit 0,22 m/s und maximaler Wasserstand – bis zur Oberkante des obersten Seils) getrennt für Laub und Holz untersucht. Das Material wurde nicht maßstabsgetreu zerkleinert, sondern im Naturzustand in das Gerinne eingegeben, was bezüglich des Verklausungs-Zustandes tendenziell einen sehr ungünstigen Zustand abbildet. Das technische Konzept des Seilrechens wurde in den Versuchen ebenfalls stark vereinfacht umgesetzt. In realen Anwendungen sollen die Seile an beiden Endverbindungen komplett an der Sohle bzw. Uferböschung anliegen, um eine Verklausung im Randbereich zu vermeiden. Die lichte Weite zwischen den Seilen wurde unter maximal einstellbarer hydraulischer Belastung (QModell = 311 l/s, vModell = 0,22 m/s) sowie unter Eintrag von Laub und kleinen Ästen eingehalten. Der Durchhang der Seile betrug während der Versuche wenige Millimeter. Er wird in natura, bei Spannweiten von 70 – 100 m, mehrere Dezimeter betragen. Damit auch in diesem Fall der Fischschutz gewährleistet ist, sind zusätzliche Seile über die Höhe des Durchhangs oberhalb des maximalen Wasserspiegels bzw. Stauziels anzuordnen. Die Schwingungen der Seile fielen ebenfalls sehr gering aus. Es wurde ein leichter Anstieg der Frequenz mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit beobachtet. Schwingungen könnten sich jedoch als zusätzliche Reize positiv auf die Schutzwirkung des Seilrechens auswirken, so Dipl.-.Ing. Heidi Böttcher. Visuelle und hydraulisch-taktile Reize der Barriere selbst lassen einen gewissen Scheucheffekt auf Fische vermuten. Auch die Kombination mit verhaltensorientierten Ansätzen (z.B. Licht und Strom) könnten zu einer Verbesserung der Schutz- und Leitwirkung beitragen.
Hydraulischer Spannmechanismus
In der Praxis wird der vereinfachte Spann- und Klappmechanismus aus dem Modellversuch durch ein hydraulisches System ersetzt. Als Technologiepartner für die hydraulischen Auflage und den Spannmechanismus konnte die Uni Innsbruck die ALBATROS Engineering GmbH aus Herzogsdorf gewinnen. Als Sondermaschinenbauer sind es die Oberösterreicher gewohnt neue Systeme zuverlässig zu entwickeln. Bei der Spanntechnik wird man Hydraulikzylinder mit elektro-hydraulischer Steuerung und zentralem Aggregat verwenden. Die einzelnen Zylinder (Seile) können so je nach Anforderung einzeln oder kombiniert bedient werden. Sensoren liefern ein Zustandsfeedback und relevante Daten an die Regelungstechnik. Eine Schnittstelle ist für die zentrale Leittechnik des Kraftwerks vorgesehen.
Flexible Anwendungsmöglichkeiten
Der Seilrechen kann an überströmten sowie an konventionellen Wasserkraftanlagen eingesetzt werden. Die Nachrüstung an bestehenden Anlagen ist relativ kostengünstig möglich. Bei einer überströmten Wasserkraftanlage kann das Treibgut bei Legung der Seile direkt über die Stauklappen des Kraftwerks ins Unterwasser abgeführt werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, abhängig von den standortspezifischen Rahmenbedingungen, auf ein aufwändiges Rechenreinigungssystem verzichten zu können. Zum Schutz der Turbinen sind vor den Turbineneinläufen entsprechend gröber dimensionierte Recheneinheiten anzuordnen. Der Einsatz des Seilrechens ist auch an konventionellen, nicht überströmten Wasserkraftanlagen, möglich. Hier ist ein zusätzlicher Turbinenschutz mit Rechenreinigungsanlage jedoch in jedem Fall zwingend notwendig, damit das Geschwemmsel insbesondere auch nach Reinigungsvorgängen des Seilrechens, durch teilweises Lockern der Seile, vor den Kraftwerkseinläufen entfernt werden kann.
Ausblick
Mit dem physikalischen Modellversuch wurde die generelle Funktionsfähigkeit des Seilrechens nachgewiesen. Eine konstante lichte Weite konnte eingehalten werden. Strömungsbedingte Schwingungen fallen relativ gering aus. Dies könnte jedoch aufgrund eines Scheuch-Effekts positiv für die Schutzwirkung sein. Die Schutz- und Leitwirkung ist zusammen mit der Kombination mit zusätzlich ausgesendeten, verhaltensbiologisch wirksamen Reizen, z.B. Licht, Schall oder elektrischen Impulse zu testen. Genaue Aussagen zur verhaltensbiologischen Wirkung des Seilrechens können erst durch einen ethohydraulischen Versuch getroffen werden. Mit der ALBATROS Engineering GmbH fand man einen Technologiepartner für die Entwicklung eines Auflage- und Spannmechanismus. Als nächsten Schritt gilt es eine Pilotanlage zu realisieren, und hierfür ist man auf der Suche nach einer geeigneten Kraftwerksanlage.
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